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worden ist. Ebenso sehen wir das sabinische Volk in die Reihe der bedeutendsten Träger des Orientalismus Italiens eintreten und einen Zusammenhang mit dem etruscischen Heraklidenthum gewinnen, der wohl auch früher schon und zwar von O. Müller

angedeutet, bis heute aber unserm wissenschaftlichen Bewusstsein fern geblieben ist. Endlich wird nun erst die Parallele Tanaquil's mit den Königsfrauen der Sagen des assyrischen Culturkreises durch die entsprechende ihres männlichen Genossen in Rom und in Asien ergänzt und so der Beweis für die Geschichtlichkeit einer orientalischen Culturperiode Italiens zu seinem Abschluss gebracht. Ein einziges Sagendenkmal hat uns zu diesem Resultate geführt. Orientalische Ideen in solchem Umfange setzen aber die Anwesenheit orientalischer Völker auf italischem Boden, die tiefen Wurzeln, die die Gedanken hier schlagen, eine lange Dauer der assyrischen Culturperiode voraus. Die Halbinsel des Apennin erscheint als Colonialland Asiens lange bevor sie für das erstarkende Hellenenthum dieselbe Bedeutung erhält. Zu jeder Zeit bietet Italien die gleiche Erscheinung dar. Es ist die letzte Zufluchtsstätte der anderwärts erliegenden Culturen, der untergehenden Ideen, der besiegten Parteien. Die religiösen Elemente eignet es sich am tiefsten an, und diese behalten unter seiner Hut eine Bedeutung, welche das Hellenenthum auch in der Zeit seines grössten Einflusses nicht zu vertilgen vermag.

Die völlige Abhängigkeit der römischen Sagengestalt von dem orientalischen Urbilde einer Königthum verleihenden Aphrodite Mylitta gab bei jedem Schritte unserer Untersuchung mit vermehrter Anschaulichkeit sich zu erkennen. Sie erhielt durch die identische Conjunction beider weiblichen Erscheinungen mit Herakles ihre Bestätigung, schliesslich durch die übereinstimmende Gestaltung der Heraklesidee nach assyrisch-lydischer und sabinischrömischer Auffassung einen gemeinschaftlichen Hintergrund des weitesten Umfanges. In dem Beweise, dem unsere vergleichende Forschung dient, lässt sich keine Lücke mehr entdecken. Aber erwünscht muss es sein, seine Richtigkeit einer Probe zu unterwerfen. Zu einer solchen ist uns das erforderliche Material erhalten. Es liegt in dem zweiten Sagenkreise, der sich um Tanaquil gebildet hat, nämlich in den Geburtsmythen des Königs

Servius Tullius, die wir in der zweiten Abtheilung einer genauen Prüfung unterwerfen. Ist nämlich Tanaquil's Geltung als thronverleibender Frau in letzter Zurückführung ein Ausdruck der assyrischen Mylittenidee, so kann ihre Stellung zu der Geburtssage auch nur in den Grundsätzen und Gebräuchen des Mylittencults wurzeln. Beide Traditionen sind so enge mit einander verwoben, dass sie nothwendig aus einem und demselben Prototyp hervorgegangen sein müssen. Woraus folgt, dass die Richtigkeit des Resultats, womit unsere erste Untersuchung schliesst, durch die Ergebnisse der zweiten entweder ausser Zweifel gesetzt oder umgestossen wird. Als wir die neue Aufgabe zur Hand nahmen, liess sich kaum voraussehen, in welchem Umfange sie den orientalischen Ursprung der römischen Tradition bestätigen würde. Zwar kann nach Allem, was die frühere Forschung zu Tage fördert, der Zusammenhang einer der verbreitetsten Sagen der römischen Königszeit mit der assyrischen Religion, dem Culte einer in zügellosem Hetärismus sich kundgebenden Naturmutter, nicht mehr überraschen. Was aber auch jetzt noch alle Erwartung weit hinter sich zurücklässt, ist die Wahrnehmung, dass gerade diejenige Sacralübung, welche jener aphroditischen Auffassung des weiblichen Princips ihren ausgelassensten, dem gemässigten occidentalen Geiste am meisten widerstrebenden Ausdruck leiht, als das nächste, alles Einzelne bestimmende Prototyp der römischen Serviussage auf das unzweideutigste sich zu erkennen giebt. Der zweite Mythenkreis, in dem Tanaquil auftritt, ist in der That nichts Anderes, als die Historisirung jener sakäischen Festübungen, die wir als den vollendeten Ausdruck des niedrig sinnlichen Mylittenrechts in der ersten Abtheilung bei der Darstellung des Aphroditismus der asiatischen Königsfrauen näher betrachten. Die charakteristischen Züge der römischen Sage sind charakteristische Auszeichnungen der hetärischen Sclavenfeste Babyloniens und Assyriens, die Functionen, welche Tanaquil erfüllt, Nachbildungen jener, die der göttlichen Sakäenkönigin zugewiesen werden. Zurückgeführt auf dieses Vorbild lösen sich die zahlreichen Widersprüche der römischen Sage. Das anscheinend Unvereinbare gewinnt Zusammenhang, das Auffallende die Rechtfertigung völlig gesetzmässiger Bildung. Jede einzelne Sagen

wendung wird als Bruchstück eines einst vollständiger erhaltenen Gesammtbildes, jede neben der andern als gleichberechtigt, jede in ihrem Zusammenhang mit einer einzelnen Seite der cultlichen Idee erkannt und zugleich der richtige Massstab für die mit der Zeit fortschreitende Emancipation von dem ursprünglichen Religionsgedanken und für die Würdigung der dadurch herbeigeführten Modificationen der ältesten Tradition gewonnen. Wir werden,

um diese Parallele zu begründen, denselben Weg einschlagen, der sich in der ersten Abtheilung bewährt. Auf die Mittheilung der römischen Sage in allen ihren Wendungen und mit dem ganzen Gewirr ihrer Widersprüche folgt die Zurückführung jedes einzelnen Zuges auf das Urbild der assyrischen Sakäengebräuche, auf die Parallele der Vorstellungen von der mütterlichen Abstammung die der Traditionen über die väterliche Herkunft, endlich auf die Erklärung der dem Urbilde treuer sich anschliessenden Sagentrümmer die Erläuterung der übrigen, von dem religiösen Gesichtspunkte nicht mehr in gleicher Ausschliessliehkeit geleiteten Anschauungen. Im Laufe der vielen Untersuchungen, die sich hier aneinander reihen, wiederholt sich eine Thatsache, die schon aus den Parallelen der ersten Abtheilung uns entgegen tritt. Was in Italien bruchstückweise, in aufgelösten und zerstreuten Fragmenten, endlich vielfach überarbeitet sich darstellt, liegt in dem Oriente lückenloser, zusammenhängender, erkennbarer und in reiner Ursprünglichkeit uns vor. Deutlich erkennen wir das Verhältniss des Originals zu einer nachahmenden Darstellung, deutlich die zerstörende Wirkung späterer Gedankenumwälzungen, welche in dem Westen die Denkmäler der orientalischen Vorzeit in einen verworrenen Trümmerhaufen verwandeln, das östliche Heimathland dagegen in seinem Quietismus nicht zu stören vermögen. Keinen Theil der italischen Tradition hat diese Erschütterung verwüstender getroffen als die Servianischen Geburtssagen. Wären wir auf die von ihnen noch erhaltenen Fragmente beschränkt, so gehörte es zu den Unmöglichkeiten, sich von dem Ganzen, dem sie angehörten, eine richtige Vorstellung zu machen; selbst der unrömische, fremdartige Charakter der einzelnen Ueberlieferungstrümmer würde sich unserer Wahrnehmung noch fernerhin entziehen, wie er bisher unbeachtet geblieben ist. Nur dem vollständig erhaltenen asia

tischen Exemplare haben wir es zu danken, wenn nun das Zerstreute sich ordnet und wir die Stelle finden, wo jede Scherbe ursprünglich hingehörte. Durch diese Vergleichung sicher geleitet, können wir mit Gleichmuth auf die Unbrauchbarkeit der römischen. Erläuterungsversuche selbst hinblicken. Sie stammen aus einer Zeit, welche, dem Orientalismus längst entwachsen, seinen Schöpfungen verständnisslos gegenüberstand, zeigen daher nicht sowohl den Gedanken, der die erste Bildung der Sage leitete, als vielmehr die Vorstellungen, mit welchen man die fremdartigen Reste später zu erfüllen suchte, kennzeichnen folgeweise nur den Standpunkt ihrer eigenen, nicht den der alten Zeit. In unserer Untersuchung dienen sie dazu, den Gegensatz der nationalrömischen Denkweise zu der früheren Ideenwelt recht deutlich zu machen. Eine viel grössere Wichtigkeit für den nächsten Gegenstand der Forschung besitzt eine Klasse cultlicher Traditionen, die, wie alles mit religiösen Festgebräuchen Verknüpfte, dem umgestaltenden Einfluss neuer Zeitideen wenig ausgesetzt war. Die Abhängigkeit der Servianischen Geburtssagen von den Sakäenceremonien verliert nämlich nur dann jene Räthselhaftigkeit, die noch immer an ihr haftet, wenn es uns gelingt, die Einbürgerung sakäenartiger Feste in Italien und zunächst in Rom selbst nachzuweisen. Wie hätte der Volksgeist Italiens seine Vorstellungen von der Geburt des geliebten Königs nach einem religiösen Prototyp gestalten können, das ihm nicht aus eigener Uebung bekannt war? Die Berechtigung dieser Frage wird Niemand verkennen, Niemand daher die Sorgfalt tadeln, welche wir auf die Prüfung dieser kostbaren Reste der orientalischen Culturanfänge Italiens verwenden. Von neuem haben wir es mit einem der dunkelsten Theile des römischen Festkalenders zu thun. Was unsere Mythologieen bieten, geht nicht über die Kenntnissnahme des Thatsächlichen hinaus. Weder die schöpferische Grundidee noch der Ursprung werden ermittelt, und so bleibt Alles in Räthsel gehüllt. Auch auf diesem neuen Forschungsgebiete haben wir die Urgedanken von späteren Zusätzen und abändernden Auffassungen richtig zu scheiden. Aber die Schwierigkeit ist hier weit geringer als die ähnliche, schon in der ersten Abtheilung überwundene. Denn das, was in unveränderter oder nur leicht modificirter Gestalt sich erhalten

Bachofen, Sage von Tanaquil.

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hat, übertrifft an Umfang und innerer Bedeutung jenes weit, was untergegangen oder seiner ursprünglichen Reinheit entfremdet worden ist. Beachten wir zunächst die bedeutende Zahl sakäenartiger Feste in Rom und Latium. Da gehen die Nonae caprotinae, die Quinquatrus minores, die Tubilustrien, die Floralien, die Tage der Anna Perenna und der am Tiberufer ausserhalb der Stadt verehrten Servianischen Fortuna an uns vorüber. Ist mit der alten Idee auch der alte Geist aus ihnen gewichen und das grosse Ansehen, dessen sie sich noch in sehr neuen Zeiten erfreuten, hauptsächlich eine Folge des Reizes, den lärmende, der Ausgelassenheit günstige Volksvergnügen zu jeder Zeit auf die Masse des geringen wie des vornehmen Pöbels ausüben: so hindert doch das Alles nicht, die Sakäenanlage überall mit Sicherheit zu erkennen. Berücksichtigen wir ferner die reiche innere Ausbildung der Cultusgebräuche selbst. Sie entfernt sich von dem orientalischen Vorbilde hauptsächlich in Folge der Unterdrückung solcher Uebungen, die dem gemässigten Geiste des Occidents gar zu anstössig erschienen. Nehmen wir zu diesen beiden Auszeichnungen noch eine dritte hinzu, nämlich die Mannigfaltigkeit bedeutender Mythen, in welchen theils der Ursprung der Culte dargelegt, theils die Rechtfertigung einzelner auffallender Festgebräuche versucht wird, so ergiebt sich für die Herstellung der Parallele ein Material, wie es reicher, zusammenhängender und zuverlässiger nirgends zu Gebote steht. Wiederum lernen wir die Unbrauchbarkeit der späteren römischen Deutungsversuche verschmerzen. Sie sind Nothbehelfe, bestimmt, die fremdartig gewordenen Ceremonien, so gut es gehen mochte, mit einem ganz neuen Zeitgeiste zu versöhnen, daher für diesen letzteren eine Quelle der Erkenntniss, für den Urgedanken bedeutungslos. Wie oft erhält sich das Alte nicht kraft des Verständnisses seiner Idee, sondern trotz und in Folge des Verlustes derselben. Am Schlusse dieser Untersuchung über die Reste der Sakäenfeste in Rom und Latium steht die Parallele zwischen Ost und West in einer weit grösseren Ausdehnung da, als es der Umfang der Tanaquilsage zuerst in Aussicht stellte. Dennoch wird uns Niemand vorwerfen, dass wir den Gedankenkreis, dem der genannte Mythus angehört, irgendwie überschritten hätten. So sorgfältig wir dies im Interesse einer

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