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Feststehende kirchliche Lesestücke.

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Aus der Nachricht Justin's über die Sonntagsfeier erfahren wir nur, daß ebensowohl aus dem Alten, als aus dem Neuen Testament vorgelesen wurde. Genauere Auskunft aber geben die späteren Kirchenväter, und in den Apostolischen Constitutionen 1) wird ausdrücklich verordnet, daß jedesmal vier Lesestücke, zwei alttestamentliche (Gesez und Propheten) und zwei neutestamentliche (Epistel und Evangelium) vorgelesen werden sollten.

Gewiß ist es ferner, daß noch zur Zeit des Chrysostomus und des Augustin jedes biblische Buch von Anfang bis zu Ende durchgelesen wurde; denn der lettere sagt in seiner Vorrede zur Erklärung des Johannes-Evangelii 2), „daß er dasselbe in der Reihenfolge der kirchlichen Lectionen zu behandeln pflege;" und doch müssen wir den Ursprung der Perikopen (bestimmter und feststehender Abschnitte aus den biblischen Büchern) in diese, ja zum Theil in noch frühere Zeit sehen.

Sobald nämlich die christlichen Feste alljährlich gefeiert zu werden anfingen, machte es die Feier derselben nothwendig, daß man die ge= wöhnliche Reihenfolge der Lesestücke unterbrach, und solche Abschnitte wählte, welche auf das Fest Beziehung hatten. So sagt z. B. Augustinus in der eben angeführten Stelle weiterhin 3):,,Aber weil jezt die Feier der heiligen Tage dazwischen kommt, an denen bestimmte Lectionen aus dem Evangelium in der Kirche vorgelesen werden müssen, welche seit so langer Zeit feststehen, daß man keine andere an ihre Stelle seßen kann, so ist jene Ordnung, die wir uns vorgeschrieben hatten, durch die Zeitumstände zwar unterbrochen worden, aber nicht aufgegeben." Ganz dasselbe geht aus der 63. Homilie des Chryfoftomus hervor, in welcher die Frage: Warum wird in der Zeit von Ostern_bis Pfingsten in der Kirche die Apostelgeschichte gelesen?" behandelt ist.

Faffen wir nun die bedeutenderen Zeugnisse der verschiedenen. Kirchenlehrer zusammen, so finden wir in Betreff der feststehenden Lesestücke der alten Zeit etwa Folgendes:

In der Fastenzeit vor Ostern wurde das erste Buch Mose gelesen, wie die von Chryfoftomus darüber gehaltenen Predigten 4) beweisen.

In der Charwoche das Buch Hiob 5) und der Prophet Jonas); nach einer Angabe des Hieronymus auch der Prophet

1) Concil. Apost. II., 57.

2) August. Expos. in Ioann. I. Praef. Meminit sanctitas vestra, evangelium secundum Ioannem ex ordine lectionum nos solere tractare.

3) L. I. Sed quia nunc interposita est solemnitas dierum, quibus certas ex evangelio oportet in ecclesia recitari, quae ita sunt annuae, ut aliae esse non possint, ordo ille, quem susceperamus, necessitati paullulum intermissus est, non omissus.

4) Chrysost. hom. VII. ad Antioch. popul. (tom. I. pag. 94. ed. Frcf.) 5) Ambros. ep. 33. ad Marcell. soror. Audistis, filii, librum legi Job, qui solemni et munere est decursus et tempore.

6) L. I. Sequenti die lectus est de more liber Jonae.

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Hosea 1). Ueber die Wahl des Buches Hiob für diese Zeit sagt schon Origenes (ft. 253):,,Weil das Leiden des Hiob in vielen Stücken ein Vorbild und Beispiel für das Leiden und die Auferstehung des Herrn ist, so wird auch mit Recht jest in den Tagen der Passion, den Lagen der Heiligung und des Fastens, die Leidensgeschichte des Hiob gelesen, betrachtet und erklärt."

Am Osterfest wurde die Auferstehungsgeschichte 2) gelesen, und zwar bei der Vigilienfeier aus dem Evangelium Matthäi, nachber aus Markus, dann aus Lukas, und zuleßt das, was nach der Auferstehung geschah, aus Johannes.

In der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten wurde die Apostelgeschichte vorgelesen, weil, wie Chrysostomus in der angeführten Homilie erklärt, die in diesem Buche berichteten apostolischen Wunderzeichen ein Beweis für die Auferstehung find. „Daher verordneten die Väter 3), daß dasjenige, was am meisten für die Auferstehung beweist, auch unmittelbar nach der Kreuzigung und der Leben bringenden Auferstehung gelesen würde."

Eine Zusammenstellung kirchlicher Leseftücke gab schon Hippolytus (nach Hieronymus ein Schüler des Clemens Alexandrinus, der im Jahre 220 starb) in seinem Canon paschalis; eine ähnliche Sammlung veranstaltete (nach dem Zeugniß des Sidonius Apollinaris 4), ft. 488) Claudianus Mamercus (401) für die Kirche zu Vienne, und der Presbyter Musäus 5) (458) für die Kirche zu Marseille; der lettere traf außerdem auch noch eine Auswahl von Psalmenversen, die zu den Zeiten und den Lesestücken paßten, und als Responsorien gebraucht werden sollten.

Diese Sammlungen aber sind verloren, und von den auf uns gekommenen ist die ältefte das Lectionarium Gallicanum (das nach Mabillon in das VI. Jahrhundert zu seßen ist) und nächstdem der Comes sive Lectionarius per circulum anni,

1) Hieron. prooem. in Hos. „Pierii legi tractatum longissimum, quem in exordio prophetae Hoseae die vigiliarum dominicae passionis extemporali et diserto sermone profudit."

2) Serm. de temp. 140. Hesterno die, i. e. nocte, lecta est ex evangelio resurrectio servatoris secundum Matthaeum. Serm. 194. Primo Tecta est secundum Matthaeum, hesterno autem die secundum Marcum, hodie secundum Lucam. Serm. 148. (feria IV. paschae). Et hodie lectio recitata est de iis, quae facta sunt post resurrectionem Domini secundum evangelistam Ioannem.

3) Chrysost. hom. 63. (Cur in pentecoste acta legantur) o coírur μάλιστα πιστοῦται τὴν ἀνάστασιν τὴν δεσποτικὴν, τοῦτο μετὰ τὸν σταυρὸν καὶ τὴν ζωηφόρον ἀνάστασιν εὐθέως οἱ πατέρες ἐνομοθέτησαν ἀναγιγνώσκεσθαι.

4) Sidon. IV. ep. 11. Hic (Claudianus Mamercus) solemnibus annis paravit, quae quo tempore lectà convenirent.

5) Gennad. de script. c. 79. Excerpsit Musaeus de scripturis lectiones totius anni festivis diebus aptas; responsoria psalmorum capitula temporibus et lectionibus congruentia.

Die kirchlichen Perikopen.

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welcher dem Hieronymus zugeschrieben wird, aber später mannigfache Veränderungen und Zusäße erhalten zu haben scheint. Auch das Lectionarium Romanum, das Gregor der Große in 40 Predigten behandelte, gehört seinen ursprünglichen Bestandtheilen nach ins VI. Jahrhundert, und die in demselben angeordneten Lesestücke aus den Evangelien und den Episteln stimmen großentheils mit unseren Perikopen überein. Ueberdies bemerkt Thamer 1) nicht ohne Grund, daß viele unserer Evangelien (z. B. für den 2. 3. 4. Sonntag nach Epiphanias, für die Sonntage Quinquagesimae, Reminiscere, Oculi, Laetare, und für den 7. 12. 14. 16. 19. 21. 24. Sonntag nach Trinitatis) hauptsächlich mit Beziehung auf die Arianischen Gegner der occidentalischen Kirche gewählt sind, und schon daraus muß man auf einen bereits dem Gregorianischen Zeitalter angehörenden Ursprung unserer Perikopen schließen.

Hieraus erklärt es sich auch, daß das Evangelium zum Trinitätsfeste (Joh. 3, 1-15.), welches von der Wiedergeburt handelt, sich zwar sehr passend der Pfingstlection von der Ausgießung des heiligen Geistes anschließt, auf die Trinität aber nur ziemlich gezwungen bezogen werden kann. Das Fest ist nämlich jüngeren, die Perikope dagegen älteren Ursprungs, und die katholische Kirche hat daher für den Trinitatisfonntag den passenderen Text Matth. 28, 18-20. gewählt.

Auch die Terte der Homilien des Beda Venerabilis (st. 735) stimmen größtentheils mit unseren Perikopen überein, und die reformirten Theologen seßten offenbar ihren Ursprung in eine zu späte Zeit, wenn sie behaupteten, daß dieselben erst durch das, auf Befehl Karl's des Großen von Paulus Diakonus gesammelte Homiliarium in die Kirche eingeführt worden seien, indem ihnen, den obigen Angaben zufolge, ein mehr als tausendjähriges Alter zuzugestehen ist. Allerdings aber ist ihnen seit der Reformation das Recht fortdauernder Geltung vielfach streitig gemacht worden.

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Indeß war es meist nur das homiletische, nicht das liturgische Intereffe, das solchen Widerspruch und die im vorigen Jahrhundert so häufigen Klagen über Perikopenzwang" hervorrief. Vom homiletischen Standpunkt aus, sofern die Evangelien und Episteln für die Predigten als unabänderlich-feststehende Texte gelten sollten, war es auch sehr natürlich, wenn Theologen der verschiedensten Richtung in der Polemik gegen die Perikopen übereinstimmten; wenn ein Dannhauer in seinem Aerger den Auswähler derselben einen >>hominem ferrei ingenii« nannte, und Arnold in ihnen gar eine ,,ruchlose und gräuliche Verstümmelung" der Bibel sah; wenn die Spenersche Schule es bitter beklagte, daß namentlich die Evangelien zu viele Historien enthielten, und auf die übernatürlichen himmlischen Geheimnisse des Glaubens zu wenig Rücksicht nähmen, während man in dem Zeitalter der Aufklärung gerade das an ihnen tadelte, daß fie zu viele Wundererzählungen und zu wenig Moral enthielten. Auf

1) De orig. pericop. p. 70.

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Homiletische Geltung der Perikopen.

dergleichen Klagen wäre nun allerdings nicht viel zu geben, da sie sich nur zu deutlich als die Stimmen einseitigen Parteieifers verrathen.

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Es find aber vom homiletischen Standpunkt aus auch andere Einwürfe gegen die alten Perikopen erhoben worden, die gewichtiger find, und selbst die begeistertsten Lobredner derselben gerathen doch mehr oder weniger in Verlegenheit, wenn es gilt, auf die Frage zu antwor ten, warum denn der Prediger Jahr aus Jahr ein nur immer über dieselben Texte predigen, und die Gemeine ebenso nur immer dieselben Abschnitte sich erklären laffen soll, gleichsam, als wäre die ganze übrige heilige Schrift für sie nicht vorhanden, oder doch alles Uebrige nicht werth, genauer erklärt over betrachtet zu werden. Daher ist man denn auch in neueren Zeiten von dem ehemaligen Perikopenzwang mehr und mehr zurückgekommen. In Dänemark", berichtet Dr. Cisco in seinem ,,christlichen Kirchenjahr“ (I. 95 f.), ertheilte man den Predigern, die es wünschten, Dispensation zu Predigten über freie Texte; im Handverschen und Braunschweigschen ordnete man einen Wechsel an zwischen den Evangelien, Episteln und freien Terten; im Weimarschen und Würtembergischen führte man neue Jahrgänge von Perikopen ein.“ Aehnliches geschah auch anderwärts, jedoch immer mit der ausdrücklichen Bestimmung, daß die alten Perikopen damit keinesweges ganz beseitigt sein, sondern abwechselnd mit den neu vorgeschriebenen oder freigewählten Texten in jedem zweiten, dritten oder vierten Jahre an die Reihe kommen sollten. So erklärte z. B. Röhr in seinem Evange lienbuch zum Gebrauch in den Kirchen des Großherzogsthums SachsenWeimar-Eisenach: Diese drei Jahrgänge neuer Evangelien sollen übrigens bei dem öffentlichen Gebrauche mit dem Jahrgange der alten immer in der Weise abwechseln, daß der lettere jedes vierte Jahr die Reihe wieder eröffnet, und so unter den Materialien für die gemeinsame Erbauung auch fernerhin diejenige Stelle behauptet, auf welche er sowohl durch sein hohes Alterthum, als durch seinen vielfachen inneren Werth so gerechte Ansprüche hat; ja selbst durch das fortgesette Vorlesen der jedesmaligen alten Sonntagsevangelien vor dem Pult oder dem Altar in denjenigen Jahren, wo über die neuen gepredigt wird, soll die chriftliche Gemeine stets in Bekanntschaft mit denselben erhalten werden, damit ihnen ihre kirchliche, selbst in die gewöhnliche Zeitrechnung des Jahres eingreifende Geltung und Ehrwürdigkeit aufbewahrt bleibe." In gleicher Weise verordnet auch die Preußische Agende, während sie es sonst dem Prediger vollkommen freistellt, ob er über freigewählte Texte oder über die alten Perikopen predigen will, die Vorlesung der leßteren für die Liturgie, indem fie und zwar mit vollkommenem Recht, den leider nur zu oft übersehe nen Unterschied zwischen der homiletischen und der liturgischen Geltung der Perikopen festhält. Denn in der That hat das am Altar in der Liturgie vorgelesene, in älterer Zeit sogar meist gesangartig recitirte Evangelium eine ganz andere Bedeutung, als das als Text für die nachfolgende Predigt auf der Kanzel vorgelesene. Hier ist es eben nur der Lert für einen erbaulichen Vortrag; dort dagegen ist es das Wort des Herrn an die Gemeine, und Kliefoth sagt daher in seiner Schrift über die ursprüngliche Gottesdienstordnung der lutherischen

Liturgische Geltung der Perikopen.

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Kirche (S. 221), indem er bei Aufzählung der Verstümmelungen, die sich der lutherische Gottesdienst im vorigen Jahrhundert gefallen lassen mußte, auch die außer Gebrauch gekommene Prälection des Evangelii anführt, sehr richtig: Man muß nicht mehr verstanden haben, was die ältere Kirche mit der Vorlesung desselben an dieser Stelle hat sagen wollen, und daß sie hier etwas ganz anderes bedeutet, als bei der wiederholten Lesung auf der Kanzel. Wenn man irgend noch ge= wußt hätte, daß sie hier ein Act des Herrn ist, der in dem vorgelesenen Worte in die Gemeine tritt, und ihr seine Gabe des Tages bietet, so würde man im Abkürzungseifer lieber die zweite, bloß wiederholende Vorlesung auf der Kanzel weggelaffen haben.“

So lange dies Bewußtsein in den Predigern und ihren Gemeinen noch lebendig war, fiel es daher auch Niemandem ein, an eine Aenderung der altkirchlichen Perikopen zu denken. Wie in der katholischen und mehr noch in der russisch-griechischen Kirche bis auf den heutigen Tag das bei der Messe recitirte Evangelium als eine Predigt des Herrn an die Gemeine angesehen wird, welche die Predigt der Menschen, wenn nicht überflüssig, so doch entbehrlich macht, so sah auch die lutherische Kirche in demselben nichts Anderes, und wenn sie auch im Unterschiede von jenen beiden Kirchen es nicht nur für wünschenswerth, sondern selbst für dringend nothwendig hielt, daß der Gemeine das vom Herrn an sie ergangene Wort in eine Predigt erläu= · tert werde, so fiel ihr doch nicht ein, zu fragen: Warum redet der Herr an diesem Sonntage gerade mit den Worten dieses, an jenem mit den Worten jenes Evangelii zu uns? Sie nahm vielmehr, ohne viel zu grübeln, dankbar das vom Herrn ihr dargereichte Wort an, und jeder Sonn- und Festtag hatte für sie somit eine, durch das regelmäßig wiederkehrende Wort genau bestimmte Bedeutung und Weihe.

Anders war es dagegen in der reformirten Kirche, die bekanntlich, mit Ausschluß der Anglikanischen, welche die alten Evangelien und Episteln beibehalten hat, nach dem Vorgange Calvin's von Anfang an sich nicht nur gegen die herkömmlichen Perikopen, sondern überhaupt gegen allen Perikopenzwang erklärte, da dem Prediger die Wahl des Tertes für seine Predigt durchaus freistehen müsse, weil er nur so im Stande sei, stets einen, für die jedesmaligen Bedürfnisse der Gemeine passenden auszuwählen. Dieser Grund kann aber nur gegen die homiletische Geltung der Perikopen an= geführt werden, nicht gegen die liturgische. Von dieser letteren jedoch konnte in der reformirten Kirche grundsäßlich eigentlich nie die Rede sein. Denn während es in der katholischen und lutherischen Kirche der Herr ist, der die Festtage macht, und sie dadurch, daß er an dem einem dieses, an dem anderen jenes Wort zu der Gemeine redet, von einander unterscheidet und jedem einzelnen Sonn- und Festtage seine besondere charakteristische Weihe ertheilt, ist es in der reformirten Kirche die Gemeine, welche durch ihre gemeinschaftlichen Andachtsübungen die dafür festgestellten Tage zu Festtagen macht. Wollte daher ein Prediger am Ostertage auf Grund des mit Rücksicht auf seinen nachfolgenden Vortrag freigewählten Textes die Geburt Christi, oder am Charfreitag die Ausgießung des heiligen Geistes

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