oder blöden Stubengelehrten wie Dionysius hätte beseitigt werden können. Wenn wir ehrlich sein wollen, so müssen wir auch hier wieder wie früher (oben S. 151 f.) sagen, dass der moderne Stil trotz aller Auswüchse der einzig berechtigte war: nur er war der wesenhafte Ausdruck der modernen Menschen, die nicht mehr schreiben und reden konnten wie Platon und Demosthenes, weil sie nicht mehr dachten wie sie; die Zeiten hatten sich geändert und mit ihnen die Menschen: diese ewige Wahrheit wurde ja auch immer und immer wieder von den einsichtsvollsten Vertretern der modernen Richtung betont. Und wahrlich, nur das Lebendige hat Existenzberechtigung: was hat denn jener kleine, sich selbst so grofs dünkende Prophet fertig gebracht? Er hat die alten Klassiker, die er auf den Schild heben wollte, in so erbärmlicher Weise verstanden, dafs er nicht wert war, mit diesen Geistern, die er nicht begriff, Umgang zu pflegen; er hat ein Geschichtswerk geschrieben, von dem man treffend gesagt hat, dafs es wenig mumienhaftere und leblosere Bücher gebe als dieses. 1) Wir erkennen ja nun auch thatsächlich, dafs es mit den Asianern keineswegs so zu Ende ging, wie Dionys glaubte. Rutilius Lupus hat in seine Übersetzung des Gorgias unbeanstandet Beispiele aus Hegesias und anderen asianischen Rednern aufgenommen. Durch Strabon2) und besonders den älteren Seneca lernen wir eine ganze Reihe asianischer Redner kennen3): Hybreas, Grandaos (Asiani declamatores contr. I 2, 23), Adaios (rhetor ex Asianis non proiecti nominis ib. IX 1, 12), Kraton (venustissimus homo et professus Asianus ib. X 5, 21, von dem er amüsante auf den asianischen Standpunkt des Mannes bezügliche Geschichtchen erzählt), Arellius Fuscus (ib. IX 6, 16), der besonders verhängnisvoll wurde, weil er die asianische Manier und 2 Bücher natà Dovyãov. Dafs das letztere Werk gegen die Asianer gerichtet war, äussert zweifelnd C. Müller in: Fragm. Hist. Graec. III 331, es ist ganz sicher, cf. Dionys. de or. ant. 1 ǹ én tivwv fagáðęwv tñs 'Aolas ἐχθὲς καὶ πρώην ἀφικνομένη Μούσα, ἢ Φρυγία τις ἢ Καρικόν τι κακόν. 1) I. Bruns, Die atticist. Bestrebungen in d. griech. Litt. (Kiel 1896) 13. 2) Die bei Strabon genannten Redner stellt zusammen E. Stemplinger, Str. litterarhist. Notizen (Diss. München 1894) 32 ff. 3) Cf. W. Baumm, De rhet. graec. ap. Senecam, Progr. Kreuzburg 1885. Wer aber mögen die novi declamatores sein, die Seneca an folgenden Stellen nennt: p. 53, 10 Müll. 54, 3. 88, 11. 90, 15. 169, 4. 283, 20 (Konj.). 310, 5? in lateinischer Sprache repräsentierte und viel bewundert wurde (Lehrer z. B. des Ovid und des Papirius Fabianus, an den sich seinerseits wieder Seneca der Sohn anschlofs; Freund des Maecenas, dessen Diktion von dem jüngeren Seneca ep. 114 mit fast denselben Ausdrücken gerügt wird wie die des Arellius von dem älteren Seneca suas. 2, 10; 23); und wer vermag zu sagen, wie viele dieser Rhetoren aufserdem noch aus Asien waren (Seneca giebt nur ganz gelegentlich die Heimat oder die Stilrichtung der Rhetoren an)? Man kann sicher behaupten, dafs an den massenhaften Stellen, wo Seneca etwas als furiosum, insanum, puerile etc., besonders aber als corruptum, d. h. diεdaquévov1) bezeichnet, der betreffende Rhetor entweder aus Asien war oder jedenfalls der asianischen Richtung angehörte. Dasselbe gilt von den Rhetoren, die in der Schrift eoì yovs bekämpft werden, denn dafs in dieser die Fragen nicht etwa rein akademisch erörtert werden, sondern dafs, ganz wie etwa 100 Jahre vorher bei Cicero, einer herrschenden Geschmacksrichtung entgegengetreten werden soll, hat noch wohl keiner ihrer Leser bezweifelt, es geht ja auch klar hervor (abgesehen von dem Schlufs) aus c. 5, wo nach Aufzählung der einzelnen Fehler (Schwulst, Puerilität, falsches Pathos, frostige Wortspiele u. dgl., kurz alles, was die asianische Manier kennzeichnete) fortgefahren wird: ἅπαντα μέντοι τὰ οὕτως ἄσεμνα διὰ μίαν ἐμφύεται τοῖς λόγοις αἰτίαν, διὰ τὸ περὶ τὰς νοήσεις καινόσπονδον, περὶ ὃ δὴ μálioτα xoovẞavτiõõiv ol võv.2) Von den bei Philostratos erwähnten Sophisten gehörten dieser Epoche noch an Niketes aus Smyrna, Isaios der Assyrier, Skopelianos aus Klazomenae, aber 1) Ich citiere die Stellen für corruptum (nach Seiten und Zeilen der Müllerschen Ausgabe): 55, 12. 121, 18. 181, 7. 210, 11. 220, 11. 286, 19. 311, 2. 391, 8. 412, 12; 14. 489, 21. 491, 9; 14; 19. 502, 9. 503, 13. 505, 15. 527, 13. 528, 3; 13. 530, 20; 22 (hier der Gegensatz sanum). Es ist (im Gegensatz zu sanum, wofür ich die griechische Bezeichnung nicht kenne) das alte Schlagwort zur Bezeichnung des Asianismus (schon Cic. or. 25. de opt. gen. or. 8 f.); für das griechische cf. auch Strabon XIV 648 von Hegesias: ήρξε μάλιστα τοῦ ̓Ασιανοῦ λεγομένου ζήλου παραφθείρας τὸ καθεστὼς ἔθος τὸ ̓Αττικόν. 2) Theon prog. II 71, 10 Sp. oi 'Aoiavol nalovμɛvoi éńrogɛs bezieht sich freilich auf die Vergangenheit, aber es ist doch bemerkenswert, dafs er sie erwähnt. Er mufs ein ungefährer Zeitgenosse des Verf. nɛgì vчovs gewesen sein, cf. O. Hoppichler, De Theone Hermogene Aphthonioque (Diss. Würzb.1884) 27 ff. A. Brinkmann, Quaest. de dial. Plat. (Diss. Bonn.1891), Thes. VI. wirkend in Smyrna; besonders der erste und dritte waren echte Asianer, wie ich im nächsten Abschnitt zeigen werde. 5. Die Vermittler zwischen den beiden Parteien. Zwischen den Parteien der Alten und Neuen, also der 'Atticisten' und 'Asianer', stand vermittelnd eine dritte, der alle urteilsfähigen Männer dieser Epoche angehörten. Sie begriffen, dafs die neue Zeit auch im Stil neu sein mufste, aber sie wussten das Mafs zu bewahren, was immer das schwerste ist. Voran Augustus. stand Augustus selbst, der die neue Zeit inaugurierte: er verspottete, wie wir sahen (S. 263 f.), die extremen Archaisten und Neoteriker in gleicher Weise, er selbst wollte, wie Sueton 1. c. sagt, sensum animi quam apertissime exprimere, seine Beredsamkeit war prompta ac profluens quaeque deceret principem (Tac. ann. XIII 3): so spricht er denn auch hoheitsvoll, unnahbar, kühl zur Nachwelt in dem Monument, welches die noάžas des gottgewordenen Menschen enthält, der nicht in den Orkus hinabgegangen war, proinde ac famul infumus esset, sondern der, im Olymp gelagert neben Herakles und den anderen gottgewordenen Wohlthätern der Menschen, nachdem er den Erdkreis unterworfen und allen Ruhe und Frieden geschenkt hatte, jetzt mit purpurner Lippe Nektar schlürfte, wie es sein Priester Horaz in der Entzückung geschaut: nur diese Auffassung des Denkmals, die v. Wilamowitz (Hermes XXI [1886] 623 ff., cf. Mommsen in Sybels Hist. Zeitschr. 1887, 395) aufgestellt hat, ist die richtige, weil nur sie (aber sie auch ganz) dem Empfinden der damaligen Zeit entspricht. Auch die Könige der Diadochenreiche hatten sich so verewigt, aber während 'Avτíoxos Oεós, der kleine Herrscher von Kommagene, des äufsersten Pompes der Bildwerke und der Sprache bedurfte, um sich seinen Unterthanen als Gott zu erweisen, verschmäht der Herrscher über die Welt jedes Wort, das nicht zur Sache gehört; seine Sprache ist wirklich, wie ein griechischer Schriftsteller1) von der lateinischen Sprache der Gesetze überhaupt sagt, συσχηματιζομένη τῇ ἐξουσία tỷ ßaoclix und verliert daher in der griechischen Übersetzung viel von ihrer gravitas.2) Als dann seit der vespasianischen 1) Greg. Thaumat. paneg. in Orig. 1 (vol. 10, 1053 Migne). 2) Ein griechischer Brief des Augustus an die Knidier (bei Viereck, und seine Schule. Epoche der Streit mit erneuter Heftigkeit entbrannte, war auch Quintilian, der erbitterte Gegner der extremen Neoteriker, zu ver- Quintilian ständig, als dafs er die Excesse der archaisierenden Richtung billigen, das Vernünftige des neuen Stils nicht hätte anerkennen sollen. Alles, was jenseits der ciceronianischen Epoche lag, hatte für ihn blofs historische, keine praktische Bedeutung, wie man besonders deutlich aus der Aufzählung der litterarischen Gröfsen im zehnten Buch sieht (z. B. begriff er nicht, dafs es Leute gebe, die den Lucilius dem Horaz vorzögen: X 1, 93 f.); daher waren ihm diejenigen unsympathisch, die mit Berufung auf die Alten jede Sorgfalt in der Diktion absichtlich vermieden (z. B. I 10, 29; IX 4, 3 ff.), und noch mehr die, welche durch Anwendung abgestorbener Ausdrücke gelehrt erscheinen wollten (VIII 2, 12).1) Auf der anderen Seite erkannte er bereitwillig an, dass man der neuen Zeit gewisse Konzessionen zu machen hätte (z. B. IV 2, 122; VIII 5, 32 ff.); in seiner Beurteilung massvoller zeitgenössischer Schriftsteller ist er daher durchaus gerecht (X 1, 118 ff.); wenn er freilich (sagt er IX 4, 142) zwischen der modernen Überkultur und der archaischen Rohheit zu wählen habe, dann sei ihm letztere doch lieber. So nahm er auch theoretisch Ciceros Standpunkt ein, indem er wie jener zwischen den extremen Parteien zu vermitteln suchte.2) Von Pli Sermo Graecus etc. n. IX) ist sehr elegant geschrieben, z. B. &vɩɩφραττόμενοι Ζ. 19, und hiatlos (ἀνεῖρξαι ἀνασκεδάσαντα ist kein Hiat), cf. auch E. Wölfflin in: Sitzungsber. d. bayr. Ak. 1896 p. 161 ff. Ein würdiges Dokument dieser Zeit ist auch die laudatio der Turia (CIL VI 1527) von Q. Lucretius Vespillo (cos. 19 v. Chr.). Es giebt nicht viel aus dem Altertum, was trotz seiner Stilisierung durch seine Unmittelbarkeit so packt, und dazu diese Vereinigung von Zartheit des Empfindens mit römischer gravitas, die wir in dem ergreifenden Proömium Quintilians zu seinem 6. Buch vermissen. Dafs die Rede an Velleius erinnere, wird Mommsen (cf. Abh. d. Berl. Akad. 1863 p. 465) nicht aufrecht gehalten haben. Wie viel mehr damals ein vornehmer Mann konnte als ein gewöhnlicher, sieht man aus dem Vergleich dieser Lobrede mit der des Murdius. 1) Die andern Stellen, wo er die Manier der extremen Archaisten tadelt, sind: VIII 3, 24 ff. (dies ist die Hauptstelle). II 5, 21; 23. VIII prooem. 31. X 1, 43. XI 1, 49. XII 10, 42; 45. (Zu IV 1, 58 cf. Cic. de or. III 150. 153. 170. 201. or. 80. 201. de part. or. 17. 72). 2) Wer sich Quintilian als einseitigen Ciceronianer denkt, macht sich ein verkehrtes Bild von ihm. Gelegentlich putzt er auch seine nius d. J. und Tacitus werden wir später sehen, dafs auch sie in der Theorie die Ansicht Quintilians teilten, in der Praxis freilich jeder auf seine Weise mehr der Partei der Modernen zuneigten, jener, indem er gelegentlich nicht vor ihren Auswüchsen zurückscheute, dieser, indem er mit höchster Kunst ihr Gutes und Berechtigtes sich aneignete und selbstschöpferisch gestaltete. Über B. Der neue Stil. Wir haben eine reiche Überlieferung über die charaktelieferung. ristischen Eigentümlichkeiten dieses neuen Stils: die Urteile des älteren Seneca besonders in den Vorreden, aber auch überall verstreut in den einzelnen Büchern; das Werk Quintilians, aus dem überall die Polemik gegen die Modernen durchblickt und das man überhaupt als Tendenzschrift im Sinn der reaktionären eignen Worte etwas auf, z. B. IV 5, 21 (wenn man zu verteidigen hat eine causa parum verecunda sed quae iure tuta sit und der Richter vor allem den Nachweis der probitas und modestia verlangt, so muss man ihn während des Nachweises des ius durch allerlei Mittel gefügig zu machen suchen) sic utraque res invicem iuvabit eritque iudex circa ius nostrum spe modestiae attentior, circa modestiam iuris probatione proclivior. V 13, 3 schliefst er eine lange Reflexion über die gröfsere Schwierigkeit der defensio im Vergleich zur accusatio mit einer Sentenz, die er ganz wie Seneca einleitet: ut, quod sentio, semel finiam: tanto est accusare quam defendere, quanto facere quam sanare vulnera facilius. IX 4, 18 debita actionibus respiratio et cludendi incohandique sententias ratio. XII 10, 54 (gut agieren und gut schreiben sei identisch) aut eos (Ciceronem et Demosthenen) praestantissimos oratores alia re quam scriptis cognoscimus? melius egerunt igitur an peius? nam si peius, sic potius oportuit dici, ut scripserunt, si melius, sic potius oportuit scribi, ut dixerunt. (Ähnliches aus den Institutionen bei C. Ritter, Die quint. Declam. [Freib. 1881] 191). Er vertrat darin ganz den Standpunkt seines Vorbildes Domitius Afer, des unter Caligula und Claudius blühenden Prozefsredners (von dem er X 1, 118 sagt: quem in numero veterum habere non timeas): dieser, der das grave et lentum actionis genus liebte (Quint. bei Plin. ep. II 14, 10) und daher einen seine Leidenschaftlichkeit auch äufserlich zu sehr zeigenden Redner tadelte (Quint. VI 3, 54), war zwar so sehr Feind der zierlichen rhythmischen Diktion, dafs er die Worte absichtlich anders stellte (IX 4, 31, s. oben S. 262 f.), aber gebrauchte doch folgendes icónwlov (IX 3,79): amisso nuper infelicis Auli si (auleis codd., meine Verbesserung ist wohl sicher; er nennt so den Sohn seines Klienten) non praesidio inter pericula tamen solacio inter adversa. |