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Aber wie den Kunsthistoriker ein so zusammengeflickter Bau oft mehr interessiert als der schönste, nach einem Plan und in einem Gufs erstandene gotische Dom, so sind die bezeichneten Mängel des Livianischen Werkes gerade das, was den Geschichtsforscher immer wieder anlockt, was ihm eine Aufgabe stellt, welche im Falle des Gelingens reiche Ausbeute verheifst.

In der That, wer den Schlüssel zur Entstehung der dritten Dekade fände, würde abgesehen von der richtigeren Würdigung des Schriftstellers zweierlei erzielen. Er würde einerseits eine genauere Wertbestimmung der aus der dritten Dekade so reichlich strömenden Nachrichten ermöglichen und die Geschichte jenes denkwürdigen Krieges erheblich fördern, anderseits durch teilweise Rekonstruktion der verlorenen Quellen unsre Kenntnis der älteren römischen Geschichtsschreibung bereichern.

Wie wünschenswert letzteres wäre, wie mangelhaft unser oft genug auf Ciceros unzuverlässige Angaben beschränktes Wissen von der älteren historischen Literatur ist, braucht kaum bemerkt zu werden. Aber auch die Geschichte unsers Zeitraums selbst liegt im Argen. Wo Polybios fehlt, tappen wir im Dunkeln, und selbst wo er und Livius sich gegenüberstehen, schwanken unsre ersten Darsteller nur allzuoft, offenbar weil die Mittel fehlen, der breiten, so bestimmt auftretenden Tradition bei Livius auf den Grund zu sehen. So wenn Mommsen die saguntinische Klausel, welche nach den römischen Quellen im Hasdrubalischen Vertrag stand, mit dem bestimmt verneinenden Zeugnis des Polybios zu vereinbaren trachtet, oder wenn Ihne und K. I. Neumann gar den Polybianischen Bericht über Hannibals Zug auf Rom gegen den Livianischen verwerfen. Bei der Schlacht von Baecula nehmen neuer

dings die meisten Gelehrten, gestützt auf Appian, eine Fälschung im Interesse Scipios bei Polybios an und wollen Hasdrubal Gisgos Sohn an die Stelle des Barkiden setzen. Es dürfte ohne Beispiel sein, dafs über eine Epoche, für welche das Material so umfangreich ist, und aus welcher es vortreffliche zeitgenössische Berichte von beiden Parteien gegeben hat, eine solche Unsicherheit herrscht.

Der Preis ist also hoch, vielleicht der höchste, welcher Quellenforschungen winkt, und viele Hände haben nach ihm gegriffen oder wenigstens Annäherungsversuche von diesem oder jenem Punkte aus gemacht.

Die überreiche, grofsenteils in zahllose Dissertationen und Programme zersplitterte Literatur einigermafsen vollständig aufzuführen, wäre mühselig, sie im einzelnen zu würdigen, kaum möglich. Neuere Schriften von gröfserer Bedeutung hoffe ich nicht übersehen zu haben und wird man citiert finden, desgleichen viele Einzeluntersuchungen auch älteren Datums, da solche eben ihres speziellen Inhaltes wegen länger Wert behalten, während manche allgemeinere Aufsätze, an sich lesenswert, jetzt überholt und entbehrlich sind. Polemisiert habe ich nur, wo entgegenstehende Ansichten den Schein für sich hatten, oder wo es zur besseren Entwicklung meiner Meinung förderlich schien. Bessermachen ist gerade auf diesem Boden die beste Widerlegung.

Wie aber zur Zeit die Quellenfrage im grofsen und ganzen in der dritten Dekade liegt, will ich, nach einem Blick auf die Nachbargebiete, in Kürze angeben. In der ersten Dekade ist trotz mancher schönen Untersuchung über die Entstehung und allmähliche Ausbildung dieser oder jener Erzählung dennoch das Verfahren des Livius noch nicht aufgeklärt. Zudem war es dem anfangs soviel einfacheren Stoff gegenübe

auch offenbar ein anderes als in den späteren Teilen seines Werkes. Für die vierte und fünfte Dekade hingegen hat Nissen1) die Frage, welche Quellen und wie sie Livius benützte, zum einen Teil glücklich gelöst. Er hat die griechische Quelle, Polybios, von den römischen mit scharfem Blick geschieden und sich damit nach jeder Richtung bleibende Verdienste errungen, obgleich ich das Urteil über die Arbeitsweise des Livius etwas anders gefafst schen möchte. Dagegen ist er über eine allgemeine Charakteristik der annalistischen Partieen nicht hinaus gekommen. Er sprach zwar die Hoffnung aus, dafs genauere Forschungen viel weiter führen würden, meinte aber doch, eine Scheidung im einzelnen werde schwierig und wohl geradezu unmöglich sein, eben weil die Annalisten (hier wohl nur Valerius Antias und Claudius) sich zum Verwechseln ähnlich sähen. Jene Hoffnung hat sich denn auch nicht erfüllt; nur an zwei Stellen ist es Mommsen 2) gelungen, die Arbeit der Annalisten, besonders des Antias, genauer aufzudecken und zu charakterisieren. Unger 3) hat freilich eine Verteilung der Gesamtmasse vorgenommen, indem er mit Benützung der wenigen vorhandenen Anhaltspunkte allerlei Charakteristika aufgestellt hat; allein seine Ergebnisse sind keineswegs überzeugend, vgl. unten S. 667 Anm. 3.

Günstiger nun als irgendwo liegen die Bedingungen für die Quellenforschung in der dritten Dekade. Hier fallen sofort die Abschnitte ins Auge, welche sich mit Polybios

1) Krit. Unters. über die Quellen der 4. und 5. Dekade des Livius. Berlin Weidmann 1863.

2) Der Scipionenprozefs, und: Der Friede mit Antiochos, jetzt zusammen in den Forschungen Bd. II.

3) Die röm. Quellen des Livius in der 4. und 5. Dekade. Philol. Supplbd. III 1877.

fast vollständig decken. Ein Teil dieser Abschnitte trägt den Stempel karthagischen Ursprungs an der Stirn. Andre Partieen stehen dem grofsen Scipio offenbar nahe. Kurz ein grofser Teil der Livianischen Erzählungen weist deutliche Merkmale seiner Abkunft auf. Wir haben ferner Polybios für den Anfang vollständig, späterhin in grofsen Bruchstücken zur Vergleichung, von Coelius verhältnismäfsig zahlreiche Fragmente, welche ihn als einen in mancher Hinsicht originellen Schriftsteller erkennen lassen. Endlich bieten die Quellen zweiten und dritten Ranges gerade hier ein ziemlich reiches und, was die Hauptsache ist, zum guten Teil selbständiges Material, das, wenn auch vorläufig nicht bestimmbar, doch mit Livius verglichen manche Stützpunkte zu bieten verspricht.

Und dennoch hat bis heutigentages noch nicht einmal die Kardinalfrage, ob Polybios von Anfang der Dekade an benutzt sei, eine allgemein anerkannte Lösung gefunden! Während vom 24 sten Buche an die Benutzung für die sicilischen, griechischen, spanischen 1) Ereignisse eigentlich nicht mehr bestritten werden kann, stehen sich in betreff des 21 und 22 sten Buches noch immer die beiden am eingehendsten von C. Peter 2) und C. Böttcher 3) begründeten Ansichten gegenüber, von denen die eine Livius' Übereinstimmung mit

1) Seit die Echtheit der im Puteanus fehlenden Kapitel durch die Analecta Liviana von Studemund und Mommsen erwiesen und die handschriftliche Überlieferung der zweiten Hälfte der Dekade durch die kritische Ausgabe von Luchs Berlin 1879 nach allen Seiten klargestellt worden, ist die Benutzung der Polybianischen Beschreibung Neukarthagos Liv. XXVI 42 über allen Zweifel erhaben.

2) Livius und Polybios. Halle Buchhdlg. d. Waisenh. 1863. 3) Krit. Unters. üb. d. Qu. des Livius im 21. und 22. Buche. Fleckeisens Jbb. Supplbd. V 1869.

Polybios auf direkte Abhängigkeit zurückführt, die andre auf Abhängigkeit von Coelius, welcher aus denselben Urquellen wie Polybios (vornehmlich aus Silenos) geschöpft habe.

Dazwischen steht die zwar in der Literatur wenig 1) vertretene, aber sehr naheliegende und, wie mir bekannt, von manchen Gelehrten geteilte Ansicht, dafs Coelius auch aus Polybios geschöpft haben möchte. Ein andrer vermittelnder Vorschlag Hirschfelders, Benutzung eines Polybianischen Auszuges durch Livius anzunehmen, hat nirgend Anklang gefunden.

Ist die Quellenfrage betreffs der Historiker zweiten und dritten Ranges beantwortet und von dieser Seite unsre Frage gefördert worden? Bekanntlich werden die für die ältere Geschichte hochbedeutsame Eponymenliste und die vortrefflichen kurzen Nachrichten in Diodors ersten beiden Dekaden nach Niebuhrs Vorgang von Mommsen auf Fabius Pictor zurückgeführt, und in seinem, übrigens viel bestrittenen, Aufsatz: Fabius und Diodor, 2) hat er sich für die Ausdehnung dieser Annahme auf alle Diodorischen Nachrichten römischen Ursprungs bis zu Ende des zweiten punischen Krieges ausgesprochen. Diese Ausdehnung dient freilich dazu, den Satz plausibler zu machen. Erfordert wird sie aber nicht, und noch weniger ist sie irgendwie bewiesen. Aus dem ersten punischen Kriege kann von den umfangreichen Fragmenten (5 Oktavseiten bei Dindorf) keines mit Bestimmtheit auch nur auf eine römische Quelle überhaupt zurückgeführt werden. In dem Fragment XXV. 13 über den grofsen Gallierkrieg finden.

1) Kessler: Secundum quos auct. Liv. res a Scipione maj. in Afr. gestas narraverit. Diss. Kiel 1877.

2) Hermes XIII. S. 305 ff.

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