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ist, hångt selbst von der Polemik ab, und ist also nicht Quelle derselben, aber die neuere Weltgeschichte in ihrem Zusammensein mit der Kirchengeschichte, insofern das Hervortreten menschlicher Sündhaftigkeit und Unwahrheit sich der volleren Macht des Christenthums entgegenseßt, ist eine reiche und wichtige Quelle polemischer Erkenntniß, und zwar so, daß aus ihr mit einem durch Schriftaussprüche und Religionsphilosophie geschärften Auge geschöpft werden muß. Es versteht sich, daß die Geschichte derjenigen Denkweisen, Meinungen und Sitten, in denen sich die religiösen Irrthümer besonders objektivirt haben, hier vorzugsweise berücksichtigt werden muß.

S. 3.

Die Polemik wirkt fördernd ein auf alle theolo gische Disziplinen, vorzüglich aber auf die Seelsorge und die kirchliche Statistik.

Dasjenige, was wir oben (§. 1.) über den Begriff der Polemik im Verhältnisse zur Apologetik und Dogmatik gesagt haben, zeigt schon, daß ein förderndes Verhältniß der Polemik auf alle theologische Disziplinen bestehen müsse. Hiefür spricht auch der im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert von der Polemik gemachte Gebrauch, wo sie selbst in ihrer einseitig - dogmatischen Form unleugbar beitrug zu einer gewissen Festigkeit und Geschlossenheit auch der allgemeintheologischen Begriffe und Grundsäße. Daß man diese suchte in einer allzeit rüstigen Schlagfertigkeit zum Angriff auf jede dem orthodoren System entgegentretende Lehre, und daß man deshalb die Polemik zur symbolisch- dogmatischen Waffenkammer zu machen suchte, war freilich eine Beschränktheit. Aber unter dieser Beschränktheit war auch etwas sehr Wahres und Tüchtiges verborgen, nämlich das Bewußtsein, daß ein Theolog von theologischen Prinzipien aus den wirklich vorhandenen und gefährlichen Irrthum auch klarer er

kennen, und in jeder Beziehung, wo es darauf ankommt, von der Wahrheit müsse sondern und widerlegen können, und das Bestreben nach dieser Züchtigkeit konnte nur deshalb in dem Maaße, als es geschehen ist, abnehmen, weil man es als pedantisch und illiberal ansah, sich zum Streite gegen den kirchlichen Irrthum recht ausdrücklich zu rüsten, und weil man den Irrthum als eine unbedeutende, sich durch die immer mehr zu bewerkstelligende Razionalisirung des Christenthums von selbst aufhebende Erscheinung ansah, in beider Hinsicht also, weil man den göttlichen Werth der Wahrheit und die furchtbare Bedeutung des Irrthums nicht tief genug einsah und fühlte. Wie auch die Apologetik aus åhnlichen Gründen in neuerer Zeit gefallen, und, in strengerer Form, noch fast gar nicht behandelt worden ist: so müssen sich, unter Vorausseßung eines lebendigeren Wahrheitssinnes, Apologetik und Polemik mit einander heben. Die Rückwirkung der Polemik auf die Apologetik haben wir schon auseinandergesetzt. Der Einfluß auf Eregese, Kirchengeschichte und Dogmatik ist durch den Begriff einer Aufdeckung des Inneren und Gemeinsamen irrthümlicher Meinungen, Richtungen und Lehrsäße von selbst klar. Aber einer besonderen Bezeichnung bedarf das Verhältniß der Polemik zur praktischen Theologie und namentlich zur Seelsorge, und zur kirchlichen Statistik. Die gesammte philosophische Theologie hat eine innige Beziehung zur praktischen *), weil in den allgemeinsten Begriffen und Säßen der Theologie auch die kirchlichpraktische Abzweckung ihrer ganzen Organisazion sich auf das Klarste zu Tage legen muß. Die Apologetik berührt sich mehr mit Homiletik und Katechetik, denn gerade die Grundsätze der Mittheilung des Christenthums an die auszubauende Kirche müssen die Beweisgründe desselben möglichst klar in sich aufnehmen. Die Seelsorge aber, und na

*) Wie dieß Schleiermacher: Kurze Darstellung des theolog. Stud. 2te Ausg. §. 38. 66. darthut.

mentlich derjenige Theil derselben, der die Irrenden und Fehlenden in der Kirche richtig behandeln lehrt, bedarf einer Theorie von dem Wesen und den Formen-des kirchlichen Irrthums überhaupt, und würde ohne eine solche sich nur an einzelne Beobachtungen und an die hier nicht zureichende allgemeine moralische Lehre von der Sünde und Besserung anlehnen können. Die polemische Diagnostik hat sogar eine bedeutende Aehnlichkeit mit der seelsorgerischen. Der Unterschied aber ist der, daß die Polemik den Jürthum behandelt, insofern er ein kirchlicher, in ganzen Abtheilungen der Kirche und mittelbar im Ganzen der Kirche herrschend gewordener ist, die Seelsorge aber, insofern er ein persönlicher, mit der individuellen Schwäche und Sünde einer einzelnen der Kirche angehörigen Person verbundener ist. Wie aber das persönliche Leben der Kirchenglieder theo. logisch nur aus dem Ganzen der Kirche heraus beurtheilt werden kann: so bedarf auch die Lehre von der Behandlung der irrenden Kirchenglieder einer Anlehnung an die Lehre vom kirchlichen Irrthum überhaupt.

Wenn die Apologetik, was diejenigen theologischen Diss ziplinen, welche nicht zur praktischen Theologie gehören, betrifft, am meisten auf die systematische Theologie begründenden Einfluß ausübt: so gilt dies von der Polemik in Ansehung der kirchlichen Statistik. Da diese als die Darstellung der Kirche von ihrer realen Seite, in ihrer ethnographischen Ausbreitung, koordinirt iß der Darstellung der christlichen Lehre als des idealen Besißthums der Kirche: so liegt auch darin eine Bewährung der gegenseitigen Ergånzung der Apologetik und Polemik. In der kirchlichen Statistik kommt es auf Darstellung des wirklichen Gemeinlebens der Kirche an, welches, unter den Bedingungen des ethnographischen und nazionalen Daseins der christlichen Völker, zugleich sich mit Allem berührt, woraus der Irrthum sich stets neu erzeugt. Hier kommen also nothwendig nicht nur die Einseitigkeiten vor, die jede Hauptpartei der christlichen

Kirche an sich trägt, sondern auch die mehr krankhaften Erscheinungen der Sekten, denen ihr Sein in der · christlichen Kirche doch nicht abgesprochen werden kann. Um nun in den sich theils nach der Gliederung der äußeren Verhältnisse, theils nach Gesehen der von innen ausgehenden Entfaltung darstellenden Parteien das Irrthümliche erkennen und von dem nothwendig Einseitigen und rein Individuellen sondern zu können, dazu bedarf es der Polemik, und dieses Bedürfniß muß in demselbigen Maaße hervortreten, als die kirchliche Statistik aus ihrem empirischen, aggregatmåßigen Zustande sich zu dem einer organisch entwickelten Disziplin ausbildet. Auf der anderen Seite wird auch jeder ausgearbeitete Beitrag zur kirchlichen Statistik auf den Standpunkt zurückführen, von welchem aus man gewisse allen einzelnen Gebrechen der kirchlichen Gesellschaften zum Grunde liegende Grundirrthümer anzuerkennen genöthigt wird.

S. 4.

Die Form der Polemik entsteht theils durch den Gegensatz des Allgemeinen und Besonderen, theils durch den Kreislauf, welcher sich aus der die Wahrheit bes gleitenden Bewegung des Irrthums ergiebt.

Der Gegensatz des Allgemeinen und Besonderen, wie er nicht der Gegensaß des Abstrakten und Konkreten ist, sondern der des Begründenden und des Begründeten, 'tritt mit Berechtigung in jeder theologischen Disziplin auf, welche ein relativ selbstständiges Ganzes von Grund und Folge, Ursache und Wirkung anschaulich machen will. Wie deshalb die Eintheilung in einen allgemeinen und einen besonderen Theil der Apologetik zukommt, weil sie die allgemeine göttliche Wahrheit und Religionsvollkommenheit des Christenthums als den Grund aller wesentlichen Lehren und Thatsachen

desselben anschaulich machen muß *): so muß auch die Polemik die Grundverhältnisse des Irrthums zur Wahrheit in der Kirche, oder die allgemeine Erkennbarkeit und Bestreitbarkeit des kirchlichen Irrthums zuerst darstellen, und kann dann erst die einzelnen Hauptgestalten des Irrthums aufweisen. Auch hier wird der allgemeine Theil keine Abstrakzion von der Wirklichkeit sein, denn die aus theologischem Gesichtspunkte zu erkennenden allgemeinen und sich selbst gleichen Beziehungen des kirchlichen Irrthums sind eben so wirklich als seine Hauptformen; und die Erkenntniß dieser geht auch nicht auf das Einzelne, empirisch Erscheinende aus, sondern auf gewisse als bleibend oder sich wiederholend erkennbare Formen.

Schwieriger ist es, die richtige Eintheilung des besonderen Theils, oder eben diese Formen aufzufinden, in welchen nach einer inneren Nothwendigkeit der kirchliche Irrthum sich darstellt. Nicht leicht ist diese Aufgabe aus dem zwiefachen Grunde, weil der Irrthum in sich selbst keine Ordnung und Regel hat, die Wissenschaft also hier, wie es scheint, ihre Ordnung nicht aus der Natur ihres Objekts nehmen kann, und weil die verlangte Ordnung sich auch nicht an ein schon gegebnes theologisch-dogmatisches System anlehnen kann. Denn in diesem leßten Falle würde die Polemit falsch gefaßt als eine bloße Begleiterin und Vertheidigerin der Dogmatik, da vielmehr die Dogmatik die Polemik vorausseßt. Die Schwierigkeit würde unauflöslich sein, wenn wir uns nicht erinnerten, daß nicht der Irrthum als solcher Gegenstand der Polemik ist, noch sein kann, sondern

*) Der Verfasser erkennt es als einen Mangel in seiner bisherigen Bearbeitung der Apologetik an, daß ein allgemeiner Theil fehlt. Die Nothwendigkeit eines allgemeinen Theils in der Polemik erkennt besonders Buddeus an: Abhandlung von der rechten Art die polem. Gottesgelehrtheit vorzutragen §. 5.

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