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Bei der Beurtheilung dieser Irrthümer ist vor allen Dingen davon auszugehen, daß es nach der Schrift einen Zorn Gottes giebt (Joh. 3, 36; Róm. 1, 18; 2, 5; 2 Thess. 1,8; Offenb. 14, 10), und daß also allerdings in der christs lichen Kirche von dem Zorne Gottes etwas zu lehren ist *). Der Zorn Gottes im schriftmäßigen Sinne ist der Ausdruck seiner Heiligkeit in der sündigen Welt, der Inbegriff alles dessen in der Welt, was, aus der sündigen Verkehrung des Lebens hervorgegangen, durch die heilige Gerechtigkeit Gottes dem Sünder als furchtbar entgegentritt. Diesen Zorn Gottes (das Gewordensein und Sichgestalten der Dinge ges genüber der Sünde, durch Gottes heilige Gerechtigkeit) würde, wenn er nicht aufgehalten, gehemmt, ja gesühnt worden wäre, den ewigen Tod des gesammten Menschengeschlechts nach sich gezogen haben. Aber Christus ist in die Menschheit hineingetreten, und hat den, als Gegenwirkung gegen die Sünde, verzehrenden Zorn auf sich abgeleitet als auf den Einzigen, der ihn ertragen konnte, ohne dadurch unterzugehen, der, nachdem er ihn zur thatsächlichen Versöhnung der Menschen ausgehalten, nach dem Rechte siegreich hervorging, um die Erlösung der Menschen zu bewirken **).

*) Gegen Schleiermacher's Behauptung in seinen Predigten, 6te Samml. 1831. Pred. 9.

**) Vgl. Luther's Schrift von der Freiheit eines Christenmenschen. Werke ed. Wittenberg Th. 7. 1602. S. 55: „Die. weil Christus ist Gott und Mensch, welcher noch nie gesündigt hat, und seine Frömmigkeit unüberwindlich, ewig und allmächtig ist, so er denn der gläubigen Seelen Sünde, durch ihren Brautring, d. i. der Glaube, ihm selbst eigen macht und nicht anders thut, denn als hätte er sie gethan, so müsse die Sünde in ihm verschlungen und ersäuft wer den, denn seine unüberwindliche Gerechtigkeit ist allen Sünden zu stark. So ist nicht möglich, daß die Sünde sie verdamme, denn sie liegen nun auf Christo, und sein in ihm verschlungen "

Soweit ist die Schrift noch Eins mit Allen, die vom Zorne Gottes etwas lehren. Der Irrthum fängt damit an, daß der Zorn Gottes als etwas in Gott Vorhandenes angesehen wird, was besänftigt werden müsse. Der Zorn Gottes ist keine Bewegung in ihm selbst, die von seiner heiligen Liebe verschieden wåre, er ist nur die sich in der sündigen Welt thatsächlich offenbarende Heiligkeit dieser Liebe selbst. So wenig nun seine Liebe besänftigt werden kann oder zu werden braucht: eben sowenig ist beides bei seinem Zorne der Fall. Wenn der Zorn Gottes besänftigt werden müßte, so wäre anzunehmen, er sei doch immer noch da, nur schwåcher, weniger furchtbar; vielmehr muß er gelöset, hinwegs genommen, durch Christus getilgt werden; aber dies ist nicht eine Besånftigung Gottes.

Etwas weniger anthropopathisch und dennoch von dem Schriftbegriffe der Versöhnung sich entfernend ist die Vorstellung, daß Gott oder die Gerechtigkeit Gottes versöhnt, Gott und seiner Gerechtigkeit genug gethan werden mußte. Dieser aus der Lehre des Anselmus Cantuariensis hervor gegangenen Auffassungsweise liegt zwar die große Wahrheit zum Grunde, daß die Gerechtigkeit Gottes zu ihrer vollen Gelbftoartellung (εἰς ἐνδειξιν τῆς δικαιοσύνης ἁυτοῦ, τόμ. 3,25) den Tod Christi nöthig machte, aber darin liegt nicht, daß Gott dadurch versöhnt wurde. Vielmehr stellt die Schrift Gott niemals als versöhnungsbedürftig oder versöhnt gewor den, sondern als versöhnend, und nur die Menschen als versöhnt dar (2 Kor. 5, 18-20. 1 Joh. 2, 2. Róm. 5; 10). Die Gerechtigkeit Gottes steht, nach der Schrift, nicht so getrennt von seiner Barmherzigkeit da, daß nur diese als die versöhnende und jene als die zu versöhnende erscheinen dürfte (eine unwahre Trennung, die den Hauptfehler des geistvollen Werkes des Anselmus auszumachen scheint), sondern die Gerechtigkeit Gottes ist die Fülle seiner zur Feststellung des Rechts in der Menschenwelt, auch der sündigen, sich erweisenden Eigenschaften, und schließt auch die Barm

herzigkeit in sich. In dieser ihrer auf die Sünderwelt wirkenden Fülle ist sie zwar strafend, aber nur 'in Beziehung auf die in dem Rathschlusse der ewigen Liebe beschlossene Erlösung, und da diese in der Mitte der Zeit die Versöh nung der Welt mit Gott (2 Kor. 5, 19) durch den Tod Christi nöthig machte: so ist die Gerechtigkeit selbst auch versöhnend. Wird nun der Tod Christi als Genugthuung für die Gerechtigkeit Gottes, durch die Strafe des Stellvertreters der Sünder, aufgefaßt: so wird jene fälschlich ausschließlich als Strafgerechtigkeit gefaßt. Die Strafe, welche in dem Verhältnisse Gottes zur fündigen Welt nur dazu da ist, daß das Recht festgestellt, aufrechtgehalten und anerkannt werde, wird über ihren Begriff und Zweck hins aus so absolut gefaßt, daß die Versöhnung-selbst nur in einer eigenen Art von Strafe vollbracht wird. Damit wird aber der Begriff der Versöhnung verleßt, welcher Aufhebung des Strafverhältnisses in sich schließt, freilich durch Leiden und Lod, aber nicht als Strafe, sondern eben als sühnendes Opfer. Der Begriff und Ausdruck der Genugthuung ist also nicht adäquat dem, was das Opfer Christi leisten sollte und leistet. Denn wenn er zwar die Nothwendigkeit des Opfers nach dem in Gott gegründeten Rechte ausspricht: so stellt er die die eigentliche Versöhnung begründende Liebe Gottes in Hintergrund, und faßt das Verhältniß Gottes zu den Menschen einseitig als ein Rechtsverhältniß *). Der das durch entstehende Eindruck von der Strenge Gottes wird noch geschärft durch den nicht schriftmåßigen Ausdruck, Gott sei versöhnt durch das Opfer Christi, indem dadurch verhindert wird zu denken und zu sagen, er sei versöhnend, nåmlich die Welt mit sich durch Christus **).

*) An dieser Einseitigkeit leidet auch Frage 16 des Heidelberger Katechismus: „Die Gerechtigkeit Gottes erfordert, daß die menschliche Natur, die gesündigt hat, für die Sünde bezahle." **) Unmöglich kann es für so unwichtig gehalten werden, wie

Es ergiebt sich nun um so leichter, in wiefern es s richtig sei, das Leiden des Erlösers als ein eigentliches Gestraftwerden darzustellen. Eben weil die freiwillige Uebers nahme der Strafen des Menschengeschlechts im Bewußtsein des Erlösers in jedem Augenblicke seine die Sünde fühnende und seines Vaters die Welt versöhnende Liebe war: so konnte das bitterste und tiefste Leiden von ihm nicht als Strafe im eigentlichen Sinne gefühlt werden, sondern immer als Sühne für die Sünden der Welt; und es giebt keine Stelle, in welcher jenes Gefühl des Gestraftwerdens dem Erlöser zugeschrieben wird *). Liefstes und volles Mitgefühl der Sündenstrafen der Welt, und also, auf fündlose Weise, auch ihrer Sünden, muß freilich in einem alles Begreifen übersteigenden Grade dem Erlöser zugeschrieben werden, und dies entschuldigt die Versuche, sein Leiden durch Vergleichung

Ev. Kirchenz. 1837 St. 20 behauptet wird, daß die Schrift jenen Ausdruck nie gebraucht; und Walch hätte die Socinianer wegen der Unterscheidung dieser beiden Ausdrucksweisen nicht einer seltsamen Sache" anklagen sollen (Polemische Gottesgelahrtheit S. 258. Vgl. Nitzsch System der christlichen Lehre, 3te Ausg. S. 242.) ́

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*) Jef. 53, 5 bezeichnet das schon durch das zweite im Genitiv stehende Wort deutlich genug eine fremde auf ihm liegende Strafe oder Züchtigung. Ps. 40, 13 spricht nicht für ein solches Gefühl, da ges rade bei der messianischen Auffassung dieses Psalms diese Worte, möge nun 712 als Sünde oder Sündenstrafe überseßt werden, auf jeden Fall zunächst von dem Verfasser verstanden werden müssen, dessen Empfindung im Ganzen, und dann in einzelnen Ausdrücken im höheren Maaße (wie v. 8), ein Typus der Leiden und der Opferwilligkeit des Messias ist. Dies widerspricht nicht dem von uns völlig anerkannten Grundsaße, daß viele profetische Stellen wahre und für Chri- . sten verständliche Ausdrücke der Leidensempfindungen Jesu Christi seien; worüber wir in dem Abschnitte vom Spirituas lismus uns näher erklären werden.

mit den Höllenstrafeu dem Verständnisse näher zu bringen. Aber es rechtfertigt nicht, da die Gefahr hier fast unabwendbar nahe liegt, etwas Unwahres einzumischen, und aus dem Leiden des Erlösers sich das in ihm unvertilgbare Bewußtsein seiner versöhnenden Liebe hinwegzudenken *).

b. Im bestimmten Gegensaße gegen den Ergismus äußert sich der Orthodorismus auch in einer starren Auffassung der Lehre von der Rechtfertigung des Sünders vor Gott durch den Glauben. Starr ist nämlich diejenige Fassung dieser Lehre zu nennen, nach welcher die Reinheit der Begriffe von diesem Verhältnisse als wesentliche Bedingung der Rechtfertigung und des Gnadenstandes selbst angesehen wird. In manchen ålteren dogmatischen und ascetischen Werken der evangelischen, besonders der lutherischen, Kirche wird in der That für die Lehre von der Rechtfertigung in der Art geeifert, als wenn jeder ungerechtfertigt sei, der jene Lehre nicht in einem gewissen Grade begrifflicher Klarheit erkennt. Dies ist aber falsch und eine Ueberspannung der Orthedorie, als wenn sie in irgend einem Punkte (und daß man in der pro-. testantischen Kirche gerade auf diesen fiel, war erklärlich) schlechthin Eins wäre mit dem seligmachenden Glauben. Denn wenn man allerdings sagen muß, jemand, welcher den der ächten Rechtfertigungslehre entgegengesetzten Irrthum von der Rechtfertigung durch die Werke bewußt und auf eine sein ganzes übriges Denken über göttliche Dinge beherrschende Weise festhielte, könnte nicht gerechtfertigt sein: so gilt doch nicht das Umgekehrte, daß jeder Gerechtfertigte

*) In Liedern und ascetischen Schriften sowohl aus der reformirten als der lutherischen Kirche finden sich dergleichen zu sehr vermenschlichende Beschreibungen des Leidens Christi; allein es ist nicht überflüssig zu bemerken, daß die von Vielen so sehr gescheute 37ste Frage des Heidelberger Katechismus eigentlich gar nicht auf das Gebiet des Irrthums über. tritt, indem sie blos vom Tragen des Zornes Gottes spricht, welches einen ganz schriftmäßigen Sinn züläßt.

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