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Erreichung, sondern nur ein Schein derselben. Dagegen zu protestiren ist christlich. Allein der Pietismus will diese Freiheit und Fülle selbst nicht; er hält sie für gefährlich, ja für an sich unwahr und böse; jeder ihrer Aeußerungen und Entwickelungsstufen legt er Untreue gegen den Sohn Gottes unter; das frohe Erhobenwerden durch ihn und mit ihm zum Vater der Herrlichkeit in Gesang und Gebet, in Predigt und einfachfrommem Worte ist ihm schon zu frei, zu hoch, zu klar, und aus diesem Grunde klammert er sich mit einer zum Theil krampfhaften Festigkeit an die Ausdrücke des Gefühls und der Lehre von Christus und seinem Werke an, die ihm den momentanen Uebergang des Gefühls am stärksten bezeichnen, und in denen die Anknüpfung der Lehre vom Vater an das allgemeine Denken und Urtheilen, oder an die Philosophie im weitesten Sinne des Worts, am wenigsten versucht wird, und weniger, als die Schrift selbst dazu anleitet. Hierauf beruht auch die Neigung, die Leis tungen der Vorsehung, ja selbst die, welche ganz durch die Werke der Schöpfung vermittelt sind, vorzugsweise, ja ausschließlich von dem Heilande abzuleiten, welches denn deshalb fehlerhaft ist, weil die Aufgabe der Frömmigkeit, die Dreieinigkeitslehre recht praktisch - klar, und erfahrungsmåßig lebendig zu durcharbeiten, dadurch eigentlich umgangen, und, unter Nichtbeachtung der Winke der Schrift, der Unterschied der Personen, anstreifend an das Patripassianische, vernachlässigt wird *). Hieraus geht das Streben hervor,

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*) Von diesen Fehlern kann wohl der Herrnhuthianismus nicht gänzlich freigesprochen werden, welcher, wie rein auch in seinem Bekenntnisse, durch das vorzugsweise Festhalten gewisser Ausdrucksweisen der Liebe zu Christus diese Nichterfassung der vollen Lehre vom Vater, Sohn und Geiste begünstigt. Dennoch liegt das Eigenthümliche des Herrnhuthianismus nicht in diesem ihm nur beigemischten Pietismus, sondern in der Verbindung, in welche er die Versöhnungslehre mit einer

den Zeitpunkt der Wiedergeburt auf zeitlichempirische Weise wissen und festhalten zu wollen, wobei vergessen wird, daß das gefühlsmäßig Erfahrbare in der Wiedergeburt sehr selten das sein wird, wodurch sie sich vollendet, und daß die Beachtung und reflektirende Festhaltung von jenem fast nothwendig die Heiligung aufhalten muß, in welcher doch die Wirklichkeit der Wiedergeburt allein sich dem Bewußtsein des Gläubigen bewähren kann.

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Der Pietismus befördert ein solches Zusammentreten Gleichgesinnter, welches der mannichfaltigen Ents wickelung der Geistesgaben in der Kirche zum Nachtheile gereicht.

Der Mystizismus ist mehr einsam, und der Zusammenhang seiner Anhänger ist mehr ein geheimer, auf Ueberlieferung und Verbreitung von Vorstellungen und Meinungen gerichteter. Der Pietismus ist mehr gesellschaftlich, da der Verkehr von solchen, die auf der bezeichneten Entwickelungsstufe der Frömmigkeit stehen, das Bewußtsein von dem Werthe dieser Stufe, als mit dem Glauben identisch, zu steigern geeignet ist. Da nun die Erneuerung eines wårmeren Gemüthslebens, welche die lutherische Kirche Spener'n verdankt, und aus welcher nachher pietistische Verirrungen hervorgingen, mit der Stiftung religiöser Privatversammlungen verbunden war: so ist die Meinung fast herrschend geworden, der Pietismus bestehe vorzüglich in dem sogenannten Konventikelwesen, obgleich dieses doch nur eine, freilich der weitwirkendsten, Früchte seines Prinzips

disziplinarischen Verfassung seßt, und diese edle und für viele Gemüther geeignete Verbindung macht ihn für die ganze Kirche ehrwürdig und wirksam.

ist *). In dieser Beziehung ist vor allen Dingen anzuerkennen, daß es mehre Arten von religiösen Privatversammlungen in der christlichen Kirche geben könne, welche gar nicht aus dem Pietismus, sofern hierunter etwas Fehlerhaftes verstanden wird, hervorgehen. Hiehin gehört jede natürliche und anspruchlose Erweiterung des häuslichen Gottesdienstes. Der häusliche Gottesdienst ist ein wesentliches Element eines christlichen Familienlebens. Das christliche Familienleben schließt sich seiner Natur nach nicht allzustreng ab. Wie es die Aufnahme von Gästen und Fremdlingen und die Heranziehung von Individuen, die der Anschließung bedürfen, als seine natürliche Erweiterung und Wirksamkeit ansieht: so bilden sich aus diesen Verhältnissen auch religiöse Uebungen und geistliche Mittheilungen, welche zum Besten und Schönsten im ganzen Gebiete der Kirche gehören. Eine zweite Art geistlicher Privatzusammenkünfte bildet sich aus solchen, welche gemeinschaftlich nach einer ges naueren Auffassung und innigeren Anwendung des kirchlich gepredigten Wortes streben. Da sie aus Liebe zum Worte Gottes hervorgehen, und mit Theilnahme am Ganzen des kirchlichen Lebens bestehen, auch nicht die Firirung einer gewiffen Stufe der Frömmigkeit zum Zwecke haben: so kann man sie nur wie Vereinigungen eifriger Schüler des Wortes Gottes ansehen, die ihre Repetizionen gemeinschaftlich treis ben, damit sie desto glücklicher von Statten geheit. Solche Versammlungen werden eine Neigung haben, mehr oder minder mit den Geistlichen in Verbindung zu bleiben, und es

*) Deshalb urtheilt Schubert P. 4. Cap. 13. p. 590 der Pietiss mus werde am richtigsten so definirt, quod sit opinio, ad studium pietatis rite exercendum et promovendum non sufficere cultum Dei domesticum et publicum, sed hunc in finem instituendos esse conventus privatos; wobei der Pie. tismus lediglich in der Gestalt der aus dem Spenerianismus hervorgegangenen Richtung betrachtet wird.

wird in der Hand von diesen sein, sie vor Verirrungen zu bewahren und mit dem Ganzen der Gemeine in Verbindung zu erhalten. Eine dritte Art von religiösen Privatzusammenkünften deutet auf einen bedenklichen Zustand der Kirche, allein gar nicht zum Nachtheile dieser Zusammenkünfte selbst, sondern zu ihrer Ehre. Es sind diejenigen, welche aus christlicher Opposizion gegen entschiedne und andauernde Verfälschung oder Vorenthaltung der reinen Lehre im Gottesdienste der Kirche entstehen. In diesem Falle und vorausgesezt, daß die geordneten Schritte zur Abhülfe dieses größten aller kirchlichen Uebel geschehen und erfolglos geblieben sind, find solche Versammlungen gerechtfertigt durch den wahren Glauben selbst und das Bedürfniß der Kirchenglieder, einander gottesdienstlich in demselben zu stårken. In diesem Falle bilden die Mitglieder solcher Versammlungen eigentlich die Kirche, und diejenigen, welche ihre Forderun gen aus Gleichgültigkeit gegen die reine Lehre des göttlichen Worts übersehen und für thōricht erachten, sind die Håretifer, wie die kleine Kirche des Gregorius von Nazianz zu Konstantinopel die rechtgläubige war, und die großen Gottesdienste der Arianer die håretischen. Weichen, wie oftmals, solche Versammlungen ab von dem reinen Wege kirchlicher Berechtigung und des Bestrebens nach kirchlicher Ordnung und Verständigung mit dem Staate, lassen sie pietistische oder orthodoristische Richtungen zu: so sind sie nicht mehr schlechthin rechtmäßig; aber die größere Schuld liegt auch dann nicht an ihnen, sondern an den Untergrabern der richtigen Lehre auf den anerkannten Stühlen.

Der Pietismns bringt dagegen Versammlungen hervor, die von Grund aus einen anderen Karakter haben, nämlich solche, die auf der Meinung einer soviel höheren Frömmigkeit der Mitglieder als der Nichtmitglieder beruhen, daß es unmöglich sei, jcne zu erhalten ohne besondere Versammlungen. Aus dieser Meinung (mag sie immerhin Ueberzeugung sein, denn wie die Ueberzeugung sehr irrig sein kann: so

ist die Ueberzeugungstreue an sich zwar von einem gewissen sittlichen, aber nicht von religiösem Werthe) geht dann das Zusammentreten solcher Versämmlungen hervor, deren Hauptzweck es ist, die erlangte Stufe des Gefühls der Begnadigung und des Bewußtseins von der Wirkungsart des Erlösers durch gegenseitige Mittheilungen, Anerkennungen, Austauschungen und Selbstdarstellungen zu befestigen. Diese Mittheilungen schließen sich natürlich an die Schrift an, allein die Schrift ist hier im Grunde immer nur die sekundåre Autorität, denn eine aus pietistischer Tradizion gebildete Terminologie über die Natur und die Merkmale der Frömmigkeit ist die Hauptsache, nach welcher gewisse Theile der Schrift ausgewählt und ausgelegt werden. Auch hier können noch im Einzelnen die wichtigsten Erfahrungen auf das Uebereinstimmendste mit der Schrift zu wirklicher Erbauung ausgesprochen werden. Aber das Ganze wird beherrscht und verdorben durch das selbstgefällige Bewußtsein der Glieder, ihre Frömmigkeit gegenseitig darzustellen und zu bewundern. Die wahre Kirche fühlt sich fromm, indem sie den Herrn und seine Werke preiset; der Pietismus glaubt den Herrn nur preisen zu können, indem er die in den Gliedern der Versammlungen gewirkte Frömmigkeit absichtlich durchfühlt. Da nun auf diese Weise, wie bei jeder von Wahrheit und Liebe getrennten Selbstdarstellung, sich nothwendiger Weise nach einiger Zeit eine gewisse Erschöpfung und Ausleerung einfindet: so muß das Streben darauf hinausgehen, diese durch künstliche Steigerung der Gefühle gutzumachen und zu verdecken. In demselben Maaße als durch die Hervorhebung individueller Gefühle und enggeschlossener Vorstellungen eines kleineren Kreises der Hinblick auf andere Lebensgebiete verbaut wird, verliert der Pietist auch ein fröhliches Streben nach Fortschreitung, nach Erweiterung,. nach der Heiligung der Phantasie und der größeren Lebensbeziehungen durch die Macht christlicher Ideen. Und wie er eine überspannte. Vorstellung von seinem und seiner nächsten

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