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Der lutherische Gottesdienst in Deutschland.

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Wenn die Cultusformen der bisher erwähnten Secten fast sämmt= lich Erzeugnisse des evangelischen Protestantismus in England find, und in Deutschland nur eben die Herrnhutische Brüdergemeine mit einer, ihr eigenthümlichen Form der gottesdienstlichen Erbauung hervortrat, so darf man sich darüber nicht wundern, und noch weniger daraus auf eine geringere Regsamkeit innerhalb der evangelisch-lutherischen Kirche Deutschland's schließen. Denn die vielfachen und unaufhörlichen dogmatischen Streitigkeiten beweisen zur Genüge das Gegentheil. Und daß man in Betreff des Cultus ziemlich unverändert bei den, im Zeitalter der Reformation festgestellten Formen stehen blieb, hatte seinen natürlichen Grund. Man wußte sehr wohl, daß Luther mit seinen liturgischen Anordnungen keine, weder allgemein, noch für immer geltenden Formen hatte aufstellen wollen, und ganz in seinem Sinn und Geist hatten es sich die Protestanten in dem Passauer Vertrag (1552) und im Augsburger Religionsfrieden (1555) ausbedungen, daß eine Kirchengemeine ihre Freiheit haben sollte, solche Ceremonien, wie es ihr am nüglichsten sei, jederzeit nach ihrem Gefallen mit Genehmigung der Obrigkeit christlich einzurichten, und aus erheblichen Gründen wieder zu ändern." So lange daher noch die Agenden einzelner Städte und Ortschaften manche, aus dem katholi schen Meßgottesdienst beibehaltenen Formen enthielten, die der evan= gelische Protestantismus als fremdartige Bestandtheile erkannte, ruhte er nicht eher, als bis sie beseitigt waren, und ebenso entschieden sträubte er sich gegen jede Aenderung in den Formularen, wenn sie den, von den Vätern mit Blut erkämpften und bis zum Tode vertheidigten Glauben betraf. Eine Aenderung in der Ordnung des Gottesdienstes aber konnte unter den damaligen Verhältnissen weder den Lutheranern, noch den Reformirten einfallen: den Ersteren nicht, weil eine größere Ausschmückung desselben als ein Rückfall in den Papismus, und größere Vereinfachung als ein Abfall vom evangelisch-luthe= rischen Glauben zu dem perhorrescirten Calvinismus schien; den Legteren nicht, weil ihr Gottesdienst ohnehin schon einfach genug war, und ihnen diejenigen Bestandtheile, um welche der lutherische reicher war, nur als Ueberbleibsel aus den Zeiten des Papismus erschien, die Luther lieber, wie Calvin, mit fester Entschiedenheit hätte abschaf= fen, als aus schonender Nachsicht stehen lassen sollen.

,,Jhr habt nun jeho meine Händ
Das an euch sehn verrichten.
Mein lester Wille ist zugleich,
Wie ich dies Waffer gieße,
So gehet hin und waschet euch
Auch eins des Andern Füße.
Steht auf mit Ehrerbietigkeit,
In Gnad und Sünder-Schöne,
Thut, wie ihr angewiesen seid
Von unserm Souveraine!

Er setzt sein Jüngervolk in Stand

Zum Ablaß aller Sünden;

Wie leicht kann nun der Jünger Hand

Den Staub der Füße finden.

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Vereinfachung des lutherischen Gottesdienstes.

Unter so bewandten Umständen ließ sich in Betreff einer Aenderung des Gottesdienstes weder von Seiten der Reformirten zu Gunsten der Lutheraner, noch umgekehrt, etwas hoffen, und jemehr na= mentlich seit dem Uebertritt des Churfürsten von Brandenburg Johann Sigismund zur reformirten Kirche (1613) die lutherischen Unterthanen der Brandenburgischen Regenten bei jedem Versuche, die beiden Schwesterkirchen einander näher zu bringen, argwöhnten, daß er nur im Intereffe der Reformirten unternommen sei, desto beharr= licher hielten sie an dem, von den Vätern ererbten Gottesdienst fest.

Gleichwohl mußte schon das Zusammenleben der Lutheraner mit den Reformirten, welches, wenn die gegenseitige feindselige Stimmung blieb, fortwährende Reibungen zwischen ihnen veranlaßte, bei den Regenten den Wunsch einer Union, wäre es auch vorläufig erst im äußeren Gottesdienst, immer wieder aufs neue regen machen. Friedrich I. hielt es in dieser Beziehung für das Beste, einen Mittelweg einzuschlagen, und um die Lutheraner von dem Gedanken abzubringen, als seien nur sie es, welche zu Gunsten der Reformirten nachgeben sollten, wurde in den Jahren 1711-1713 Mancherlei ersucht, um die englisch-bischöfliche Liturgie einzuführen 1), was jedoch nicht ge= lang. Der König beschränkte sich daher mit seinem Bestreben, den Cultus in den beiden Kirchen übereinstimmender zu machen, auf die Militairgemeinen, bei denen der jedesmalige Gottesdienst in einem Anfangsliede, Altargebet, Hauptlied, der Predigt und einem kurzen Schlußgefange bestehen sollte. Aehnliches wurde späterhin auch für die Civilgemeinen angeordnet, und in dem, vom König Friedrich Wilhelm I. (1733) gegebenen Reglement, wie der öffentliche Gottesdienst in der neu aufgebauten Petrikirche zu Berlin gebal ten werden sollte, hieß es unter anderen: „Die Kirche soll um halb 9 Uhr angehen, und halb 11 Uhr sammt der Predigt und dem Gebet geendigt sein. Hierauf folgen die Fürbitten, Danksagungen, Proclamationen, das Generalbeichtgebet, das Vaterunser und der Segen, bei welchem der Prediger zwar die Hände aufheben, aber kein Kreuz schlagen muß, weil solches bei der römisch-katholischen Kirche nur in besonderen Absichten eingeführt, und nach der Reformation beibehalten worden. Nach diesem wird ein Lied gesungen; dann soll der Prediger hinter den Tisch des Altars treten, und die Worte der Einsegung ablesen, keinesweges aber abfingen, noch ein Kreuz machen 2c.“

Uebrigens hatte das Bestreben, den lutherischen Gottesdienst durch Vereinfachung dem reformirten immer ähnlicher zu machen, seinen Grund keinesweges allein in dem Wunsch eines einzelnen Regentenhauses; es war vielmehr, wie Kliefoth in dem zweiten Abschnitt seiner Darstellung der lutherischen Gottesdienstordnung trefflich nachweist, durch den ganzen Charakter jener Zeit bedingt. Für alle Destructionen," bemerkt er sehr richtig, welche die deutschen lutherischen Kirchen in

1) Bergl. Relation des mesures, qui furent prises dans les années 1711-1713 pour introduire la liturgie anglicane dans le royaume de Prusse et dans l'electorat de Hanovre. Londres 1747.

Die Restaurationsperiode in kirchl. Beziehung.

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späteren Zeiten erfahren haben, muß man die historischen Anfänge und die Erklärung in der, von dieser Seite noch lange nicht genug gewürdigten Restaurationsperiode suchen, welche nach dem Schluß des dreißigjährigen Krieges eintrat und sich bis in die ersten Jahrzehnte des XVIII. Jahrhunderts fortzog."

Der langwierige Krieg hatte, wie in bürgerlicher, so in kirchlicher Hinsicht solche Verwüstungen angerichtet, daß man in der protestantischen Kirche eigentlich wieder von vorn anfangen mußte. Ja die Aufgabe war eine ungleich schwierigere, als zur Zeit der Reformation. Denn damals war es ein nach der Predigt des lauteren Evangelii hungriges Volk, das sich für die Befriedigung seiner religiösen Bedürfnisse nur die äußeren kirchlichen Formen zu schaffen brauchte, die der glaubensfreudige chriftliche Geist auch bald zu finden wußte. In den Zeiten der Restauration aber waren die äußeren kirchlichen Formen gegeben; fie lagen in den Kirchenordnungen aus früherer Zeit bereits fertig vor. Dagegen fehlte die den Leib belebende Seele, da aus dem heilsbegierigen Volk ein während der unruhigen Kriegszeiten mehr und mehr verwildertes geworden war. Unter solchen Umständen war es denn das Natürlichste, daß man zunächst an die Wiederherstellung der kirchlichen Ordnung dachte, die alten Kirchenordnungen revidirte und neu herausgab, regelmäßige Visitationen anordnete, den Vermögensbestand der Kirchen und Pfarren wieder feststellte, die in Verwirrung gerathenen Parochialverhältnisse wieder regulirte, die Wirksamkeit der Consistorien restaurirte und durch gesegliche Verordnungen die gottesdienstlichen Verhältnisse der Landeskirchen zu ordnen suchte. Alle diese Geseße, Edicte und Mandate aber haben einen „kirchenpolizeilichen Charakter," wobei nur die äußere That ins Auge gefaßt wird, so daß einerseits die äußerliche Beobachtung des Vorgeschriebenen vollkommen genügt, andererseits für etwaige Uebertretungen auch nur das Mittel der äußeren geseglichen Bestrafung in Anwendung kommt, weshalb in den kirchlichen Gesezen aus jener Zeit wirklich fast kein Paragraph ohne Androhung von Strafen ist.

In Folge dieser Veräußerlichung des Kirchenwesens mußte natürlich auch bald die Zeit kommen, wo, wie Kliefoth treffend sich ausdrückt, aus dem Diener des Wortes" ein Herr Pastor" wurde, dieConsistorien mehr und mehr sich in das büreaukratische Verfahren der Staatsbehörde hineingewöhnten und die Kirche dem Staat gegenüber in das Verhältniß der Unterthänigkeit gerieth, so daß von da an nicht nur Parochial- und Kirchenbauangelegenheiten, sondern auch Agenden und Gesangbücher, Confeffionen und Katechismen durch Kabinetsrescripte festgestellt werden. Noch bedenklicher aber war es, daß diese Veräußerlichung des Kirchenwesens auch der, auf den Unterschied zwischen dem Sacramentalen und Sacrificiellen sich gründenden lutherischen Objectivität eine falsche Richtung gab. 3m Zeitalter der Reformation hatte man sich auf Seiten der Lutheraner in der Werthschäßung des sacramentalen Elementes durch die Gegenreden der Calvinisten nicht irre machen lassen, immer aber dabei nicht vergessen, daß Wort und Sacrament objective Mächte und Mittel sind, deren Wirkung zum großen Theil durch den subjectiven Glauben bedingt ist.

318 Einfluß des Pietismus auf den kirchl. Gottesdienst.

Die Restaurationsperiode dagegen, die alles mehr äußerlich und vom kirchenpolizeilichen Standpunkt auffaßte, ging in dem Festhalten der lutherischen Objectivität nur zu bald so weit, daß ihr selbst das Innerlichste zu etwas rein Aeußerlichem wurde und sie mit ihrer Ansicht über die Verdienstlichkeit des Kirchenbesuches und die Wirkung des göttlichen Wortes und Sacramentes der katholischen Anschauungsweise ziemlich nahe kam, so daß Dr. Heinrich Müller in der That Grund genug hatte, den Taufstein, den Altar, den Predigt- und den Beichtstuhl als die vier abgöttisch verehrten, stummen Kirchengößen zu bezeichnen.

Diese, Alles veräußerlichende Richtung mußte nothwendig als Gegensaß die Bestrebungen des Pietismus hervorrufen, der seit Spener mehr und mehr sich geltend machte und keinen anderen Zweck hatte und haben sollte, als den, der subjectiven Frömmigkeit wieder zu ihrem Rechte zu verhelfen. Vorher galt das Anhören der Predigt, fie mochte sein, wie sie wollte, für etwas Verdienstliches. Was irgend auf der Kanzel gepredigt wurde, sah man für Gottes Wort an, und kaum wagte man einen leisen Zweifel, daß dies unter allen Umständen segensreich wirken müsse. Nunmehr aber machten sich schon jene, von dem Pietismus ausgehende Ansichten geltend: Nicht Alles, was auf der Kanzel gepredigt werde, sei darum Gottes Wort, und es komme hierbei vor allen Dingen darauf an, ob der Prediger selbst zu den Wiedergeborenen gehöre, oder nicht, und ebenso wenig sei die Predigt ein so wesentlicher Theil des geistlichen Amtes, als man bisher fälschlich geglaubt; die Hauptsache sei vielmehr die specielle Seelforge, deren strenge Handhabung in den pietistischen Kreisen nur zu bald zu den methodischen Andachtsübungen und der regulirten Askese jener Zeit führte. Je weniger sich nun alle Gemeineglieder damit befreunden konnten, desto natürlicher war es, daß die Gleichgesinnten, indem sie sich von den Uebrigen ängstlich absonderten und immer enger an einander schloffen, ecclesiolas in der ecclesia bildeten, und der Geistliche aus einem Prediger für die ganze Gemeine zu einem „Stundenhalter" pietistischer Kreise wurde.

Aber nicht bloß hierin, sondern auch auf dem Gebiet des kirchlichen Gottesdienstes machte die Subjectivität ihren Einfluß in bedenklicher Weise geltend. Die Spenersche Schule hat zur Vermehrung des Schases an Kirchenliedern unleugbar viel beigetragen. Doch sind diese neuen Lieder meist der Ausdruck subjectiver Gefühle, und haben, im Gegensatz zu dem facramentalen Charakter der älteren, vorherrschend einen sacrificiellen, wie denn überhaupt der ganze Gottesdienst sich mehr und mehr den Zwecken des subjectiv Erbaulichen und Erwecklichen fügen mußte. Kliefoth weist in seiner genannten Schrift (S. 203.) beispielsweise an der Litanei" den allmäligen Gang des destructiven Verfahrens dieser Richtung sehr anschaulich nach. Nach allen Begriffen," bemerkt er,,,welche der spätere Spenerianismus vom Gebet hatte, konnte ihm die Litanei nicht zusagen. Denn abgesehen davon, daß fie ein formulirtes Gebet war, während er eigentlich nur das freie Gebet aus dem Herzen wollte, fehlte es ihr in ihrer einfachen Objectivität an Wortfülle, an Salbung 2c. Sie mußte also weichen,

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Die Aufklärungsperiode.

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und wurde auf folgende Weise beseitigt. Man benußte zuvörderst den Umstand, daß die revidirte Mecklenburgische Kirchenordnung einen Wechsel zwischen der Litanei und dem vorzulesenden Kirchengebet frei giebt, bevorzugte das Leßtere, und drängte die Litanei in die Betstunden und Bußtage zurück. Sodann nahm man ihr das Einzige, was ihr für die Gottesdienste einen eigenthümlichen Werth verleihen konnte, die Ausführung im Wechselgesang. Man ließ sie vom Prediger lesen oder von der Gemeine fingen, aber nicht als Wechselgesang. Und als so die Gemeinen den Geschmack daran verloren hatten, schaffte man sie geseßlich ab, machte aber auch auf der anderen Seite mit dem formulirten Kirchengebet keinen Ernst, sondern ließ es in ein freies Gebet übergehen, und hatte dann, was man wollte." Ganz Aehnliches findet sich bei fast allen liturgischen Stücken, die sich zu Gunsten des subjectiven Gefühls irgend beseitigen ließen. Ueberhaupt trat, wenn die an der lutherischen Objectivität festhaltende Richtung sich auf den bei den Gemeinen noch vorhandenen Sinn für das Alte, auf ihre von Alters her gewohnte fromme Sitte des Kirchenbesuchs und des regelmäßigen Abendmahlsgenuffes stüßte, jedesmal ihr sofort die subjective Richtung entgegen mit der Erklärung, daß alle solche Gewohnheit und traditionelle Uebung verwerflich sei, indem alles Gott Wohlgefällige lediglich aus dem inneren Drang des Herzens hervor= gehen müsse. Und wenn auf der anderen Seite die subjective Richtung, mit Geringschäßung traditioneller Formen, vorläufig nur erst wieder geistliches Leben zu erwecken bemüht war, so trat ihr wiederum die ordnende Richtung in ihrem kirchenpolizeilichen Charakter entgegen und warnte auf das Nachdrücklichste vor einer subjectiven Willkür, die unter dem Vorwande der christlichen Freiheit wahrer Kinder Gottes, nur darauf ausgehe, das ganze bestehende Kirchenthum völlig zu zerstören. So riß denn in der That die eine Richtung nieder, was die andere hätte aufbauen mögen; eine raubte der anderen das Vertrauen der Gemeinen, und der Schade traf die gesammte Kirche.

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Denn wenn auch der Spenersche Pietismus bei seiner Unzufriedenheit mit der Veräußerlichung des kirchlichen Gottesdienstes und seinem Dringen auf das Praktische" und Erweckliche, immer nur das Christlich- Praktische meinte und den Maßstab seiner subjectiven Kritik zunächst nicht an das Wort der Schrift und die Kirchenlehre legte, sondern dieser vielmehr meist treu blieb, so konnten doch die um eben diese Zeit auftretenden Freunde einer neuerungsluftigen Aufklärung für ihre Bestrebungen kaum willkommenere Anknüpfungspunkte wünschen, als ihnen hier dargeboten waren. Schon Spener hatte bekanntlich drei Viertheile der heiligen Schrift als unerheblich für den gottesdienstlichen Gebrauch erklärt, und seine Schule war von Anfang an geneigt gewesen, von ihrem Standpunkte aus einen Unterschied zwischen wesentlichen" und unwesentlichen" Glaubensartikeln zu machen. War es ein Wunder, daß die Freunde der Aufklärung" auch ihrerseits und von ihrem Standpunkt aus einen Unterschied zwischen wesentlichen und unwesentlichen Glaubensartikeln machten, und nicht bloß auf dem Gebiet der theologischen Wissenschaft zu Resulta= ten kamen, die sich mit dem, was man bisher gelehrt und geglaubt

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