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voll zu bekämpfen, vorderhand und in unglücklich unberechenbarem Maaße erst recht herrschen zu lassen. Freilich diese Absicht liegt nicht in dem Wesen des Mystizismus ; er ist sich als solcher niemals einer Emanzipazion des Fleisches bewußt, wie die außerhalb der Kirche stehenden Bekenner des Unglaubens sie offen aussprechen. Aber die Sünde, vermöge seines Prinzips von ihm nicht gründlich erkannt, drångt sich durch dieses Prinzip selbst in seine Unternehmungen ein. Der Mystizismus verkündet, er wolle das Fleisch durch den Geist besiegen; gut, aber indem er es in einer solchen Art und mit solchen Waffen besiegen will, wobei das Fleisch (die Eigenheit, die immer auch Sinnlichkeit ist) sich selbst für Geist ausgiebt: so ist das Fleisch für ihn unbesiegbar, es ist immer vorhanden und feiert seinen Sieg mitten unter dem Geräusche seiner scheinbaren Besiegung. Dieser Selbste betrug des Mystizismus kann sich mit einer irregeleiten Res flerion so verbinden, daß ausdrücklich oder stillschweigend der Grundsaß aufgestellt wird, man müsse erst das Fleisch bis auf einen gewissen Grad måächtig werden lassen, ja es groß ziehen, damit es dann durch den sich unter dieser (scheinbar frommen) Maaßregel entwickelnden Geist um so völliger mit Einem Schlage gedämpft werde. Nur aus diesem argen Selbstbetruge erklärt sich die Neigung des entwickelteren Mystizismus, die Triebe des Fleisches durch Besprechen hervorzuziehen, und durch besondere Anstalten gegen sie sich recht in sie zu verwickeln. Hier hångt der Mystizismus zusammen mit sündiger Erschöpfung durch eitle Selbstbespiegelung und Selbstbesprechung. Wenn die mystische Reflerion vollends eine bewußt pantheistische Richtung nimmt: so steigert sie sich zu den Säßen, daß für den Frommen einer gewissen Stufe, und für eine gewisse Zeit, alles äußere Thun gleichgültig sei, und hieraus sind die Greuel alter und neuer schwärmerisch-mystischer Gesellschaften zu erklären *). Aber

*) Gieseler Kirchengesch. zweiten Band. zweite Abth. dritte Ausg.

auch wo diese Stufe, welche meistens über den kirchlichen Irrthum des Mystizismus hinausgeht, nicht betreten wird, haftet dem Mystizismus eine Abstumpfung des zarteren sitts lichen Sinnes, und ein, durch Ucberspannung und falsche Unmittelbarkeit des Reinseinwollens, herbeigeführtes unheim liches Schwanken zwischen Strenge und Larheit, zwischen dunkler Gebundenheit und dreister Entfesseltheit an, aus welchem die armen Strebenden auf ihrem Wege nicht herauskönnen. Weil sie auch in Besiegung des Fleisches die vernünftige Vermittelung der Unterscheidung des Natürlichen und des Sündigen verschmåhen, und beides zugleich und gewaltsam eigenmächtig in geistige Reinheit der Phantasie und des Gefühls verwandeln wollen: so rächt sich die falsch behandelte Natur, und hålt sie in ihren und in noch schlim meren Banden.

Unzertrennlich davon ist die Hårte, mit welcher der My'stizismus das rein Menschliche in seinen eigenen Anhängern und dann in gesteigertem Maaße in seinen Gegnern behandelt. Nachgiebig gegen das Fleisch der Eigenheit, insoweit es dem mystischen Irrthume dient, ist der Mystiker hart gegen sich selbst in anderer Beziehung, hart und unschonend gegen seinen Körper, wenn er dadurch hofft die mystischen Zustände seiner Seele zu steigern, und verhindert auch ins sofern die åchte Harmonie des Geistes, welche Strenge nach unten befiehlt, aber nicht grausame, zerstörende Hårte *). Und daß diese Hårte nicht ganz redlich, nicht ohne Selbst

S. 410 von den Schülern des Amalrich von Bena, aus Rigordus: Charitatis virtutem sic ampliabant, ut id, quod alias peccatum esset, si in virtute fieret charitatis, dicerent iam non esse peccatum. Vgl. dritte Abth. S. 268. die Lehre der Brüder und Schwestern des freien Geistes.

* fol. 2, 23. ἅτινα ἐστι λόγον μεν ἔχοντα σοφίας ἐν ἐθελο θρησκείᾳ καὶ ταπεινοφροσύνῃ καὶ ἀφειδία σώματος, οὐκ ἐν τιμῇ τινι, πρὸς πλησμονὴν τῆς σαρκός.

sucht ist, zeigt sich dadurch, daß sie sich nicht mit Milde gegen Andere verträgt. Vielmehr in demselben Maaße als der Mystiker wahrnimmt, daß die Härte, welche er in einer bestimmten Beziehung gegen seine eigene Natur ausübt, ihn nicht zum Ziele führt, weder die Ruhe noch die Anerkens nung, die er hoffte, ihm gewährt, wendet er auch seine Hårte gegen das Menschliche, auf jeden Fall der Schonung Bedürfende, in Anderen. Es scheint ihm nicht nur erlaubt, es scheint ihm kråftig religiös und christlich, sich gegen Alles zu erklären, worin sich bei Anderen eine andere und schonendere Behandlung des Menschlichen ausspricht. Ohne gründlich zu prüfen, ob nicht das, was ihm Sünde zu sein scheint, von Anderen, die es mit reinerem Blicke ansehen, mit Recht, wenigstens zum Theil, als ein rein Menschliches ers faßt werde, sieht er sich als berechtigt an, mit Hårte sich gegen Alles zu erklären, was nach seinem Gefühle Sünde ist. Und sein Gefühl muß hier wieder mehr gelten als das mit forschender Besonnenheit und unbedingter Ehrerbietung aufgenommene Schriftwort. Daher er auch rasch und ents schieden abspricht über Dinge, die das Schriftwort gar nicht unmittelbar berührt, zu deren Beurtheilung es also gerade der Vermittelung des vernünftigen Gedankens bedarf. Der Mystizismus in den niederen Ständen entwickelt diese Richtung in einer herben Abneigung gegen die Sitten und Gewohnheiten der höheren Stände. In den höheren Stånden neigt der Mystizismus zu ausschließenden Gesellschaften und strengen Forderungen an Andere, welche ihrer Natur nach theils mit dem Pietismus, theils mit dem Hierarchismus sich berühren.

Zweites Kapitel.

Vom Pietis mus.

S. 1.

Der Pietismus ist die Separazion des Gefühls und der Reflexion von der durch die Phantasie ver: mittelten volksthümlichen Erscheinung der christlichen Kirche.

Es gehört fast Ueberwindung dazu, den Ausdruck Pietismus für diese zweite Hauptform des Separatismus zu gebrauchen, da nicht nur das Wort im kirchenhistorischen Sinne eine zwar, nicht von Verirrungen freie, doch in so vieler Hinsicht ehrwürdige Erscheinung bezeichnet, sondern auch einem höchst tadelnswerthen Gebrauche dieses Worts in unserer Zeit, zur Verdächtigung des Lebendigeren Sinnes für Rechtgläubigkeit und Verbreitung des Reiches Christi, dadurch auf den ersten Blick scheint Vorschub geleistet zu werden. Diese Beziehungen dürfen jedoch nicht abhalten, jenes Ausdrucks sich zu bedienen, weil er wirklich zur Bezeichnung einer jeden den Begriff der Frömmigkeit auf separatistische Weise zum Mittelpunkte des christlichen Gemein- ` lebens machenden Bestrebung ungemein glücklich gewählt oder entstanden ist. Denn die christliche Pietät als das Höchste im Christen ansehen, ist richtig, die Pietät aber als das Höchste, ja als das Einzige in der Kirche ansehen, ist Pietismus.

Dies geschieht nun auf folgende Weise. Die christliche Kirche gewinnt in dem Maaße, als sie in einem Volke Wurzel faßt, auch eine volksthümliche Erscheinung, d. h. sie

bildet sich in der Art in das natürliche Gemüths- und Sittenleben einer Nazion hinein, daß sie in diesem eine objektiv - nazionale, åsthetisch - gottesdienstliche Gestalt gewinnt, durch welche das gemeinsame natürliche Geistesleben des Volks kirchlich beherrscht und vor Verirrungen und irreli giós - unabhängigen Entwickelungen bewahrt wird. Daß diese Gestaltung der nazionalen Kirchlichkeit nicht vollstäns dig hervortreten kann, ist einer der Nachtheile, welche aus der Trennung der Kirche in mehre große Hauptparteien hervorgehen, wie der Gegensatz des Katholizismus und des Protestantismus die volle Erscheinung eines nazionalen Kirchenthums vorzüglich in Deutschland hindert. Indessen ist diese Unvollkommenheit zur Zeit aus höheren Gründen uns vermeidlich, und schließt doch nicht das Vorhandensein der nazionalen Erscheinung der Kirche überhaupt aus, da die Ges biete, die eine jede der beiden großen Parteien umfaßt, bedeutend genug sind, um eine kirchliche Volksthümlichkeit, nach verschiedenen Stufen der Reinheit und mit untergeordneten provinziellen Verschiedenheiten, darzustellen. Indem nun die Einheit der Kirche selbst nicht durch die äußere Trennung in große Kirchenparteien, wofern diese auf dem Fundamente des christlichen Bekenntnisses beruhen, aufgehoben oder beschädigt werden kann: so vermögen dies noch viel weniger die nazional - kirchlichen Unterschiede. Vielmehr ist die Unvermeidlichkeit, daß es diese gebe, daß eine deutsche, eine französische, eine englische, eine dänische Kirche sei, schon ein negativer Beweis dafür, daß die Erscheinung der Kirche innerhalb der Volksthümlichkeit sein soll, und daß eine Ses parazion von dieser Erscheinung ein Irrthum sei.

Das innere Leben der Kirche und die Volksthümlichkeit, in der es erscheinen soll, vermitteln sich_nothwendig durch die Phantasie als dasjenige Vermögen, welches das sinnlich Gegebne in Beziehung auf einen geistigen Inhalt, der in demselben erscheinen will, freithätig auffaßt und in sich verarbeitet. Volksthümliche Erscheinung der Kirche

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