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Es bedarf gewissermassen der Entschuldigung, wenn man sich anschickt, die überreiche Kantlitteratur um einen neuen Beitrag zu vermehren. Welchen neuen Gesichtspunkt kann man noch geltend machen?

Das Gebiet der Kant'schen Ethik hat sich Verfasser zum Thema genommen; eine Fülle von Arbeiten liegt hier vor, die merkwürdiger Weise zu sehr abweichenden Resultaten über die Kant'sche Ethik kommen. Ihre Hauptbedeutung hat man bald in diesem, bald in jenem Punkte erblickt. Wie ist es möglich, dass hier keine Übereinstimmung herrscht? Paulsen hat z. B. Kt.'s Verdienst in seiner Ethik allein in folgenden zwei Sätzen ausgesprochen. 1. Der Wert eines Menschen besteht nur im guten Willen und 2. Es giebt keine Tugend durch Zwang). Ferner hat der Kant'sche freie Wille eine grosse Zahl Verehrer gefunden. Schopenhauer war hier der erste, welcher Kt. als Entdecker des menschlichen Urkernes pries, der im Willen bestehen soll. Deussen?) nennt als den wichtigsten Gedanken der Kant`schen Ethik die Selbstverleugnung, wobei er bedauert, dass Kt. diese asketische Tendenz nicht scharf genug ausgeprägt habe. Man ist so zu den abweichendsten Resultaten gekommen, die zu einer näheren Untersuchung auffordern. Zu Kt. selbst gilt es zunächst zurückzukehren und das Verständnis seiner Ethik aus dem Zusammenhange seines ganzen Systems zu gewinnen. Kt. ist in erster Linie Erkenntnistheoretiker, und seine fundamentalste

1) Was uns Kt. sein kann? von Fr. Paulsen.
Der katege Imperativ von P. Deussen.

Bedeutung besteht in seiner Aufstellung des reinen Bewusstseins".

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,,Zeigte sich die Unzulänglichkeit der Kartesischen Fundamentierung darin, dass als das erste in seinem Begriffe klare und unbezweifelbare Sein das konkrete Bewusstsein mit seinem empirischen Inhalte gesetzt wurde, so war es Kt.'s epochemachende That an dessen Stelle „das Bewusstsein überhaupt“ oder das reine Bewusstsein" also in Abstraktion von dem empirischen Inhalte (die synthetische Einheit der Apperception) zu setzen1)“. Dass Kt. auf diesen neu entdeckten Eckstein jeglichen philosophischen Denkens nun auch seine Moralphilosophie gegründet habe, ergiebt die Untersuchung, dass unter Kt.'s Vernunft nur das „Bewusstsein überhaupt" verstanden werden kann. Hierin ist Kt.'s Bedeutung für die Ethik in erster Linie zu sehen; das Sittliche bekommt seine objektive Giltigkeit und wird begründet durch das „Bewusstsein überhaupt". Das Sinnliche erklärt nun Kt. als das Subjektive, das, was sich auf die Individualität des Einzelbewusstseins gründet. Hierin bestehen Kt.'s neue Entdeckungen für die Ethik. Ist Kt. auch bis zur letzten Konsequenz seiner grundlegenden Gedanken nicht durchgedrungen, so gilt es doch zunächst die Bedeutung dieser anzuerkennen.

Dass die Kant'sche Ethik so oft in ihrer Hauptbedeutung nicht verstanden ist, liegt wohl darin, dass sie nicht immer im Rahmen des ganzen Systems beurteilt wurde; denn daher allein lassen sich die vielen abweichenden Urteile erklären. Ist die Kant'sche Ethik nun oft in ihrer Bedeutung nicht verstanden worden, so ist sie auch häufig, vielleicht gerade deshalb, gar zu zu sehr herabgewürdigt worden. Man hat sie schliesslich so gut wie in die Ecke gestellt und nur wenige Gedanken aus ihr als brauchbar erklärt.

Wenn man der Kant'schen Ethik den Vorwurf machen will, dass sie Spuren der Senilität zeige, so kann dies nur mit Recht von der Metaphysik der Sitten behauptet werden.

1) Das metaphysische Motiv u. d. Gesch. d. Ph. im Umrisse von Schuppe. S. 25.

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Seine Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" und seine Kritik der praktischen Vernunft" verdient dieses Urteil keineswegs. Man meint, Kt. hätte durch seine Kr. d. pr. V. im Alter doch Frieden schliessen wollen und sei wieder zurückgegangen, indem er die Möglichkeit des Erkennens des Übersinnlichen, die er in der Kritik der reinen Vernunft verwarf, hier durch eine Hinterthür wieder aufnahm. Es sind dies reine Missverstände und bedürfen garnicht der Widerlegung.

Aber doch ist dadurch von mancher Seite her gegen Kt.'s Ethik ein unberechtigtes Vorurteil entstanden, das schwindet, wenn man mit Kt.'s Gedanken Ernst macht.

Ein weiterer Vorwurf, dass Kt.'s sittlicher Purismus oder sein Bestreben, alle sinnlichen Triebfedern von den Beweggründen des Handelns auszusondern, in Rigorismus übergeht oder in die finstere Ansicht, dass die Pflicht immer nur mit Widerstreben gethan werde, hat nur eine gewisse Berechtigung. Meisthin machen sich nur die hier über Kt. lustig, die sich freuen, dem grossen Philosophen auch etwas am Zeuge flicken zu können. Ist zuzugeben, das Kt. im Alter diesen Rigorismus mehr an den Tag legte, so gilt es doch zu bedenken, was Kt. zu dieser Ansicht d. i. der Ausschluss des Gefühls und des materialen Bestimmungsgrund es gebracht hat und worin ihre Bedeutung liegt. Es wird sich dann herausstellen, dass Kt. hierdurch für die Ethik ein wichtiges Resultat gewonnen hat, wenn auch dadurch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Dann ist aber auch, wie die folgende Untersuchung zeigen wird, in diesem seinen formalen Prinzipe nicht der wichtigste Gedanke seiner Ethik enthalten, sondern liegt, wie auch oben gesagt wurde, darin, dass durch die praktische Gattungsvernunft des Menschen der Ethik ein fester Grund gesichert wird. Mit diesem Vorwurfe kann also die ganze Kant sche Ethik nicht abgethan sein.

Duch Missverständnisse und manche Vorurteile ist so die. Kant'sche Ethik mehr und mehr in den Hintergrund getreten. Verf. hat es sich zur Aufgabe gestellt, der Kant schen Ethik ihren gebührenden Platz zu sichern, indem eben ihre Bedeutung nachgewiesen wird. Diese ergiebt sich aus dem

Rahmen des ganzen Kant'schen Systems. Ist so der richtige Gesichtspunkt zur Beurteilung gefunden, so kann diese auch nicht mehr eine schwankende sein, wie bisher.

Wir sagten schon oben, dass Kt. zur letzten Konsequenz seiner grundlegenden Gedanken nicht durchgedrungen ist. Es ist jetzt aber in einem neuen Systeme der Ethik ein Resultat gewonnen, das diese letzten Konsequenzen gezogen und so das ethische Problem zur Lösung gebracht hat. Es ist dies das in Schuppes Grundzügen der Ethik und Rechtsphilosophie entwickelte System der Ethik. Hier sind Kt.'s Grundgedanken aufgenommen, und die fruchtbaren Keime seiner Ethik zur Entwicklung gebracht worden. Verf. sieht hier die Bedeutung dieser Arbeit in der Wiederaufnahme der Kant'schen epochemachenden Grundgedanken. War Kt. nicht zur letzten Konsequenz durchgedrungen, so wird diese hier gezogen, und die Unklarheit, die über Kt.'s Lösung noch schwebt, gelüftet. Wo Kt. uns im Stiche lässt, setzt Schuppes Ethik ein. Wir finden hier Kt.'s Grundgedanken geläutert und geklärt wieder.

Es ist merkwürdig, dass Kt.'s wichtige Gedanken fast 100 Jahre unberücksichtigt blieben und nicht verstanden wurden und jetzt erst zum Abschlusse gebracht sind. Im Jahre 1788 gab Kt. seine Kr. d. pr. V. heraus, und im Jahre 1881 erschienen die Grundzüge der Ethik und Rechtsphilosophie von Schuppe. Es ist selbstverständlich, dass das von Schuppe gewonnene Resultat hier nicht unberücksichtigt bleiben kann, denn dieses giebt uns geklärt das, was Kt. uns oft nur in weiten Umrissen andeuten konnte. Wir haben so an der Schuppe'schen Ethik, die auf Kt.'s Ethik sich aufbaut und über sie hinausführt, einen Massstab zur Beurteilung der Kant'schen. Da so mit den Resultaten des Schuppe'schen Ethik gerechnet werden muss, könnte die hier vorliegende Untersuchung vielleicht betitelt werden: „Kant's Ethik behauptet von Schuppe's Ethik". Insofern das Resultat der Schuppe'schen Ethik hier verwertet ist, hat dies seine Berechtigung. Da jener Titel aber mehr sagt als Verf. im Sinne hat, diese Arbeit selbst auch nicht ganz diesen Charakter trägt, ist an der jetzigen Bezeichnung festgehalten worden, wobei es dem Verf. bei den Ausführungen nicht auf

eine specielle Darlegung aller einzelnen Teile der Kant schen Ethik, sondern auf die Beurteilung der Grundgedanken ankam.

Die Citate „der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ u. der Metaphysik der Sitten" beziehen sich auf die Paginierung der J. H. von Kirchmann'schen Ausgabe, Berlin 1870, die der übrigen genannten Schriften Kt.'s auf die Pag. der Reclam schen Ausgabe, herausgegeben von Karl Kehrbach.

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