Immagini della pagina
PDF
ePub

durchwohnenden Begriffs ist also der tiefste Irrthum und das entschiedenste Unrecht des Razionalismus, da alle seine übrigen Behauptungen mit einer relativen Nothwendigkeit aus der Verwerfung dieses Begriffes folgen. Die unbestimmte und großentheils unschriftmäßige Fassung dieses Begriffs ist die schwache Seite des neueren Supernaturaliss mus, denn indem er, vor Feststellung dieses Begriffs, sich auf die Begriffe Uebernatürlich und Offenbarung warf, verwickelte er sich zum Theil in metaphysische Fragen, durch deren Verhandlung er seinem Gegner Blößen gab *). Hienach fallen von selbst die wichtigsten Einreden des Razionalismus gegen die Begriffe Uebernatürlich und Offenbarung hinweg **).

Merkwürdig ist das Verhältniß des Socinianismus zum Begriffe des Wortes Gottes. Da er zwar ganz supernaturalistisch ist, aber vermöge seines Grundirrthums über die

*) Aus dem Bestreben, dem Begriffe Wort Gottes eine vorbe: reitende, mehr populär gehaltene Begründung zu geben, ist meine kleine Schrift: Vom Worte Gottes, Bonn 1825, hervorgegangen.

**) Vgl. Wegscheider §.111 u 12. Hier wird eine revelatio naturalis als die einzige angenommen, welche entweder universalis oder particularis set. Aber auch die letzte ist nichts als eine doctrina vere divina, i. e. per se vera, durch gewisse homines providente Deo prae ceteris excitatos. Alles beruht auf dem Grundirrthume, daß der Inhalt der wahren Relis gion zunächst eine Lehre sei; da doch das religiöse Wort, ehe es Lehre ist, Thatsache einer sich äußernden Person ist. Vgl. de Wette luth. Dogm. §. 31. b.: „Mit der Vernunft an sich muß die Offenbarung gleichgeachtet werden, in welcher wir ebenfalls eine göttliche Offenbarung annehmen.« Als wenn eine Thatsache (die Offenbarung) jemals mit der Vernunft an sich (die keine Thatsache ist) koordinirt werden könnte. Und auch hier latitirt der Gedanke, auch die Offenbarung folle zunächst eine Lehre geben, da sie vielmehr zunächst Leben geben will."

Person Christi kein eigentliches Wort Gottes durch ihn und in ihm erkennen konnte: so fiel er auf die gänzlich unschriftmåßige und willkührliche Idee von einem Entrůücktwerden der Seele Christi in den Himmel während einer gewissen Zeitperiode vor dem Antritte seines Lehramts, wodurch der allein schriftmäßige Begriff, daß Christi ganze Person die Offenbarung ist, verlegt, und, auf supernaturalistischem Wege, das razionalistische Resultat einer bloßen Lehre als der Hauptsache in der christlichen Religion gewonnen wird *).

S. 3.

Der Razionalismus, durch die Leugnung der sich forterbenden Sündhaftigkeit, zerstört das Gefühl von der Nothwendigkeit eines wahren Mittlers zwischen Gott und den Menschen.

So oft der Razionalismus mit einiger Selbstständigkeit und Folgerichtigkeit aufgetreten ist, hat er sich auch als Gegner der kirchlichen Lehre von einem angebornen sittlichen Verderben oder von der Erbsünde gezeigt. Im Okzidentetrat er vorzugsweise in dieser Form im Pelagianismus auf. Der Socinianismus ist ganz und gar pelagianisch. Der deuts sche Razionalismus seit Teller und Semler begann mit pės Lagianischen Behauptungen, und es scheint, daß der Razionalismus in unseren Lagen mit einem erneuerten Versuche, den Pelagianismus aus der Schrift zu beweisen, seines Karafters, gegenüber so vielen abweichenden Richtungen, sich noch einmal vollständig bewußt zu werden strebt **).

*) Faustus Socinus de I. C. filii Dei natura adv. Volanum, in F. S. op. t. alter. Irenopoli 1656. pag. 380. Cat. Racov. ed. 1659, pag. 146. Vgl. Bengel Ideen zur histor. analyt. Erklärung des focin. Lehrbegriffs. Magazin für Dogm. und Moral. St. 17. S. 133.

**) Vgl. Bretschneider die Grundlage des evangelischen Pietismus

Der Razionalismus behauptet, es gebe keine Forterbung der Sündhaftigkeit von Adam her, die sittliche Natur des Menschen sei jezt noch so unschuldig, als sie ursprünglich aus den Händen des Schöpfers gekommen sei *), die richtigen Vorstellungen von Gottes Gerechtigkeit und Güte, so wie die Aussprüche Jesu widersprechen der entgegengeseßten Annahme, die Schrift setze die Tüchtigkeit der Menschen zum Guten aus eigenen Kräften voraus **), die natürlichfrühere Entwickelung der sinnlichen Begierden vor der Kraft zum Guten sei nichts Sündliches ***), die Sündhaftigkeit entstehe blos durch Thatsünden jedes Einzelnen †).

:

oder die Lehren von Adams Fall, der Erbsünde und dem Opfer Christi. Leipzig 1833. Die genannten Lehren werden nämlich, unter dem Namen des Pietismus, von dem Verfasser als unschriftmäßig bestritten. Wie würden die orthodoren Gegner der Spenerischen Richtung, welche jene Lehren eifrigst behaupteten, sich wundern, von dem Verfasser den verhaßten Pietisten zugezählt zu werden! *) Wegscheider institut. §. 117: »>commentum illud de peccato originali.<< Bretschneider S. 423: „Von einer Erbsünde und natürlichen Verdammlichkeit des Menschen weiß aber das Christenthum gar nichts; nur dieses erkennt es an, daß der Mensch, vermöge der früheren Entwickelung seiner sinnlichen Natur nicht mit der Sittlichkeit, sondern mit der Sünde beginne, und daher zur Sittlichkeit erzogen werden müsse, daß jedoch dieses eine Ureinrichtung des weisen Schöpfers fei." Cat. Racov. Cap. 10. de libero arbitrio. Fragm. ex Coelestii libello fidei ap. August. de peccato origin. c. 5. peccatum non cum homine nascitur. Pelag. ap. August. 1. c. c. 13. ante actionem propriae voluntatis id solum in homine est quod Deus condidit.

**) Bretschneider S. 120. u. m. 130.

***) Wegscheider §. 117. Postremo experientia docet, cupiditates ipsas a sensibus profectas per se malas non esse. Bret: schneider S. 120.

†) Pelagius ap. Aug. de pecc. or. 14. Omue bonum ac malum,

Die Gründe, worauf der Razionalismus diese Behauptungen zu stüßen sucht, lassen sich in folgenden drei zusammenfassen: 1. Es sei unwürdig, von Gott zu denken, daß er in Folge der Sünde des Stammvaters dem ganzen Geschlechte die Kraft zum Guten habe verloren gehen lassen. 2. Es gebe keine Stelle der Schrift, welche dem Menschen die natürliche Lüchtigkeit zum Guten abspreche. 3. Es sei nicht abzusehen, warum das in der Erfahrung sich allerdings herausstellende Vorherrschen der Sinnlichkeit müsse als Sünde angesehen werden.

Diese drei Hauptgründe sind aber so beschaffen, daß sie sämmtlich aus dem Grundirrthume des Razionalismus sich erklären lassen, der falschen Stellung der Vernunft zur christlichen Religion, und eben darum durch die Zurückweisung auf diesen sich vollständig widerlegen lassen. Wir suchen nämlich zu zeigen: 1. daß eine falsche Vorstellung von der Kraft der Vernunft dem Razionalismus die Thatsache der mangelnden Kraft zum Guten verbirgt. 2. Daß die Nichtanerkennung eines eigentlichen Wortes Gottes in der Schrift den Razionalismus das Gewicht der Zeugnisse derselben für angeborne Sündhaftigkeit oder für die Sünde als Gattungsfehler übersehen läßt. 3. Daß nur Mangel an Auffassung des Sinnes und Lebens Christi es ihm mögs lich macht, sich das Vorherrschen der Begierde als etwas Unsündliches zu denken.

1. Bei dem Urtheile, es sei Gottes unwürdig, anzus nehmen, daß das Menschengeschlecht seiner ihm anerschaffenen Kraft zum Guten in Folge der Sünde. Adam's verlustig gegangen sei, seht der Razionalismus Vorstellungen von Gots teswürdigkeit, von Kraft zum Guten, von Beraubung derselben voraus, die sich auf die Fähigkeit der Vernunft, Ursprung und Zusammenhang der Sünde blos aus allgemeinen

quo vel laudabiles vel vituperabiles sumus, non nobiscum oritur, sed agitur a nobis.

Begriffen richtig zu beurtheilen, gründen. Aber diese Vorausseßung, das Gotteswürdige in diesem Gebiete müsse nicht aus dem Thatsächlichen erschlossen, sondern aus allgemeinen Begriffen gewonnen werden, ist selbst falsch und unrechtmåBig. Indem der Razionalismus der Vernunft zuerkennt, aus sich das Verhältniß des Bösen in der Menschheit zu Gott zu begreifen, schreibt er der Vernunft eine Kraft zu, durch welche sie über dem Bösen steht als eine Kraft des Lichts, als aus sich das Verhältniß des Guten und Bösen wissend. Wäre diese Kraft in der Vernunft: so müßte sich diese allers dings auch im Leben, ohne göttliche Gnade, äußern können, d. h. die Vernunft müßte den Menschen fåhig machen, das schlechthin Gute zu thun. Auf diesem Wege wäre der Razionalismus freilich, nachdem er kaum angefangen håtte über diese Gegenstände zu urtheilen, schon am Ziele. Aber dies ist eben eine vollständige petitio principii. Es ist gar nicht zuzugeben, daß die Vernunft die Erklärung der in Ansehung des Verhältnisses der Sünde zu Gott und der Welt vorliegenden Thatsachen aus allgemeinen abstrakten Begriffen heraus sich zutrauen dürfe. Allerdings hat sie ein negatives Recht zu sagen: Nichts der Idee der höchsten Ges rechtigkeit und Güte wirklich Widerstreitendes ist eine richtige Erklärung dieser Thatsachen. Aber sie hat nicht Recht zu sagen, theils, die Thatsachen sind nicht da, theils, diese Thatsachen sind von mir ohne Rücksicht auf die göttliche Offenbarung zu erklären. Beides thut der Razionalismus. Die Thatsache einer solchen inneren und vor allem nachweisbaren Anfange in der Seele jedes Menschen vorhandenen Neigung zur Sünde, in Folge deren auch die Vernunft in einer Trennung von dem lebendigen Sein der Dinge in Gott sich befindet, ist da. Der Razionalismus hat kein Recht zu sagen: die Thatsache ist nicht da. Dies sagt er aber, fobald er der Vernunft das Recht einräumt, das wahre Verhältniß der Gotteswürdigkeit zur Menschenschuld in Ansehung des Daseins der allgemeinen Sündhaftigkeit zu bestim

« IndietroContinua »