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lich gemeint sein konnte, wollen wir hier um so weniger untersuchen, als ein sicheres Ergebniss nicht zu erlangen wäre. Dieses Land nun nannte Cassiodorus *) Scandinavia, weil ihm nach seinen geographischen Kenntnissen ein anderes nicht denkbar schien. In den Liedern aber war jenes Land der ersten Heimath die Wiege des menschlichen Geschlechts, aus dem alle Völker herkommen, genannt worden in Ausdrücken, welche Cassiodor officina gentium und vagina nationum übersetzt hatte, und so wurden nun diese Ausdrücke auf Skandinavien angewandt, also auf ein Land, auf welches sie am wenigsten passten. Und diess führt uns zu dem Beweis der vollkommenen Unmöglichkeit einer Einwanderung der Deutschen aus dem Norden. Es müssten sich aus Skandinavien in kurzer Zeit solche massenhafte Auswanderungen nach Deutschland ergossen haben, dass plötzlich ganz Deutschland eine völlig neue und sehr zahlreiche Bevölkerung erhalten hätte. Diess ist aus doppeltem Grunde unmöglich. Erstens nämlich müsste eine so grosse Bewegung innerhalb der historischen Zeit eine gewaltsame Erschütterung aller europäischen Völker zur Folge gehabt, und bei römischen und griechischen Schriftstellern eine gleichzeitige Erzählung gefunden haben. Aber ausser dem kimbrischen Zug, der doch nirgends von einem Stoss nachdringender nördlicher Völker, sondern überall von einem Naturereigniss, einer Ueberschwemmung, hergeleitet wird, kommt im ersten und zweiten Jahrhundert vor Chr. nichts vor, was auf eine erzwungene Bewegung grosser Völkermassen schliessen liesse. Eine solche Einwanderung der ganzen deutschen Bevölkerung innerhalb eines oder zweier Jahrhunderte müsste in ihren Folgen noch viel bemerklicher gewesen sein, als einige Jahrhunderte später die Völkerwanderung. Aber mit Ausnahme jenes kimbrischen Zuges bleiben in dieser Zeit alle Völker ruhig in ihren Wohnplätzen sitzen; darum ist die Annahme, dass die Germanen aus Skandinavien eingewandert

Schon in einer der dem Prosper zugeschriebenen Chroniken ist Scandia genannt als Heimath der Langobarden. Auch die Burgunder sollen nach einer wie es scheint sehr alten vita Sigismundi aus einer Insel Scandania gekommen sein, und desswegen Scandinii geheissen haben.

seien, unmöglich. Sie ist zweitens unmöglich, weil sie nöthigt, in so früher Zeit eine ungemein zahlreiche Bevölkerung Skandinaviens anzunehmen. Skandinavien kann seiner geographischen Lage und Beschaffenheit nach nie zu den bevölkertsten Ländern gehören; es ist jetzt noch sehr schwach bevölkert, und konnte in der Zeit, von der hier die Rede ist, höchstens eine äusserst geringe Zahl von Einwohnern haben. Denn damals waren noch die allein bewohnbaren Ebenen und Thäler von den Urwäldern bedeckt, die erst im Mittelalter allmählich gelichtet wurden. Auf den Bergen konnten nomadische Lappländer mit ihren Rennthieren umherstreifen, an den Küsten konnten sich Jäger, Fischer, Seeräuber aufhalten; aber eine dichte, ackerbauende, Städte und Dörfer bewohnende Bevölkerung von vielen und verschiedenen Nationen, wie Jornandes sagt, multae et diversae nationes, turba diversarum gentium, ist in der Zeit vor Christus in Skandinavien durchaus undenkbar. Und wollte man auch die Möglichkeit einer frühern dichten Bevölkerung Skandinaviens zugeben, so müsste doch der ganze Boden Schwedens und Norwegens überall die Spuren derselben tragen. Eine so dichte Bevölkerung, als vorausgesetzt werden müsste, wäre nicht ohne Ackerbau möglich gewesen, und ein ackerbauendes Volk verschwindet nicht, ohne sein Dasein bemerklich gemacht zu haben. Nirgends aber in ganz Skandinavien finden sich Spuren einer frühern Bodencultur, nirgends Reste älterer menschlicher Wohnungen, nirgends die Gebeine und Grabdenkmähler der Bewohner selbst. Es muss also die Annahme, dass die Germanen aus Skandinavien eingewandert seien, entschieden verworfen werden.

Es bleibt also dabei: der Boden Mitteleuropas ist einerseits von den Kelten, andererseits von den Slaven und Thrakern eingenommen, und zwischen diesen sich berührenden Völkern ist kein Raum für eine besondere germanische Nation, die auch nicht von Norden her sich eingedrängt haben kann. Da nun aber doch germanische Völker vorhanden sind, so bleibt nichts anderes übrig, als dass sie einem jener drei Völker angehören, und also entweder Slaven oder Thraker oder Kelten sind. Slaven nun sind sie gewiss nicht; und auch zu den frühern Skythen dürfen sie nicht gerechnet

werden, obgleich allerdings häufig besonders von spätern griechischen Schriftstellern deutsche Völker unter dem Namen der Skythen befasst worden sind.

Darüber ist es nicht nöthig umständlich zu sprechen. Dagegen muss allerdings genauer untersucht werden, ob nicht die Germanen vielleicht in dem grossen thrakischen Volksstamm verborgen waren. Es muss diess um so mehr geschehen, als eine so höchst gewichtige Stimme, wie die Jacob Grimms, mit unverkennbarer Vorliebe den Gedanken ausgesprochen hat, dass die Gothen, also entschieden Germanen, kein anderes Volk seien als die Geten, welche ebenso entschieden Thraker sind. Finden wir ein deutsches Volk unter den thrakischen Stämmen wieder, so müssen auch alle andern deutschen Völker thrakisch sein, und das Räthsel der Herkunft der Germanen wäre dann gelöst: sie sind ein Zweig des thrakischen Stammes. Aber eben weil diess die nothwendige Folge von Grimms Gleichstellung der Geten und Gothen wäre, ist diese Gleichstellung unmöglich; denn dass die Germanen nicht ein Zweig des thrakischen Volksstammes, sondern eine von diesem verschiedene selbständige Nation sind, kann doch ernstlich nicht bestritten werden. Thrakische Völker blühten noch lange, als schon die Germanen längst bekannt waren, und alle Geographen und Historiker scheiden sie von einander. Die thrakische Sprache war entschieden eine andere als die der Germanen, die erhaltenen Wörter findet man gesammelt in Paul Boettichers Arica (Halle 1851). Hiemit ist Grimms Hypothese bereits hinlänglich widerlegt; er wagt selbst nicht so weit zu gehen, die Deutschen den Thrakern beizuzählen, wie er doch müsste. Es ist aber doch nicht gerathen, die Gründe, die ein Mann wie Grimm für seine Ansicht beizubringen weiss, unerwogen zu lassen, wenn schon man zum Voraus von der Unhaltbarkeit dieser Ansicht überzeugt ist. In der That sind alle diese Gründe sehr schwach; und dass Grimm selbst sich von ihnen nicht befriedigt fühlte, zeigt die Art, wie er immer wieder auf seine Behauptung zurückkommt und sich selbst durch Herbeiziehung neuer Argumente oder Wiederholung der alten oder durch Betheurungen in seiner Meinung zu bestärken

sucht. *) Die Beweise sind aber folgende. 1) Die Identität der Namen Getae und Gothi; allein die Lautverschiebung verlangt, dass der alte Name Geta auf gothischer Stufe nicht mit G, sondern mit K beginne; wären die Gothen wirklich die Geten, so müssten sie sich abgesehen vom Vocal Kuthans genannt haben. Der Einwand ist allerdings nicht zwingend; denn für Namen, besonders einheimische, die uns durch die Römer erhalten sind, gelten nicht die gleichen Gesetze der Lautverschiebung, wie für die urverwandten Wörter. Aber die Aehnlichkeit oder Gleichheit des Namens beweist noch nicht die Gleichheit des Volks. 2) Jornandes und viele andere Schriftsteller nennen wirklich die Gothen Geten. Diess ist richtig, aber durchaus nicht beweisend; es geschieht diess theils aus Unwissenheit, theils aus gelehrter Affectation; so sagen die Spätern ПTaioves für Пarvónio, Dacia für Dania, Albani für Alemanni, um keine Wörter, sogar in den Namen, zu gebrauchen, die nicht bei Classikern vorkommen. 3) Grosses Gewicht legt Grimm auf Plinius 4, 11: Moesi, Getae, Aorsi, Gaudae, Clariaeque; so wie hier Getae und Gaudae beisammen stehen, so später in Skandinavien Gotland und Gautland; wie ferner im griechischen Lustspiel Téras und Aάos die gewöhnlichen Sklavennamen sind, so treffen sich später altnordisch beisammen Gautar und Danir, ags. Geatas und Dene. Wenn die gleichen Namen in gleicher Verbindung vorkommen, so könne diess nicht zufällig sein, sondern es müssten wirklich die gleichen Völker gemeint sein. Richtig; aber die erste dieser Verbindungen beruht nur auf der einzigen Stelle des Plinius, wo die Namen nicht einmal nebeneinander stehen, die zweite Verbindung ist gar nicht vorhanden, da Dani doch nicht Daci sind; unglaublich ist es, dass Grimm wirklich behauptet, die Dänen seien die Daci der Alten; Beweis für diese höchst überraschende Behauptung wird kein andrer gegeben, als dass ja aus Daci wohl Dacini, und daraus Dacni, Dani hätte entstehen können. 4) Die historische Betrachtung soll auf Identität der Geten und Gothen führen; gerade an der Stelle, wo die Geten

*) Ausführlicher ist die Unhaltbarkeit von Grimms Hypothese dargethan von Sybel in Schmidts Zeitschrift für Geschichte IV.

unter Trajan ihren völligen Untergang erleiden, erscheinen kurze Zeit hernach die Gothen; es sei also die Vertilgung keine völlige gewesen, und bald nachher, als das Volk sich wieder etwas erholt habe, erscheine es wieder, und führe seinen alten Namen Getae, nur etwas getrübt Guthae. Allein erstens sind es nicht die Getae, welche von Trajan ausgerottet wurden, sondern die Daci; die Getae haben schon unter August aufgehört als Nation zu existiren; zweitens erscheinen zwar allerdings die Gothen im Laufe des 2. Jahrhunderts an der Donau im ehemaligen Dacia; aber wir wissen, dass sie erst im 2. Jahrhundert dahin kamen und früher im Nordosten Deutschlands *) wohnten, während die Geten schon im 6. Jahrhundert v. Chr. zwischen dem Haemus und Ister gefunden werden. Die historische Betrachtung lehrt also, dass die Geten und Gothen unmöglich dasselbe Volk sein können. 5) Die Sprache, sagt Grimm S. 806, würde einen aufwiegenden Grund in die Schale legen, aber er muss leider hinzufügen, wenn uns getische Denkmäler überliefert wären. Was wir besitzen von getischen und dakischen Wörtern, reicht offenbar nicht aus; es sind Eigennamen, von denen kein einziger ungezwungen als deutscher erkennbar ist; es sind ferner einige Pflanzennamen, welche ein Arzt aus dem ersten Jahrhundert, Dioscorides, gesammelt hat. Das Wichtigste darunter ist κρουστάνη, χελιδονιόν; diese Pflanze heisst lit thauisch Kregzdyne, und Kregzde heisst Schwalbe; diess ist allerdings ein sehr erheblicher Gewinn, der aber im mindesten nicht für den Satz, dass die Geten Gothen seien, beweisend ist, sondern ihm eher widerstrebt. Denn die litthauische Sprache ist doch entschieden eine andere als die gothische. 6) Endlich wird in Beziehung auf die Lebensweise hervorgehoben die Stelle des Horat. III, 24, 11:

*) Hier folge ich der allgemeinen Ansicht. Vielleicht aber ergiebt sich, dass jene Guttones des Pytheas an der Ostsee nicht die Gothen waren, und dass allerdings die Gothen schon viel früher unter anderm Namen am schwarzen Meere sassen. Darf man des Lydus Nachricht von einer Inschrift des Pompejus, der bei Byzanz Gothen besiegte, ganz unbeachtet lassen? Diess muss an andrer Stelle erörtert werden; aber selbst wenn sich finden sollte, dass allerdings diese Gothen zuweilen Geten genannt wurden, so bleiben doch die Gothen und die Geten zwei verschiedene Völker.

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