Immagini della pagina
PDF
ePub

Razionalismus ist nicht indifferent gegen die im Christenthum enthaltenen Ideen, er will nur nicht zugeben, daß sie in etwas Höherem und Lieferen als in der menschlichen Vernunft wurzeln. Der Razionalismus ist auch nicht feindlich gegen das Christenthum als eine historische Thatsache; er sieht nur nicht, wie seine Geringachtung und Umgehung des Positiven das gesammte historische Kirchenthum wankend macht. Allein er ist deshalb, weil er nicht durchaus indifferent und weil er nicht schlechthin feindlich ist, nicht besser in Anschung der kirchlichen Wahrheit, als der Naturalismus. Er ist vielmehr in mancher Hinsicht gefährlicher für die Kirche, als beide Arten des Naturalismus, denn er seht sich mit großen Ansprüchen inmitten der Kirche fest, und, unter dem Scheine der Bildung untergråbt er ihre Fundamente *).

S. 2.

Der Razionalismus nimmt das Wort Christi nicht als das eigentliche Wort Gottes an.

Ist das Wesen des Razionalismus richtig erkannt in dem falschen Verhältnisse, in welches die menschliche Vernunft sich zur christlichen Religion stellt: so geht daraus hervor, daß der Gegensaß, in welchen der Razionalismus zum Supernaturalismus so lange Zeit hindurch gestellt worden, nicht der richtige polemische Gesichtspunkt war. Denn der Supernaturalismus, als die bloße Annahme von übernatürlichen Einwirkungen Gottes in die Menschenwelt, schließt

*) Hienach müssen wohl die Resultate der lehrreichen Schrift Hahn's de rationalismi indole (1827) modifizirt werden. Die Aussagen der älteren Polemiker, welche Naturalismus und Razionalismus als Eins setzen, beweisen hier um so weniger, da beide Denkarten in der Zeit jener Schriftsteller durcheinander gährten.

an sich noch nicht die Anerkennung desjenigen göttlich Positiven in sich, welches alle Elemente des religiösen Lebens in einer absolut vollkommenen historischen Erscheinung vereinigt und durch sie mittheilt. Der Supernaturalismus kann sich also mit dem Razionalismus, d. h. mit einer Abwehr des göttlich Positiven, vereinigen, und er hat dies oft gethan, wie das Beispiel der Arianer und der Socinianer zeigt, die sehr viele razionalistischen Elemente mit einem entschiednen Supernaturalismus, besonders in Ansehung der Einführung der christlichen Religion in die Welt, verbinden. Nimmt man nun dazu, daß der Razionalismus seinerseits das Dasein des Uebernatürlichen in der Religion nicht schlechthin leugnet: so sieht man die Unmöglichkeit ein, daß durch diese Entgegensetzung der Kampf rein ausgefochten werden konnte, denn beide Parteien schossen ihre Pfeile meistentheils nach cinem ganz anderen Punkte hin, als wo der Gegner stand, ja oftmals geschah es, daß sie unter die Heerhaufen der Ihrigen schossen; und hieraus entstand das Ermüdende, das Unfruchtbare dieser Art von Polemik *). Und indem der Supernaturalismus zum Theil selbst sich in einer unverkennbaren Einseitigkeit darstellte, war es vom religionsphilosophischen Standpunkte erlaubt, beide als aufzugebende Beschränktheiten einander gegenüber und in sofern einander gleich zu stellen **); dagegen vom theologischpolemischen immer festzuhalten war, daß der Razionalismus an sich ein kirchlicher Irrthum ist, der Supernaturalismus aber nicht.

Selbst wenn der Supernaturalismus einen bestimmteren religiösen und apologetischen Begriff, den der Offenbarung,

*) Vgl. Schleiermacher zweites Sendschreiben an Lücke, Studien c. 1829 S. 531. Hiedurch verliert denn das berühmte Dilemma Reinhard's in seinen Geständnissen (S. 95) allerdings viel von seinem theologischen Werthe.

**) Wie dies geistvoll und glücklich geschehen ist von Marheineke in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Dogmatik. 1827.

in sich aufnimmt, steht er noch nicht auf dem Boden, auf welchem er den Irrthum des Razionalismus historisch nachweisen kann. Nicht als wenn der Begriff der Offenbarung nicht bestimmbar genug wåre, um zu zeigen, daß er nur in der christlichen Religion vollkommen realisirt sei, sondern weil der Razionalismus jenen Begriff im Allgemeinen anerkennt, aber, so lange er das eigenthümlich Positive der christlichen Religion nicht gelten läßt, auch nicht dahin gebracht werden kann zuzugeben, daß eine gewisse supernaturalistische Anwendung des Offenbarungsbegriffs auf das Christenthum die alleinrichtige sei.

Die historischen Behauptungen und Weigerungen des Razionalismus müssen also auf einem überwiegend historischen Gebiete aufgesucht und bekämpft werden, und dieses Gebiet ist kein anderes als das des Wortes Christi als des Wortes Gottes. Aller Razionalismus geht darauf aus, dem Worte Christi die Eigenschaft, wirkliches Wort Gottes zu sein, zu nehmen. Und dies ist seine allgemeinste Selbsterklärung über die Quellen der christlichen Religionslehre. Bei diesem Verfahren also muß er zuerst festgehalten werden.

Die Sache stellt sich so. Die Geschichte zeigt einen Menschen Jesus von Nazaret, welcher Worte redete, die uns glaubwürdig überliefert sind. Der Inhalt dieser Worte ist vorzüglich der, daß er selbst, Jesus, der Mittheiler des ewigen Lebens, der Israel verheißene Christus und Sohn Got tes, der Heiland von Sünde und Tod sei, daß er sein Leben zur Erlösung hingeben werde (Joh. 4, 10. 6, 35. Matth. 16, 16, 17. Matth. 26, 64. Joh. 8,36. 8, 51. 11, 25, 26. Matth. 20, 28.), daß seine Worte Worte Gottes, seines Vaters, seien, so daß wer ihn und sie annchme, Gott annehme (Joh. 12,44, 49, 50. Joh. 13, 20. Joh. 14, 10. 24.) Darum fordert er Glauben an seine Worte, und zwar vorzüglich an die Worte von seinem Sein im Vater und dem Sein des Vaters in ihm (Joh. 14, 11.), und sagt, dies sei Glaube an Gott (Joh. 12, 44.); das Zeugniß, das er

von sich selbst ablege, werde von dem Vater bestätigt (Joh. 8,18); und wenn jemand nicht an ihn glaube, so sei der Grund davon, daß er Gottes Wort nicht lebendig bei sich bewahre. Das innerliche Gelehrtsein von Gott und Gezogenwerden von Gott bewirke, daß jemand zu ihm komme (Joh. 5, 38; 6, 44, 45) *).

Diese Worte Jesu nimmt die christliche Kirche als eigne und eigentliche Worte Gottes an, weil dieser Karakter der Worte, der zugleich ihr Inhalt ist, sich bewährt durch die moralischreligiöse Vortrefflichkeit Christi, mit welcher sich die Unwahrheit seiner Worte von sich selbst nicht vereinigen läßt, und welche weder Lüge noch Selbstbetrug denkbar macht; weil Gott sie durch die Auferweckung Jesu als solche beståtigt hat, indem er dadurch ihren Inhalt, nämlich daß Jesus daß wesentliche Leben unvertilgbar persönlich in sich habe und fortwährend mittheilen könne, bewahrheitet. Von da aus erhalten auch die Wunderwerke Christi eine seine Worte bestätigende Bedeutung für die Kirche. Sie nimmt sie als Gottes eigne Worte an endlich drittens wegen der Geistesmacht zur Schaffung eines neuen Lebens, die thatsächlich von Jesus, vermittelst des Glaubens an seine Worte, aus geht, und die gerade die Erfüllung dessen ist, was von den lebendigen Worten Gottes allein zu erwarten ist, sie stimmt darin mit Petrus überein, der sie Worte des ewigen Lebens 'nennt, und dessen Bekenntniß Jesus stillschweigend genehmigt (Joh. 6, 68, 69).

Diese Worte Jesu werfen ihr Licht zurück auf den Inhalt des Alten Testaments, besonders der Worte der Profes ten, indem sie als den Hauptinhalt auch dieser Worte das Werk und Reich Gottes in der Person des Lebengebers, des Christus, des Heilandes, klar machen, und die Befähigung der Profeten dazu ist der Kirche klar als die vor dem Kommen Christi Statthabende Dekonomie des erleuchtenden Geistes

*) Vgl. meine Apologetik S. 106 u. f

Gottes in Israel. Die Worte Jesu werfen ferner ihr Licht vorwärts auf die Worte der Apostel, weil ihnen von Jesus der Geist verheißen wurde, der sie befähigen würde, die göttliche Wahrheit vollständig, für alle Völker gültig, zu Lehren (Luk. 24, 49. Joh. 14,17. 26. Act. 1, 8.). Durch dieses rückwärts und vorwärts Leuchten der Worte Jesu erhält die Kirche ein Ganzes von göttlichen Worten und Bezeugungen, welches sie, vermittelst des Geistes der Erkenntniß und des Verstandes, der ihr verliehen ist, die Einheit dieses Ganzen erkennend, schlechthin und im eigentlichen Sinne „das Wort Gottes" nennt. Die allein urkundliche Gestalt dieses Wortes besißt die Kirche in den kanonischen Schriften des Alten und Neuen Testaments. Daraus bildete sich mit vollem Rechte der Sprachgebrauch, die Bibel das Wort Gottes zu nennen, obwohl sie, insofern sie Buch ist, nicht in demselben eigentlichen Sinne Wort Gottes ist, als die Worte Jesu Gottes Worte sind.

In diesen Worten Jesu verehrt die Kirche die Offens barung Gottes in einem höheren Sinne, als in der Natur und im Gewissen, obwohl sie auch diese anerkennt. Denn diese Worte sind klarere thatsächliche Offenbarungen *) des Wesens, Willens und Werkes Gottes unter den Menschen als die ganze Schöpfung. Zusammengenommen mit der Person und dem Leben Jesu (wozu auch seine Wunderwerke.ge hören) auf der einen, und mit dem von ihnen aus durch den Glauben dem Herzen sich mittheilenden Geist auf der anderen Seite heißen sie vorzugsweise die Offenbarung.

Diese Offenbarung hat einen übernatürlichen “Ursprung deshalb, weil die Worte Jesu ihn haben. Denn obwohl die Worte Jesu ohne Zweifel von der einen Seite ganz natür lich sind, weil ihr Inneres in einer menschlichen Seele erzeugt und ihr Aeußeres von einem menschlichen Munde

*) Dieser Plural giebt den eigentlich schriftmäßig kirchlichen Begriff.

« IndietroContinua »