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haben, beweist, wie schon oben bemerkt worden ist, der unchronologische, die Möglichkeit annalistischer Aufzeichnungen entschieden ausschließende Charakter der traditionellen Königsgeschichte. Selbst die ersten Jahrzehnde der Republik können noch nicht gleichzeitig, sondern erst aus der Erinnerung aufgezeichnet worden sein, wie theils der Widerspruch der Zeitbestimmungen, (so wird die Schlacht am Regillus - See von den Einen in's Jahr 255, von den Andern in's Jahr 258 gesetzt), theils der Verwirrung der Fasten während der ersten Jahre der Republik, theils endlich der sagenhafte und unhistorische Charakter der Traditionen aus jenem Zeitraum erkennen läßt. Es muß übrigens mehrere von einander unabhängige Chroniken dieser Art gegeben haben: denn wir finden bei späteren Geschichtschreibern nicht selten eine und dieselbe Thatsache zweimal und felbst noch öfter unter verschiedenen Jahren aufgeführt: was nur darin seinen Grund haben kann, daß sie die abweichenden Berichte verschiedener Chroniken kritiklos zusammengestellt haben. So erzählt Livius aus den Jahren 251-259 vier Feldzüge gegen die Volsker, die ohne allen Zweifel nur Variationen eines und desselben Hergangs sind 1). Diese Chroniken nun sind es, die den Annalisten des sechsten Jahrhunderts, einem Fabius Pictor, einem Cincius Alimentus vorgelegen und als Geschichtsquelle gedient haben; die uns die Bürgschaft geben, daß die traditionelle Geschichte -- etwa von der ersten Secession an—in ihrem kürzesten Jnbegriff historisch ist. Lassen sich doch, wie Niebuhr treffend bemerkt 2), selbst aus der Darstellung des Livius noch hin und wieder die Klänge des alten nüchternen und knappen Chronikenstyls heraushören ). Geschen aber hat Livius diese Chroniken nicht mehr, wie aus einer seiner Aeußerungen klar hervorgeht 4): auch Dionysius nicht: was übrigens die Möglichkeit nicht ausschließen würde, daß dergleichen Chro

1) S. unten den Abschnitt über die Volskerkriege, und einstweilen Draken borch zu Liv. II, 17, 6. Niebuhr R. G. II, 104 f.

2) R. G. II, 5.

3) 3. B. Liv. II, 19: his consulibus Fidenae obsessae, Crustumeria capta, Praeneste ab Latinis ad Romanos descivit eine Kürze, die gegen die breite

Ausmalung folgenloser Treffen an andern Stellen auffallend absticht.

4) Er sagt, die Zeit der Samniterkriege betreffend: haud quisquam aequalis temporibus illis scriptor exstat, quo satis certo auctore stetur VIII, 40. Er kannte also nur die Annalisten.

niken noch zu Varro's oder Verrius Flaccus Zeit vorhanden gewesen, und von diesen gelehrten Antiquaren benüßt worden sind.

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Große Aehnlichkeit mit den besprochenen Chroniken, den Privatchroniken sowohl als den Priester Annalen, haben die Chroniken des früheren Mittelalters, namentlich diejenigen der karolingischen Zeit. Sie sind bald in kurzen, aphoristischen Säßen abgefaßt, und merken mit zwei Worten die wichtigsten Creignisse des Jahres an 5); bald geben sie ausführlichere Berichte in erzählendem Ton 6). Jm ersten Band der Perzschen Monumenten-Sammlung ist eine große und mannigfaltige Anzahl solcher Chroniken zusammengestellt. An die römischen Priester-Annalen erinnern diese mittelalterlichen Chroniken auch insofern, als sie meist in Klöstern oder bei Kirchen, kurz von Clerikern geführt worden sind, weßwegen auch die kirchlichen Ereignisse und Personalveränderungen in der Regel sehr sorgfältig darin verzeichnet sind. Die Sitte, solche Chroniken zu führen, hat sich auch in den deutschen Reichsstädten des spätern Mittelalters in Geltung erhalten: in jeder derselben gab es Stadt - Chroniken in großer Zahl, von Privatleuten angelegt und oft Jahrhunderte lang fortgeführt. Man darf nicht zweifeln, daß auch in Rom seit alter Zeit solche Stadtchroniken geführt worden sind: aber es ist festzuhalten, daß die älteren derselben höchst einsylbig und wortkarg waren, sich auf den kürzesten Inbegriff der Begebenheiten beschränkten, und daß auch die ältesten nicht über den Sturz des Königthums hinaufreichten.

6. Von den eben besprochenen Stadtchroniken sind die Hausoder Familien- Chroniken zu unterscheiden. Leßtere beschränkten sich auf eine übrigens nicht immer unbefangene Erzähluug derjenigen Begebenheiten, welche für das betreffende Haus von Bedeutung gewesen waren, oder an welchen ein Mitglied der Familie handelnden Antheil genommen hatte: wogegen jene Stadtchroniken, wenn gleich nicht von einer öffentlichen Person oder in öffentlichem Auftrag ge= führt, wie die Priester - Annalen, doch eine unparteiische, objective,

est.

5) 3. B. Carolus bellum habuit contra Saxones. Carolus mortuus Eclipsis solis. Fames valida.

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6) Von lepterer Art ist z. B. eine Chronik Roms, die im zehnten Jahrhundert ein Mönch vom Berg Soracte Namens Benedictus schrieb: sie ist ab= gedruckt in Pert's Monum. Tom. V (Script. Tom. III) p. 695 ff.

im Wesentlichen vollständige Darstellung der wichtigsten Staatsactionen und denkwürdigsten Ereignisse enthielten. Daß die Geschichte der vorgallischen Zeit in der Hauptsache aus diesen Stadtchroniken, nicht aus jenen Hauschroniken geflossen ist, sicht man aus ihrem unbefangenen und im Ganzen partheilosen Charakter: nirgends tritt eine Vorliebe für bestimmte Familien oder eine Neigung, sie zu verherrlichen, hervor: wogegen die spätere Geschichte, besonders diejenige der Samniterkriege, in so mancher Erdichtung und Entstellung den trübenden Einfluß der Familienchroniken erkennen läßt. Die Hauschroniken reichten wohl im Allgemeinen nicht sehr hoch, nicht über die gallische Zerstörung hinauf: nur das fabische Geschlecht scheint eine sehr alte, weit zurückreichende Hauschronik besessen zu haben: wenigstens hat Niebuhr die richtige Wahrnehmung gemacht 1), daß die Ueberlieferungen über den vejentischen Feldzug des Jahrs 274, in welchem die Fabier eine so hervorragende Rolle spielten, troß ihrer Umständlichkeit ein Gepräge entschiedener Geschichtlichkeit und hoher Alterthümlichkeit an sich tragen, und hat hieraus den Schluß gezogen, daß die Geschichte jenes Feldzugs aus den Hausschriften des fabischen Geschlechts stamme. Ebenso scheint der unverhältnißmäßig ausführliche Bericht, den Livius in seinem zehnten Buch über die Feldzüge des Q. Fabius Maximus Nullianus gibt, aus Familienaufzeichnungen geschöpft zu sein. Es mag auch, wie von Andern weiter bemerkt worden ist 2), eben dieser Umstand, daß das hochgebildete fabische Geschlecht eine alte und reichhaltige Hauschronik oder wenigstens eine ungewöhnliche Menge historischer Urkunden und Aufzeichnungen besaß, eines der Motive sein, aus denen die schriftstellerische Thätigkeit des Fabius Pictor auf diesem Gebiete zu erklären ist. In den spätern Zeiten der Republik hatte wohl jedes mächtige und berühmte Haus seine Geschlechtschronik oder seine häuslichen Denkwürdigkeiten, von Clienten des Hauses oder von gunstsuchenden Griechen verfaßt 3); auch angesehenere

1) R. G. II, 224. vgl. R. G. II, 9. Vortr. I, 14 f. 95.

2) Bernhardy Grundriß der röm. Litt. 2te Aufl. S. 175. Anm. 128. €. 203. Anm. 155.

3) Ein Beispiel Gell. XIII, 19, 17: quae postea ita esse cognovimus, cum et laudationes funebres et librum commentarium de familia Porcia legeremus. Das Meiste von dem, was Sueton in den ersten Capiteln seiner Biographieen berichtet, mag solchen Familiendenkwürdigkeiten entnommen sein.

Männer gaben sich zu solchen Arbeiten her, z. B. Pomponius Atticus); im Allgemeinen scheint viel Unfug mit dieser Art von Schriftstellerei getrieben worden zu sein 5). Auch falsche Stammbäume und Ahnentafeln wurden verfertigt, mittelst deren man jüngere und später emporgekommene Familien an die glänzenden Namen altberühmter Geschlechter anzuknüpfen suchte 6). Die Geschichte der Königszeit ist von solchen Erdichtungen der Familien-Eitelkeit verhältnißmäßig rein geblieben; die Horatier ausgenommen, die übrigens früh ausgestorben sind, spielt keines der Geschlechter, die später zu Macht und Glanz gelangt sind, unter den sechs ersten Königen eine hervorragende Rolle. Zu den häuslichen Denkwürdigkeiten gehörten endlich auch die Leichenreden (laudationes funebres) 7). Die Sitte, solche zu halten, wird in die allerersten Zeiten der Nepublik zurückdatirt 3): es steht dahin, ob mit Recht: sicherlich hat man erst weit später angefangen, sie schriftlich aufzuzeichnen und im FamilienArchiv aufzubewahren. Sie waren, wie übereinstimmend geklagt wird, sehr unzuverlässige, durch Familien - Eitelkeit entstellte Geschichtsquellen: viele Erdichtungen und Verfälschungen sind durch sie in die römische Geschichte gekommen 9).

4) Corn. Nep. Attic. 18: (in seinem annalis) sic familiarum originem subtexuit, ut ex eo clarorum virorum propagines possimus cognoscere. fecit hoc idem separatim in aliis libris, ut M. Bruti rogatu Juniam familiam a stirpe ad hanc aetatem ordine enumeraverit. — In polemischem Interesse, nämlich um den vielfachen Fälschungen der Ahnenlisten entgegenzuarbeiten, schrieb seine Bücher de familiis Messala Corvinus, Plin. H. N. XXXV, 2 (§. 8).

5) Eines der grellsten Beispiele Suet. Vitell. 1: Exstat Q. Eulogii ad Q. Vitellium, Divi Augusti quaestorem, libellus, quo continetur, Vitellios Fauno, Aboriginum rege ortos toto Latio imperitasse u. f. w.

6) Plut. Num. 1.: (der Historiker Clodius behauptete), vas võv qawouévas àraγραφὰς οὐκ ἀληθῶς συγκεῖσθαι δι' ἀνδρῶν χαριζομένων τισίν, εἰς τὰ πρῶτα γένη καὶ τὰς ἐπιφανεςάτες οἴκης ἐξ ἐ προσηκόντων εἰσβιαζομένοις. Plin. Η. Ν. XXXV, 2 (§. 8). Eines der bekanntesten Beispiele solcher Fälschung ist die vorgebliche Abstam= mung der plebejischen Junier von Junius Brutus. Besondern Werth legten die vornehmen Familien darauf, von troischen Ahnen abzustammen: daher Jurenals spöttisches Trojugenae, Sat. I, 100. VIII, 181. XI, 95. De familiis trojanis schrieben Varro (Serv. Aen. V, 704) und Hyginus (Serv. Aen. V, 389). Mehr hierüber s. u. im fünften Buch.

7) Gell. XIII, 19, 17 (s. o. Anm. 3). Cic. Brut. 16, 61 (f. u. Anm. 9). vgl. Polyb. VI, 53.

8) Dionys. V, 17. p. 291, 5. Plut. Popl. 9.

9) Liv. VIII, 40: vitiatam memoriam funebribus laudibus reor, falsisque

7. Keine eigentliche Chronik waren die libri lintei, auf Leinwand geschriebene Magistrats-Verzeichnisse, die im Tempel der Juno Moneta auf der kapitolinischen Burg aufbewahrt wurden. Sie waren sehr alt; reichten über den gallischen Brand hinauf 1); scheinen aber, wie gesagt, nichts Weiteres, als ein Verzeichniß der jährlichen Magistrate enthalten zu haben. Nicht nur sind Magistrats-Namen das Einzige, was aus ihnen angeführt wird, sondern Livius gibt ihnen auch einmal ausdrücklich den Beinamen libri magistratuum 2). Zwar unterscheidet er anderwärts ) die libri lintei und die libri magistratuum: es ist dieß aber kein Widerspruch, da es ohne Zweifel mehrere von einander unabhängige Magistrats - Verzeichnisse gab, die einen ausführlicher, und sämmtliche Magistrate enthaltend, wie dieß bei den linnenen Büchern der Fall gewesen zu sein scheint, die andern kürzer, wie z. B. die sogenannten capitolinischen Fasten,

imaginum titulis, dum familia ad se quaeque famam rerum gestarum honorumque fallente mendacio trahunt. inde certe et singulorum gesta et publica monumenta rerum confusa. Cic. Brut. 16, 61: nec vero habeo quemquam antiquiorem, (als den alten Cato), cujus quidem scripta proferenda putem, nisi quem Appi Caeci oratio de Pyrrho et nonnullae mortuorum laudationes forte delectant. et hercules hae quidem exstant: ipsae enim familiae sua quasi ornamenta ac monumenta servabant et ad usum, si quis ejusdem generis occidisset, et ad memoriam laudum domesticarum et ad illustrandam nobilitatem suam. quamquam his laudationibus historia rerum nostrarum est facta mendosior. multa enim scripta sunt in eis, quae facta non sunt, falsi triumphi, plures consulatus, genera etiam falsa et ad plebem transitiones. Selbst einzelnen Annalisten, wie dem Licinius Macer, wirft Livius Entstellung des Sachverhalts aus Familieneitelkeit vor VII, 9. Vgl. im Allg. Döring, de laudat. funebr. ap. veteres, in dessen Opusc. p. 100 ff. Cladenbach, de Rom. laud. funebr. 1832.

1) Liv. IV, 7 werden sie angeführt fürs Jahr 310; IV, 13 fürs Jahr 315; IV, 20 fürs Jahr 326; IV, 23 fürs Jahr 320. Allem Anschein nach sind sie auch Dionys. XI, 62. p. 736, 42 gemeint, wo pißlo iegai zai anódeτoi alz Zeugen für dieselbe Angabe angeführt werden, für welche sich Licinius Macer bei Livius auf die linnenen Bücher beruft.

2) Liv. IV, 20: magistratuum libri, quos linteos in aede repositos Monetae Macer Licinius citat auctores, d. h. ii magistratuum libri, qui lintei in aede Monetae repositi erant, et quos Die Conjectur magistratuum libri

et quos (oder quosque) linteos (fo Beaufort dissert. sur l'incert. p. 74, Lachmann de font. Liv. I, 13. not. 2., Beder r. Alterth. I, 17) erscheint bei unserer Erklärung als unnöthig.

3) Liv. IV, 7.

Schwegler, Röm. Gesch. L. 1. Zweite Aufl.

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