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verstehenden Schrift in den symbolischen Büchern eine mit Autoritåt versehene buchstäbliche Erklärung hinzuzufügen, auf welche dann eben deshalb mit um so größerer Strenge als auf etwas zu Glaubendes gehalten wird, als man den großen, entscheidenden Grundsaß, der Glaube der Kirche sei durch die, unter dem Einflusse des heiligen Geistes aufgeschlossene, Schrift schon erkennend da (obwohl noch nicht dem Kirchengliede gegenüber objektiv-kirchlich), sich hat verdunkeln lassen. Hieraus entsteht denn das zwiefache Uebel, zwischen welchem der Orthodorismus sich hin- und herbes wegt, einmal daß der Kirche eine Fessel angelegt wird, vers möge deren es als Gesetz erscheint, an der dogmatisch und sprachlich unvollkommenen Form des Glaubens früherer Zeitalter haften zu bleiben, und zweitens daß der Sinn für und das Vertrauen auf eine in der Gemeinschaft des Geistes Christi frete, sowohl mit den Erfahrungen der Kirche als mit der Wissenschaft in åchter Wechselwirkung stehende, Auslegung und Benutzung der Schrift erdrückt und dem Verschwinden nahe gebracht wird. Hieran knüpft sich dann auch eine orthodoristische Aengstlichkeit in Ansehung der Kritik des Kanons. Nicht darin besteht dieser Fehler, daß die Orthodorie das feste Vertrauen hegt, kein zur Sicherung der historischen und didaktischen Elemente des christlichen Glaubens unentbehrlicher Theil des Kanons werde von der Kritik je als unächt dargethan werden können, denn diese Sicherheit liegt im Glauben selbst, sondern darin, daß, die auf dent Gebiete der Wissenschaft nothwendig immer zu erneuernde Untersuchung der Aechtheit gescheut, beeinträchtigt, verdåchtigt wird; denn darin liegt eben die glaubensschwache Furcht, die Wissenschaft werde zuleßt die historischen Fundamente des Glaubens selbst untergraben, während die ächte Orthodorie mit Sicherheit erwartet, die Aussagen einer halben, vom Geiste Christi und der Wahrheit verlassenen Wissenschaft werden immer von neuem und immer entscheidender durch die åchte, vom Geiste der Wahrheit, wie er den

wahren Gliedern der Kirche gegeben wird, durchdrungene christliche Forschung und Wissenschaft widerlegt, und auf diesem Wege die Aechtheit, Glaubwürdigkeit und Göttlichkeit aller wesentlichen Theile des Kanons immer neu in's Licht gestellt werden.

Der Grundsatz, die Lehre müsse als ein Gesetz den Kirchengliedern aufgelegt werden, ist falsch, weil die Lehre, insofern sie göttlich ist, ein glaubenschaffendes Lebenswort ist, insofern sie kirchlich gestaltet ist und werden mußte, das Resultat des freien, gläubigen Zusammenstehens der Kirchenglieder und ihrer Führer, welches dann freilich, nachdem es kirchlich anerkannt worden, auch wieder als Ordnung, Glaube, ja als Geseß des kirchlichen Ganzen den öffentlich kirchlichen Handlungen des Einzelnen beschränkend entgegentreten, -nie aber über den Glauben der Kirche gebieten kann. Nach dies sem Grundsage kann den kirchlichen Bekenntnissen ihr Anses hen als historischen Zeugnissen dessen, was die Kirche anerkannt hat (und was sie, insofern es jemals dem Worte Gottes gemäß war, nie aufgeben kann) so wie als Mitteln der Abweisung unkirchlicher Ansprüche der Einzelnen gegen die bestehende Ordnung des Ganzen, nie genommen werden. Allein dieses Ansehn muß sich, der Natur der Sache nach, auf den aus Schrift und Glaubenserfahrung immer neu sich bewährenden Inhalt beschränken, und gilt nicht für die dogmatische Form der Lehre und die der eigentlichen Substanz des Bekenntnisses beigemischten Nebenvorstellungen.

Ist einmal das wahre Verhältniß der Sache verkannt, und ist, aus Mißtrauen gegen den Geist der Wahrheit, aus Furcht, die Lehre könne nur als Geseß und durch das Gefeß aufrecht erhalten werden, einmal die didaktische Autorität irgend einer anderen als der kanonischen Schriften anerkannt: so ist keine Grånze für unrechtmäßige, unkirchliche, unschriftmäßige Folgerungen. Denn dürfte man einmal der Kirche sagen: dies ist wahr, denn es steht im Symbol (statt zu sagen, dies steht in unserem Symbol, denn es ist wahr

nach der Schrift und in der Analogie des Glaubens): so dürfte diese Folgerung auf rein logischem Wege ins Unendliche fortgefeßt werden, und dabei würde der Lehrbegriff der Kirche um alle diejenige Ursprünglichkeit und Schriftmåßigkeit kommen, welche seiner immerhin mittelbaren begrifflichen Form das eigentlich Kirchliche mittheilt.

Dennoch haben sich oft bedeutende Stimmführer der kirchlichen Kämpfe dieser orthodoristischen, innerlich unkirchlichen Berufung auf die Symbole schuldig gemacht. Dies geschah, so oft eine Lehre blos deshalb bestritten wurde, weil sie einer kirchlichen Formel nicht gemäß war, und ohne daß man zugleich beweisen konnte und lebendig die Ueberzeugung in sich trug, daß sie der Schrift widerspreche und den Glaus ben in seinen Fundamentalartikeln gefährde. So sagt zwar die Konkordienformel sehr schön in ihrem Eingange, daß die heilige Schrift allein Regel des Glaubens sei, sie selbst aber steht mit diesem großen Grundsaße in einem gewissen Widerspruche, indem sie ihre Säße zum Theil nur beweiset durch Berufung auf die früheren Symbole und die Schriften Luther's *). Nun darf man sich zwar auf die Symbole berus fen, um die Kirche im Leben sicher zu stellen, oder um eine gewisse Lehrweise als damit übereinstimmend zu vertheidigen, nicht aber um neue Symbole daraus zu machen. Denn es ist ein Anderes, ein Symbol, wie z. B. die Augsburgische Konfession, als seiner Substanz nach entschieden schriftmäßig gelten lassen und handhaben in der Kirche, und wieder ein Anderes, ein Symbol als eine in sich vollkommene und göttliche Schrift behandeln, aus deren Worten und Säßen,

*) Schon aus der Einleitung der Solida declaratio ersieht man, wie es den Verfassern schwer wird, das alleinige Ansehn der Schrift mit ihrem Verfahren, aus Luther's Schriften zu ar, gumentiren, zu vereinigen. Darnach siehe die Berufungen auf Luther's Worte, Walch's Konkordienbuch, S. 605. S. 683. S. 708.

durch Schlußfolgerungen, neue Lehrwahrheiten abzuleiten seien. Jenes ist der ächtkirchliche Gebrauch, dieses der orthodoristische, welcher den wahren Begriff vom Verhältnisse der Kirchenlehre zur Schrift und zum Glauben verwirrt.

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Der Orthodorismus entwickelt sich als das Be streben, das Göttliche menschengleich, das Mystische em pirisch, und das Beziehungsweise absolut zu fassen.

Da im Orthodorismus eine unwahre und trockne Gleichsehung des Schriftworts mit dem kirchlichen Worte gegeben ist: so fließen aus diesem Prinzipe andere Gleichstellungen, welche in das Herz der Glaubenslehre einschneiden, und sich gerade dadurch als orthodoristische zu erkennen geben, daß sie mehr oder minder stets unter dem Einflusse jener allgemeinen didaktischen Buchstäblichkeit, die das Wesen des Orthodorismus ist, auftreten. Erstens: das Göttliche, d. h. das von Gott Ausgesagte, ihm als Gott Zukommende, von Gott zu Denkende wird nicht nur menschlich gefaßt (dies ist in einer sehr bestimmten Beziehung richtig), sondern in der Art menschengleich gefaßt, daß die dem Menschen als Geschöpfe zukommende Eigenthümlichkeit irrig auf Gott schlechthin, also auf Gott den Vater, übertragen wird. Dies bes greift diejenigen Vorstellungen des Orthodorismus, welche sich vorzugsweise aus einer buchstäblichen Auffassung der Schrift ergeben. Zweitens: das Mystische, welches von der Thatsache des durch Christus in die Menschheit gekommenen neuen Lebens und von dem Zusammenhange seiner Kirche mit ihm selbst unzertrennlich ist, wird empirisch aufgefaßt, und dadurch der wahre Karakter des Geheimnisses, daß es nämlich nur vermittelst des das Gemüth über das empirisch Sinnliche erhebenden Geistes vernommen werden kann, verkannt. Diese Form des Orthodorismus hält sich besonders fest an dem in der Kirche herkömmlich Vorgestellten, Aus

gesprochenen und durch symbolische Bücher zu Firirenden. Drittens: das beziehungsweise Wahre, was nur dadurch seine Gültigkeit hat, daß Gott und Mensch, den Grundgedanken der Schrift gemäß, in lebendiger gegenseitiger Beziehung gedacht werden, wird irrig absolut gefaßt, d. h. es wird diese nie mangelnde Beziehung, bis zur schroffen Behauptung von etwas scheinbar Konsequentem, einseitig Strengem und dess halb Falschem, übersehen. In dieser Richtung pflegt das Mißverständniß von Schriftstellen und ein gewisser kirchlicher Despotismus gleichmäßig als vereinigte Ursache zu wirken. Die erste Richtung zeigt sich, der Geschichte zufolge, vorherrschend in der lutherischen Kirche, die zweite in der römis schen, die dritte in der reformirten, und dies läßt sich hinreichend aus dem eigenthümlichen Karakter dieser drei Kirchengemeinschaften ableiten.

1. Das Bestreben, das Göttliche menschengleich zu fassen, stellt sich besonders in einer irrigen Auffassung der Lehre von dem Zorne Gottes und der von der Rechtfertigung durch den Glauben dar.

a. Was die Verirrungen auf dem ersten Gebiete bes trifft: so bestehen sie vorzüglich in den Vorstellungen, daß der Zorn Gottes durch den Tod Christi hätte müssen besånftigt werden, daß das Opfer Christi eine Versöhnung des beleidigten Gottes sei, und daß Christus selbst gestraft wors den sei. Diese Vorstellungen folgen keinesweges mit didaktischer Strenge aus den Aussprüchen der symbolischen Bücher der christlichen Hauptparteien; allein in mehren Theilen dieser Bücher werden Stellen der heiligen Schrift in einer solchen Art unbestimmt und in weiterem Sinne angeführt und angewandt, daß es möglich war, aus diesen Stellen, nach Anleitung der symbolischen Bücher, vorzüglich der protestantischen Kirche, einen solchen Sinn herauszunehmen, wodurch die Schriftlehre von der Versöhnung unrichtig dars gestellt, und jene oben angeführten gröberen. oder feineren Mißverständnisse veranlaßt wurden.

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