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von ihr zu nehmen und mit ihr fortzuschreiten berufen sei. Der Mystizismus strebt daher nothwendig zur Separazion des Individuums von der ganzen Kirche, und es ist nur Nichtdurchführung seines eigenen Prinzips, wenn er es das hin nicht bringt. Daher bestehen auch die durch den eigentlichen Mystizismus hervorgerufenen Vereine alle nur insofern, als Einer an der Spize als der eigentliche Inhaber des religiösen Lebens verehrt wird, welchem die Anderen sklavisch huldigen, sich gleichsam zu Einer Person mit ihm idens tifiziren, und von ihm aus die Kirche neu, oder vielmehr eine neue Kirche zu konstituiren streben. Der Mystiker will also freilich nicht alle religiöse Gemeinschaft aufgeben, aber er erkennt nur die an, welche sein unvermitteltes, und uns entsinnlichtes, individuellstes Christenthum zuläßt. Inners halb dieser ist er im Stande, von irrigen Pråmissen aus nicht nur scharfen Verstand, sondern auch abstrakt vernünftigen Gedankenverkehr zu entwickeln; nur gerade denjenigen Gedankenverkehr, der im vollen Ganzen der Kirche sich gläubig und liebendfrei zugleich erzeugt, will er nicht, weil er sich dadurch in seiner Eigenheit gestört sieht. Der vernünftige Gedankenverkehr in der Kirche geht aber nothwendig von der schlichtesten und einfachsten Reflektirung des inneren Geisteslebens aus in die zwei Gebiete über, einerseits in das an dem Worte der Schrift und der Thatsache der Kirche sich entwickelnde wissenschaftliche Erkennen, die Theologie, und andererseits in das kirchliche und christliche Gespräch, von der im Gottesdienst gehaltenen Homilie bis zu der geistig-mannichfaltigsten, unter Streit und Gegensaß die Einheit des Geistes fühlenden und findenden, christlichen Unterhaltung mit allen ihren Graden und Stufen; welches Zwiefache dann wieder seine Einheit erhält in der ohne ausdrücklich religiöses Wort sich kundgebenden Gemeinschaft des Geistes. Daher dem Mystiker beides zuwider ist, die strengere Wissenschaft, die er höchstens als vereinzelnde Gelehrtheit zuläßt, und die freie und frohe christliche Geselligkeit, in

welcher er auf jedem Schritte Abweichendes, Nichtreligiöses, ihn aus seiner Festung Herausdrängendes fürchtet. Und eben weil er dieses Zwiefache, die Wissenschaft und die unter Gegensäßen fortschreitende christlichfreie Unterhaltung, scheut: so bleibt ihm auch der Werth des unter diesen Vermittelungen zum Bewußtsein kommenden persönlich-mannichfaltigen christlichen Geisteslebens in der Gesammtheit der Kirche, des Höchsten, was es in dieser giebt, verschlossen.

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Aus dieser Auseinanderseßung ergiebt sich, wie ungenügend und zweideutig diejenige Erklärung des Mystizismus sei, wonach man ihr als das Unvernünftige, Undenkende in der Religion schlechthin bezeichnet. Denn solange man nicht den einen, gemeinsamen Glauben der Kirche als das zum Grunde legt, von dem aus und zu dessen geistigerem und reinerem Bewußtsein hin ein religiös - vernünftiger Gedankenverkehr bestehen soll: so ist es nicht möglich, von je ner allgemeinen Bestimmung anders, als durch willkührliche Voraussetzungen des Razionalismus, dem Mystizismus ein bestimmtes Unrecht nachzuweisen. Es bleibt also, von dies sem Gesichtspunkte aus, entwèder nur bei den allervagesten Vorstellungen, mit denen es möglich ist die höchsten christlichen Ueberzeugungen, selbst in mystifizirender Weise, für Mystizismus auszugeben, oder die Bekämpfung desselben verfällt in den Razionalismus, wo es denn ebenfalls nicht möglich ist, daß das eine Uebel gründlich durch das andere geheilt werde.

S. 2.

Der Mystizismus stellt sein unmittelbares Ber wußtsein des göttlichen Lebens und Wirkens so hoch, daß das Ansehn, welches der heiligen Schrift, nach dem christlichen Glauben, gebührt, damit nicht bestehen kann.

Der Mystizismus sieht sein unmittelbares, unvermitteltes

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und der vernünftigen Gedankenvermittelung noch untheilhafs tiges Bewußtsein von Gott und den göttlichen Dingen so sehr für die höchste Offenbarung Gottes an, daß er auch die Schrift nicht in dem Sinne, den der christliche Glaube in sich schließt, Wort Gottes nennen kann. Denn diese christliche Anerkennung der Schrift ist ohne vernünftige Gedankenvermittelung nicht möglich, und auch nur immer durch eine solche in der Kirche gewesen. Hier zeigt sich sowohl daß nicht, wie es die ältere Polemik gewöhnlich darstellt, die Geringachtung der Schrift der erste Irrthum des Mystizismus oder Fanatismus sei, ́sondern die Geringachtung desjenigen kirchlichen Gedankenverkehrs, in welchem die Schrift als Gottes Wort klar wird, als auch daß die von razionalistischem Standpunkte unternommene Bekämpfung des Mystizismus gar nicht das in ihm angreift; was das Schlimmste in ihm ist, die Geringachtung der Schrift, da hierin Razionalismus und Mystizismus in gleicher Verirrung befangen sind.

Die Anerkennung der heiligen Schrift Alten und Neuen Lestaments, als der göttlich gegebnen und entstandenen Form der Offenbarung Gottes in Christus, kommt nur dadurch zu Stande, daß die an Christus gläubige Kirche, als eine lebendige Einheit, sich, im Glauben reflektirend, bewußt wird, wie die Schrift diejenige Schrifteneinheit fei, welche der ihr schon durch die Verkündigung (zýovyμa τov εvayyɛkıov) gewisse Mittler Christus als die von ihm zeugende, von Gotterleuchteten geschriebene, von den mit dem Geiste zu begabenden Seinigen zu schreibende bezeugt habe, und, nachdem auch das Neue Testament geschrieben, fortwährend durch seinen Geist bezeuge, und sie dadurch als göttliches Geists wort bewähre, an welchem das innere Geistesleben der Kirche sich erkennen, prüfen, vor welchem die Kirche sich beugen und aus welchem sie sich nåhren müsse. Dieser Gedankenzusammenhang kann dem Mystizismus nie klar werden, vielmehr macht ihn die starre Festigkeit, mit welcher er sein

unmittelbar gefühls - und. phantasiemäßig Geschautes, Erlangtes, ihm Wichtiggewordenes festhält, unfähig, von sich hinweg auf das noch höhere, noch reiner Göttliche, und objektiv Gültige des Schriftworts zu sehen. Zwar liegt es nicht im Wesen des Mystizismus als solchen, die Schrift zu verachten, aber es liegt in seinem Wesen, sie nicht höher zu achten als das, was er selbst ist, hat und hervorbringen kann. Er giebt zwar zu, daß die Schrift eingegeź ben sei vom heiligen Geiste, aber er behauptet, sie sei es nur in der Art, wie noch jezt jede Schrift eines wahrhaft Gläubigen über seine persönlichen Offenbarungen es sei. Er leugnet also, daß die göttliche Bildung einer schriftlichen Form der Offenbarung mit den Profeten und Aposteln abgeschlossen sei, sondern behauptet, daß diese Formbildung in wesentlich gleicher Weise unaufhörlich fortgche, d. h. er leugnet das ausschließliche Ansehn der Schrift als göttlicher Form der Offenbarung, zur Norm des kirchlichen Erkennens, Empfindens und Handelns.

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Auch hier noch latitirt die große Wahrheit, daß derselbige Geist, der die Schrift eingegeben,, auch in den Lesern der Schrift sein müsse, wenn sie sie verstehen wollen; und diese Wahrheit ist von den ålteren Gegnern der Mystiker immer in gewissem Maaße dadurch verkannt worden, daß sie die Wirkungen des erleuchtenden heiligen Geistes selbst streng an die Schrift binden wollen, statt deren Vermittelung durch das Wort zu behaupten, auch insofern es noch nicht Schrift ist *). Der Irrthum der Mystiker besteht vielmehr

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*) Diese Verkennung druckt sich auch in folgenden Sägen bei Schubert aus: P. 3. c. 5. p. 679. Enthusiasmus est quod scriptura non ex se ipsa intelligi possit, sed verus illius sensus a Deo immediate reveletur. Id enim tollit illius perspicuitatem. Enthusiasmus est, quod assensus, quo veritates scripturae amplectimur, et alii sancti motus immediata Dei operatione producantur. Id enim evertit efficaciam scripturae et divinam virtutem illi insitam.

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darin, daß sie die Vermittelung der Wirkungen des heiligen Geistes durch das Wort selbst verkennen, und dann, daß sie die Schrift nur als Buch und Buchstabe ansehen, und leuge nen, daß die Schrift auch als solche die Lebendigkeit und die den Geist vermittelnde Kraft des göttlichen Worts in sich habe. Und dieser Irrthum wurzelt wieder in dem, daß sie es für irreligiös halten, durch eine vernünftige Gedankenentwickelung sich die wesentliche Beziehung der Person Christi zu dem Schriftworte, d. h. die Wirksamkeit Christi als Logos in den Schriftstellern des Alten Testaments (vgl. 1 Petr. 1, 11.), und die des Geistes Christi in denen des Neuen gehörig klar zu machen. Auf diese Weise machen sie sich unfähig, das Göttliche in dem Dasein eines (wenn auch der Natur der Sache nach nicht absolut streng) geschlossenen Kanons einzusehen, und deshalb ist ihr immerwährendes Bes streben darauf gerichtet, das von ihnen selbst Produzirte als der Schrift gleich und ebenbürtig darzustellen, wovon denu die Neigung, einzelne Theile des Kanons als noch weit unter dem Ihrigen zu betrachten, nur die andere Seite ist. Diese Grundsäße über das Verhältniß der fortwährenden Offenbarungen zu der Schrift finden sich daher mehr oder minder ausgesprochen bei allen mystisch-schwärmerischen Sekten, bei den Montanisten, den Manichåern, den Katharern, und auch vielen edleren Kongregazionen, welche vorzüglich dadurch, daß sie nicht das normative Ansehn der Schrift festhielten, unfähig blieben, der Kirche diejenige Erneuerung mitzutheilen, welche die Reformazion, den Glauben an die Göttlichkeit der Schrift zum Grunde legend, zu Stande brachte. Nur die Waldenser, weil sie von einer tiefen Ueberzeugung von der Göttlichkeit der Schrift ausgingen, waren im Stande, eine höhere formelle Reinheit ihres kirchlichen Bewußtseins zu erhalten, welche sie vor dem Mystizismus bewahrte, obwohl ihre Lehrentwickelung in materieller Hinsicht unvollkommen blieb. In neuerer Zeit sind es vorzüglich Quaker und Swedenborgianer, welche das Prinzip der

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