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bedenken, dafs sie den Demosthenes verpönten, dem Cicero wie einem Ideal nachstrebte : der ganze Streit Ciceros mit der Gegenpartei war, um es kurz zu sagen, ein Streit des Praktikers mit den Theoretikern; letztere setzten, wie er sagt (Brut. 283), dem Volk eine Kost vor, die es nur widerwillig hinunterwürgte, und die Folge war, dafs man, wenn sie redeten, sich langweilte und bald nach Haus ging (ib. 288): „ich dagegen, führt Cicero in einer langen Episode (183-200) aus, kümmere mich um das Urteil der docti und intellegentes nur, insoweit es die Stimme des Volks, dessen Kritik eine viel feinere ist, als man gemeinhin glaubt (de or. III 195 ff.), wiedergiebt, denn die existimatio bei diesem ist mir das Höchste." 1)

Ciceros.

Von grösserer Bedeutung als das Urteil dieser prinzipiellen Selbstkritik Gegner ist die Selbstkritik Ciceros im Brutus 301-328: ich verweile bei ihr etwas ausführlicher, weil ich glaube, auf sie gestützt einiges feststellen zu können, was zum Verständnis der Entwicklung der ciceronianischen Redekunst dient. In dieser Selbstkritik misst er sich, wie man weifs, an Hortensius, der damals seit vier Jahren tot war. Sie rivalisierten in den gröfsten Prozessen, bis ihm Cicero den Rang ablief. Hortensius hatte ein überaus leidenschaftliches Temperament (cf. auch Cic. div. in Caec. 46): entsprechend dieser Naturanlage schlofs er sich an die asianische Rhetorik an und zwar verband er die beiden Arten dieser Rhetorik mit einander: Pathos und Zierlichkeit; auch seine Stimme war wie die der Asianer canora, und er kleidete sich, wie einst die Sophisten, mit übertriebener Sorgfalt (Macrob. sat. III 13). Anfangs war sein Erfolg gewaltig, später nahm er ab, was Cicero daraus erklärt, dafs man sich von einem jungen Menschen jene Leidenschaftlichkeit und Geziertheit gefallen liefs, nicht mehr von einem Greise, bei dem man auctoritas zu sehen wünschte. Dieser Mann beherrschte schon die Gerichte, als der acht Jahre jüngere Cicero im J. 81 zum ersten Mal auftrat: er gedenkt daher in der damals gehaltenen Rede des gefeierten Mannes mit der gröfsten Hochachtung. Im folgenden Jahre hielt er die Rede, die ihn wegen seines persönlichen Mutes als Anwalt, wegen der kunstvollen Diktion als

1) Cf. auch sein Urteil über Calvus ep. ad fam. XV 21, 4 multae erant et reconditae litterae, vis non erat.

Cicero

gegen die

latini.

Redner berühmt gemacht hat. Diese beiden Reden umfassen die erste Periode seiner Beredsamkeit. Die zweite beginnt nach der griechischen Reise, die die Jahre 79-77 umfafste. Er selbst hat in der erwähnten Selbstkritik (313 ff.) diese beiden Perioden scharf von einander geschieden: nachdem er geschildert hat, wie er auf dieser Reise bei den berühmtesten asianischen Rednern in die Schule ging und sich dann nach Rhodos zu Molon begab, fährt er fort (314): is (Molo) dedit operam, ut nimis redundantis nos et superfluentis iuvenili quadam dicendi impunitate et licentia reprimeret et quasi extra ripas diffluentis coerceret. ita recepi me biennio post non modo exercitatior sed prope mutatus: nam et contentio nimia vocis resederat et quasi deferverat oratio. Als er 77 nach Rom zurückkehrte, gab es zwei Redner, die beiden bedeutendsten, die ihn zur Nachahmung hätten reizen können: C. Aurelius Cotta (geb. 124), der Typus des nüchternen verstandesmäfsigen Redners, und Hortensius; es konnte keine Frage sein, auf wen seine Wahl fallen mufste: dem Hortensius, den er schon vor der Reise bewundert hatte, fühlte er sich durch seine eigene Naturanlage wahlverwandt; auch sah er, dafs dieser gröfsere Erfolge aufzuweisen hatte; dazu kam die theoretische Überzeugung: acrem oratorem et incensum et agentem et canorum concursus hominum forique strepitus desiderat (1. c. 317). Dann schildert er, wie er bis 69, dem Konsulatsjahr des Hortensius, mit diesem zusammen um den Ruhm des gröfsten Redners gewetteifert, wie er dann infolge der Erschlaffung seines Rivalen bis zu seinem Konsulat das Forum allein beherrscht, wie sich dann Hortensius aufgerafft, aber nicht mehr solche Wirkung wie früher ausgeübt habe.

Wir können diesen Äufserungen Ciceros über sich selbst rhetores noch etwas hinzufügen. Im J. 55 schrieb er das Werk de oratore, welches wir, wie ich glaube, aufzufassen haben als eine auf grofser Grundlage aufgebaute Streitschrift gegen die latini rhetores, in deren Geschichte und Tendenzen wir erst durch Marx' oben (S. 175) genannte Ausführungen klare Einsicht bekommen haben. Die Gründe, die mich zu dieser Auffassung bestimmen, sind folgende. Erstens die Hauptperson des Gesprächs und die Zeit, in der es Cicero stattfinden läfst: der Träger des Ganzen ist L. Licinius Crassus, der als Censor im J. 92 das bekannte Edikt gegen jene Leute erlassen hatte: in das Jahr 91 verlegt

Cicero das Gespräch und läfst den Crassus selbst eingehend über jenes Edikt und die Gründe, die ihn dazu bewogen hatten, sprechen (III 93 f.). Zweitens die Zeit der Abfassung der Bücher de oratore. Im J. 56, also eín Jahr vorher, fand ein Prozess statt, in dem L. Plotius Gallus, das Haupt der lateinischen Rhetoren, für L. Sempronius Atratinus eine Rede gegen Ciceros Freund M. Caelius Rufus verfafst hatte, der sich seinerseits in seiner Verteidigungsrede durch einen Hieb auf Plotius rächte (Suet. de rhet. 2; Marx 1. c. 141). Drittens die ganze Tendenz der ciceronianischen Schrift. Die lateinischen Rhetoren verlangten vom Redner blofse Routine, die er sich, wie sie glaubten, erwerbe durch Beobachtung rein formaler Regeln; auf diesem Standpunkt steht der Verfasser der Schrift an Herennius: im Gegensatz dazu verlangt Crassus, d. h. Cicero, vom Redner eine universale wissenschaftliche Ausbildung (vor dem Spezialismus in der Wissenschaft wird III 132 ff. dringend gewarnt), in welcher jener Formalismus zwar nicht ganz überflüssig sei, aber doch nur den untersten Rang einnehme (I 137-147).1) Man lese nun folgende Stellen, um die Polemik deutlich zu erkennen: I 19: quamobrem mirari desinamus, quae causa sit eloquentium paucitatis, cum ex eis rebus universis eloquentia constet, in quibus singulis elaborare permagnum est, hortemurque potius liberos nostros ceterosque, quorum gloria nobis et dignitas cara est, ut animo rei magnitudinem complectantur neque eis aut praeceptis aut magistris (das scheint ihr offizieller Titel gewesen zu sein: cf. III 93f) aut exercitationibus, quibus utuntur omnes, sed aliis quibusdam se id quod expetunt consequi posse confidant. II 10 (in der Einleitung, wo Cicero in eigner Person spricht, was der Stelle erhöhte Bedeutung verleiht): nec vero te, carissime frater atque optime, rhetoricis nunc quibusdam libris, quos tu agrestiores putas (gerade das Bäurische' der lateinischen Rhetoren verhöhnten ihre urbanen Gegner: Suet. 1. c. Varro sat. 257; Marx 1. c. 141; 148), insequor ut erudiam, sed sive iudicio

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pudore a dicendo et timiditate ingenua quadam renon tamen arbitror tibi hos libros in eo fore

1) Man sehe, wie kurz und widerwillig von Cicero das abgethan wird, was jene volgaris doctrina, wie sie uns in dem Werk an Herennius vorliegt, ausmachte (III 209 ff.).

genere, quod merito propter eorum, qui de dicendi ratione (so bezeichnet auch der Verf. ad Herennium seine Schrift IV 12, 17, cf. Marx 75) disputarunt, ieiunitatem bonarum artium possit illudi. III 54: quare istos omnes me auctore (Crassus redet) deridete atque contemnite, qui se horum qui nunc ita appellantur rhetorum praeceptis omnem oratorum vim complexos esse arbitrantur, neque adhuc quam personam teneant aut quid profiteantur intellegere potuerunt. 1) Endlich der Grundgedanke der ganzen Untersuchung: die universale Bildung des in Crassus' und Ciceros Sinn vollkommenen Redners mufs auf den Fundamenten ruhen, welche die grofsen Griechen in Theorie und Praxis gelegt hatten: im Gegensatz dazu wollten jene lateinischen Rhetoren in ungeheurer Selbstüberschätzung von den Griechen, denen sie doch alles verdankten, nichts wissen, wie man besonders aus den puerilen Ausfällen des Autors ad Herennium weifs (z. B. I 1, 1: illa quae Graeci scriptores inanis arrogantiae causa sibi assumpserunt, reliquimus) und wie von Marx im einzelnen gezeigt ist.) So ist dieses vornehmste, selbständigste und gediegenste Werk Ciceros 3) eine Tendenzschrift im besten Sinne des Worts gewesen (so gut wie der orator und der Brutus, nur nach einer andern Front gerichtet), als solche von den Zeitgenossen natürlich noch viel lebhafter empfunden als

1) Cf. ferner noch III 70 isti scriptores artis. 75 qui artes rhetoricas exponunt perridiculi. 81 clamatores odiosi ac molesti. 92 quod tradunt isti qui profitentur se dicendi magistros. 121 non est paucorum libellorum hoc munus, ut ei qui scripserunt de dicendi ratione arbitrantur. 122 de oratoris arte paucis praecipiunt libellis eosque rhetoricos inscribunt (wie Cicero selbst sein rhetorisches Erstlingswerk, die fälschlich sog. Bücher de inventione betitelte, cf. W. Hällingk in: Comm. in hon. Studemundi [Strafsb. 1889] 337 ff.). 125 ne ille (der allseitig Gebildete) haud sane, quemadmodum verba struat et illuminet, a magistris istis requiret. 136 eloquentiam quam in clamore et in verborum cursu positam putant. 138 hunc non declamator aliqui ad clepsydram latrare docuerat. 142 malim equidem indisertam prudentiam quam stultitiam loquacem.

2) Darauf bezieht sich auch, wie ich glaube, Verg. catal. 7, 1 f. ite hinc, inanes, ite, rhetorum ampullae, | inflata rore non Achaico verba.

3) Das dritte Buch ist in seiner Komposition dem platonischen Phaedrus nachgemacht: 143 beendet Crassus seine Rede, die ihn tief in die Philosophie geführt hat, dann folgt der zweite, technologische Teil, zu dem Crassus sich nur ungern versteht, endlich der Schlufs, das vaticinium auf Hortensius.

uns das heute möglich ist; zugleich war es eine Sühne für jene rhetorische Erstlingsschrift, die er einst ganz im Bann seiner spätern Gegner - verfasst hatte und deren er sich jetzt selbst schämte (I 5; Quint. III 6, 60).

lung seiner

Aus dem Bildungsgang des Redners Cicero geht klar hervor, Entwickdafs er der asianischen Richtung in stilistischer Hinsicht keines- Kunst. wegs prinzipiell ablehnend gegenüberstand: seine ersten Reden verfasste er unter dem Einfluss des erklärten Asianers Hortensius, dann ging er eigens nach Asien, um diese Art von Rhetorik an der Quelle zu studieren; er nennt seine dortigen Lehrer alle mit Achtung1), einen mit Hochachtung; er fühlte sich, nach Rom zurückgekehrt, wieder als Geistes verwandten des Hortensius, wenngleich, wie er sagt, der mäfsigende Einfluss der rhodischen Schule das Überschäumende seiner Diktion gebändigt hatte. Wir können das noch an den erhaltenen Reden erkennen. Es ist, wie bemerkt, das Verdienst G. Landgrafs, im ersten Teil der genannten Dissertation (7-13) in Kürze auf einige wesentliche Stilverschiedenheiten der beiden frühesten Reden von den späteren hingewiesen und dadurch den Grund gelegt zu haben, auf dem weiter gebaut werden muss. Die redundantia iuvenilis, die Cicero 1. c. an den Reden vor seiner Studienreise tadelt, erkennt er z. B. in so abgeschmackten Sätzen wie pro Quinct. 10: quum tot tantisque difficultatibus adfectus atque adflictus in tuam fidem veritatem misericordiam Quinctius confugerit, quum adhuc ei propter vim adversariorum non ius par, non agendi potestas eadem, non magistratus aequus reperiri potuerit, quum ei summam per iniuriam omnia inimica atque infesta fuerint, te, C. Aquili vosque qui in consilio adestis, orat atque obsecrat, ut multis iniuriis iactatam atque agitatam aequitatem in hoc tandem loco consistere et confirmari patiamini. Das Überschwengliche dieser Jugendreden besteht aber nicht blofs in solchen äufserlichen Einzelheiten: die ganze grofse napadiny nois

1) Nach Aufzählung seiner Lehrer in Asien fährt er fort 316: hi tum in Asia rhetorum principes numerabantur. quibus non contentus Rho. dum veni, was von Müller 1. c. (oben S. 220, 1) 5 falsch gedeutet wird,,durch diese nicht befriedigt". Es heifst natürlich:,,an diesen liefs ich es mir noch nicht genug sein", wie zum Überflufs lehren kann die in Erinnerung an diese Stelle geschriebene Skizze des Bildungsgangs Ciceros bei Tac. dial. 30.

Norden, antike Kunstprosa.

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