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In der Einleitung zu der Tanaquil-Untersuchung haben wir die erste Aufgabe der objectiven Geschichtsforschung folgendermassen festgestellt. Sie wird, da die Ueberlieferung in allen ihren Entwickelungsstufen nur aus Schriftwerken zu schöpfen ist, damit beginnen, zu untersuchen, was jeder einzelne Schriftsteller gesagt hat, und das Ergebniss ihrer Arbeit gegen alle Einwendungen, die sich wider die Echtheit des Textes oder die Richtigkeit der Exegese erheben liessen, sicher zu stellen." So selbstverständlich diese Grundbedingung jeder gewissenhaften Untersuchung scheinen mag, so dürfte es doch nicht überflüssig sein, ihre Wichtigkeit durch ein einzelnes Beispiel zu erläutern. Wir wählen dasselbe aus einem Sagenkreise, der auch in unserer Forschung mehrfach berührt worden ist, aus der Erzählung von Cn. Marcius Coriolanus, dessen sabinische Abstammung die hoke Bedeutung des sabinischen Mutterthums in Erinnerung ruft. Für die Geschichte der Processverhandlungen, welche das Exil des unbeugsamen Patriciers, darauf den Rachezug gegen Rom und die Begegnung mit Veturia zur Folge hatten, ist Dionysius von Halikarnass die einzige Quelle. Der Ausgang des Gerichts wird von ihm in folgenden Worten mitgetheilt.

VII, 64: ὡς δ ̓ ἐπεψήφισαν ἅπαντες, διαριθμουμένων τῶν ψήφων οὐ μέγα τὸ διάλλαγμα ἐφάνη. μιᾶς γὰρ καὶ εἴκοσι τότε φυλῶν οὐσῶν αἷς ἡ ψῆφος ἀνεδόθη, τὰς ἀπολυούσας φυλὰς ἔσχεν ὁ Μάρκιος ἐννέα· ὥστε εἰ δύο προσῆλθον αὐτῷ φυλαί, διὰ τὴν ἰσοψηφίαν ἀπελύετ ̓ ἂν ὥσπερ ὁ νόμος ἠξίου.

Nichts kann klarer, bestimmter und zusammenhängender sein als dieser Bericht. Der zur Abstimmung berufenen Tribus sind es 21. Davon sprechen 9 den Angeklagten frei. Wären von den verurtheilenden 12 noch 2 zu den 9 übergetreten, so hätte sich das Stimmenmehr für Coriolan entschieden. Er wäre in Folge des gleichen Stimmrechts der Tribus nach dem Gesetz freigesprochen gewesen.

Die Richtigkeit der vorstehenden Interpretation bedarf kaum unterstützender Beweise. Aber es fehlt an solchen keineswegs. Wir machen auf den Zusammenhang, aufmerksam, welcher die Stelle des Cap. 64 mit Cap. 59 verbindet. In dem letztern spricht Dionysius von dem Streite der Patricier und der Volkstribunen über die Gerichtsbestellung, schildert die günstigen Aussichten, welche eine Abstimmung nach Centuriat-Comitien für die Freisprechung eröffnete, und entwickelt dann die Vortheile, die die Tribunen bewog, auf Beurtheilung durch die Tribut-Comitien zu bestehen, in folgenden Worten: ἵνα μήτε οἱ πένητες τῶν πλουσίων μειονεκτῶσι, μήτε οἱ ψιλοὶ τῶν ὁπλιτῶν ἀτιμοτέραν χώραν ἔχωσι, μήτε ἀπερριμμένον εἰς τὰς ἐσχάτας κλήσεις τὸ δημοτικὸν πλῆθος ἀποκλείηται τῶν ἴσων ψήφων, ισόψηφοι δὲ καὶ ὁμότιμοι πάντες ἀλλήλοις γενόμενοι μιᾷ κλήσει τὴν ψῆφον ἐπενέγκωσι narà quλás. Was wir durch diese Darstellung gewinnen, ist die κατὰ φυλάς. Gewissheit, dass die Worte des C. 64: διὰ τὴν ἰσοψηφίαν ἀπελύετ ̓ ἂν durch,,aequato jure suffragii", nicht durch ,,aequato numero suffragiorum", wiederzugeben sind. Dionysius ist gewiss der beste Ausleger seiner Worte. Derselbe Sinn, den er der ioonpia in der Erzählung von dem Streite über die Gerichtsbestellung giebt, derselbe muss in der Angabe über den Schlussausgang des Processes wieder vorliegen. Verbindet er also dort, um keinerlei Zweifel übrig zu lassen, mit dem Ausdruck iσóyngor die weiteren ὁμότιμοι πάντες ἀλλήλοις γενόμενοι, so folgt mit Nothwendigkeit, dass auch hier Isopsephie gleichbedeutend mit Homotimie, also zur Hervorhebung der die Tribut-Comitien auszeichnenden gleichen Stimmberechtigung Aller gebraucht wird. Ja es zeigt sich nun, warum der Zusatz did tηy looчngíav in C. 64 überhaupt aufgenommen wurde. Dionysius weist durch ihn auf seine frühere Erzählung in C. 59 zurück und will, seinen dort ausgesprochenen

Gedanken wieder aufnehmend, sagen: durch den Grundsatz der
Isopsephie des Volkes in den Tribut-Comitien, von welchem die
Demarchen so glänzende Resultate gegen Coriolan sich versprochen
hatten, würde der verhasste Patricier freigesprochen worden sein,
hätten zwei Tribusstimmen sich den neun absolvirenden beigesellt;
mehr aber verlangte das Gesetz (über Entscheid durch Stimmen-
mehrheit) nicht.

Das Wort ioonpia wird auch in anderm als dem von
Dionys gebrauchten Sinne angewendet. Sehr bekannt ist die
Stelle des Aeschylus Eumen. 733 ed. G. Hermann, wo Athene
sagt: νικᾷ δ' Ορέστης, κἂν ἰσόψηφος κριθῇ. Hier spricht der Dich-
ter von der Zahlengleichheit der weissen und schwarzen Stimm-
steine. Aber die Folgerung, dass das Wort keinen andern Sinn
haben könne, und überall, wo es begegnet, nach Aeschylischem
Gebrauch ausgelegt werden müsse, wird Niemand über sich
nehmen. Zahlreiche Stellen beweisen das Gegentheil. Dionysius
II, 46 nennt die Könige Romulus und Tatius ισοψήφους καὶ τιμὰς
zαρдоνμévový tas loas, Plato legg. III, p. 692 die Macht der
Ephoren loómpos tỷ twv Baorλéwv, Thukydides II, 141 die pelo-
ponnesischen Staaten ισοψήφους καὶ οὐχ ὁμοφύλους, derselbe III, 79
Brasidas nicht loóympos des Alkidas, u. s. w.: Stellen, welchen
der Gedanke an eine Gleichheit der Stimmenzahl durchaus fremd
ist, dagegen jener der duoruía ausschliesslich entspricht. Noch
zweimal kommt Dionysius auf die Verurtheilung des Coriolanus
in dem Gericht der Tribut-Comitien zurück, und beide Male
wiederholt sich dieselbe Anschauung, welche in C. 64 ihren Aus-
druck gefunden hat. In B. VIII, 6 schildert Marcius in seiner
Rede an die Volscer das ihm von den Römern zugefügte Unrecht,
die Anklage vor den Tribut-Comitien, das Uebergewicht, das diese
der grossen Masse liehen, endlich seine Verurtheilung, die dennoch
nur von der Stimme zweier Tribus abhängig gewesen sei.
dabei gebrauchten Worte δυσὶ μόνον ἑάλων ψήφοις wiederholen
sich in C. 24, welches die Rede der römischen Gesandten an den
siegreichen Verbannten mittheilt. Auch hier sind sie bestimmt,
die Schuld des Volkes auf das geringste Mass zurückzuführen
und durch den hypothetischen Fall, den C. 64 näher angiebt,
nämlich die Fiction des Uebertrittes zweier Tribus von den ver-

Die

urtheilenden 12 zu den freisprechenden 9, gerechtfertigt. Einen Widerspruch der Dionysischen Darstellung mit der des Plutarch im Coriolan C. 20: Τέλος δοὖν ταῖς φυλαῖς τῆς ψήφου δοθείσης, αἱ καθαιροῦσαι τρεῖς ἐγένοντο wird Niemand zu behaupten wagen. Wenn die Abstimmung 12 Nummern für Verurtheilung, 9 für Freisprechung aufweist, so beträgt das verurtheilende Mehr 3 Stimmen. Wären aber von diesem Mehr nur 2 Stimmen zu den freisprechenden übergetreten, so hätte sich die Majorität, die schon durch eine einzige Stimme hergestellt wird, für den Angeklagten ausgesprochen. Plutarch berücksichtigt das wirkliche Processergebniss, Dionysius den letztern nur hypothetischen Fall. Der Biograph von Chaeronea referirt das Geschehene, der Geschichtschreiber von Halikarnass lässt Coriolan und die römischen Gesandten im Interesse ihrer Apologieen nicht sowohl das Mehr der Verurtheilung, als die Zahl der Stimmen, die dieses Mehr zu Gunsten des Angeklagten gewendet haben würden, betonen. Plutarch hat also Dionysius, dem er hauptsächlich folgt, richtig verstanden. Er besass Einsicht genug, um zwischen dem Mehr, das sich gegen Coriolan in Wirklichkeit ergeben hatte, und demjenigen, das auf Grundlage des Verhältnisses von 9 zu 12 für den Angeklagten genügt haben würde, richtig zu unterscheiden.

Durch die vorstehenden Bemerkungen wird unsere Erklärung der aus C. 64 abgedruckten Stelle gegen alle denkbaren Einwürfe gesichert. Was Dionysius in derselben sagt, darüber kann nicht der leiseste Zweifel obwalten. Es ist in sich zusammenhängend, mit Allem, was in derselben Processgeschichte zu lesen steht oder später im Rückblick auf sie angegeben wird, nicht minder endlich mit Plutarch's Referat aus Dionysius in dem vollkommensten und durchsichtigsten Einklang.

Betrachten wir nun die Ergebnisse der neuesten Kritik. Sie zeigen durch ihre Verkehrtheit, wie ernst es mit der ersten Aufgabe der objectiven Geschichtsforschung, der Constatirung dessen, was jeder einzelne Quellenschriftsteller gesagt und nicht gesagt hat, zu nehmen ist.

Herr Th. Mommsen nennt die Erzählung des Dionysius über die Abstimmung der Comitien einen äusserst bedenklichen Bericht.

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