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Einleitung.

Liturgie oder Predigt?

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Das war die Alternative, auf welche, in Folge lebhafter Debatten, die sich auf einer Pastoralconferenz über das Verhältniß der Liturgie zur Predigt erhoben hatten, eines der Mitglieder die ganze Discussion zurückgeführt wissen wollte. Nun fanden Manche allerdings ein solches Entweder-Oder unstatthaft; und in der That entschieden sich auch alle Protestanten, wenn ihnen keine andere Wahl gelaffen würde, einstimmig für die Predigt, so würden sie damit doch nur aussprechen, daß sie im äußersten Falle lieber die Liturgie, als jene preisgeben möchten, den Fall selbst aber eben als einen äußersten ansehen und mit Recht fragen, ob es überhaupt so weit kommen dürfe? Denn es läßt sich ebenso wohl theoretisch aus dem Wesen alles Cultus darthun, daß die Predigt allein ihn nicht in seiner Vollständigkeit darstellen kann, als aus der Erfahrung nachweisen, daß es ebenso nachtheilig war, wenn die Liturgie auf Kosten der Predigt, als wenn diese auf Kosten der ersteren gepflegt wurde.

Vom Standpunkte der Theorie aus läßt sich die Sache vielleicht am Einfachsten so darstellen.

Aller Cultus vollendet sich in drei Momenten, denen folgende drei Fragen zum Grunde liegen.

1. In welchem Verhältniß stehe ich zur Gottheit? Dieser Frage entspricht im christlichen Gottesdienst, wie in dem der nichtchristlichen Völker, das Gebet des Einzelnen für sich, des Einzelnen im Namen der Uebrigen und der Gesang, oder das durch eine bestimmte Melodie geregelte gemeinschaftliche Gebet Aller; daher wir auch bei den cultivirteren Nationen von den frühesten Zeiten her religiöse Gesänge im Gebrauch finden.

2. In welchem Verhältniß steht die Gottheit zu mir? -Dieser Frage, die natürlich nur durch eine Erklärung von Seiten der Gottheit beantwortet werden kann, entsprechen im Heidenthum die mannigfachen Versuche, für die einzelnen Fälle, in denen es nöthig | schien, specielle Offenbarungen zu erhalten. Wenn daher bei den Griechen und Römern die Auguren oder Haruspices um den glücklichen und unglücklichen Erfolg einer Unternehmung befragt wurden, so geschah dies in der Vorausseßung, daß die Gottheit dort durch

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den Flug der Vögel, hier durch das Zucken der Eingeweide des geschlachteten Opferthieres ihren Willen offenbaren werde; und der Himmel mit seinen, in dieser oder jener Richtung fliegenden Vögeln war für die Auguren, wie das Opferthier für die Haruspices gleichsam ein Buch, in welchem man die jedesmalige Offenbarung der Gottheit zu finden glaubte. Bei dem jüdischen Volk dagegen konnte, sobald man die Gottheit als eine ewig sich gleichbleibende erkannt hatte und eine vollständige Offenbarung ihres unwandelbar feststehenden heiligen Willens schriftlich aufgezeichnet vorlag, das Bedürfniß, für jeden einzelnen Fall eine besondere Offenbarung zu haben, nicht mehr vorhanden sein. Die in den heiligen Büchern enthaltene Offenbarung mußte, als ein für allemal gegeben, genügen, und man konnte die Antwort auf jene zweite Frage nirgend anders, als dort suchen. Daher finden wir auch, im Gegensaß zum Heidenthum, bei den Juden, wie bei den Christen die Vorlesung der heiligen Schrift oder das Wort Gottes als zweiten Haupttheil des Gottesdienstes. Und gerade hierauf beruht zugleich wesentlich der Charakter der Gemeinschaftlichfeit des Gottesdienstes. Denn im Heidenthum hatte, wenigstens für gewöhnlich, jeder Einzelne seine eigenen, speciellen Wünsche, mit denen er dem Altar nahte, und daher erwartete Jeder auch eine ihm speciell geltende Entscheidung. Ganz anders aber mußte dies. im Juden- und Christenthum sein. Denn was die heiligen Urkunden dem Einen als göttlichen Willen kund thaten, das galt in gleicher Weise auch allen Anderen, und es waren demnach Alle zum gemeinschaftlichen Anhören des Wortes Gottes" ebenso sehr berechtigt, als verpflichtet. Wenn sich außerdem an diese Bibellection in der Synagoge, wie späterhin in der christlichen Kirche, die Predigt anschloß, so war diese nicht ein, zu den beiden ersten Haupttheilen des Gottesdienstes hinzukommender dritter Haupttheil, sondern sie gehörte zu dem eben besprochenen zweiten Theile, da sie zunächst nichts anderes, als eine erklärende Uebersegung des, den Zuhörern unverständlich gewordenen hebräischen Bibeltertes in die ihnen geläufige Volkssprache sein sollte.

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Mit der, den Inhalt des zweiten Theils im Gottesdienst bildenden Erklärung von Seiten Gottes war nun nicht allein die Frage: In welcher Beziehung steht Gott zu mir? sondern auch das gegenseitige Verhältniß zwischen ihm und dem Menschen genau bestimmt, und es fragte sich nun, ob dieses das von Gott verlangte rechte sei, oder nicht. Im ersteren Falle hätte der Gottesdienst für vollendet angefe= hen werden können; im leßteren aber und bei der allgemeinen Sündhaftigkeit des ganzen Menschengeschlechtes war dies der allein denkbare entstand sofort die Frage:

3. Was muß, da dieses Verhältniß nicht das rechte ist, geschehen, daß es zu einem solchen werde? - Dem hiermit ausgesprochenen Bedürfniß sollten im Heidenthume, wie im jüdischen Tempeldienst die Opfer entsprechen, sei es nun, daß man die zürnende Gottheit durch dargebrachte Geschenke wieder versöhnen zu können hoffte oder mit dem Opfern die Vorstellung verband, daß der Mensch die angedrohte göttliche Strafe von sich abwenden könne, wenn das Opferthier stellvertretend sie erleide. Bei einer solchen Ansicht

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Einleitung.

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aber mußte sich das jüdische Volk seit den Zeiten des Erils doyvelt unglücklich fühlen, weil es einerseits in seiner Verbannung vom Va= terlande eine Strafe für seine Sünden erkannte, andererseits, fern vom Tempel lebend, sich des bisher zur Versöhnung Gottes angewendeten Mittels der Opfer beraubt, und seinen Gottesdienst somit auf die beiden ersten Theile eingeschränkt sah, von denen der erste das traurige Geständniß: So find wir," und der legte die strenge Forderung des göttlichen Gesezes: So solltet ihr sein" enthielt. Zwischen beiden aber gähnte eine ungeheure Kluft, die sich, wie man immer deutlicher einsehen lernte, durch keine Opfer, sondern nur da= durch ausfüllen ließ, daß entweder der Mensch selbst ein solcher wurde, wie er dem göttlichen Gefeß zufolge sein sollte, oder daß, wenn er zu schwach dazu war, Gott durch einen besonderen Akt der Gnade vermittelnd eintrat. Auf einen solchen hatten nun auch die Propheten bereits hingedeutet, wenn sie von einem zukünftigen Retter, dem Mesfias, weiffagten, der das Volk von seinen Sünden und seiner Trübsal erlösen, es mit Gott versöhnen und alles das bewirken werde, was man bisher durch Opfer zu erreichen vergeblich versucht hatte.

Je ungünstiger sich nun in der Folgezeit die äußeren Verhältnisse des jüdischen Volkes gestalteten und je düsterer es von Jahr zu Jahr die Zukunft vor sich liegen sah, desto mehr mußten sich alle seine. Hoffnungen einer glücklicheren Zeit in der Hoffnung auf den Messias concentriren, und je mehr sich das sehnlich erwartete Erscheinen dessel= ben von einer Zeit zur anderen verzog, desto lebhafter mußte das Bedürfniß werden, sich wenigstens jene Weissagungen immer wieder ins Gedächtniß zurückzurufen, um die messianischen Freuden vorläufig im Geist zu genießen, indem man die prophetischen Schilderungen dersel= ben las. Daher folgte seit jener Zeit beim Gottesdienst in der Synagoge regelmäßig auf die Vorlesung des Gesezes zum Schluß die prophetische Lection oder die Haphthare (von D, entlassen, weil mit ihr die versammelte Gemeine entlassen wurde). Und in der That war es auf die, dem dritten Theil des Gottesdienstes zum Grunde liegende Frage unter den damaligen Verhältnissen die beste, ja die einzig mögliche Antwort, wenn man statt der unwirksamen Opfer Gott. gleichsam seine eigenen Verheißungen vorhielt.

Da aber auch die Schriften der Propheten meist in der dem Volk nicht mehr verständlichen, rein hebräischen Sprache geschrieben waren, da sie ferner häufig auf historische Thatsachen Bezug nahmen, die einer längst vergangenen Zeit angehörten, und da endlich die, in den Weiffagungen enthaltenen Andeutungen über die Zeit, den Ort und die näheren Umstände der Geburt des Messias sehr natürlich zu einem immer genaueren Forschen nach dem tieferen Sinn dieser Orakel aufforderten, so schloß sich ziemlich bald an die prophetische Lection ein erklärender Vortrag an, der natürlich nur Sache derjenigen sein konnte, die sich durch ein gründliches Schriftstudium die Fähigkeit dazu erworben hatten, d. h. der Schriftgelehrten, die indeß, mochten sie nun, um ihre theologische Gelehrsamkeit zu zeigen, sich in jene abstru= sen Grübeleien vertiefen, durch welche sich die jüdische Theologie von jeher charakterisirte, oder fern von aller gelehrten Eitelkeit nur die

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religiösen Bedürfnisse des Volkes im Auge haben, in Betreff der mesfianischen Hoffnungen immer nur sagen konnten, daß Gott, wie er in allen seinen Zusagen treu und wahrhaftig sei, so auch diese Verheißungen gewiß erfüllen werde; die Zeit der Erfüllung aber müsse mit geduldiger Ergebung in den göttlichen Rathschluß abgewartet werden.

Jesus Christus erst und er allein konnte, nachdem er die mesfianische Weissagung Jesaj. 61, 1 ff. vorgelesen hatte, sagen: „Heut ist diese Schrift erfüllt vor euren Ohren" (Luk. 4, 21.). Und wie er selbst hier beim Beginn seines Lehramtes und später am Ende seiner irdischen Wirksamkeit zur Beglaubigung seiner Messianität die Jünger auf die Weissagungen des Alten Testamentes verwies, so konnten auch die Apostel bei ihrer Verkündigung des Evangelii den Beweis, daß Jesus von Nazareth der verheißene Messias oder Christus sei, nicht anders und besser liefern, als wenn sie aus dem Leben desselben nachwiesen, daß alle jene Weissagungen in ihm ihre Erfüllung gefunden hätten. Demnach schloß sich an die prophetische Lection ganz natürlich zuerst eine mündliche Darstellung der evange= lischen Geschichte, und später, als man die Evangelien hatte, die Evangelienlection als Commentar an. In ähnlicher Weise aber schien auch die, gleichfalls aus dem Synagogengottesdienst beibehaltene Lection des Gesezes eines Commentars oder, so zu sagen, einer Uebersegung ins Chriftliche zu bedürfen. Und in dieser Beziehung boten fich nach dem Tode der Apostel, als Ersaß für ihre mündlichen Be= lehrungen, sehr natürlich die apostolischen Briefe dar. Demnach war im Alterthum, zumal in den Kirchen des Orients, wo verhältnißmäßig die meisten Juden christen waren, eine vierfache Bibellection gebräuchlich: 1) das Gefeß, 2) die Propheten, 3) die Episteln, 4) die Evangelien.

Späterhin indeß ließ man, namentlich im Occident, wo die Ge= meinen meist aus Heiden christen bestanden, zuvörderst die Vorlesung des Gesezes für die gewöhnlichen Sonntage nach und nach abkommen und begnügte sich dafür mit der Epistellection. Denn wenn die Heidenchristen zur Beobachtung des ganzen jüdischen Gesezes nicht verpflichtet werden sollten, wie auf dem Concil der Apostel zu Jerusalem ausdrücklich verfügt worden war, so brauchte es ihnen auch nicht mehr seinem ganzen Inhalte nach durch fortwährendes Vorlesen in Erinnerung gebracht zu werden, und inwiefern es Vorschriften von dauernder Geltung enthielt, wurde es hinreichend durch jene apostolischen Briefe erseßt, die mit ihren praktischen Lehren ganz speciell auf die an Chriften zu machenden Anforderungen hinwiesen. Außerdem machten diese Briefe, und namentlich die des Apostels Paulus, zugleich auf das charakteristische Verhältniß aufmerksam, in welches der Christ durch die Erlösung zu dem unter dem Fluch des Gesezes stehenden Juden ge= treten sei, und hieraus erklärt sich auch zum Theil, warum die Kirche die Epistelterte vornehmlich aus den paulinischen Briefen entnom men und mit einer gewissen Vorliebe besonders solche Abschnitte ausgewählt hat, in denen jenes Verhältniß des Gefeßes zum Evangelium oder des Judenthumes zum Christenthume näher erörtert ist.

Ebenso wenig, wie die vollständige Kenntniß des füdischen Ge

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