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strengen Beweisführung meiden, so wichtig ist es uns andererseits, nichts von dem, was mit der Tanaquiltradition denselben Ursprung theilt, unberücksichtigt bei Seite zu lassen. Ist doch der Werth eines richtigen Gedankens an der Fülle des Lichtes, das er auf räthselhafte Punkte wirft, der Werth einer Untersuchung an der geistigen Vereinigung einer Mehrzahl scheinbar zusammenhangsloser Thatsachen zu erkennen. Das schliessliche Ergebniss aller in der zweiten Abtheilung enthaltenen Forschungen ist folgendes: König Servius, der Gründer der römischen Gemeinde, der Urheber der Volksfreiheit, ist nach der Auffassung seiner dankbaren Zeitgenossen ein Sprössling jener hetärischen Sclavenfeste, in welchen die Völker des assyrischen Culturkreises die Rückkehr der Menschen zu den Geboten der grossen Mutter des Lebens, zu Freiheit und Gleichheit Aller, mit taumelnder Begeisterung feiern. In dieser Idee vereinigen sich alle Sagenwendungen, in ihr finden alle, auch die räthselhaftesten, Angaben ihre Aufklärung. Dies ist mit einem Worte, um auf das früher gebrauchte Gleichniss zurückzukommen, das vollständige Gedankenexemplar, von welchem die uns erhaltene römische Tradition nur noch einzelne Bruchstücke gerettet. Die Restitution hatte sicherlich ihre Schwierigkeiten. Aber mit Hilfe richtiger Vergleichungen ist sie gelungen, überzeugend und, was nie gering angeschlagen werden sollte, nicht weniger durch ihre Natürlichkeit als durch ihre Uebereinstimmung mit der geschichtlichen Bedeutung des grossen Gegners der Tarquinierdynastie empfohlen. Sollen wir nun noch hervorheben, dass das Resultat der Untersuchungen unserer ersten Abtheilung durch die der zweiten seine volle Bestätigung erhält, dass mithin die Probe der Richtigkeit, von welcher wir die Geltung unserer ganzen Auffassung abhängig erklärten, bestanden ist? Ich denke, der ideelle Zusammenhang beider Theile des um Tanaquil's Erscheinung geflochtenen Mythenkranzes wird Niemand entgehen. Die über Leben und Thron nach Willkür verfügende Hetäre, welche wir in der Königsfrau des ersten Tarquinius erkannten, ist keine andere, als die in der vollen Zügellosigkeit des üppigen Naturlebens aufgefasste, buhlerische Sakäengöttin, welche in der Geburtsgeschichte noch als Pflegemutter und Gönnerin des Knaben Servius auftritt. Die Functionen, die sie dort und hier erfüllt,

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entspringen aus demselben Religionssysteme und zeigen den gleichen Grundgedanken, wenn auch zu zwei verschiedenen Consequenzen entwickelt. Der Volksgeist, welcher der Sage ihre Gestalt lieh, ist hier, wie in allen seinen Bildungen, durch und durch folgerichtig. Er übt eine Gesetzmässigkeit, die mit jener der Naturschöpfungen wetteifert, und offenbart auch hierin die primitive Culturstufe, über welche er sich noch nicht zu erheben vermag.

In den bis jetzt resumirten Untersuchungen wird der Beweis des orientalischen Ursprungs der Tanaquilmythen ohne alle Einmischung von Etymologieen und Wortvergleichungen durchgeführt. Es liegt uns Alles daran, die Parallele ausschliesslich durch die Uebereinstimmung der Ideen zu begründen. Nunmehr aber, nachdem diess Ziel als erreicht betrachtet werden darf, gewinnt die Frage, ob der sachlichen Analogie auch die der Götterbezeichnungen entspreche, ein sehr nahe liegendes Interesse. Wenn es nie gestattet sein kann, aus Namensähnlichkeiten Schlüsse zu ziehen, und die Gefährlichkeit dieser viel missbrauchten Beweisführung selbst durch die wissenschaftlichere Methode der heutigen Sprachvergleichung keineswegs als wesentlich gemindert betrachtet werden darf, so ist es dagegen ganz unbedenklich, nach schon feststehendem sachlichen Beweise auch noch die sprachliche Seite der Frage zu erörtern. Wir thun dies zweimal, beidemale mit der ausdrücklichen Erklärung, dass die darauf bezüglichen Ausführungen ausserhalb des Rahmens unserer Beweisführung stehen und also nur das Verdienst der Materialsammlung zum Behuf weiterer Nachforschung in Anspruch nehmen. In der ersten Abtheilung lassen wir auf den Nachweis der sachlichen Identität des sabinischen Semo Sancus mit dem assyrisch-lydischen HeraklesSandon die Frage nach der Namensverwandtschaft zwischen Sancus-Zayyos und Sandon-Sanbulos, ebenso zwischen Semo und Herakles-Sem folgen; - in der zweiten auf die Identität der asiatischen Königsfrauen mit der etruscisch-römischen Tanaquil die Vergleichung der assyrisch-persischen Sakäengöttin Anais und der sie umgebenden Gestalten Ana, Aphrodite - Aineias, Nana, Nanaia, mit der Sakäenmutter Anna der latinischen Stadt Bovillae; der lydischen Tydo mit der italischen Tutola-Tutela der Nonae

caprotinae; der asiatischen Tanais und Thanake mit den italischen Bezeichnungen Tana oder Thana, Retana, Morthana, endlich der asiatischen Athana mit der etruscischen Tana Tanaquil. Bei der letzteren Vergleichung verweilen wir am längsten, weil sie uns Gelegenheit giebt, den Orientalismus Athanas und ihre Identität mit der italischen Göttergestalt nach dem Inhalt ihres Wesens, nach der auch auf die Griechen übergegangenen Conjunction mit Herakles, endlich nach der Benennung gründlicher, als es eine durch die hellenische Auffassung geleitete oder vielmehr missleitete Forschung thun könnte, nachzuweisen.

Auf diese sprachlichen Excurse folgt, als letzte Untersuchung unserer zweiten Abtheilung, die Betrachtung der Geburtsmythen des spartanischen Königs Demaratus. In diesem Fürsten besitzt die lacedämonische Geschichte eine dem römischen Servius Tullius analoge Persönlichkeit, in dem göttlichen Ahn des zweitheiligen Fürstenhauses den assyrisch-phönizischen Herakles-Belus, in Artemis Orthia eine Darstellung der persisch-assyrischen Sakäenmutter Anais, auf welche jene ausdrücklich zurückgeführt wird, mithin alle Elemente, aus welchen zu Rom die Servianischen Geburtsmythen hervorgingen. Können wir uns wundern, dass aus denselben Wurzeln auch der gleiche Baum erwuchs? Unsere Aufgabe besteht hier darin, alle Einzelheiten des von Herodot mit der grössten Genauigkeit ausgeführten Mythus auf die Ideen der Herakles-Belus Religion zurückzuführen und so zu zeigen, dass die spartanische so wenig wie die römische Geburtssage in irgend einem ihrer Detailzüge auf freier Erfindung beruht, dass vielmehr jeder mit der Regelmässigkeit einer Naturbildung von der cultlichen Volksanschauung hervorgebracht wurde. Indem wir so verfahren, entwickelt sich die spartanisch-römische Parallele und ihrer beiden Glieder Anschluss an das asiatische Prototyp ganz von selbst. Alle Erscheinungen, mit welchen die Analyse der Servianischen Geburtssagen uns vertraut machte, gehen nochmals an uns vorüber. Die Vorstellungen von der mütterlichen und der väterlichen Abstammung sind dieselben. Unter verschiedenen Ausdrucksformen entdecken wir auf jedem Schritte die Gedanken des italischen Mythus. So wird uns ein volklicher Zusammenhang Spartas einerseits mit dem asiatischen Ostlande, andrerseits mit

dem italischen Westen nahe gelegt, und der Werth, ja die Unentbehrlichkeit der darauf bezüglichen Tradition erkennbar. Denn das, was die Mythenvergleichung schliessen lässt, wird von dem Alterthum als historischer Glaube bezeugt. Dasselbe sabinische Volk, das wir als einen Hauptträger des Orientalismus in Italien kennen lernten, und mit dessen Stammgotte Semo Sancus Tanaquil, des Servius göttliche Schützerin, in dem Verhältniss der engsten Vertrautheit steht: dasselbe wird mit dem asiatischen Heimathland des Sakäendienstes, zugleich aber mit Sparta, der Heimath des Demaratusmythus, in Verbindung gesetzt. Dadurch kehrt eine Untersuchung, welche mit den Tanaquilmythen gar keinen Zusammenhang zu haben scheint, zuletzt wieder zu denselben zurück. Für die Richtigkeit unserer Grundanschauung ist eine neue Probe gewonnen, und zugleich gezeigt, dass das, was Griechenland an Parallelen aufzuweisen hat, nicht dem Hellenismus, sondern dem Orientalismus in Hellas angehört. Nach dieser Beweisführung scheint es unnöthig, den Mythus von Ion's Geburt in die Grenzen unserer Betrachtung zu ziehen, wie die Verwandtschaft der Bacchischen Orgien mit den Sakäenfeiern Asiens, die des Dionysos-Apollo mit Sandon-Herakles, endlich die Aehnlichkeit der griechischen Geburtssage mit der des Servius und Demarat uns nahe legen könnte. Die Entwickelung der Euripideischen Darstellung haben wir schon früher in dem Buche über das Mutterrecht gegeben. Sie genügt zur Ausfüllung der in der vorliegenden Untersuchung gelassenen Lücke.

Fortan widmen wir unsere ungetheilte Aufmerksamkeit der Darstellung des Schicksals, welchem die orientalische Tradition auf italischem Boden verfällt. Diese Untersuchung, der Gegenstand unserer dritten Abtheilung, ist dazu bestimmt, den zweiten der beiden mächtigsten Factoren, auf welchen die menschliche Culturentwickelung ruht, in seiner ganzen Bedeutung zum Bewusstsein zu bringen. Haben wir bisher gesehen, dass das italische Volk orientalische Ideen und Gebräuche im weitesten Umfange bei sich aufnahm, so werden wir uns jetzt überzeugen, dass seiner receptiven Kraft die Macht der Umbildung aller aus der Fremde zugeführten Elemente und der Unterwerfung derselben unter sein eigenes Denkgesetz vollkommen entspricht. Was kann es in der

That Merkwürdigeres geben, als die Metamorphose der asiatischen Königsfrau, der Gefährtin amazonischer Buhlerinnen von Omphale's Geltung, der durch unzüchtige Geschlechtsfeiern verehrten Sakäenmutter Anais in Tanaquil, wie sie uns die römischen Schriftsteller schildern, wie wir sie seit den Bänken der Lateinschule unserm Geiste eingeprägt haben, jenes Vorbild aller matronalen Tugend und Würde, entkleidet jeder Spur hetärischen Hanges, jedes Anklangs an amazonische Ueberhebung, den vollendeten Ausdruck der sittlichen Auffassung eines reinen Familienlebens. Und ist die Umbildung einer Schöpfung der inneren Glaubensanschauung zu einer historischen Persönlichkeit, religiöser Ideen und Gebräuche zu einem Gewebe menschlicher Verhältnisse und Schicksale ein weniger überraschender Gedankenprozess? Unsere Aufgabe kann hier nicht darin bestehen, das Geheimniss dieses Geschichtsganges selbst erläutern und den Schleier, welcher die Lebensentwickelung der Menschheit bedeckt, heben zu wollen. In das Innere des Wachsthums vermag weder auf dem geschichtlichen noch auf dem physischen Forschungsgebiete irgend ein menschliches Auge einen Blick zu thun, und auch mit den allgemeinen Erfahrungen, wonach jedes Ding mit dem Boden seine Art ändert, jedes Gewächs in einem neuen Erdreich seiner Frucht einen neuen Geschmack leiht, und manches mehr als einmal den Himmelsstrich wechseln muss, bevor es zu vollkommener Entwickelung gelangt, wird die Erkenntniss dieser Phänomene nicht gefördert. Wir vermögen nur Eines: die Thatsache der Verwandlung selbst zu constatiren und in die Reihe unserer wissenschaftlichen Erfahrungen einzuführen. Um dieses Ziel vollkommen zu erreichen, genügt es aber nicht, die Gegensätze der orientalischen und der occidentalischen Tanaquilauffassung neben einander zu stellen; vielmehr ist zu zeigen, dass der jüngere Gedanke aus dem älteren durch einen natürlichen Umformungsprocess hervorgegangen sein muss. Wie könnte dies anders geschehen als durch den Nachweis des Zusammenhangs, der selbst die Extreme noch unter sich verbindet? An Vorbereitungen zu der neuen Arbeit fehlt es uns nicht. Haben wir doch schon in den beiden ersten Abtheilungen oft genug zu dem Mittel greifen müssen, das Alte aus dem Jüngsten zu erkennen und in der letzten Form die Reste der ursprünglichen Gedanken aufzu

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