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Forderung der „Popularität“ in Predigten.

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Predigt sei und bleibe doch immer die Popularität im Inhalt wie im Ausdruck.

„Popularität" war von nun an das allgemeine Losungswort; und der Areopagus, der in der (von Nicolai gestifteten, und von 1765-1805 erschienenen) allgemeinen deutschen Bibliothek, und in dem fast gleichzeitig von Sturm herausgegebenen Journal für Prediger Gericht hielt, verwarf_mit schonungsloser Strenge jede im Druck erschienene Predigt, wenn sie nicht populär genug" war. Dieses Verdammungsurtheil traf nun nicht bloß die philosophi schen Predigtabhandlungen, der definitionssüchtigen Wolfianer und die poetisch-prosaischen Vorträge der blumenreichen Schöngeister, sondern auch die orthodoren Predigten nach der Leipziger und die biblischen nach der Hallischen Methode.

Erschien ein Prediger mit dogmatischen Vorträgen über die ,,Rechtfertigung," über das Leben Christi in uns," über die ,,Wiedergeburt" c. vor dem Forum jener Richter, so bedeuteten sie ihn,,der= gleichen gehöre wohl in Vorlesungen über die Dogmatik, aber nicht auf die Kanzel; man müsse einen Unterschied zwischen Theologie und Religion machen, und sich in Vorträgen für das Volk nur auf die praktischen Lehren der christlichen Religion beschränken, vor allem aber sich angelegen sein laffen, zur gewissenhaften Erfüllung der christlichen Pflichten zu ermahnen. So habe, wie die Bergpredigt beweise, Christus gepredigt, und das heiße christlich und evangelisch predigen."

Fielen ihnen Predigten in die Hände, in denen der Verfasser sich einer möglichst biblischen Ausdrucksweise befleißigt hatte, so lautete der Richterspruch:,,mystisch frömmelnd und unpopulär!" und weiterhin folgte die Belehrung: „Der Erlöser habe die heiligsten Offenbarungen in der Sprache vorgetragen, in der ihn die damalige Welt verstand; es sei daher zwar an sich eine schöne und wahrhafte Regel, daß man schriftmäßig reden und mit der Bibel sprechen müsse - aber das heiße nicht mit der Bibel reden, wenn man die morgenländischen Ausdrücke häufig anbringe, und Ausdrücke wie Glaube, Friede, Geist, Gerechtigkeit, in Versuchung führen, in Christo sein, im Geiste wandeln, Kinder des Zorns, des Unglaubens, der Finsterniß, Waffen des Lichtes" ohne Weiteres gebrauche, da diese nach ihrem natürlichen Klange im Deutschen gar nicht das, oder nicht genau eben dasselbe bedeuten, was sie in den Grundsprachen bedeuten. Mit der Bibel reden" könne vielmehr nichts anderes heißen, als diejenigen Wahrheiten, welche in der heiligen Schrift auf hebräisch oder griechisch vorgetragen seien, mit solchen deutschen Worten und Redensarten ausdrücken, wodurch bei dem Zuhörer eben die Vorstellungen erweckt werden, welche die heiligen Verfasser bei Jedermann erweckt wiffen wollten."

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Man sieht leicht, wie viel der Rationalismus gewann, wenn es ihm gelang, auch die Bibelsprache zu beseitigen. Denn noch immer knüpften sich von alten Zeiten her an die biblischen Worte bestimmte dogmatische Vorstellungen, die sich nur dann in Vergessenheit bringen ließen, wenn man Jesu und den Aposteln,,,um ihre orientalisch-bildliche Sprechweise verständlicher zu machen," andere Worte in den Mund

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„Grammatisch-historische“ Bibelerklärung.

legte, und sie reden ließ, wie man es eben haben wollte. Natürlich fand diese Verdeutlichungsmethode hier und da ihre Gegner; während jedoch auf dem Gebiete der praktischen Theologie noch lebhaft hin und her gestritten wurde, was und wie man predigen müsse, um populär zu sein, war auf dem Gebiete der Wissenschaft ein weit entscheidender Schritt gethan worden.

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War man nämlich bisher im Ganzen noch immer gewohnt gewesen, die Bibel als ein von Gott eingegebenes Buch anzusehen, so hatten Semler und Michaelis der strengeren Inspirationstheorie so viele Gründe entgegen zu stellen gewußt, daß sie ziemlich allgemein aufge= geben wurde. Die Bibel trat somit in die Reihe aller übrigen menschlichen Schriftwerke; der hermeneutische Grundsaß Ernesti's,,,daß die Erklärung jederzeit eine grammatisch - historische sein müsse," galt auch von ihr, und als erste Hauptregel stand fest, daß sie nicht nach dem kirchlichen System, sondern einzig und allein nach dem biblischen Sprachgebrauch mit steter Berücksichtigung der lokalen und temporellen Verhältnisse der damaligen Zeit erklärt werden müsse," und die symbolischen Bücher waren nunmehr nur noch schäßenswerthe Urkunden zur Geschichte der dogmatischen Ansichten im Zeitalter der Reformation. Man räumte gern ein, daß sie damals nüßlich und nothwendig gewesen seien, um den Protestantismus in seinem Gegensah zum Papismus klar darzulegen, und sprach bei Gelegenheit mit vieler Wärme von den unsterblichen Verdiensten der Reformatoren um ihre Zeit aber in den symbolischen Büchern unabänderliche Lehrvorschriften finden, protestantische Lehrer noch jest auf sie verpflichten, und während in allen übrigen Wissenschaften die erfreulichsten Fortschritte gemacht würden, in der Theologie bei den veralteten Ansichten früherer Jahrhunderte stehen bleiben zu wollen das fand man weder schicklich, noch vernünftig," das hieß dem Princip des Protestantismus geradezu entgegen handeln, und zu dem Glaubens- und Gewissenszwang des Papstthumes zurückkehren; denn Schriften der Art, erinnerte man, seien doch immer nur Menschenwerk, und der evangelische Christ habe vollkommen genug an dem Wort Gottes.

War diese beliebte Antithese nun auch eine leere Wortspielerei, indem das biblische Wort Gottes, inwiefern es von Menschen gelesen und verstanden werden soll, immer zum Menschenwerk wird, und die symbolischen Bücher ihrerseits nichts anderes, als eine möglichst genaue Erklärung des Wortes Gottes sein sollten, so wußte doch der Rationalismus sehr wohl, was er wollte. Die Bibellehre, wie man fie in den symbolischen Büchern dargestellt fand, war zu bestimmt, und unzweideutig ausgesprochen, als daß man sich durch modificirende Erklärungen hätte helfen können; man mußte sie so, wie sie war, entweder annehmen oder verwerfen. Die Bibel aber war, wie der Schweizer Theologe Sam. Werenfels in dem Distichon:

Hic liber est, in quo sua quaerit dogmata quisque;
Invenit et pariter dogmata quisque sua.

treffend bemerkte, von jeher das Buch gewesen, in dem Jeder seine eigenen Ansichten gesucht und gefunden hatte, und eben darum hatte auch die katholische Kirche von jeher das eigene Lesen der Bibel eher

Rationalistische Bibelerklärung.

637 zu hindern als zu fördern gesucht. Der Rationalismus hatte also in der That einen bedeutenden Vortheil erlangt, als es ihm gelungen war, den Kampf gegen die Orthodorie auf den biblischen Grund und Boden zu spielen, und der Sieg war beinahe so gut, wie errungen, als ihm der an sich vollkommen richtige und unverdächtige Grundsay zugegeben war, daß die Bibelerklärung eine grammatisch - historische sein müsse. Allerdings veranlaßte diese Interpretationsweise eine Menge höchst schäßenswerther Untersuchungen auf dem Gebiet der ganzen Alterthumswissenschaft und insbesondere über den biblischen Sprachgebrauch aber was fand man nicht am Ende Alles in der heiligen Schrift local und temporell!" Wenn Jesus der Sohn Gottes" hieß, so beruhte das auf einer nationellen und temporellen Messiasvorstellung; wenn die Apostel von seinem „Versöhnungstode" sprachen, so bezog sich das auf die damalige Opfertheorie; „Hölle und Teufel" waren locale und temporelle Vorstellungen, und selbst das ,,Himmelreich" mußte erst von allerlei nationellen Irrthümern der Juden gesäubert werden, ehe es für aufgeklärte Gottesverehrer brauchbar war.

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Vergebens riefen die Anhänger der kirchlichen Orthodorie, als fie eine solche Sprache hörten, die Staatsgewalt auf, der bedrohten Kirche zu Hülfe zu kommen. Was zu Dresden der Minister von Burgsdorf, und zu Berlin der Minister von Wöllner zur Aufrechthaltung der Kirchenlehre thaten, veranlaßte nur ein lautes Geschrei über Intoleranz, Gewissenszwang und Unterdrückung der Denkfreiheit." Auf den theologischen Kathedern wurde, nach wie vor, ausführlich dargethan, daß die Lehre von der Trinität und von der Gottheit Christi zwar in den symbolischen Büchern und den alten Compendien einer verschollenen Dogmatik, aber nicht in der Bibel stehe. Die Stelle 1. Joh. 5, 7. sei, wie bereits Griesbach (1775 in der Schlußabhandlung zum 2. Theile seines Neuen Testaments) gründlich erwiesen habe, unecht, und 1 Tim. 3, 16. sei nicht dε05, sondern ös zu lesen, indem nur durch ein unglückseliges Pünktlein das ursprüngliche O2 die Gestalt von OE (Abbreviatur von Oeos) erhalten habe. Streiche man demnach dort den unechten Vers und hier das fatale Pünktlein, so seien die beiden anstößigen Lehren beseitigt, und die Rechte der gesunden Vernunft gerettet.

In den Schriften der damaligen Zeit herrschte ein durch keine Rücksicht gemilderter Ton. War in den Wolfenbüttler Fragmenten (1778) Jesus als ein herrschsüchtiger Idiot und Empörer dargestellt worden, so erschien er in K. Fr. Bahrdt's Briefen an Wahrheit forschende Leser (1784-1793) als ein Tausendkünstler, der durch allerlei Arcana und unterstüßt von einer geheimen Ordensgesellschaft, Kunstvorstellungen aus dem Gebiet der natürlichen Magie gab, und der unermüdliche Paalzow quälte sich (von 1785-1800) mit Beweisen ab, daß die Geschichte des Christenthums nur eine Geschichte des menschlichen Aberglaubens und der ,,religiösen Grausamkeiten" sei. Auf den Kanzeln wurde von der Kirchen- und Bibellehre entweder ganz geschwiegen, oder mit vieler Würde darauf hingewiesen, daß Jesus sich häufig zu der beschränkten Faffungskraft seiner Zeitgenossen

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Nationalistische Predigtweise.

habe herablaffen müssen, daß er und die Apostel, wenn sie jezt lebten, ganz anders sprechen würden, und daß es den Geist und das Wesen des Christenthums verkennen heiße, wenn man bei dem todten Buchstaben der Bibel stehen bleiben wolle; meistentheils war es jedoch ein trocknes und ermüdendes Moralisiren, womit die zur Predigt bestimmte Stunde ausgefüllt wurde.

Nun wußten zwar Kanzelredner, wie A. F. W. Sack (ft. 1786), Cramer (ft. 1788), Zollikofer (ft. 1788), Jerusalem (st. 1789), Abr. Teller (ft. 1804), Spalding (ft. 1804) u. A. auch der= gleichen rein moralische Betrachtungen sehr fruchtbar und erbaulich zu machen, und es ist nicht in Abrede zu stellen, daß sie einerseits durch den hohen sittlichen Ernst, mit dem sie auf die Pflichten des Christen hinwiesen, und durch die Kunst, individualisirend auf die verschiedenen Lebensverhältnisse näher einzugehen, auf ihre Zuhörer sehr wohlthätig wirkten, und eine fittlich kräftige, religiöse Gesinnung beförderten, während sie andererseits durch die geistvolle Behandlung des Stoffes und durch die geschmackvolle Sorgfalt im Ausdruck Muster wurden, die noch jest Nachahmung verdienen.

Aber nicht Alle hatten so viel Geist, um jedesmal einen neuen interessanten Gegenstand aus dem Gebiet der Moral herauszufinden, und stellten daher, um sich nicht immer zu wiederholen, zur Erbauung ihrer Zuhörer, astronomische, physikalische, medicinische, botanische oder zoologische Betrachtungen an. Die Landpastoren dagegen machten, um auch einmal aus dem ewigen Moralisiren und dem Eifern gegen den ,,Aberglauben" herauszukommen, die Viehzucht sammt der Stallfütterung, die Baum- und Bienenzucht, den Acker- und den Gartenbau zum Gegenstande ihrer „frommen Betrachtung." Ohnedies war man, seitdem Basedow, Salzmann und Campe mit unermüdlichem Eifer an einer gänzlichen Reform des Unterrichts- und Erziehungswesens gearbeitet und unaufhörlich darauf gedrungen hatten, daß man bei allem Unterricht vornehmlich auf praktische Nüglichkeit und Brauchbarkeit zu sehen habe, für das „praktisch Nügliche“ leidenschaftlich eingenommen. Man hatte den wichtigen Saß,,daß der Erfinder des Spinnrades größere Bewunderung verdiene, als der Dichter des Jlias," verstehen gelernt, und wenn ein Prediger am ersten Weihnachtsfeiertage an den Hirten, die des Nachts ihre Heerden auf dem Felde hüteten, hauptsächlich die Abhärtung pries, und in der Nuzanwendung die Zuhörer insbesondere vor dem „Gebrauch der Pelzmüßen" bei ihren Kindern warnte, so hatte er nach dem Urtheil der „Vernünftigeren“ etwas Dankenswertheres gethan, als wenn er über die Sendung Jesu Christi zum Heil der Sünder gepredigt hätte.

Zwar gab es immer noch Solche, welche die Vortheile der immer weiter sich verbreitenden Volksaufklärung nicht einsehen wollten, bei der Kirchenlehre blieben, und die Spottreden über die Postillen, Erbauungsbücher und Lieder aus den Zeiten der alten Orthodoxie mit Verdruß und Seufzen hörten indeß, das waren Finsterlinge, die mit dem Geiste der Zeit nicht fortschreiten, und lieber Sclaven ihrer verjährten Vorurtheile bleiben, als frei werden, und die Rechte der Vernunft anerkennen wollten.

Einfluß der Kantischen Philosophie.

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Bei all' dem verworrenen Hin- und Herstreiten über diese Rechte und über die einzelnen Dogmen, ob, warum und inwiefern sie der Vernunft widersprächen, war es aber bisher noch keinem jener lauten Eiferer eingefallen, die Grenzen dieser als „höchste Autorität“ aufgestellten Richterin genauer zu bestimmen; man dachte sich unter ihr nur ungefähr eben das, was im gemeinen Leben der gesunde Menschenverstand" hieß.

Inzwischen hatte nun Kant, nachdem er zuvörderft den Unterschied zwischen Verstand, Urtheilskraft und Vernunft festgestellt, und die theoretische Vernunft von der praktischen gesondert hatte, in seiner ,,Kritik der reinen Vernunft" (1781) angegeben, wieviel diese reine Vernunft von den übersinnlichen Dingen wissen könne. Das aber war wenig genug nämlich gar nichts; und die Rationalisten, die jenes Buch, das überhaupt erst später Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit wurde, anfangs ganz unbeachtet gelassen hatten, sahen, als fie dasselbe gelesen, und wieder gelesen hatten, einander mit unbeschreiblicher Verwunderung an. Der in stiller Zurückgezogenheit lebende und docirende Professor hatte mit höchst abstracter Unbefangenheit ihnen ihre schönsten Beweise für das Dasein Gottes und für die Unsterblichkeit aus den Compendien ausgestrichen, und dargethan, daß die theoretische Vernunft dergleichen Dinge nicht beweisen könne, sondern die praktische Vernunft sie ohne Beweis als wahr annehmen (postuliren) müsse.

Wie bereitwillig sich aber auch in Kant's System die praktische Vernunft zu dem Glauben an das Dasein Gottes und an die Unsterblichkeit zeigte, und wie entschieden sie in ihrem „kategorischen Imperativ" die Freiheit des menschlichen Willens und die Nothwendigkeit der Tugend aussprach, so karg war sie doch mit ihren Zugeständnissen in Betreff der Christologie. Ein Ideal der Menschheit oder des vernünftigen Weltwesens in seiner ganzen sittlichen Vollkommenheit wollte sie sich gern denken; sie gab auch wohl zu, daß dasselbe, insofern der Mensch die Idee einer solchen moralischen Vollkommenheit nicht durch sich selbst produciren kann, sondern von Gott empfangen haben muß, figürlicher Weise,,Sohn Gottes" genannt, und unter der Gestalt eines, mit den größten Hindernissen ringenden und bis zum schmählichsten Tode dem kategorischen Imperativ gehorsamen Menschen gedacht werden könne aber ob ein solches Ideal jemals in der äußeren Sinnenwelt eristirt habe, oder nicht, das ließ sie dahingestellt; in keinem Falle wollte sie dem Glauben an den historischen Christus einen besonderen Werth beigelegt wissen, indem sie das in unserer Vernunft liegende Urbild für vollkommen hinreichend hielt, um den Menschen zu dem Streben nach dieser sittlichen Vollkommenheit zu begeistern, und in diesem Streben ihm die Hoffnung einer ewigen Glückseligkeit zuzusichern.

Dies war es ungefähr, was die praktische Vernunft in Kant's ,,Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" (1793) befannte, und man sieht, es war wenig genug. Als Philosoph jedoch hatte Kant natürlich keine Rede darüber zu stehen, wie die Resultate seiner philosophischen Forschung mit dem Bibelglauben zu vereinigen

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