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S. 2.

Der Gnostizismus stellt irrig einen solchen Begriff des christlichen Geisteslebens auf, nach welchem die Vollendung desselben das spekulative Wissen sei.

Wie der Anspruch des Gnostizismus vorzüglich auf eine richtige und vollkommene Auffassung des religiösen Begriffs vom Geiste ausgeht: so zeigt sich auch hierin am deutlichsten der Grundirrthum des Gnostizismus, die einseitige, das Leben umgehende und verkennende Beziehung auf das Wissen. Gilt es vom Razionalismus, daß er vorzugsweise die christliche Lehre vom Sohne Gottes alterire, und mittelbar dádurch die vom Vater und heiligen Geiste: so läßt sich vom Gnostizismus sagen, daß er von einem Irrthum in der Lehre vom heiligen Geiste ausgehe, und dadurch genöthigt werde, die Lehre vom Vater und vom Sohne zu verderben. Durch beides zeigt sich, wie beide Grundirrthümer der Höhepunkt des ganzen håretischen Kreislaufes sind.

Aller Gnostizismus will ein solches Geistesleben in der Menschheit als die vollendete Christlichkeit darstellen, dessen höchster Punkt das spekulative Wissen oder Schauen ist, so daß andere Seiten des religiösen Bewußtseins, wie Gefühl, Vorstellung, reflerionsmåßiges Erkennen, ja auch der Glaube selbst, nur Momente, zum Verschwinden bestimmte Durchgangspunkte seien, vorbereitend auf jenes absolute Wissen, in welchem der Geist sich in Gott weiß und Gott sich selbst im Menschen weiß als seinen eigenen Begriff in der konkreten Geistigkeit der Menschheit als Gemeine realisirend. Dies ergiebt sich, wie es scheint, auch als der Sinn einiger neueren Darstellungen, wie wenn gesagt wird: „Die Wissenschaft sei die Form der christlichen Religion“ *), wel

* Marheineke Grundlehren der christl. Dogmatik. 2te Ausg. 1827. S. 269.

ches doch nur heißen kann, die christliche Religion vollende sich im Leben der Menschheit erst durch Wissenschaft, wissenschaftliches Wissen müsse also auch die höchste Form der christlichen Religiositåt sein, zu der sich alle andere nur wie untergeordnete verhalten. Oder wenn gelehrt wird *): „Indem die spekulative Betrachtung die Erscheinungsformen der Religion im Begriffe zusammenfaßt und dieselben identisch seßt mit den Momenten des Begriffes der Religion selbst, so daß beide Seiten sich nicht blos entsprechen, sondern in denselben Prozeß aufgehen, so stellt sie die Religion als Idee oder Geist dar, denn die objektive und subjektive Seite des Begriffs ist darin identisch gesetzt." Denn wenn man meinen könnte, die spekulative Betrachtung solle die Religion als Geist blos darstellen, während sie doch schon ohne sie Geist im vollen Sinne des Worts sein könne: so wird diese Auslegung der angeführten Stelle gerade dadurch widerlegt, daß das höchste Moment des Begriffs der Religion selbst damit zusammenfallen soll, denn der Begriff der Religion ist nach dieser Lehre die Religion selbst sich allmålig reali, firend. Nach den Grundbegriffen einer neueren Religionsphilosophie ist die Religion ja nichts Anderes als das Sichselbstvermitteln und Sichselbstbewußtwerden Gottes im menschlichen Geiste, welches solange auf untergeordneter Stufe steht, bis im Begriffe Objekt und Subjekt, Gott und Mensch, identisch geworden sind. Will man also nicht sagen, die Religion höre ganz auf, wenn das spekulative Begreifen anfange: so muß man sagen, dieses sei selbst die höchste Stufe des religiösen Geisteslebens, ja das eigentliche Wesen desselben, was sich in dieser Form allein wahrhaft seiner selbst bewußt werde. Damit stimmt auch die geringe Vorstellung dieser Philosophie vom Glauben an sich, als welcher der Andacht, der Begeisterung, ja dem Gefühle und

Vatke die biblische Theologie. Erster Band 1835. G. 67.

der Vorstellung gleichgestellt wird *). Sieht man `ab von der Freiheit dieses neueren Systems von phantastischen Umhüllungen: so kann man sich schwerlich die Uebereinstimmung verbergen, die zwischen diesen Lehren und den Aussprüchen der Gnostiker des zweiten Jahrhunderts Statt findet über den Vorzug der in ihrem Sinne Pneumatischen vor den Psychischen, den gemeinen Christen, die nur den Glauben und die von ihm unzertrennliche Erkenntniß haben. Denn daß die gnostischen Systeme des zweiten Jahrhunderts mehr eine poetische Anschauung geben als eine spekulative, und daß die Religionslehre, von der wir reden, einen streng - dialektischen Gang geht, ist in Bezug auf den hier zur Sprache kommenden Punkt unwesentlich. Die Gnostiker wollten doch auch ein spekulatives Wissen geben, sie stellten also in Ansehung der religiösgeistigen Bedeutung von diesem denselben Grundsaß auf wie ein Zweig der Hegelischen Schule, und so ist es auch wohl aus der Verwandschaft von beiden Denkweisen erklärlich, daß ein neuerer Geschichtschreiber **) der.

*) Marheineke S. 40 wird zwar der Glaube dem Inhalte nach Wissen genannt, aber doch „das für uns noch nicht wirklich gewordene, das erst nur mögliche, sich selbst verborgene. Die Gewißheit im Glauben geht über in das Wissen und das an und für sich vernünftige Wissen kommt nun an ihm selbst wieder hervor." Vatke S. 39, wo dem Glauben nur die Form des Gefühls und der konkreten Vorstellung beigelegt wird, da diese leßte aber nur verschwindendes Moment ist, nur ein mangelhaftes, erst durch die Spekulazion zu vervollkommnendes Erkennen. Damit vgl. S. 66 u. 67, wonach die eigentlich religiöse Sfäre nur willkührlich über das abstrakte Denken hinausgeht. Hienach würde das Obige angenommen, daß die Religion verschwinde in der Spekulazion, wobei immer das stehen bleibt, daß diese das höchste Geistesleben sei, das die anderen Stufen allein voll in sich trage. Vgl. S. 77, Glauben = Andacht, Begeisterung.

**) Baur die christliche Gnosis oder die christliche Religionsphilo. sophie in ihrer geschichtlichen Entwickelung. Tübingen 1835.

alten gnostischen Gnosis die neueste Religionsphilosophie als die dialektisch - bewußte Entwickelung jener darzustellen versucht, und sogar darauf die ganze Idee seines Werkes ge= gründet hat.

Mit diesem Grundgedanken des Gnostizismus hångt wesentlich zusammen die Verkennung derjenigen Aeußerungen und Aussprüche des Geistes Gottes, die sich am wenigsten in eine spekulativ-begriffliche Form bringen lassen. Wird von der Schrift überhaupt, das Neue Testament eingeschlossen, behauptet, daß der göttliche Glaubensinhalt von der Vorstellung, in deren Hülle er erscheine, zu unterscheiden sei: so leidet dies einen Sinn, in welchem zugleich die Thatsache der göttlichen Offenbarung und eines aus ihr hervorgegangenen schlechthin wahren Wortes anerkannt werden kann. Wird aber behauptet, daß die Vorstellungen, die die biblische Form des religiösen Gedankens ausmachen, eben so unrichtig sein könnten als diejenigen, welche von den unvollkommenen astronomischen und geographischen Kenntnissen der biblischen Schriftsteller herrühren; und wird sogar behauptet, daß die Existenz der historischen Erscheinungen selbst in der Schrift etwas Abstraktes, also relativ Unwahres, sei *): so zeigt sich schon der Anspruch, die Schrift mit Inbegriff der Geschichte nur soweit gelten zu lassen, als sie Ausdruck einer religiösen Idee ist, während man doch (sagen wir) ohne Gewißheit, daß dieselbe in der historischen Grundthatsache des Christenthums enthalten sei, keine Bürgschaft ihrer Wahrheit hat. Der heftigste Angriff des Gnostizismus richtet sich aber auf das Alte Testament, dessen stark- nazionale, Lildlich - orientalische Vorstellungsformen keine andere Auffassung als die eines verschwindenden und verschwundenen Wortes zuzulassen scheinen, einer niedrigen Stufe, die von dem Christenthum in jeder Beziehung überwunden, und deren ganze Bedeutung nur Geschichte menschlicher Entwickelungen

*) Vatke S. 35 und 36.

sei. Es ist bekannt, daß die Gnostiker des zweiten Jahrhunderts von mehr oder minder Haß und Verachtung gegen das Alte Testament durchdrungen waren, so daß sie dasselbe von einem untergeordneten Wesen, dem Demiurg, ableites ten, und zum Theil, wie Marcion, ihre größte Ehre darein seßten, ein von aller Beziehung darauf gelösetes Christenthum zu besitzen. Nachdem der Razionalismus der neuern Zeit durch eine allzuoft ungründliche kritisch - historische Kühnheit die wahre Bedeutung des Alten Testaments, welche nur eine göttlichhistorische sein kann, angenagt, liegt die Sache in den Augen des heutigen Gnostizismus so, daß jede andere Behandlung desselben als die einer Urkunde von überwunde nen menschlichen Momenten beklagenswürdig erscheint. Und so kann man sagen, daß erst der Gnostizismus unserer Zeit die ganze uralte Grundlage der Glaubenslehre, daß die Schrift Alten und Neuen Testaments ein Werk des heiligen Geistes sei, desselben, den Christus den Geist der Wahrheit nennt, diese Grundlage, auf welche in kühner Ausschließlichkeit die gesammte protestantische Kirche gebaut ist, von dem Standpunkte der christlichen Lehre selbst förmlich und ausdrücklich angreift, den Geist Gottes für einen Geist erklårend, der nicht so niedrig und schwach sei, daß die Herz vorbringung einer Bibel sein höchstes Werk in den anderthalb Jahrtausenden vor Christus gewesen sei. Ein viel höheres Werk, nach seiner Meinung, legt ihm der Gnostizismus bei, die Gebårung nåmlich aller Religionen, die seit den Tagen Noah's die Erde bedeckt, und vor deren zum Theil gefühlempörenden Greueln also nur mit Unrecht, und auf einem beschränkten Standpunkte, die Schriften Moses und der Profeten die Söhne Israel's warnen.

Die Hauptwiderlegung dieses gnostischen Begriffs vom pneumatischen Leben bedarf nicht eines Angriffs auf die dabei zum Grunde liegenden logisch-metaphysischen Prinzipien, sie muß vielmehr von dem schriftmäßigen Begriffe des Geifteslebens ausgehen. Läßt sich zeigen, daß der gnostische

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