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den Schlufs der 14. philippischen Rede), bei den Schriftstellern der Kaiserzeit (Tacitus nicht ausgenommen) ist es zur Manier geworden.1) Die vitia der Sentenzen fafst der jüngere Seneca, der, wie wir sehen werden, ganz im Bann dieser modernen Beredsamkeit stand, ohne es selbst zu wissen, in dem für die Geschichte der Stilarten so wichtigen Brief 114 in die Worte zusammen (§ 16): non tantum in genere sententiarum vitium est, si aut pusillae sunt et pueriles aut improbae et plus ausae quam pudore salvo licet, sed si floridae sunt et nimis dulces, si in vanum exeunt et sine effectu nihil amplius quam sonant; zwei dieser Charakteristika finden wir immer wiederholt: von einer im Sinne der Deklamatoren gelungenen Sentenz wird verlangt, dafs sie dulcis sei, d. h. auf das Ohr und die Sinne einen angenehmen prickelnden Reiz ausübe (Sen. contr. I 4, 7; II 1, 24 ff.; 6, 8; suas. 7, 12. Quint. II 5, 21 ff.), und vor allem, dafs sie mehr als das Normale wage, auf gefährlicher Spitze jäh am Abhang stehe, was für sublime galt; das sind die sententiae grandes, quarum optima quaeque a periculo petitur (Quint. II 11, 3, cf. X 1, 121), die sententiae praecipites, abruptae, pendentes (Sen. contr. X praef. 15. Sen. ep. 114, 11. Quint. VII 1, 41; XII 10, 73; 80), von denen verständige Zuhörer wie der alte Seneca oft nicht wufsten, ob man sie bewundern oder über sie lachen sollte (Sen. contr. I 7, 18); denn, so urteilt jener, vom Erhabenen zum Lächerlichen sei nur ein Schritt (Sen. suas. 1, 16; 2, 10): aber eine gewisse Verwegenheit sei erforderlich, denn es sei nichts Grofses, wenn derjenige keinen Fehltritt mache, der nichts wage, so wenig es ein Verdienst der Hässlichen sei, wenn sie schamhaft blieben (contr. II 1, 24). Man sieht, dafs auch ein so braver Mann wie der alte Seneca das Grandiose, Genialische als durchaus berechtigt anerkennt und nur das Überschreiten der

1) Sehr bezeichnend Fronto p. 212 N. ut novissimos in epigrammatis versus habere oportet aliquid luminis, sententia clavi aliqua vel fibula terminanda est, und vor allem Hieronymus ep. 52, 4 (I 1 p. 258 Vall.) ne a me quaeras pusillas declamationes, sententiarum flosculos, verborum lenocinia et per fines capitulorum singulorum acuta quaedam breviterque conclusa, quae plausus et clamores excitent audientium. Sidonius entschuldigt sich, dass er in einer vor einem zusammengewürfelten Volkshaufen gehaltenen Rede nicht habe anwenden können scintillas controversalium clausularum (ep. VII 9); er lobt (ep. IX 7) fulmen in clausulis.

Grenze brandmarkt; schon bedenklicher klingt die Formulierung, die dieser Ansicht der Sohn leiht (1. c. 11): sunt qui non usque ad vitium accedant, necesse est enim hoc facere aliquid grande temptanti; aber nirgends tritt diese Auffassung, welche für die meisten Autoren aus der Theorie in die Praxis übertragen wurde, mit solcher Schärfe hervor wie in einem dadurch sehr interessanten Brief des Plinius IX 26. Ein Freund hatte ihm in seinen Schriften angestrichen als tumida, was er selbst für sublimia, als improba, was er selbst für audentia, als nimia, was er selbst für plena hielt. Um ihn zu widerlegen, knüpft er an ein Bonmot an, welches er über einen Redner ausgesprochen hatte, der zwar rectus et sanus (also ein Atticist), aber parum grandis et ornatus sei: nihil peccat, nisi quod nihil peccat. Darauf schildert er sein Ideal vom Redner: debet orator erigi attolli, interdum etiam effervescere efferri, ac saepe accedere ad praeceps. nam plerumque altis et excelsis adiacent abrupta, tutius per plana sed humilius et depressius iter; frequentior currentibus quam reptantibus lapsus, sed his non labentibus nulla, illis non nulla laus etiamsi labantur. nam ut quasdam artes ita eloquentiam nihil magis quam ancipitia commendant; so entfesselt der Seiltänzer, der in jedem Augenblick fallen kann, einen Beifallssturm, und ungerühmt läuft der Steuermann nach ruhiger Fahrt in den Hafen ein, aber wenn sausen die Seile, sich krümmt der Mast, die Steuer stöhnen, dann ist er berühmt und zunächst den Göttern des Meeres: sunt enim maxime mirabilia quae maxime insperata, maxime periculosa utque Graeci magis exprimunt яaçáBola; darauf folgen, als wenn er nɛol üovs schriebe, Beispiele aus Homer, Demosthenes, Aeschines, aus denen hervorgehen soll, dafs sie in ihrem Wagemut oft bis an die Grenze des Erlaubten herangegangen seien1); diesen Gröfsen vergifst er dann natürlich nicht, zum Schlufs sich selbst anzureihen: was er da eben über den

1) Aus Cicero, sagt er (§ 8), führe er keine Beispiele an, denn bei ihm bezweifle es keiner. Der wahre Grund ist wohl, dafs er die griechischen Beispiele aus einem Autor ɛì yovs bequem abschreiben konnte, denn wer ihn kennt, weifs, dafs er sich nicht aus Demosthenes 12 Beispiele selbst zusammengesucht hat. Thatsächlich findet sich die homerische Stelle sowie eine der demosthenischen in demselben Sinn verwendet in der uns erhaltenen Schrift ɛol vчovs (die, wie man annehmen darf, nur eine von vielen war) 9, 6. 32, 2.

Sturm auf dem Meer geschrieben habe, das werde der Freund
sicherlich auch mit einem ὀβελὸς περιεστιγμένος versehen, aber
das solle er ruhig thun: „wenn wir mündlich darüber sprechen,
wirst entweder du mich furchtsam, oder ich dich tollkühn
machen." Ein besonderes Raffinement verwandte man ferner Kürze.
darauf, diese Pointen in möglichst schlagender Form zu geben:
so sehr man sich in Schilderungen und dergleichen amönen
Tóлo die Zügel schiefsen liefs, so straff zog man sie hier an,
denn die Sentenz mufs vibrans et concitata sein (Quint. XII 9, 2);
als etwas Abweichendes hebt Seneca (ep. 100, 5) an einem hervor
sensus non coactos in sententiam sed latius dictos. Kürze' ist
daher hier das Losungswort: den Thukydides lobten sie wegen
seiner Kürze, den Sallust noch mehr, weil er sie gesteigert habe
(Sen. contr. IX 1, 13); ein griechischer Deklamator brachte es
fertig, eine yváun in zwei Worte zusammenzufassen (id. I 1, 25);
explicationes plus sensuum quam verborum habentes (Sen. contr. III
praef. 7), abruptae sententiae et suspiciosae, in quibus plus in-
tellegendum esset quam audiendum (Sen. ep. 114, 1) waren das
Ziel, dem sie nachstrebten, aber natürlich hielten sie auch darin
nicht Mafs, daher die Klagen der Kritiker: saepe minus quam
audienti satis est eloquitur sagt Seneca (contr. II praef. 2) von
Fabianus (über den der Sohn, der es ja ebenso macht, ep. 100, 5
anders urteilt); Quintilian sagt tadelnd pleraque significare melius
putamus quam dicere (VIII pr. 24); cf. VIII 2, 19 ff: brevitatem
aemulati necessaria quoque orationi subtrahunt verba et, velut satis
sit scire ipsos quid dicere velint, quantum ad alios pertineat nihili
putant . . . pervasitque iam multos ista persuasio, ut id iam demum
eleganter atque exquisite dictum putent, quod interpretandum sit.
sed auditoribus etiam nonnullis grata sunt haec, quae cum in-
tellexerunt, acumine suo delectantur et gaudent, non quasi audierint
sed quasi invenerint (ähnlich IX 2, 78 f.; 94). VIII 5, 12: est et
quod appellatur a novis 'noema', qua voce omnis intellectus
accipi potest, sed hoc nomine donarunt ea quae non dicunt
verum intellegi volunt. Sehr hübsch erkennt man dies
Streben nach pointierter Kürze in einem Urteil Ovids, das Se-
neca (contr. VII 1, 27) berichtet: in Varros Argonautica kamen
folgende Verse vor:

desierant latrare canes urbesque silebant;
omnia noctis erant placida composta quiete.

Ovid meinte von diesen Versen, potuisse fieri longe meliores, si secundi versus ultima pars abscideretur et sic desineret:

omnia noctis erant.

Ganz ähnlich meinte (nach Sen. suas. 2, 19 f.) Messalla, Vergil habe in folgenden Versen (Aen. XI 288 ff.):

quidquid ad adversae cessatum est moenia Troiae,

Hectoris Aeneaeque manu victoria Graium

haesit et in decimum vestigia rettulit annum

mit haesit aufhören müssen; das merkte sich ein poetisierender Rhetor dieser Zeit und dichtete folgende Verse:

ite agite, o Danai, magnum pacana canentes,

ite triumphantes: belli mora concidit Hector und die letzten Worte erhielten, wie Seneca bemerkt, grofse Celebrität, was wir noch bei Dichtern der ersten Kaiserzeit beobachten können.1). Aus diesem Streben nach pointierter Kürze erklärt es sich, dafs die Extensität der Worte zu ihrer Intensität im umgekehrten Verhältnis steht: ihr Inhalt erweitert sich bei abnehmendem Umfang. Sätze wie die des Sallust omnia in virtutem trahebantur (Iug. 92, 2), omnium partium decus in mercedem corruptum erat (hist. I 13) weisen, wie man sofort fühlt, vordeutend auf Seneca und Tacitus hin.

Dafs in diesem Raketenfeuer genialer Bonmots manche Leuchtkugeln aufstiegen, die den Feuerwerkern alle Ehre machten, ist begreiflich genug. Wir empfinden bei der Beurteilung einer grofsen Anzahl dieser Sentenzen, wie wahr es ist, dafs die höchsten Tugenden den schlimmsten Fehlern benachbart sind; soll man es z. B. genial oder albern) nennen, wenn einer, der für die Beerdigung eines Selbstmörders plädiert, ausruft: „Curtius, du hattest das Begräbnis verloren, wenn du es nicht im Tode gefunden hättest" (exc. contr. VIII 4), oder der Spartaner, als die Krieger der übrigen Staaten abgezogen sind: „jetzt freut es mich, dafs sie geflohen sind: sie haben mir die Thermopylen

1) Cf. C. Morawski, De rhetoribus latinis observationes (in: Abh. der Krakauer Akad. Ser. II T. I 1892) 377.

2) Als insanae, stultae, ineptae u. s. w. bezeichnet Seneca selbst folgende Sentenzen: p. 49, 18 Müll. 54, 2. 55, 4. 69, 17. 82, 1. 220, 10. 272, 8. 286, 19. 309, 13 ff. 381, 17. 489, 20. 491, 9; 12; 19. 502, 8; 10. 503, 16. 504, 6; 7. 505, 14. 527, 13. 529, 2; 3. 530, 19. 543, 7. 549, 16. Nach unserm Gefühl hätte er die zehnfache Zahl so nennen müssen.

eng gemacht" (suas. 2, 8)? Wenn man an das in den Rhetorenschulen und der davon abhängigen Litteratur so beliebte Bild denkt 'Marius sitzt auf Karthagos Trümmern, sie blicken sich an und trösten sich gegenseitig', so wird man das ohne Bedenken für eine in ihrer Art grandiose Conception erklären. Hier ist aber das subjektive Gefühl des Einzelnen ausschlaggebend und man wird vielleicht zu einer gewissen Milde in der Beurteilung geneigt sein, wenn man bedenkt, dass so viele herrliche Blüten bei dem Philosophen Seneca und bei Tacitus doch eben nur durch diese Manier gezeitigt sind.

bungen.

Neben der γνώμη war es vor allem die ἔκφρασις, in der Beschreidiese Rhetoren einen Tummelplatz für ihr Genie fanden. Schon bei Schriftstellern des vierten Jahrhunderts, wie Philistos und Theopompos, finden wir eine Neigung dazu, die лaqénßaois über den Hain bei Henna und den Raub der Proserpina in Ciceros vierter Verrine war schon im Altertum hochberühmt1), aber erst in der frühen Kaiserzeit wurde sie als eigene Gattung ausgeprägt und findet sich seitdem bekanntlich regelmässig in den Progymnasmen.) Von der in ihr verlangten Diktion sagt Theon prog. c. 11 p. 119, 30 Sp. συνεξομοιοῦσθαι χρὴ τοῖς ὑποκειμένοις τὴν ἀπαγγελίαν, ὥστε εἰ μὲν εὐανθές τι εἴη τὸ δηλούμενον, εὐανθῆ καὶ τὴν φράσιν εἶναι· εἰ δὲ αὐχμηρόν ἢ φοβερὸν ἢ ὁποῖον δή ποτε, μηδὲ τὰς ἑρμηνείας ἀπάδειν τῆς φύσεως avtov, cf. Proklos chrest. gramm. ecl. bei Phot. bibl. cod. 239 p. 318b 26 vom πλάσμα (Stil) ἀνθηρόν: ἁρμόζει τοπογραφίαις καὶ λειμώνων ἢ ἀλσῶν ἐκφράσεσιν. Das haben die Schriftsteller wacker befolgt: wie sie alle Süfsigkeit der Diktion walten liefsen, wo es galt, den Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, Meeresstille und glückliche Fahrt, einen Hain, ein schönes Haus, besonders eine Villa (Tempel, Kirche) oder Gemälde, eine Stadt,

1) Cf. auch die Exqqaois der Natur in höchst gewählter Sprache de deor. nat. II 98 ff. (nachgeahmt von Minucius Felix und Ambrosius im Hexaemeron). Für die amplificatio empfiehlt er part. or. 56 caelestia divina, ea quorum obscurae causae, in terris mundoque admirabilia quae sunt. Über die Expoάosis cf. besonders Rohde 1. c. 335, der ihren Ursprung mit Recht in der deskriptiven Poesie (besonders der Alexandriner) sieht, mit welcher die Rhetoren wetteifern wollten.

2) Cf. W. Schmid, D. Atticism. II (Stuttg. 1889) 268, 11 und im Rhein. Mus. XLIX (1894) 159.

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