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tiefes Mißtrauen, ob sie auch in sich selbst das Leben undeine ewig lebendige, mit ihrem Wesen identische Form habe, ohne die Meinung, daß die Wahrheit doch eigentlich nur durch die menschliche, irdische, an sich nichtige Form könne gehalten und getragen werden. Der Ursprung dieser Meinung, jenes Mißtrauens ist aus der Lüge, und das Mißtrauen selbst wird von dem Vater der Lüge unterhalten. Zum vollen Bewußtsein kann beides im Literalismus nicht kommen, sonst wåre er vollständiger Unglaube. Vielmehr hat er das Wahre und Gute zum Grunde, daß er die Wahrheit mit ihrer Form und in ihrer Form will, daß er die Bestimmtheit einer Posizion um jeden Preis der Unbestimmt heit des Gleichgültigseins entgegenseßen will. Da er aber die Unklarheit und Schwäche an sich trägt, daß er die vers gängliche Erscheinungsform mit der ewigen wesentlichen Form verwechselt, und daß er diese nicht festzuhalten im Stande ist, wenn er sich nicht an den menschlichen Hülfsmitteln und äußeren Formen des religiösen Lebens festhält: so gestattet er jenem Geiste der Lüge, ihm die absolute Nothwendigkeit der endlichen Form, die Haltungslosigkeit der Wahrheit in sich selbst, vorzuspiegeln. Statt also jene Schwäche anzuers kennen, und sich durch männlich-redliches Hineinschauen in die Wahrheit, Durchschauen durch das vollkommene Gesetz der Freiheit (Jacob. 1, 25) immer mehr fähig zu machen zu immer freierem, selbstständig bildendem Gebrauche der Formen, wähnt er sein Heil in ihrer rücksichtslosen Aufrechthaltung zu finden, und stellt eben diesen Irrthum als Frömmigkeit und Weisheit dar.

S. 2.

Die geschichtliche Entwickelung des Literalismus ist bedingt durch eine demselben vorhergegangene Lauheit und durch das Vorhandensein verjährter und sehr ausgebildeter menschlicher Formen.

Es ist schon erwähnt, daß der Indifferentismus im

Entweichen noch dem Literalismus die Hand reicht, indem er eine Dede und Hohlheit der Geister und Gemüther hinterläßt, welche sie unfähig macht, in das Volle und Lebendige der Wahrheit einzutreten. Gerade hieraus entwickelt sich das Haften an der Schaale. Da sich nun, in einer solchen Periode, gewöhnlich überlieferte und ausgebildete Formen aus früherer Zeit vorfinden: so sind diese den nach Formen allzuverlangenden Geistern so willkommen, daß sie, mit Vernachlässigung einer tieferen geschichtlichen Einsicht, und bei dem Unvermögen, diese Formen von der Seite sich anzueignen, wo sie der Neubelebung fähig sind, an ihrem bloßen Dasein mit' pedantischer Bewunderung haften. Je bewunderungswürdiger die Geisteskraft ist, welche wirklich in der früheren Entwickelung auf die Ausbildung dieser Formen gewandt worden ist: desto leichter verbirgt sich die ångstliche und geistlose Festhaltung an denselben hinter dem Scheine einer selbst weisen Anerkennung des höchst weisen Alterthums. Indem zugleich in Zeiten der Zurückführung der Kirche zur festeren Gestaltung in Lehre und Leben immer auch solche da sind, welche die Handhabung dieser Formen von einem hierarchisch - politischen Standpunkte aus für religids wichtig erklären oder wirklich halten: so wird die Menge noch mehr darin bestärkt, die Aufrechthaltung der äußeren Form sei eben so wichtig als die Belebung des Inneren, und auf diese Weise gründet sich eine mehr oder minder drückende Herrschaft des Gesetzlichfestgestellten in der Kirche. Es lassen sich besonders drei Hauptperioden erken, nen, in welchen Formalismus und Literalismus, auf verschiedene Weise, ihre Herrschaft verbreiteten. Die erste war das Herrschendwerden allzufester kirchlicher Lehrformen im fünften und sechsten Jahrhundert. Denn nach dem der lebendigere und keinesweges leere oder unnöthige Kampf zwischen dem Nicånismus und dem Arianismus im vierten Jahrhunderté seine im Ganzen edleren Früchte getragen, nachdem in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts noch

Gegenstände von großer Bedeutung für die Kirche zur Sprache kamen: entwickelte sich unter und nach den Nestorianischen Streitigkeiten ein immer ängstlicherer und geseßlicherer Geist der formularischen Festhaltung der kirchlichen Lehre, welcher ganz vorzüglich beitrug, die griechische Kirche in dem Maaße erstarren zu machen, als sie in den spåteren Jahrhunderten sich darstellt. Eine andere Art des Literalismus entwickelte sich seit der Mitte des neunten Jahrhunderts in der abends ländischen Kirche, der Geist buchstäblicher Kirchlichkeit im Leben der Kirchenglieder. Denn seitdem der Glaube vorzugsweise als ein Gesetz angesehen wurde, welches durch die Bischöfe in der Kirche aufrechterhalten werden müsse, gab es auch nichts mehr in der Lehre vom Glauben, was die Ausartung der religiösen Handlungsweise in Geseßlichkeit und somit in ångstliche Buchstäblichkeit verhindern konnte : eine Richtung, welche, in Vereinigung mit dem spåter crst vollständig ausgebildeten scholastisch - pelagianischen Vertrauen auf die eigenen Kräfte, die wichtigste Ursache desjenigen Zustandes wurde, der die Reformazion nöthig machte. Eine dritte Hauptperiode des Literalismus trat seit dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts in der protestantischen, vorzüglich der lutherischen, Kirche ein, indem die starre Einbauung in die Ausdrücke und Gedankenformen der symbolischen Bücher, die meistentheils selbst in einem ganz anderen Geiste geschrieben waren, wiederum eine Knechtschaft des Buchstabens hers beiführte. Diese Richtung hatte Verwandschaft mit dem Hauptgebrechen der griechischen Kirche, insofern auch sie besonders auf Festhaltung der Lehre ausging. Es bestand jedoch hier der Unterschied, daß die protestantischen Dogmen vorzüglich den anthropologischen Theil der Religionslehre betrafen, und schon deshalb, in Verbindung mit dem protestantischen Prinzipe, daß die Schrift als Wort Gottes allei nige Norm der Lehre und des Lebens sei, nothwendig sich selbst früher, als die griechischen, zu einem geistigen Leben erneuern mußten.

S. 3.

Die zwei Hauptformen des Literalismus sind der Ergismus und der Orthodoxismus.

Der Literalismus kann sich entweder mehr an die Fors men der Lehre oder mehr an die des Lebens anschließen. Ist das Erste der Fall, heftet sich die buchstäbliche Gesinnung vorzugsweise an die einmal hervorgebrachten Gedankenformen, welche nur als Darstellungsweisen der ewigen Wahrheit der christlichen Lehre Werth haben, und eben deshalb dieser nicht gleich stehen: so entsteht die Verirrung des Orthodorismus, d. h. einer solchen buchstäblichen Auffassung der Orthodorie (dieser von dem ächten kirchlichen Leben unzertrennlichen Denkart), wodurch diese im Unwesentlichen gesucht wird. Wenn aber die literalistische Gesinnung sich mehr an das reale kirchliche Leben anheftet, wenn sie vorzüglich die Formen einer kirchlich-christlichen Lebensweise einseitig ausbildet, buchstäblich festhält und sklavisch ausübt: so entsteht ein Werthlegen auf gewisse gottesdienstliche Werke, in welchem die Ueberzeugung von dem Werthe aller Werke allein durch Glauben und Liebe Gefahr läuft einem nichtigen Vertrauen auf das Werk als Werk in seiner Gesondertheit zu weichen. Diesen Irrthum können wir Ergismus nennen, wobei nur zu erinnern ist, daß er mit dem aus der Geschichte der lutherischen Kirche bekannten Synergismus deshalb wenig gemein hat, weil es in ihm nicht sowohl auf das selbstständige Mitwirken der menschlichen Kraft, als auf das Werthhaben des Werks als solchen, gesezt auch, man leitete es allein aus der den Menschen dazu befähigenden göttlichen Gnade ab, ankommt. Da der Ergismus wenigstens in der abendländischen Kirche das frühere Uebel ist: so behandeln wir ihn vor dem Orthodorismus, bei welchem dasjenige, was in der alten, besonders der morgenlåndischen

Kirche, dem Ergismus noch voranging und fortwährend in ihr besteht, seinem Wesen nach ohne Schwierigkeit mit bes handelt werden kann.

Erstes Kapitel.

Vom Ergismus.

S. 1.

Das Wesen des Ergismus besteht in dem Jrrs thume, daß Alles im Christenthume nur dazu sei, um religiöse Werke als Mittel der Seligkeit hervorzubringen.

Der Ergismus erkennt in einem umfassenden Sinne die Lehren der heiligen Schrift von dem Wesen Gottes, von der Person und dem Amte Christi, von der Gnadenmittheis lung des heiligen Geistes an, aber er sieht alles dies theils als blos deshalb geschehen, theils als blos deshalb uns geoffenbart an, damit wir in den Stand gesezt würden, Werke zu thun, welche die Seligkeit zum gerechten Lohn has ben müssen. Werke, religiöse, vor Gott Werth habende Werke sind so sehr der Mittelpunkt in der Vorstellungsweise des Ergismus, daß er vergißt, daß auch sie nur Ucbungsmittel für die und Durchgangspunkte zu der Empfänglichkeit für das eine große Werk Gottes sind, welches er durch Christus in der Menschheit vollbringen will. Und was ist der Grund davon, daß dieses Werk Gottes über den Werken der Frommen bis zu einem gewissen Grade in den Hintergrund gestellt wird, während es doch das Rechte wäre, die Werke der Frommen als die Mittelglieder zu betrachten, durch welche das Werk Gottes sich selbst Organe schafft in

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