Immagini della pagina
PDF
ePub

480

Liedersammlungen in neuerer Zeit.

anstößig oder zu unverständlich sei. Wenn übrigens die Herausgeber zum Schluß hinzufügten, daß sie troß aller auf die Arbeit verwandten Sorgfalt kaum hoffen dürften, daß ihr Werk den so sehr verschiedenen Anforderungen und Erwartungen aller einzelnen Beurtheiler entsprechen werde, so hatten sie sich darin nicht getäuscht. Denn bald nach seinem Erscheinen traten Gegner auf, die mit großem Mißfallen an dem Berliner Gesangbuch tadelten, daß einerseits viele Kernlieder, die nicht hätten fehlen sollen, nicht aufgenommen, andererseits die aufgenommenen Lieder zu willkürlich geändert und verkürzt seien, und daher vereinigten sich schon im folgenden Jahre 1830 die Herausgeber des „Berliner Liederschases" zu einer neuen, vollständigeren Sammlung, die zwei Jahre später unter dem genannten Titel erschien, und 2020 Lieder enthielt. Eine ähnliche, noch reichhaltigere Sammlung war Alb. Knapp's bereits erwähnter ,,Evangelischer Liederschaß für Kirche und Haus" (Stuttgart und Tübingen 1837, 2 Bde, mit 3590 Liedern). Wie vorsichtig aber auch er bei der Behandlung der älteren Lieder zu Werke gegangen sein mochte, so lag es doch in der Natur der Sache, daß er eben so wenig mit seinen, wie die Herausgeber des Berliner Liederschahes mit ihren Aenderungen allgemein befriedigten. Den Einen war zu viel, den Anderen zu wenig geändert, und da es bei dem vielfachen Hin- und Herreden über den ursprünglichen Tert und das Aendern nicht selten vorkam, daß Manche diese und jene Abweichung von dem ihnen geläufigen Text als eine unbefugte Aenderung mißbilligten, während sie darin eher die Wiederherstellung des ursprüng= lichen Tertes hätten erkennen sollen, so war es in der That ein dankenswerthes Unternehmen, wenn Wackernagel in seinem,,Deutschen Kirchenlied, von Mart. Luther bis auf Nik. Heermann und Blaurer" (Stuttgart 1841) zuvörderft die Originalterte, ohne Rücksicht auf den kirchlichen Gebrauch, wieder herzustellen sich angelegen sein ließ, weil, wie er zwar etwas scharf, aber treffend genug bemerkte, „das unwissende Geschrei über Gesangbuchsnoth, und noch mehr die unberufene Abhülfe derselben, zu einer freien, von allem Bedürfniß absehenden Behandlung des Gegenstandes auffordere." Immer aber waren mit diesem Werke nur dankenswerthe Vorarbeiten zu einem besseren Gesangbuch dargeboten, die Aufgabe selbst aber, ein Gesangbuch zu liefern, das die Lieder möglichst in ihrer ursprünglichen und doch auch wieder in einer den Bedürfnissen unserer Zeit entsprechenden Gestalt enthielt, noch nicht gelöst, und darum versuchte Dr. Daniel vom kirchlich-praktischen Standpunkt aus denn der autiquarisch - historische Standpunkt Wackernagel's schien ihm zu unpraktisch, und der anderer Liedersammler, welche seiner Meinung nach die Lieder von subjectivem Charakter nicht sorgfältig genug ausgeschieden hatten, nicht kirchlich genug eine neue Sammlung, die unter dem Titel: „Das evangelische Kirchengesangbuch" (Halle 1842) erschien. Als ein vierter Standpunkt endlich ist der musikalisch- hymnologische zu nennen, den Dr. Fried. Layris bei seiner unter dem Titel Kern des deutschen Kirchenliedes (Nördlingen 1844, 2 Thle.) erschienenen Sammlung einnahm, indem er sich bei der Liederauswahl vornehmlich durch den Gedanken leiten ließ, daß durch die Lieder so viel als möglich alle

Das Kirchenlied in der katholischen Kirche.

481

gediegenen und fingbaren Choralmelodien vertreten werden müßten, wenn das Buch in der That ein Gesangbuch, nicht ein bloßes Er:bauungsbuch zum Lesen sein sollte.

Nach solchen Vorarbeiten dürfte es allerdings nicht zu schwer sein, den auf der großen Berliner Generalfynode im Jahre 1846 ausgesprochenem Wunsch einer Vereinigung über 300 allen evangelischen Landesgesangbüchern einzuverleibende Kernlieder zu verwirklichen, wenn die gegenwärtigen Zeitverhältnisse für Arbeiten dieser Art günstiger : wären, als sie es in der That find.

Werfen wir zur Vergleichung mit dem, was in der evangelischen Kirche für das Kirchenlied geschehen ist, einen Blick auf die katholische Kirche und ihre Leistungen auf diesem Gebiet, so ist von diesen wenig genug zu berichten. Allerdings hatte die in der Aufklärungsperiode zum Losungswort gewordene,,Toleranz" auch hier manche Schroffheiten gemildert; Dichter, wie Gellert und Cramer, waren von Anfang an auch in der katholischen Kirche mit Beifall begrüßt worden, und in Würtemberg hatte der für Aufklärung begeisterte katholische Herzog Karl Eugen nicht nur bei seinem katholischen Hofgottesdienst die deutsche Messe und deutschen Gesang eingeführt, sondern auch ein,,Gesangbuch für den Gebrauch der katholischen Hofkapelle" (1786) ausarbeiten lassen, das 101 Lieder, meist von Gellert, Cramer und anderen evangelischen Liederdichtern enthielt, und laut der Vorrede den Zweck hatte, ,,nur solche Gesänge aufzunehmen, die das praktische Christenthum empfehlen, und von allen Christen unseres Vaterlandes mitgesungen werden können, ohne daß sie in ihrer Andacht durch Stellen gestört würden, welche ihrer inneren Ueberzeugung Gewalt anthun. Es wurden daher keine anderen Gesänge gewählt, als solche, welche den Geist gemeinschaftlich anerkannter Wahrheiten athmen, und zur allgemeinen Christenerbauung dienen."

Diese, einer freieren Geistesregung in der katholischen Kirche günstige Stimmung war jedoch nicht von langer Dauer, und in demselben Maße, als sich die Evangelischen in neuerer Zeit ihres evangelischen Bekenntnisses wiederum mehr und mehr bewußt zu werden anfingen, war auch die katholische Kirche ihrerseits unverkennbar bemüht, ihre mittelalterliche Herrlichkeit wieder herzustellen, und demgemäß Manches wieder zurückzunehmen, was vorher gestattet worden war. So hatte, neben Werkmeister in Würtemberg und Sailer in Baiern, der edle v. Wessenberg als Verweser des Bisthums Constanz zwar Vieles zur Reform der katholischen Kirche und ihres Cultus gethan, er hatte beim Gottesdienst den deutschen Kirchengesang eingeführt, neben vielen anderen Schriften auch im Jahre 1828 ein,,christkatholi sches Gesang und Andachtsbuch" herausgegeben, und überhaupt als Borkämpfer einer von Rom unabhängigen deutschen Kirche den größten Einfluß ausgeübt. Aber eben darum war er auch von der römischen Curie vielfach angefeindet worden, und der Papst war nicht eher zufrieden, als bis das Bisthum in Folge eines mit dem Großherzog von Baden abgeschlossenen Concordats (1827) aufgelöst, und Wessenberg somit von seinem Amt entfernt war. Auch hierin haben sich übrigens in neuester Zeit die Verhältnisse wieder wesentlich geändert,

-

482

Lieder der deutschkathol. und freien Gemeinen.

und die Deutschkatholiken wenigstens nehmen, so weit sich dies nach dem „Gebet- und Gesangbuch für deutsch - katholische Christen, zusammengestellt von Rob. Blum; auf Beschluß der Leipziger Kirchenversammlung herausgegeben, und geprüft von den Gemeine-Vorständen zu Dresden und Leipzig (1845)" beurtheilen läßt, in Beziehung auf ihre Lieder wieder ziemlich denselben Standpunkt ein, welchen das obenerwähnte Würtembergische katholische Gesangbuch charakterisirt. Man vergl. z. B. das Charfreitagsgedicht (S. 74)

,,Tag des Ernstes, Tag der Trauer,

Todestag des großen Weisen,
Dessen hochgelobten Namen
Dankbar Millionen preisen,
Die durch ihn dem Aberglauben
Und der Sünde Dienst entrissen,
Jm Besiße seiner Lehre

Glaubensvoll sich glücklich wissen 20.“

oder das für den Abend des Gründonnerstages vor der Abendmahlsfeier bestimmte Gedicht (S. 72)

„Unter Ruhe, unter Gottes Frieden
Sinkt die Nacht ins Erdenthal herab.

Stille herrscht. Ich will an Jesum denken,

An die Lehren, die der Weise gab,

Als er heiter bei dem Abschiedsmahle

In dem Kreise seiner Treuen saß,
und voll Liebe für die bessern Menschen
Alle Hinterlist der Welt vergaß 2c.“

Und dieser, den Freunden der ehedem vielgebrauchten Witschelschen Morgen- und Abendandachten wohlbekannte Ton herrscht das ganze Buch hindurch, in dem sich, ganz dem Charakter einer früheren Zeit gemäß, die Entfremdung von dem christlichen Glauben eher in dem sanften Ablehnen eines entschiedenen christlichen Bekenntnisses, als in einer offenen Opposition gegen dasselbe kund giebt.

Ungleich kräftiger und entschiedener sprechen die Lieder der,,freien protestantischen Gemeinen" aus, was sie wollen. So singt z. B. Ed. Balzer (im 1. Heft seiner,,Deutschen Kirche" Leipzig 1847) unter anderen:

,,Von neuem drum wird aufgethan,

Das Wort von alten Zeiten;
Aus Bibelbuch und Alkoran
Dringt's durch der Erde Weiten:

Ich bin der ein'ge Herr,
Und ist kein andrer mehr,
Der ew'ge Geist und Gott!"
Herr Zebaoth,

Geheiliget werde dein Name.

Da kommt es nun das Gottesreich,

Und bricht schon an auf Erden,
Wo Alles recht und Alles gleich,

Und Alles gut soll werden!

Das Schwert der letzten Schlacht,

Zur Pflugschar wirds gemacht,
Kein Sklave und kein Herr

Ist dann auf Erden mehr,

Nur Menschen noch und nur noch Brüder :c.“

Der liturgische Gesang.

483

und in dem legten der 34,,Lieder und Gesänge der freien protestantischen Gemeine zu Nordhausen (1847)":

,, faget mir, wer der Messias ist,

Nach dem die Völker hoffend sahen?

Sagt Freunde endlich mir, war's Jesus Christ?
Sagt, wird er künstig erst uns nahen?

Chor der Alten: Messias ist der Geist, er ists mit seinem Allmachtswehen,
Der seine Boten sich zu allen Zeiten ausersehen.

So saget mir, wer all die Schleier hebt,
Die uns das Ew'ge noch umfloren?

Die Wahrheit, die verhüllt im Weltall lebt,
Durch wen wird endlich sie geboren?

Chor der Alten: Das ist der Geist, Messias ists, mit seinen Feuerblicken,
Der's Weltenall durchforscht, ihm selber zum Entzücken!

Doch saget mir: All' der Menschheit Noth,

Wer wird sie endlich von uns wenden?
Wer wird den Armen denn ihr täglich Brot
Und ihrem Geiste Licht und LabsalTM" senden?

Chor der Alten: Messias ist allein der Geist! Er wird Erlösung bringen,

Der Geist aus Gott, der Geist in Dir, mit seinen Himmelsschwingen.“

Diese wenigen Proben mögen hinreichen, den Standpunkt der Liederdichtung in den Kreisen der freien Gemeinen zu charakterisiren, und es kann füglich dem Urtheil jedes Einzelnen anheimgestellt bleiben, ob sie als Zeugnisse einer erfreulichen Fortentwickelung der geistlichen Liederdichtung gelten dürfen oder nicht.

C. Der liturgische Gesang.

Wenden wir uns, nachdem wir die eine Seite des Kirchengesanges, den Choralgefang der Gemeine in Beziehung auf Melodie und Text betrachtet haben, der anderen Seite desselben, dem liturgischen Gesang zu, so ist es hier im Wesentlichen dreierlei, was eine genauere Darstellung verdient: 1. der Altargesang des Geistlichen, 2. der Wechselgesang zwischen ihm und der Gemeine oder dem sie repräsentirenden Chor, 3. der Chorgesang oder die Kirchenmusik im engeren Sinne des Wortes.

1. Der Altargesang.

Wie der Psalmengesang, so ist auch er aus dem jüdischen Gottesdienst entlehnt, insofern in diesem nicht nur die Psalmen, sondern auch die biblischen Lesestücke und die feststehenden Gebete nicht im gewöhnli chen Sprechton gelesen, sondern, wie dies noch jest geschieht, gesangartig mit abwechselnder Hebung und Senkung der Stimme recitirt wurden, eine Vortragsweise, die auch im christlichen Gottesdienst um so eher Eingang finden mußte, da einerseits die Christen, welche in den ersten Zeiten, vor Sammlung des neutestamentlichen Kanons, keine anderen biblischen Lesestücke hatten, als die Juden, an den bei diesen üblichen Vortrag derselben so gewöhnt waren, daß sie ein Ablesen im

31*

[blocks in formation]

gewöhnlichen Sprechton für Profanation der heiligen Urkunden gehalten haben würden, während andererseits auch wirklich selbst das ausdrucksvollste Lesen nimmer den einzelnen Worten dieser heiligen Schriften" so viel Gewicht zu geben vermocht hätte, als der langsam fortschreitende, gesangartige Vortrag. Eben darum aber, weil er im Gegensah zu der gewöhnlichen Redeweise, in welcher die Menschen ihre eigenen Gedanken kundgeben, zur Auszeichnung desjenigen dienen sollte, was die Gemeine nicht als menschliche Weisheit, sondern als göttliche Offenbarung anzusehen hatte, wurde auch in der christlichen Kirche von Anfang an der Grundsay praktisch geltend gemacht, daß nur dasjenige, was man als vom heiligen Geist herrührende Schriftzeugnisse anerkannte, in jener gesangartigen Weise recitirt werden dürfe. Demgemäß wurde, nächst den biblischen Lectionen, diese Auszeichnung nur denjenigen Lesestücken zuerkannt, welche durch die kirchliche Sanction eine allgemeine objective Geltung erlangt hatten, und hiermit ist zugleich der Grund angedeutet, warum die Anwendung des Altargesanges in den verschiedenen Kirchen grundsäglich eine so verschiedene ist. In der orientalischen Kirche nämlich, wie in der römischen, ist durch die Feststellung bestimmter kirchlich - sanctionirter Liturgien der Gottesdienst so genau bestimmt und geregelt, daß der Priester fast immer nur als Organ der Kirche, selten, ja falls die Predigt wegbleibt, eigentlich nie in seinem eigenen Namen auftritt. Was er vorzutragen hat, find entweder Worte der heiligen Schrift oder der Kirche, in dem einen wie in dem anderen Fall aber, der herrschenden Annahme zufolge, Worte des heiligen Geistes. Dem oben angedeuteten Grundsaß zufolge verdiente also eigentlich Alles, was der Priester hier vorzutragen hat, wie es seiner Natur nach an den Altar gehört, so auch die Auszeichnung jener gesangartigen Deklamation, und wenn diese in der römischen Kirche, denn in der griechischen und armenischen wird in der That vom Priester beim Gottesdienst noch jest weit mehr gesungen, als gesprochen nicht mehr so häufig in Anwendung kommt, als in früheren Zeiten, so ist der Grund davon nur in der rein äußerlichen Rücksicht zu suchen, daß der Gottesdienst, wenn Alles gesungen würde, was gesungen werden sollte, zu lange dauern dürfte.

In der reformirten Kirche dagegen, in welcher das Element kirchlicher Objectivität streng genommen ganz zurücktritt hinter dem Element subjectiver Erbauung, konnte eben so grundsäßlich der Altargesang von Anfang an keine Stelle finden. Denn der Prediger sollte hier immer den jeweiligen Bedürfnissen der Gemeine gemäß aus dem Herzen beten, und dazu paßt der gesangartige Vortrag nicht; ja selbst die biblische Lection, für welche sich diese Vortragsweise noch geeignet hätte, war hier nicht eine, durch die kirchliche Sanction festgestellte, sondern der freien Willkür des Predigers anheimgestellt. Eine Ausnahme machen hierin, wie bekannt, nur die englisch - bischöfliche Kirche, die sich mit ihren für alle gottesdienstlichen Tage des Jahres kirchlich vorgeschriebenen Bibellectionen und Gebetsformularen der Praxis der römischen Kirche nähert, und diejenigen reformirten Gemeinen in Deutschland und anderwärts, welche wegen ihrer näheren Berührung mit der lutherischen Kirche sich hierin ihr genähert haben. Und doch kann auch hier

« IndietroContinua »