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ter kirchliche Irrthum, d. h. der Irrthum insofern er ein von Gott zugelassener und in der Zulassung als Entwicke lungsmittel für die Erkenntniß und Reinheit der Kirche gewollter und ihr gleichsam vorgehaltener ist. Der kirchliche Irrthum ist nicht blos an der Wahrheit, sondern er ist und haftet so an der ähydɛíu, d. h. dem wahren, wahrheitslautern Leben der Kirche, daß er ihren realen lebendigen und guten Bewegungen folgt, und deshalb nicht anders kann, als sich nach den Wahrheitserweisungen richten, und in seinen Erscheinungen noch eine gewisse Abspiegelung der Ordnung, die die kirchliche Wahrheit in sich hat, zu erkennen geben. Wie sich nun hieraus das Unwissenschaftliche der ålteren Eintheilungen der Polemik ergiebt, wonach nur eine Folge von Kontroversien vorhanden ist je nach dem symbolischen Standpunkte, den der Polemiker einnimmt *): so geht hieraus hervor, daß die Ordnung des besonderen Theils der Apologetik im Allgemeinen Vorbild der Ordnung des besonderen Theils der Polemik sein muß. Denn die Apologetik stellt die Wahrheit des Christenthums so dar, wie die Kirche sie aus dem Glauben an Christus heraus dem Wesentlichen nach in allen ihren Gliedern anerkennt. Deshalb müssen es eben die dort aufgefaßten Hauptmomente in der Erkenntniß der Kirche (diese Erkenntniß an sich als eine innere kirchliche Bewegung gefaßt) sein, an welche sich der kirchliche Irrthum anlehnt. Eben weil er kirchlich ist, erkennt er ja diese Hauptmomente im Allgemeinen an, und schließt sich in seinem eigenen Denken an sie an; aber weil er Irrthum ist, faßt er sie auf solche Weise, daß sie unfähig werden, als Hauptmomente der göttlichen, in sich selbst einigen und ewigen Wahrheit des Christenthums mit einander und in der Kirche zu bestehen. Hieraus ergiebt sich, daß die Hauptformen der besonderen Polemik denjenigen Kreislauf darstel

*) Daher die Einen einen Abschnitt de lutheranis, die Anderen einen de reformatis als zu Bekämpfenden haben.

len müssen, in welchem der kirchliche Irrthum sich in Begleitung der Wahrheit, wie sie sich in der Kirche fortschreiz tend erweiset, bewegt: Kreislauf sagen wir, weil es in der Natur des an sich nichtigen Irrthums liegt, daß er sich an keinem Punkte halten kann, sondern, von dem einen durch die Macht der Wahrheit vertrieben, den anderen ergreift, bis er auch diesen lassen muß, und dann wieder auf den zurückkommt, mit dem er anfing. Die Anknüpfung des einen Irrthums an den anderen und die des letzten an den ersten giebt den Beweis, daß die möglichen Hauptformen des Irr thums richtig gefaßt seien. Die Hauptmomente der Wahrheit bilden keinen Kreislauf im Leben der Kirche, da sie, sämmtlich durch den Mittelpunkt des Glaubens zusammengehalten, eben das innere und volle Leben der Kirche ausmachen, von welchem aus sich die Kreise des in der Wahrheit kräftigen, liebenden Lebens der Kirche reich und mannichfaltig bilden. Aber der Irrthum, weil er den Verlust des Mittelpunktes in sich schließt, heftet sich an einen irrig aufs gefaßten Punkt der Peripherie, und wird von ihm aus in scheinbar glänzender, doch innerlich einförmiger Weise rundgetrieben, ohne je zum Inneren der Sache durchzudringen, bis die Kirche von innen aus jeden Punkt ihres Umkreises mit Wahrheit durchdringend die Möglichkeit der Erneuerung des Irrthums' ausgeschlossen haben wird. Wenn die Polemik auf diese Weise eine innere Geschichte der Kirche, insofern sie irrt, beschreibt: so muß sich diese Geschichte innerhalb jedes größeren Ganzen der Kirchengeschichte, werde es der Zeit nach, oder dem Gegenstande nach abgesondert, ́erneuern, und eben damit vermag die Polemik einen Abriß aller kirchlichen Kämpfe, von ihrer inneren Seite betrachtet, zu geben.

Die Hauptmomente der christlichen Wahrheit sind, nach richtiger apologetischer Auffassung, folgende fünf: Positivitåt, Offenbarung, Heil im Heilande, Belebung, Vollendung. Hierauf beziehen sich die fünf Hauptformen des kirchlichen

Irrthums. Stellt sich der Gedanke der Kirche der Positivitåt des Christenthums so entgegen, daß es als das Richtige vorgestellt wird, den Unterschied des Natürlichen und Posttiven in der Religion zu vernachlässgen, das Natürliche wie ein Positives zu achten, und das Positive zum Natürlichen abzuschwächen: so ist dies der Indifferentismus als Irrthum von dem gleichen Werthe jener beiden Begriffe und Verhältnisse betrachtet. Der Indifferentismus ist der Anfang alles kirchlichen Irrthums, insofern in ihm noch kein anderer Jrrthum aufgefaßt wird, als der, der Unterschied des Irrens und Nichtirrens in der Religion sei ein leerer. Dieser Ges danke entspringt aus der allgemeinen Wurzel der Trägheit, der Glaubensschwäche, sobald er aber als Gedanke auftritt und sich geltend macht, wird er zum Irrthum, und, in gewissem Sinne, der Quell aller anderen Irrthümer, denn jeder, der einen Irrthum hegt, muß irgendwie den Unterschied des Irrthums und der Wahrheit schon einmal gering geachtet haben. Wenn der Indifferentismus durch die siegreiche Behauptung der göttlichen Offenbarung als einer göttlichen Thatsache verdrångt ist: so heftet sich der Irrthum an diese Thatsache selbst, und zwar durch eine solche Auffassung derselben, nach welcher ihr göttlichgeistiger Karakter alterirt wird, zeigt er sich als Irrthum. Die Offenbarung, als eine fortgehende That Gottes, hat nåmlich eine menschlichzeitliche Form, welche nicht sie selbst ist, vermittelst deren sie aber erkannt wird. Wenn nun der Geist sich an diese menschlichzeitliche Form mit Aengstlichkeit festhält, indem er sie mit dem wahren Wesen der Offenbarung, wie sie Inhalt und Form zugleich ist, verwechselt, dann entsteht ein Formalismus, den man in kirchlicher Beziehung am besten Literalismus nennen kann, insofern, nach einem bekannten biblischen Gegensaße (2 Kor. 3, 6) der Buchstabe als die Hülle des göttlichen Wortes fälschlich verehrt wird, und eine die wahre Erkenntniß tödtende Kraft ausübt. Wird nun das irrig Beschränkte und selbst Beschränkende des Literalismus er

kannt, und fühlt der menschliche Geist in der Kirche seinen Beruf, über jedem Buchstaben stehend, das Innere des Heils im Heilande zu erkennen: so entsteht die Gefahr, daß er, seiner zum Theil schon vom Heilande empfangenen Heilsund Lebenskraft sich überhebend, den Heiland seiner alleinigen ursprünglichen Lebens- und Heilsfülle in irrigen Gedanken entkleidend, sich selbst, den menschlich-kirchlichen Geist, an die Stelle des Heilands seßt, und sich von der geschichtlichpersönlichen Fülle des Heils in Christus und seinen Zeugnissen losreißt, und dies ist der Spiritualismus, der Höhepunkt alles kirchlichen Irrthums, derselben von Seiten seiner Bewußtheit und der Heiligkeit und Erhabenheit des Gegenstandes, in dem er irrt, betrachtet. Von diesem Punkte an kann sich der Irrthum nur noch zeigen mehr in der Erfassung des realen Lebens der Kirche, da die mehr idealen Irrthümer in dem Vorigen im Wesentlichen erschöpft sind. Denken wir uns nun den Geist von jener Selbstüberhebung zurückgekommen, und dennoch, in seiner irrthümlichen Richtung, sich scheuend, vermittelst des vollen und ganzen Lebens în und mit der Kirche der Wahrheit gewiß und immer mehr theilhaftig zu werden: so entsteht der Separatismus, diejenige irrthümliche Auffassung des kirchlichen Lebens, vermöge des ren dieses in irgendwelcher Absonderung von dem gemeinsamen Leben und Leibe der Kirche gesucht wird. In dem Maaße als auch dieser sich als störend und verderblich für Lehre und Leben in der Kirche erwiesen hat, entsteht, unter dem Einflusse des Geistes des Irrthums, die Vorstellung, das christlichkirchliche Wesen als ein an sich doch einmal unlebendiges und nicht von innen aus zu regierendes Ganzes müsse von außen durch das vorzugsweise äußere Ansehn freilich der am meisten Religiösen, Begabten und Mächtigen geleitet werden, und dies ist das Wesen des Theokratismus, d. i. einer jeden Denkungsart, nach welcher eine vorzugsweise äußerlich heiliggehaltene Autorität das Göttliche in der Kirche ist. Die Herrschaft dieses Irrthums im prakti

schen Leben erzeugt allgemeine Abstumpfung und Gleichgültigkeit gegen die Wahrheit als die durch das Wort Gottes sich erweisende Geistesmacht in der Kirche, und so beginnt schon vor dem Aufhören des Theokratismus auch wieder der Indifferentismus, und wird dann wieder selbstständiger auftreten, wenn der Theokratismus gebrochen ist. Hiebei stellt es sich heraus, daß ein Irrthum nie ohne den mit ihm vers wandten ist, ja eigentlich alle kirchliche Irrthümer mit eins auder da sind, und an einander hangen, nur daß der eine wechselnd vor dem anderen hervortritt.

S. 5.

Literatur der Polemit.

Eine Uebersicht der Geschichte der Polemik hat vor Allem sich zum Geseße zu machen, eine Geschichte nicht der polemischen Schriften, sondern der Systeme oder Handbücher der Polemik zu geben. Polemische Schriften, welche einzelne Lehren oder auch das Ganze eines kirchlichen oder dogmatischen Lehrbegriffs bestreiten, und bestreitend das Entgegengesetzte vertheidigen, sind praktisch-polemische Thätigkeiten, auf eine vorhandene oder vorausgeseßte Wissenschaft der Pos lemik gestüßt, und verhalten sich zu dieser, wie Apologien zur Apologetik. Jene Thätigkeiten sind nicht für sich literarhistorisch zu verstehen, sondern sind Erweisungen und Mittel der kirchlich-dogmischen *) Entwickelung, und nur im Zusammenhange dieser gehörig aufzufassen **). Die Geschichte

*) Ich sage nicht: dogmatischen, denn dies schlösse, wie in so vielen Fällen, zum Nachtheil der Bestimmtheit des Begriffs, die Vorstellung von einer Dogmatik in der Kirche, außer und vor der Theologie, in sich.

**) Daher es auch selbst dem Buddeus (isagoge historico - theo

logica p. 963, de theolog. polemica) nicht gelingen will, in feine in diesem Sinne geschriebene Geschichte der polemischen Schriften ein ächthistorisches Interesse zu bringen.

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