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Das Jberische Muttergottesbild.

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auch Kranke und Sterbende dasselbe ins Haus bringen lassen, in Moskwa 1), das Kasan'sche und das Nowgorod'sche Mutter-Gottesbild; und das hohe Ansehen, in dem sie stehen, erklärt sich ziemlich natürlich aus den Erinnerungen an die wunderbaren Errettungen aus Gefahren, die sich an sie anknüpfen. So ließ, als der grausame Timur, Furcht und Schrecken um sich her verbreitend, den Don heraufzog, um Moskwa zu erobern, der Metropolit Cyprian, auf Bitten des Großfürsten, das damals in Wladimir befindliche Mutter-Gottesbild nach Moskwa holen, und während sich die Bewohner Wladimirs nur schluchzend und in tiefer Trauer von demselben trennten, strömte von Moskwa aus alles Volk dem Heiligenbilde entgegen, warf sich zu beiden Seiten des Weges auf die Kniee, streckte die Hände dem, in Wolken von Weihrauch und unter frommen Gebeten und Gesängen einbergetragenen Schußbilde entgegen, und rief mit Thränen und Inbrunst:,,Mutter Gottes, errette das russische Land!" Und wirklich befahl, wie Nikon in seiner Chronik (IV, 263.) weiter berichtet, Timur, geängstigt durch einen schrecklichen Traum, seinem Heere den Rückzug, am 26. August 1395, an demselben Tage und zu derselben Stunde, da das heilige Bild in Moskwa angelangt war. Eben diesem Wladimir'schen Mutter - Gottesbilde glaubte man auch späterhin

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1) Das Bild selbst, welches in der „Kapelle der Jberischen Mutter Gottes" in Moskwa seinen Plaz bat, stellt die heilige Jungfrau mit dem Christkinde dar. Um den Kopf hat sie ein Net, in welches lauter echte Perlen eingewebt sind. Auf der einen Schulter befindet sich ein großer, sehr werthvoller Edelstein, von welchem eine Menge Edelsteinstrahlen ausgehen, und ein zweiter ebenso großer Edelstein schmückt ihre Stirn, über welcher sich eine Krone von Brillanten zeigt. Seitwärts in einer Ecke des Bildes liest man auf einem kleinen Silberschild die Worte: „, uning DεOU TOV 'IBέgov." Rund herum sind goldbrockatene Gehänge mit aufgenähten kleinen Engelsköpfchen zu sehen, die zierlich auf Porzellanstückchen gemalt und mit silbernen Flügeln ausgestattet sind. Ueber die allgemeine Verehrung, welche diesem Bilde gezollt wird, genüge es hier, an die durchaus wahre Schilderung Kohl's (Reisen im Inneren von Rußland und Polen I. 210.) zu erinnern: Keiner geht hier vorüber, und hätte er ein noch so eiliges Geschäft, der sich nicht wenigstens vor der Kapelle verneigte und bekreuzigte. Die Meisten aber treten ein, und beten mit frommen Seufzern andächtig vor der Mutter knieend. Hierher kommen die Bauern des Morgens, wenn sie zum Markte gehen, legen ihre Bürde bei Seite, beten ein Weilchen und entfernen sich wieder. Hierher kommt der Kaufmann, der eine neue Unternehmung machen will. Hierher kommt der Genesene, wie der Kranke, der Reichgewordene, wie der, welcher es werden möchte, der Zurückkehrende, wie der Abschiednehmende, der Glückliche, wie der Unglückliche, der Vornehme, wie der Bettler, und es leidet feinen Zweifel, daß bei diesem Hüttchen mehr Viergesvanne den Tag über halten, als vor dem Winterpalais in Petersburg. In der That hat es etwas mächtig Rührendes, selbst die elegantesten, von Seidengewebe umflatterten und von Edelsteingeflimmer umschimmerten Damen verfahren zu sehen, wie sie sich von galanten Herren aus den Viersvännern beben lassen, und mit den Bettlern sich in den Staub werfen." Was die Krankenbesuche betrifft, so steht zu diesem Zweck in der Näbe beständig ein Wagen mit vier Pferden bereit, in welchem das wunderthätige Mutter-Gottesbild mit großem Gepränge zu den Kranken, die es wünschen, transportirt wird, und ein solcher Besuch der Zberischen Mutter Gottes ist für Viele um so mehr ein Gegenstand des sehnsüchtigsten Verlangens, weil sie der festen Ueberzeugung find, daß sie dadurch entweder wieder gesund werden, oder, falls sie sterben sollten, selig sterben.

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Heiligenbilder in Privatwohnungen.

den plöglichen Abzug der Tataren von Moskwa (am 2. Juli 1451) zu verdanken. Aehnliche Erinnerungen knüpfen sich an die übrigen Bilder, und sie lassen es daher sehr begreiflich finden, warum das Volk solchen alten und unscheinlichen, aber in den Zeiten der Noth bewährten Bildern vor dem meisterhaftesten Madonnenbilde eines Raphael unbedenklich den Vorzug giebt.

Demgemäß sind auch die zahlreichen Heiligenbilder in den Privatwohnungen der Ruffen meist Copien dieses oder jenes als wunderthätig bekannten Bildes, und wie groß der Verbrauch solcher Bilder ift, mag man daraus abnehmen, daß in jedem einzelnen Zimmer der oft so zimmerreichen Häuser ein „Obroß“ mit einem kleinen, stets brennenden Lämpchen davor aufgehängt ist. Und nicht bloß in Privatwohnungen, auch in den Kaffeehäusern fehlt keinem einzigen Zimmer das Obroß. Die Schiffer haben ein solches auf ihrem Schiff, reisende Kaufleute nageln ein kleines an ihren Wagen an, und selbst die mit Ruffen verkehrenden Deutschen oder andere Fremde thun wohl, im Vorzimmer, den eintretenden Russen zu Liebe, ein russisches Heiligenbild aufzuhängen. Ein Arzt wenigstens würde, wäre er noch so geschickt, wenig Zuspruch haben, wenn er dies nicht thäte. Denn wo der Ruffe auch sein mag, überall sieht er sich zuvörderst nach dem Obroß um, und erst, wenn er diesem seine Verbeugung gemacht, wendet er sich an den Hausherrn, die Hausfrau, den Bruder, Freund oder Feind, um mit diesem das Geschäft abzumachen, wegen dessen er gekommen ist. Ob er dabei immer die einem Christen geziemenden, frommen Empfindungen hat, muß freilich dahin gestellt bleiben. Jedenfalls aber werden diese von der Kirche ihm zur Pflicht gemacht. Denn in dem oben angeführten Katechismus lautet auf die Frage: Welche Gemüthsverfassung geziemt uns bei der Verehrung der heiligen Zkonen?" die Antwort: „Wer sie ansicht, muß im Geist den Blick zu Gott und den Heiligen erheben, die auf ihnen abgebildet find."

Auch im Abendlande fand der Bilderdienst im VIII. Jahrhundert noch vielen Widerspruch. Karl der Große verwarf ihn, und die von ihm nach Frankfurt berufene Synode (794) erklärte, daß die Bilder zwar als Schmuck der Kirche zu dulden seien, aber nie Gegenstand der Verehrung werden dürften. Der Papst Hadrian entgeg nete zwar in einem Schreiben, daß erst neuerdings auf dem Concil zu Nicäa die Verehrung derselben geboten worden sei, doch wagte er aus Furcht vor dem mächtigen Karl keine ernstlichere Opposition, und konnte überdies sicher genug hoffen, daß das Volk, troß des Verbotes, die Bilder der Heiligen nach wie vor mit wundergläubiger Ehrfurcht betrachten werde, worin er sich auch nicht täuschte.

In jedem kleinen Kapellchen fand die mittelalterliche Andacht ein Mutter - Gottesbild, und hatte dieses irgendwie wunderthätige Kraft bewiesen, so wallfahrteten Tausende zu ihm, und die Dankbarkeit Derer, welche ihre Rettung oder Heilung der Andacht vor diesem Bilde zuschrieben, ließ es nicht an Gegengeschenken fehlen, so daß manche Kirche und Kapelle dadurch zu ungeheurem Reichthum kam.

Auch die Privatwohnungen wurden mit Heiligen- und Madonnenbildern reich ausgestattet. In jeder Wohnftube thronte, selbst bei den

Karlstadt's Bildersturm.

Niclaus Manuel.

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ärmsten Bauern, die Mutter Gottes in einem zierlichen Heiligenschrein unter Blumen und anderen Zierrathen; Jeder trug beim Ausgehen das Bildlein eines Schußheiligen bei sich, und Ludwig XI. von Frankreich (1461-1483) hatte um seinen Hut eine ganze Reihe von bleiernen Heiligenbildern, um in jedem einzelnen Falle sein Gebet an den betreffenden Schußpatron richten zu können. 1)

Erst im Zeitalter der Reformation regte sich wieder der stürmische Eifer gegen den Bilderdienst, indem Karlstadt, begleitet von Wittenberger Studenten und Bürgern, in die Kirchen drang und dort mit wüster Zerstörungswuth Bilder, Bildsäulen, Beichtstühle und Altäre zertrümmerte, weil alles dies papistischer Unfug" fei. Ein so tumultuarisches und fanatisches Beginnen aber konnte der klare und verständige Luther unmöglich billigen, indem es, wie er richtig sah, der guten Sache verhältnißmäßig mehr schaden, als nügen mußte. Daher eilte er, wie gefährlich es für ihn auch war, seinen sicheren Zufluchtsort, die Wartburg, zu verlassen, doch ohne Verzug nach Wittenberg und predigte mehrere Tage hintereinander gegen Karlstadt's unbesonnenen Eifer, wodurch die Ruhe bald wieder hergestellt wurde. In Betreff der Bilder selbst äußerte er: Sie sollen abgestellt sein, wenn sie angebetet werden sollen, sonst nicht; wiewohl ich wollte, sie wären in der ganzen Welt abgestellt, von wegen des Mißbrauchs. Aber es sind viele Menschen, die die Sonne, den Mond und die Sterne anbeten; wollen wir darum zufahren, und die Sterne vom Himmel reißen?"

Daß übrigens die Abschaffung der Bilder ganz im Geiste des damaligen Protestantismus lag, bewiesen die Lutheraner und Reformirten bald durch die That. Im Herzogthum Preußen schafften, als die Reformation dort (1524) eingeführt wurde, Dr. Paulus Speratus, Johann Brismann und Johann Alexander sogleich die Bilder aus den Kirchen fort, und in Königsberg drang das Volk schaarenweise in den Dom, um die Bilder und die Altartafeln abzureißen. Eben dasselbe geschah an anderen Orten, und in St. Gallen wurden 46 Wagen mit Bildern beladen, die man unter großem Jubel des Volkes vor der Stadt verbrannte.

In Bern veranlaßte der Sturm gegen die Heiligenbilder den wackeren Niclaus Manuel zu einem, wahrscheinlich um das Jahr 1528 abgefaßten Gedicht: Klagred der armen Gößen, wie es ihnen gaht, und Bekenntniß, wie sie nüts und keiner Ehren werth seind, die Christgläubigen fast bittende, daß sie von ihrem bösen Fürnehmen abständen und sie nit mehr verehren, so wollten sie gern verschmäht und aus ihren Kirchen und Kapellen verstoßen und verbrannt werden," worin er sich ganz übereinstimmend mit Luther äußert, und wie v. Grüneisen) treffend bemerkt, durch die Selbstverleugnung, mit der

1) Ein Verzeichniß der wichtigeren Schußpatrone der verschiedenen Stände und Lebensverhältnisse siehe in meinen Heiligenbildern" 1. Beilage.

2) Vergl. Niclaus Manuel. Leben und Werke eines Malers und Dichters, Kriegers, Staatsmannes und Reformators im XVI. Jahrhundert. Von Dr. C. Grüneisen. Stuttgart und Tübingen 1837.

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Manuel's „Klagred der armen Gögen.“

er, selbst ein Maler, für den höheren Zweck der Gesittung die Werke der Kunst um Gottes Willen hinzugeben und wie Abraham das Kind seines Herzblutes zu opfern bereit ist, nur noch ehrenwerther erscheint.

Die armen Gößen" beginnen ihre Klagerede in folgender Weise:
Wir armen Gößen groß und klein
Bekennen uns allhie gemein.
All unser Sünd und Missethat,
Die Gott und die Welt erzürnet hat,
Daß wir im Tempel gestanden sind
Gleichwie des Himmels Hausgesind,
Und haben geführt so guten Schyn,
Als wären wir Gott selber gesyn,
Der ein hat gedräut, der ander gelacht,
Und solchen Wahn den Menschen gemacht,
Als ob wir wären, weiß ich was,
Und möchten geben alles das
Zu uns hat geschrieen jedermann,
Dem etwas war gelegen dran,
Für Wassernöthen und für Feur,
Ünd auch für alles Ungeheur;
Für all Krankheiten überall
Ruft man uns an ohn alle Zahl
Kunnt einer nit schlafen oder wachen,
Wohlauf, wir werden uns dahin machen,
Da ist ein Bild, das thut viel Zeichen,
Dem wollen wir ein' Gab darreichen,
Es ist ein Bild fast gnadenreich,
Als kaum funden wird auf Erdreich.
Da kam man denn mit großer Ehr
Ueber das Land und übers Meer,
Und opfert uns als einem Gott,
Dem rechten Gott zu wahrem Spott,
Silber und Gold, auch Edelgestein

Etwas Seltsams, etwas gemein

Von Essen und Trinken und auch Gewand,

Uns Gözen, gemalet an der Wand,

Und auf den Gößentisch gestellt,

Als ob Gott solches haben wöllt,

Und wir darum möchten geben

Alle Nothdurft zu Leib und Leben

Man wähnt, Gott damit zu dienen wohl,

So man uns Gößen, innen hohl,
Von außen ziert hat hübsch und fein,

Das sollt dann schöner Gottesdienst sein,
Als ob Gott auch ein solcher wär,
Von außen hübsch und innen leer.
Solche sind wir gewesen, und ist also,
Daß Gott nie unser sei worden froh
So sagen wir auch frei dazu,
Wiewohl die Menschen viel Unruh
Mit uns gehabt ohn Unterlaß,
Dazu viel Gut und Geld ohn Maß
An uns gewandt, noch ist es wahr,
Daß aller Kost verloren gar.

Das bekennen wir aus wahrem Herzen,

Gott geb, wie die Welt mit uns thu scherzen
Und wollten gern noch unrechter han,
Dieweil man doch darvon will lan,

Manuel's „Klagred der armen Gößen.“

Das wider Gott, wie man thut sagen,
Man wöll Abgötterei verjagen.

Wir sind zufrieden überaus,

Gott wöll', daß rechter Ernst werd draus,
So wollen wir die ersten sein,
Und willig tragen diese Pein

Wiewohl uns dennoch Wunder nimmt,
Warum die Welt so gar ergrimmt
Was mögen wir, daß man uns hat
In die Kirchen gestellt an geweihte Statt,
und uns anbetet, gleich als ob

Solch Ehr und Dienst wär Gottes Lob?
Wer hat je gehört uns solches begehren,
Im Namen Gottes, der mags bewähren
Ihr selbst habt uns zu Gößen gemacht,
Bon denen wir jetzt sind verlacht
Jhr selbst habt uns dahin gebracht,
Daran wir haben nie gedacht.
Daran ist schuldig, der uns gemacht,
Desgleichen der mit solcher Pracht
Alle Winkel voll hat gestift in Tempel
Und aufgericht ein solch Gerempel.
Wir haben doch niemand beten darum,
Daß man uns hielt also für frumm
Man hat uns in die Kirchen getragen,
Das mögen wir mit Wahrheit sagen,
Und hat der Tempel etwa brunnen,
So sind die Pfaffen wohl entrunnen,
Wir aber haben müssen blyben,
Keiner hätt sich künnen umher schyben,
Wir sind da gestanden wie ein Stock,
Und verbrunnen, wie ein Block
Und sind doch Tausend zu uns kommen,
Um Hülf und Rath in ihren Nöthen,
Und gewiß meinend, wir solltens trösten,
So ban wir gar fein Klag nit gehört,
Und hätt sich alle Welt empört,
Wir hätten doch kein Wort gesagt.
Darum ist nüts, was man uns flagt
Tbut man uns Ehr, so lan wirs sein,
Wir reben auch gar nüts darein,
Ob man uns flucht und gar verbrennt.
O wär die Falschheit damit gewendt,
Das wollte Gott im Himmelreich,
Wie gälte es uns so ganz gleich,
Daß wir jezt also brennen müssen,
Möchten wir nun auch anders büßen
Für so viel Gößen tausend hundert,
Das ist es, das uns jezt wundert,
Db man dieselben auch werd neiden
Und mit so großem Ernst vermeiden,
Sie strafen nach ihrer Sünd so hart,
Wie uns dann jegund widerfahrt.
Man kann wohl sagen, wer wir sind,
Und was man Falsches an uns findt
Was aber andern mangelt viel,
Da hat man noch nit so viel Wyl,
Dasselb zu strafen, und ist wohl
Zu sorgen, daß die Welt sei voll

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