Vorrede. Bei der Ausarbeitung dieses Werkes habe ich mir das Ziel gesetzt, ein, soweit die Beschaffenheit der Quellen und mein Vermögen zureicht, zusammenhängendes und wahres, durch innere Klarheit und Übersichtlichkeit den Gedanken befriedigendes Bild des römischen Staates, wie sein Wesen sich geschichtlich in bestimmten Formen und öffentlichen Einrichtungen entfaltete, in einer Gestalt und einer Vollständigkeit zu geben, die sowohl dem, mit dem Studium der römischen Litteratur beschäftigten Philologen genügen könnten, als dem Historiker und dem wissenschaftlich gebildeten Manne, der mit ernsthaftem Interesse das grofse Phänomen betrachtet, welches jener Staat in der Entwickelung des menschlichen Geschlechtes und der bürgerlichen Einrichtungen darbietet. Wesentlich umfafst die Darstellung das republikanische Rom und das monarchische in der Zeit, in welcher es mit einem überwiegend antiken Gepräge hervortritt und in welcher die äufseren Formen der Verfassung und Verwaltung von einer nicht allzu eingeschrumpften und zersplitterten, in den Überlieferungen und Vorstellungen der Vorzeit fufsenden Litteratur begleitet werden und sich in ihr abspiegeln; diesem Haupttheile schliefst sich aber in kurzen Zügen ein Umrifs der Einrichtungen derjenigen Zeit an, in welcher eine von den antiken Voraussetzungen sich immer mehr entfernende und ganz neue Elemente aufnehmende Gestalt des Staates theils sich vorbereitete, theils von Diocletian und Constantin an, in dem christlichen, aber sogleich sein despotisches Wesen ohne Hehl zeigenden, Kaiser thum fertig dasteht. Auch im Haupttheile ist Vieles, was als Unwesentliches weder das Verständnis der Institute noch die Erklärung der Schriftsteller bedingendes Detail erscheint, mit einer für die Übersichtlichkeit und die Ersparung des Raumes gleich gebotenen Kürze behandelt, gewöhnlich mit ausdrücklicher Andeutung der Abkürzung. Die Schilderung des römischen Staates, die hier gegeben wird, ist nicht aus einem vor gewissen Jahren gefassten Plane, ein solches Werk zu schreiben, hervorgegangen, sondern aus dem Bedürfnisse, das sich während einer mehr als fünfzigjährigen Beschäftigung mit der römischen Litteratur ununterbrochen geltend machte, mir und meinen Zuhörern Klarheit über das Leben und die Verhältnisse zu verschaffen, welche jene Litteratur im Ganzen und Einzelnen zur Voraussetzung hatte und abprägte, einem Bedürfnisse, das still und langsam unter steter Vergleichung des nach und nach sich gestaltenden Bildes mit den Quellen, aus denen es hervorging, Befriedigung suchte und fand. Meine ersten Studien fielen in die Jahre, wo Niebuhr den Glauben an den überlieferten Bericht über die älteste und ältere römische Geschichte und die früheren Einrichtungen des römischen Staates aufs stärkste erschüttert und die vielerlei Schwächen, Lücken und Unübereinstimmungen dieser Ueberlieferung aufgedeckt hatte. Ich suchte sogleich einen festen Standpunkt zu gewinnen und zu behaupten, indem ich die Freiheit der Untersuchung festhielt, aber die Willkür in der Schätzung und Benutzung der Quellen und die Aufstellung loser, bisweilen abenteuerlicher Hypothesen verwarf, und deutete diesen Standpunkt schon in meiner Abhandlung über die staatsrechtliche Stellung der römischen Kolonien im Jahre 1832 bestimmt an. Diesen Standpunkt und die daraus hervorgehende Weise der Behandlung habe ich später, während die Erfahrung und Kenntnis sich mehrte, nicht aufgegeben; ich strebte Freiheit von Vorurtheilen mit Besonnenheit, Natürlichkeit und Einfachheit der Auffassung mit offenem Sinne für die besonderen Eigenthümlichkeiten des Alterthums zu verbinden; original wollte ich nur in dem vollständigen Aufgeben des be sonderen Originalitätsstrebens sein. Es kam mir bei der Betrachtung römischer Verhältnisse vor allem darauf an, dasjenige zu ergreifen, aufzuklären und zu verbinden, was sich in der historisch sicheren Zeit bestimmt und in deutlicher Gestalt zeigte und von da aus theils dem natürlichen Zusammenhange der ursprünglichen Voraussetzungen und der späteren Entwickelung folgend weiter in die dunklere Vorzeit zurückzugehen, theils vom gegebenen Hauptpunkte aus die Fragen über die speziellere Durchführung entweder zu beantworten oder wenigstens richtig und einfach zu stellen, überall den sich zeigenden Spuren nachgehend, aber da abbrechend, wo jeder sichere oder wahrscheinliche Anhalt sich verlor. Nach diesen Grundsätzen ist das gegenwärtige Werk ausgearbeitet. Überall habe ich es mir angelegen sein lassen, zuerst genau und klar anzugeben, was uns wirklich in den Quellen überliefert ist, wo die Zweifel oder die Nothwendigkeit ausfüllender Vermuthungen anfangen. Häufiger als es wohl zu geschehen pflegt, habe ich bestimmt ausgesprochen, bei welchen Fragen unser Wissen aufhört. Nicht selten giebt die anscheinend unzusammenhängende Überlieferung der Quellen durch sehr einfache Kombination und Ausfüllung ohne kühne und künstliche Hypothesen ein befriedigendes Resultat, wie es sich in der Entwickelung der Magistratur vom einfachen Konsulate an durch vorübergehende Versuche bis zu der im Jahre 366 v. Chr. eingetretenen Ordnung, oder in der Geschichte der Diktatur zeigt. Die Hauptquellen für die ältere Zeit sind mit steter Berücksichtigung ihres allgemeinen Charakters benutzt (der flüchtigen Oberflächlichkeit des Livius, wo von Instituten und Verfassungsordnungen die Rede ist, der von aller persönlichen Erfahrung in römischen Dingen entblöfsten, selbstgefälligen, rhetorischen Ausmalung und den hohlen Schematismen des Dionysius), die abseits gelegenen Spuren nicht vernachlässigt, aber auch nicht unklare und verworrene Einfälle Späterer, wie des Laurentius Lydus, willkürlich hervorgehoben. Auch in der Kaiserzeit sind die Eigenthümlichkeiten der Schriftsteller in Auffassung und Darstellung, so wie die Besonderheit der juristischen Quellen nicht aufser Acht gelassen. Auf die einzelnen Quellenstellen ist die exegetische und kritische Sorgfalt verwendet worden, die nicht ganz selten vermifst wird, indem unrichtige und schiefe Auffassungen sich fortpflanzen oder Schlüsse aus verdorbenen Lesarten gezogen werden. *) Die Beweisstellen sind in denjenigen Abschnitten, die unter die Hauptaufgabe des Werkes fallen, genau angegeben, freilich mit Auslassung solcher, die hin und wieder sich hineinmischen, ohne etwas von der Sache zu enthalten (wie wenn über Sullas Bestattung auf dem Marsfelde der einen Stelle, wo das Marsfeld genannt wird, zwei andere hinzugefügt werden, wo nichts davon. steht). Bei den Inschriften habe ich, wo dasselbe in mehreren ohne Hinzufügung spezieller Daten sich wiederholt, gewöhnlich (jedoch meist im zweiten Bande) mich mit einer Hinweisung auf das Register von Henzen (bisweilen von Wilmanns) begnügt; überhaupt habe ich alles weggelassen, was nur zum Prunk der Gelehrsamkeit gehört. In den Nebenpartien, welche die Übersicht über die spätere Kaiserzeit enthalten, habe ich nur einzelne sehr prägnante und charakteristische Citate gegeben. Die neuere philologische Litteratur anzugeben, habe ich nach reifer Überlegung ganz 'unterlassen. Eine solche Angabe, die anderswo, besonders bei Marquardt, in hinlänglicher Fülle gefunden werden kann, würde nicht blofs einen grofsen Raum in Anspruch genom *) Ein höchst merkwürdiges Beispiel falscher Erklärung ist S. 87 an einer von aller Welt gelesenen Stelle des Livius (II, 18) nachgewiesen; es hätte noch hinzugefügt werden können, dafs selbst die nachfolgenden Worte, die das Mifsverständnis hervorgebracht haben (Eo magis adducor etc.), aufs deutlichste die richtige Erklärung zeigen. Wäre es vorher gesagt, dafs immer Konsulare gewählt wurden, würde Livius hier nicht eine Vermuthung, sondern eine Gewifsheit ausgesprochen haben; daraus aber, dafs die Konsulare wählten, schliefst er, dafs sie auch bei der ersten Wahl nicht leicht über ihre eigene Klasse hinausgegangen waren. Den quaestor aedilicius, worüber auch neuerdings Betrachtungen angestellt worden sind, hatte ich schon vor nicht ganz wenigen Jahren, dem klaren Sinne und der Fassung der ganzen Stelle folgend, aus Ciceros Rede in Pis. c. 36 entfernt. |