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historiker ist entsagungsvoll und giebt den Glauben an ein litterarisches Phänomen seinem eigenen Gefühl zum Trotz ohne Zögern preis dem Nachweis des historischen Werdens.1) Tacitus hat als Historiker in den uns erhaltenen Teilen seiner Werke gearbeitet, wie es im Altertum Regel war bei der Darstellung vergangener Zeiten: er verglich seine Vorgänger, schlofs sich entweder ihrer Ansicht an oder bildete sich aus dem von diesen gesammelten Material seine eigene Ansicht.) Er hat nun, wie schon Mommsen hervorhob, aus seinen Quellenschriftstellern manches auch stilistisch so gut wie wörtlich herübergenommen, und zwar gerade derartiges, was wir früher als so ganz, so echt taciteisch angesehen haben: nun gehört es jenem Anonymus, der für uns verschollen ist, so gut wie die alten Annalisten durch Livius der Vergessenheit anheimfielen. Folgende Koincidenzen zwischen Plutarch im Leben des Galba und Otho und Tacitus' Historien geben die deutlichste Vorstellung:

Tac. hist. I 22: non erat Othonis mollis et corpori similis animus

I 81: cum timeret Otho, timebatur

II 48: neu patruum sibi Othonem fuisse aut oblivisceretur umquam (Salvius Cocceianus, Othos Neffe) aut nimium meminisset.

Plut. Galb. 25: oỷ xatà tηv tov

σώματος μαλακίαν καὶ θηλύτητα τῇ ψυχῇ διατεθρυμ μένος

Plut. Oth. 3: φοβούμενος ὑπὲρ τῶν ἀνδρῶν αὐτὸς ἦν φοβερὸς ἐκείνοις

ib. 17: μήτε ἐπιλαθέσθαι παντάπασι μήτε ἄγαν μνημονεύειν, ὅτι Καίσαρα θεῖον ἔσχες.

1) Wenn C. Nipperdey in seiner erklärenden Ausgabe des Tacitus I (Berl. 1871) Einl. p. XXVI adn. gegen Mommsen schreibt: „Dadurch, dass hiernach Tac. an sehr vielen Stellen auch die Worte und die rhetorische Wendung einem seiner nächsten Vorgänger entlehnt haben müsste, verurteilt sich diese Ansicht selbst auf das entschiedenste. Wie kann man dies einem Manne von dem Geiste und der Darstellungsgabe zutrauen, welche sich in seinen übrigen Schriften offenbart?“ u, s. w. u. s. w., so ist das ganz unantik empfunden. Natürlich gilt ihm daher Plutarch als derjenige, der den Tacitus abgeschrieben habe. Dafs daran gar nicht zu denken ist, haben inzwischen die neueren Untersuchungen für alle bewiesen.

2) Für die Zeit des Tacitus cf. Plin. ep. V 8, 12 (er will Geschichte

Individualismus

und

Tradition.

Das ist der Ton, der uns aus den Proben der besseren Rhetoren bei dem älteren Seneca und aus den Werken des jüngeren Seneca geläufig ist, und ich kann nichts Besseres thun, als Mommsens Worte darüber (1. c. 316) zu wiederholen: „Tacitus' Eigentümlichkeit ist nur der vollendete Ausdruck der in der höchsten römischen Gesellschaft des ersten Jahrhunderts herrschenden Stimmung; man kann dies an Petronius und dem jüngeren Seneca wie an den beiden Plinius verfolgen, so gänzlich verschieden sie auch selbst von Tacitus sind. Es ist gewifs, dass das Geschichtswerk, von dem Tacitus hier abhängt, ebenfalls auf antithetischer Reflexion ruhte, nach glänzender und wirkungsvoller Darstellung rang, so dafs Tacitus die Farben, die er brauchte, zum guten Teil schon auf der fremden Palette fand .. Dafs Tacitus bestrebt war sie zu steigern, zeigt sich auch darin, dafs er an einzelnen Stellen damit verunglückt ist. Wenn zum Beispiel Plutarch (18) von Otho sagt, er habe ebenso viele und ebenso nachdrückliche Lobredner wie Tadler gefunden, denn nicht besser als Nero habe er gelebt, aber besser als dieser sei er gestorben, und Tacitus (II 50) dies also wendet: duobus facinoribus, altero flagitiosissimo altero egregio, tantundem apud posteros meruit bonae famae quantum malae, so hat diese letztere Fassung zwar mehr Pointe als die erstere, aber in der That ist sie falsch; denn durch keine einzelne Unthat, der man die Grofsthat seines Todes entgegensetzen könnte, ist Othos Leben, das ganz gemeine eines leeren und wüsten Hofadlichen, im Besonderen bezeichnet.❝1)

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Um zusammenzufassen: der Stil des Tacitus stellt sich uns dar als eine Vereinigung des Besten aus der modernen Rhetorik

schreiben) tu tamen iam nunc cogita, quae potissimum tempora aggrediar. vetera et scripta aliis? parata inquisitio, sed onerosa collatio; Tacitus selbst ann. XIII 20.

1) Doch ist letzteres wohl nicht ganz genau, denn was die Quelle unter dem facinus flagitiosissimum verstand, zeigt Cass. Dio LXIV 15, 2 κάκιστά γε μὴν ἀνθρώπων ζήσας κάλλιστα ἀπέθανεν, καὶ κακουργότατα τὴν ἀρχὴν ἁρπάσας ἄριστα αὐτῆς ἀπηλλάγη. — h. III 38 citiert er seine Quelle (sicut accepimus): die betr. Partie ist sehr rhetorisch, sie schliefst mit einer antithetischen Pointe (39 i. f.): sanctus, inturbidus, nullius repentini honoris; adeo non principatus appetens parum effugerat ne dignus crederetur. ib. 28 ff., wofür er Messalla und Plinius citiert, sind vergilische Anklänge besonders stark.

mit der dieser innerlich sehr nahe verwandten sallustischen Diktion. Dafs er in einem solchen Stil schreiben musste, erklärt sich sowohl aus der ganzen Zeitlage als seiner Individualität. Der schriftstellerische Gedankenausdruck von Männern, die Furchtbares sahen und deren Blick trotz der wolkenlosen Gegenwart sorgenvoll in die ungewisse Zukunft gerichtet war urgent imperii fata Germ. 33: das glaubte damals die ganze Welt, die sich in ihrem sittlichen Idealismus, voll trüber Resignation, aus der grofsen Vergangenheit exempla recti aut solacia mali (h. III 51) holen mussten, konnte nicht heiter sein wie der des Livius, an dem man das süsse otium jener Zeiten zu empfinden glaubt. „Es ist vergebens, sagt Niebuhr1), zu fragen: wer ist Tacitus' Lehrer? Ihn lehrte der Schmerz der Zeit." Aber Tacitus hat diesen modernen Stil kraft seiner gewaltigen, ja gewaltsamen Individualität in stetiger Entwicklung") zu einer Vollendung gesteigert, die nie wieder erreicht wurde, eben weil sie nur von einer so mächtigen Persönlichkeit getragen werden konnte, wie sie der müde Boden der zur Rüste gehenden alten Welt nicht wieder hervorgebracht hat.

1) Vortr. üb. röm. Gesch. ed. Isler III 224, cf. desselben History of Rome from the first Punic war to the death of Constantine (gelesen 1829) edited by L. Schmitz II (London 1844) p. 259 f. It is in vain that we ask, who were his teachers? They may have been quite insignificant men, and the school in which he was trained was the deep grief produced by the oppression of the times. His great soul was seized with this grief in the reign of Domitian, and he recovered from it under Nerva and Trajan. .. It is only those who are unable to understand this feeling of writers like Sallust and Tacitus, that can have any doubt of the genuineness of their style. The origin of it is a disgust and a aversion to all exuberances of style. There is not a trace of affectation in those writers, for they have no other object than not to waste any words.

2) Nach Leo 1. c. 10 hat er im Agricola den Sallust, in der Germania den Seneca nachgeahmt. Ich kann diese Unterscheidung nicht zugeben: dafs er zu der Germania inhaltlich durch Senecas Schriften über Indien und Ägypten angeregt zu sein scheint (s. o. S. 326, 2), kann für den Stil kaum beweisend sein; vielmehr dürfte sallustische Einwirkung mit jener Modifikation, die schon den späteren Stilvirtuosen gelegentlich erkennen läfst, in beiden Essais gleichmässig zu konstatieren sein.

Altern der
Welt.

Klassicis

mus.

Zweiter Abschnitt.

Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.

Einleitung.

Bis zur hadrianischen Zeit bewegt sich die Litteratur der beiden Völker noch auf einer emporsteigenden Linie, dann steht sie etwa ein halbes Jahrhundert still und geht von da an abwärts. Wie Greise, die, um mit Varro zu reden, daran denken, ihr Bündel zu schnüren1), machten sich die Menschen daran, das Beste, was die lange grofse Vergangenheit in frischer Jugend und in gereiftem Mannesalter erforscht hatte, zu sammeln und durch verständiges Excerpieren den weit geringern Bedürfnissen der Gegenwart anzupassen und der Zukunft zu übermitteln, die ihrerseits in demselben Sinne mit den aufgespeicherten Schätzen wirtschaftete, sie einem stetig fortschreitenden Verdünnungsprozefs unterwerfend.

Romantik In dem selten unterbrochenen Quietismus der Regierungen und des Hadrian, Antoninus und Marcus spiegelt sich die Stimmung des ganzen Zeitalters. Da den Menschen jener Zeit noch nicht zu Bewusstsein gekommen war, dafs in ihrer Mitte eine neue Ideenwelt im Bilden war, welcher die Zukunft gehören sollte, da sie ebenso wenig begriffen, dass jenseits der Berge neue jugendfrische Völkerstämme sich konsolidierten, welche das hinwelkende alte Riesenreich nicht mehr zu bezwingen imstande sein sollte, so gab es wenig zu denken und noch weniger zu thun: inmitten der sich vorbereitenden inneren und äufseren Revolution aller bestehenden Verhältnisse lebte man friedlich dahin, machte Reisen in uralte Kulturländer, verträumte am Golf von Neapel

1) Das Gefühl des Alterns der Welt kommt besonders deutlich (und zwar hier nicht spezifisch christlich gefärbt) zum Ausdruck in der Schrift Cyprians ad Demetrianum (I 351 ff. Hartel), cf. dort vor allem c. 3 illud primo in loco scire debes senuisse iam saeculum etc. Aus späterer Zeit: Sidonius ep. VIII 6, 3 quis provocatus ad facta maiorum non inertissimus, quis quoque ad verba non infantissimus erit? namque virtutes artium istarum saeculis potius priscis saeculorum rector ingenuit, quae per aetatem mundi iam senescentis lassatis velut seminibus emedullatae parum aliquid hoc tempore in quibuscumque, atque in paucis, mirandum ac memorabile ostentant.

seine Tage und fand im Hafen der stoischen Philosophie das innerliche Symbol der äufseren Ruhe. Vor allem feierte die Litteratur unter dieser milden Sonne ihren Nachsommer, die Herrscher selbst nahmen an ihr lebhaften Anteil und schufen ihr an den Kulturcentren des Reiches Freistätten. Das Wichtigste war, dafs die griechische Litteratur, die in der letztvergangenen Zeit merkwürdig zurückgetreten war, jetzt, durch den Philhellenismus der Kaiser1) gehegt, wieder die Rolle der Führerin übernahm: Tacitus vermied ängstlich griechische Fremdwörter, aber Appuleius weifs seine Kunststücke in beiden Sprachen gleich geschickt zu machen; Griechen lebten in Rom, Griechen in den Provinzen, die Kaiser buhlten förmlich um die Gunst ihrer bedeutendsten litterarischen Vertreter, liefsen sich ihre Werke widmen, ernannten sie zu ihren Sekretären und Erziehern ihrer Kinder; mit einer beispiellosen Unverschämtheit dünkten sich diese Sophisten die Herren der civilisierten Welt und liefsen sich in Rom, das sie auf ihren Kunstreisen zu berühren selten verfehlten, anfeiern; nur in ihrem Dunstkreise leben zu dürfen, ist einem Gellius die höchste Seligkeit, um die ihn Tausende beneideten. Vor allen nahm Athen durch die Munificenz sowohl der Kaiser als auch einzelner reicher in der einstigen Gröfse sich sonnender Einwohner einen ungeahnten Aufschwung und wurde noch einmal für Jahrhunderte Name, der das Herz höher schlagen machte und über die gleichgültige Gegenwart den Schleier der Phantasie breitete: sogar fromm glaubte man wieder werden zu können, wenn man die alten Feste der Götter erneuerte und ihre Tempel aufbaute.")

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Denn die Menschen dieses und der folgenden Jahrhunderte haben ihre Augen nach rückwärts gewendet. Wie Greise erinnern sie sich einer glücklicheren Kindheit. Ein Grieche registriert die Monumente der Vorzeit weniger aus künstlerischem als aus antiquarischem Interesse: er ist dadurch eine unserer wichtigsten Quellen für Religionsaltertümer geworden. Marcus

1) Den Hadrian nennt Philostratos (vit. soph. I 24, 3) iniηdeiótatov τῶν πάλαι βασιλέων γενόμενον ἀρετὰς αὐξῆσαι, sc. τῶν σοφιστῶν. Er überhäufte mit Ehren den Dionysios, Marcus, Polemon (I 22, 3. 24, 3. 25, 2 f.). Cf. Kaibel zu Epigramm 272 u. 888 a seiner Sammlung.

2) Cf. E. Maafs, Orpheus (München 1896) 35 f. W. Schmid, D. Atticism. IV (Stuttg. 1896) 571 f.

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