Immagini della pagina
PDF
ePub

Unterrichtsweise viel geplagten Gedächtnisse des Schülers doch bald wieder entschwinden, ohne ihm irgend welche Förderung gebracht zu haben. Wir müssen Ernst machen mit der einzig richtigen Auffassung, wonach diese Disziplin gerade so gut wie die übrigen Unterrichtsgegenstände für geeignet dazu anzusehen ist, die Geisteskräfte der Jugend durch Beobachtung, Vergleichung, Schlufs- und Urteilsbildung zu entwickeln und zu stärken.

Durch tieferes Eingehen auf das Wesen der bei Gestaltung der Völkergeschicke wirksamen Kräfte, durch Einführung in die Erkenntnis der treibenden Ursachen und der Folgen, durch Darlegung der hinzutretenden Bedingungen und ihres Einflusses mufs im Schüler Schritt für Schritt, wo es irgend angeht, in erotematischer Methode die Kraft entwickelt werden, welche wir als historischen Sinn zusammenfassend bezeichnen können. Hier in der Schule schon daran gewöhnt, durch solche Beobachtung zum Verständnis der Ereignisse hindurchzudringen, durch Vergleichung ihren Wert und die Stelle zu erkennen, welche sie thatsächlich in dem Entwickelungsgange der Völker einnehmen, werden die Zöglinge mit den Vorbedingungen ausgestattet, die erfüllt werden müssen, sie werden mit den Anlagen ausgerüstet, die erforderlich sind, wenn sie nach der sorgsam ausgenutzten Vorbereitungszeit ins praktische Leben eintreten und in diesem verwirrenden Treiben sich mit Besonnenheit zurecht finden sollen.

Halten wir uns also auch hier das altbewährte non scholae, sed vitae vor Augen, so verlangt diese Vorschrift nach Rücksicht der räumlichen und zeitlichen Ausdehnung des Pensums eine umfassendere Behandlung der Neueren Geschichte und nach Seiten der Methode einen Anfang mit der Quellenlektüre. Durch dieses Lehrmittel zunächst wird der Schüler eingeführt in die lebendige Anschauung des Lebens und Denkens vergangener Zeiten, er lernt den Standpunkt verstehen, welchen die unmittelbaren Zeugen der Ereignisse eingenommen haben und hat, soweit es überhaupt erreichbar ist, die Mittel in der Hand, den Gesichtskreis abzugrenzen, innerhalb dessen sich die Gedanken und Strebungen der Menschen damals bewegten und sich zu bewegen imstande waren. Wenn daher der hohe bildende Wert der Sprachen in dem Ergebnisse liegt, dafs zugleich damit ein Einleben in den Geist des betr. Volkes verbunden ist, dafs wir mit den fremden Worten auch die fremden Begriffe und Vorstellungen in uns aufnehmen und dadurch Elastizität und Reichtum unseres ganzen innern Wesens steigern, so sehen wir, wie hier der Geschichtsunterricht sich anschliefst und der Grammatik zur Mitarbeit auf ein und demselben Felde die stützende Hand darbietet. Ist doch das Hineindenken in die Auffassungsweise anderer Völker und Zeiten auch ihre Aufgabe, und beruht doch gerade in dieser Leistung der bildende Wert dieser Disziplin in ganz besonders hohem Grade. Rechnen wir dazu die Belebung, welche dem Sprachunterrichte durch eine vielseitigere und reichere Lektüre der klassischen Schriftsteller erwächst, so stellt sich die Verbindung beider Wissensgebiete als eine eng und fest geschlossene dar, ein Ergebnis, das wir als beiden zum Heile gereichend nur freudig begrüfsen können. Denn nichts hemmt mehr ein gedeihliches Fortschreiten in der Entwickelung der Geisteskräfte als die Annahme und ihre überscharfe Betonung, es bestehe ein im Wesen begründeter Gegensatz zwischen zwei Unterrichtsfächern.

Eine systematische Quellenlektüre ist nun freilich in der Prima in der Weise nicht durchzuführen, dafs dieselbe mit dem Geschichtsunterrichte Hand in Hand ginge. Denn daran müssen wir festhalten, dafs das Mittelalter und namentlich die Neuzeit in der Ausdehnung, wie diese letztere bei der heutigen Entwickelung aller Verhältnisse zum Verständnis gebracht werden muss, nur in der Prima zu gedeihlicher Behandlung kommen können. Darum lassen sich wohl einzelne Stellen aus Einhard, Nithard, Widukind, Otto v. Freisingen, Helmold etc. herausheben und im Anschlufs an Schillings Quellenbuch bedeutende Akte der Neueren Geschichte besonders betonen, aber ein eigentliches Hineinlesen in die Quellenschriftsteller ist bei der eigentümlichen Be

schaffenheit des uns zugänglichen Materials nicht möglich. Nachdem daher die Unter prima im Anschluss an des Tacitus Germania in die Betrachtung der germanischen Welt eingeführt ist und das Hauptsächlichste aus des Germanicus Kriegszügen und dem Bataver-Aufstande kennen gelernt hat, beleben nur von Zeit zu Zeit eingestreute, scharf die Ereignisse beleuchtende Citate den Gang des Unterrichts. Bei der nun einmal in der Prima erforderlichen Repetition der griechischen Geschichte lassen sich ebenso besonders eindrucksvolle Darstellungen bei Herodot und Thucydides kurz betrachten, wie ein erneuter Hinweis auf Livius die Erinnerung an die römische Entwickelung auffrischen mag. Aber dies alles mufs den Verhältnissen entsprechend so kurz gehalten werden, dafs eine wesentliche Beeinflussung des Unterrichtes in der Prima selbst davon nicht zu erwarten steht.

Dies ist nur möglich in der Sekunda, deren untere Abteilung im Herodot, Plutarch und Arrian, in Schriftstellern also, welche dem Standpunkte der Klasse im ganzen entsprechen, eine nicht zu verachtende Stütze des Verständnisses findet und dadurch zugleich zu gröfserer Gewandtheit im Übersetzen geführt wird. Ganz besonders günstig aber gestaltet sich die Erfüllung unserer Aufgabe in der Obersekunda, deren Pensum in seinen wichtigsten Teilen sich mit den Überlieferungen des einen Livius deckt. Ein einziger Schriftsteller geleitet uns hier mit seinen lebendigen Darstellungen vom allerersten Anfange der ewigen Stadt hindurch durch die Wirren und Kämpfe der jugendlichen Entwickelung bis zum gereiften Mannesalter, da Roms Senat nach Besiegung des furchtbaren Hannibal sich zur Unterwerfung des Orbis Terrarum anschickt und den ersten Schritt dazu in der Vernichtung der macedonischen Phalanx bereits gethan hat. Es fällt der II, a die Aufgabe zu, in der Geschichte des römischen Staatsbaues dem Zöglinge alle die wesentlichen Kräfte vorzuführen, welche das einzig dastehende Weltreich im tiefsten Grunde geschaffen haben.

An diesem Bilde sollen ihm die im Völkerleben wirksamen Ursachen gedeihlicher Entfaltung überhaupt noch einmal an mehr verwickelten Verhältnissen deutlich gemacht werden, nachdem er in der Untersekunda dieselbe Aufgabe an den einfacheren Gebilden des athenischen und des spartanischen Staatswesens schon einmal gelöst hat. Jetzt soll er einen Einblick gewinnen in die Ursachen, die dem römischen Weltreiche einen festeren Bau gegeben haben, als der war, welcher in der genialen Schöpfung Alexanders des Gr. sich der staunenden Welt schon 300 Jahre früher dargestellt hatte.

Darin vornehmlich liegt ja heute unsere Berechtigung zum längeren Verweilen bei der Alten Geschichte, dafs wir hier allein die Möglichkeit haben, die Bedingungen für Gedeihen und Verfall der Staatswesen an den einfachsten Gebilden anschaulich darzulegen. Wie klar steht uns trotz der Entfernung der Zeiten und trotz der Lückenhaftigkeit der Berichte das regsame Athen mit seinen 90000 Bürgern vor Augen, wie es den nationalen Geist mit wachsendem Bewusstsein entfaltet und unabhängig von etwa mafsgebendem und störendem Einflusse des Auslandes alle Eigentümlichkeiten seines Charakters hervortreten lässt? Wie scharf hebt sich dagegen das auf ganz anderen Grundlagen beruhende Verfassungswerk des Lykurg ab? Und die Bedeutung, welche beide für Griechenland und für die Menschheit gewonnen haben, wie überzeugend lässt sie sich aus dem eigentümlichen Wesen eines jeden Gebildes folgern und daran als notwendig nachweisen?

Erst wenn der Jüngling an diesen ersten Versuchen der europäischen Menschheit, ihrem Dasein in einer bestimmten Staatsform Schutz gegen Vergewaltigung und sichere Bethätigung zu geben, die Grundbegriffe sich klar gemacht und geschichtliche Entwickelungen verstehen gelernt hat, erst dann hat er sich in Besitz der Bedingungen gesetzt, welche ihm ein verständnisvolles Eingehen auf die ungleich verwickelteren und viel schwerer zu übersehenden

Verhältnisse der modernen Staatenwelt ermöglichen. Ausdrücklich aber verwahren wir uns gegen den Verdacht, als ob wir der Beschäftigung mit der alten Geschichte nur diese propädeutische Aufgabe zuerteilten. Nein, sie hat auch einen hohen Selbstzweck, der klar vor Augen steht, wenn wir an alles das denken, was Kunst und Wissenschaft zu allen Zeiten dem klassischen Altertum zu danken haben. Hier aber konnte es uns unserem augenblicklichen Zwecke entsprechend nur um die an dieser Stelle zunächst ins Licht gesetzte Seite dieser Studien zu thun sein.

Jene tiefere Einsicht nun in die Staaten - Entwickelung des Altertums zu gewinnen und zu klären, dazu können wir kein geeigneteres Mittel ausfindig machen, als es eine fleifsige Lektüre derjenigen Überlieferungen bietet, welche im Anblick des grofsartigen Werkes selbst, im Kreise wohl gar der Männer entstanden sind, die mit ihren besten Kräften an dem Baue mitgeschafft und dem grofsen Ziele ihr Leben geweiht haben. So beeinflusst und gehoben durch den Geist, der das Ganze durchflutete und in regsamer, lebensvoller Bethätigung erhielt, haben diese principes rerum gerendarum den Schwung ihrer Ideen, die Weite ihres Blickes, die Wärme der teilnehmenden Empfindung selbst unwillkürlich dem ihre eigenen Leistungen und der Vorfahren Thaten aufzeichnenden Schriftsteller mitgeteilt und dem Zuge seines Griffels eingeflöfst. Daher hat denn auch die Rücksicht auf diese Vorzüge des Thucydides dem mit dem griechischen Wesen so innig vertrauten Ernst Curtius den einzig richtigen Weg gezeigt, als er im 2. Bande seiner epochemachenden Griechischen Geschichte durch möglichst engen Anschlufs an die Betrachtungen des grofsen Atheners ein klares Bild der Kräfte, Ansichten und Ziele geben wollte, welche die Bewohner der schönen Inselgebiete in den verderblichsten Bürgerkrieg getrieben haben und sie bis zur äussersten Erschöpfung der edelsten Kräfte den Bruderzwist fortführen liessen.

Da nun Livius sein umfassendes Geschichtswerk unter ähnlichen Bedingungen geschrieben hat, da es ihm vergönnt war, im Centrum des werdenden Weltreiches, in persönlichem Verkehre gar mit den ersten Männern des Staates eine ungestörte langjährige Mufse dem grofsen Zwecke zu widmen, zu dessen Erreichung auch eine geeignete rhetorische Vorbildung ihn z. T. befähigte, so können wir immerhin zugeben, dafs er an wahrer Bedeutung für die Wissenschaft der Geschichte zumal bei der Lückenhaftigkeit seiner Überlieferung dem genialen Thucydides nicht gleichkommt, und doch die Behauptung vertreten, nichts sei geeigneter, dem Unterrichte in der Obersekunda des Gymnasiums die Durchführung seiner Aufgabe zu sichern, als eine planvoll geleitete Lektüre gerade dieses römischen Geschichtsschreibers. In der That ist er bei geeigneter Behandlung imstande, die Bedingungen, welche an eine Quellenlektüre heute auf der Schule gestellt werden müssen, voll und ganz zu erfüllen.

Wohl ist die moderne Geschichtsschreibung mit ihrer Sichtung der Quellen, mit ihrem Eindringen in den Zusammenhang der Dinge und mit ihrem reinen Streben nach Erkenntnis der Wahrheit dem Ideale der Wissenschaft weit näher gekommen, als dies dem römischen Patrioten vor 2000 Jahren gelingen wollte. Aber andererseits hat Egelhaaf vollkommen Recht mit der Bemerkung (histor. Zeitschrift 55 Bd., 3. Heft, 1886), dafs gerade Livius uns lehren könne, es sei damit noch nicht die Aufgabe des Geschichtsschreibers erfüllt, wenn man allerlei Untersuchungen in die Erzählung einflechte und eine einzelne Thatsache mit Erörterungen und Vermutungen umgebe. Das heifse dem Bauwerk die Gerüste lassen, die man zu seiner Aufführung gebraucht habe. Von Livius gerade könne man heute noch lernen, wie man die Menschen mit grofsen Zügen malen soll, und wer das Ideal des Historikers erreichen wolle, der müsse als nachahmenswert vornehmlich Livius durchaus neben die Modernen stellen. Und wenn der geistvollste Kenner des römischen Schriftstellers, der Franzose Taine, in seinem epochemachenden essai sur Tite Live denselben Warnungsruf in Hinsicht auf die heute so bevorzugte historische Mikrologie ertönen lässt, welche über der peniblen Aufführung des Gerüstes den Bau des wohnlichen Hauses verabsäumt, dann ist wohl das Bedenken zum Schweigen gebracht, als ob eine Vertrautheit mit der antiken

Darstellungsweise der wissenschaftlichen Auffassung heutiger Zeit irgend wie hinderlich werden könnte.

Was aber unseren Schriftsteller der Obersekunda geradezu unentbehrlich macht, das ist der erfreuliche Umstand, dafs er uns in seiner ersten und in der dritten Dekade gerade diejenigen Perioden in dem tausendjährigen Entwickelungsgange des römischen Staatswesens vorführt, welche, auf verhältnismässig engem Raume sich abspielend, für die Erkenntnis der treibenden Ursachen, für die Betrachtung der Erfolge kraftvoller Thätigkeit und für die Beurteilung des schliefslichen Ergebnisses von der vornehmsten Wichtigkeit sind. Was sich alles sagen läfst über den Mangel an kritischem Sinne, den die heutige Auffassung dem Livius vorwerfen mufs, über seine Unkenntnis der geographischen, militärischen, politischen Verhältnisse etc., alles das ist fast ohne Bedeutung für unseren Zweck, da eine mit Vorsicht getroffene Auswahl diese Schwächen nicht gerade hervortreten läfst und da die sittliche Lauterkeit und die milde Gesinnung des Schriftstellers leicht über etwaige Mängel trösten und versöhnlich stimmen kann.

Viel auch werden diese Vorwürfe von ihrer Schwere verlieren, wenn wir uns die Anforderungen gegenwärtig halten, welche ein Cicero und Quintilian an den Geschichtsschreiber zu stellen pflegten.

Wenn jener de or. II, 69 damit zufrieden ist, ne quid falsi dicere audeat, ne quid veri non audeat, ne quae suspicio gratiae sit in scribendo, ne quae simultatis, und wenn wir die Sorgfalt beobachten, mit welcher Livius um Aufspürung des objektiven Thatbestandes sich bemüht, so lassen wir uns gern an seinem guten Willen, die Wahrheit ohne Nebengedanken ehrlich zu suchen, genügen, und wenn der Rhetor der Kaiserzeit die Geschichtsschreibung erklärt als proxima poetis, so ist es damit ausgesprochen, dafs wir gerechter Weise an den Pataviner keine Anforderungen stellen dürfen, die seiner ganzen Zeitrichtung fern lagen, ihr durchaus unbekannt waren. Sollen wir also wegen solcher Ausstellungen ganz und gar auf seine Benutzung verzichten, verzichten zumal für die Entwickelung unserer Jugend, die der schönen, ebenmässigen Darstellung wohl mit Empfindungen sich erschliefst, wie sie die Zeitgenossen des Mannes selbst erfüllten, von denen wir wissen, dafs sie seine Berichte über die Helden der alten Zeit und über die grofsen Thaten der Vorfahren mit wahrem Entzücken gelesen haben?

Man wage es nur sich mit dem Schriftsteller innig vertraut zu machen, über die herkömmliche Lektüre bestimmter Stellen hinaus ihn in weiterem Umfange kennen zu lernen! Leben wir uns liebevoll ein in seinen Geist, versetzen wir uns in seine Umgebung und machen wir uns heimisch in seiner Anschauungsweise, so werden uns nicht nur viele liebenswürdige Seiten seines Wesens entgegentreten, die unser Gemüt erwärmen und dem humanen Römer unsere persönliche Zuneigung gewinnen, sondern es bieten sich auch so anschauliche Bilder des ganzen römischen Lebens in all seinen Schichten und Kreisen, so scharf gezeichnete Charaktere, eine so kunstvoll gruppierte und eindrucksvolle Darstellung dem liebevollen Beobachter dar, dafs wir die Überzeugung gewinnen, ein so nahe liegendes Mittel der Belehrung und Ausbildung dürften wir im Interesse unserer Aufgabe nicht länger von der Hand weisen. Wenn man den Livius als denjenigen Schriftsteller des Altertums bezeichnet, der am meisten sei in historia orator, wenn Taine hieraus sein ganzes Wesen mit all seinen Vorzügen und Mängeln erklärt, so ist ja diese das Gemüt ergreifende Darstellung gerade dem Jünglingsalter angemessen und von uns als durchaus hier geeignet mit Freuden zu begrüfsen. Freilich ist die Erkenntnis all dieser Vorzüge nicht mehr neu und sind daher längst Anstrengungen gemacht, die Liviuslektüre in mehr umfassender Weise für Veranschaulichung der römischen Geschichte fruchtbar zu machen,

Endlich hat man jetzt den Übelstand erkannt, dafs rein für Philologen bestimmte Aus

gaben denn doch den Schülern mit Aussicht auf Erfolg nicht in die Hand gegeben werden können. Mehrfach hat man daher bereits versucht, dem Bedürfnisse der Lernenden und ihrem Standpunkte die Behandlung des Schriftstellers anzupassen, indem man, das Vorbild der trefflichen Classenschen Interpretation des Thucydides nach dieser Seite hin benutzend, genauere Inhaltsangaben und Dispositionen den Anmerkungen einverleibte, auch an schwierigeren Stellen die Gedankenfolge darlegte. Aber ausreichend sind diese Versuche immer noch nicht, und dann behalten diese Ausgaben noch den gesamten Text des Schriftstellers ohne Sonderung der einzelnen Teile nach Bedeutung und Wert bei und bleibt daher dem leitenden Lehrer noch eine zu schwierige Aufgabe zu lösen übrig. Peters Zeittafeln aber beschränken sich absichtlich auf den quellenmässigen Nachweis der Stellen, auf welchen die geschichtlichen Angaben des Textes fufsen, ohne eine tiefere Begründung aus dem Livius selbst ableiten zu wollen, und die aus richtiger Erkenntnis des Bedürfnisses hervorgegangenen Quellenbücher von Weidner zeigen leider eine Auffassung des historisch und pädagogisch Wichtigen, die dem Standpunkte einer Obersekunda nun einmal nicht mehr entspricht.

Offenbar hat auch schon in Herbst-Baumeisters Quellenbüchern zur griechischen Geschichte für die Auswahl des Stoffes die an sich anerkennenswerte Absicht mitgewirkt, dem Schüler schon eine möglichst umfassende Kenntnis einer Reihe alter Schriftsteller an einer Auswahl von Beispielen vorzuführen. Denn wenn die Aufgabe eines historischen Quellenbuches allein mafsgebend gewesen wäre, hätten z. B. gegenüber den in ihrem Verlaufe geschichtlich ganz wertlosen messenischen Kriegen des Pausanias die aus Plutarch über Solons grundlegendes Gesetzeswerk gewählten Stellen für die Schüler der oberen Klassen nicht so kurz zusammengezogen werden können. So finden wir auch in der Behandlung der römischen Geschichte durch Weidner unsere Anforderungen noch nicht befriedigt. Denn was nützt noch neben seiner Ausgabe des Livius dem durch die brandenburgische und durch die griechische Geschichte schon vorgebildeten Schüler ein Quellenbuch, in welchem er, allerdings durch sachgemässe Anmerkungen erläutert, abgedruckt findet ganze zusammenhängende Stücke, die sich schon deshalb ganz leicht aus dem Texte des Schriftstellers selbst herausheben lassen, weil sie nach dem rein äufserlichen Prinzipe des sogenannten Interessanten ausgewählt sind und dieses Interessante vornehmlich in den lärmenden Kriegsthaten und dem äufseren Glanze der blofsen Kraftbethätigung suchen.

Das ist ja, genau genommen, gar nicht römische Geschichte! Käme den Kriegen diese leitende Stellung im römischen Wesen wirklich zu, dann wäre, von allem anderen vorerst abgesehen, gar nicht zu erklären, welchen Segen denn nun eigentlich die Weltherrschaft eines blofs erobernden und zerstörenden Volkes der Menschheit gebracht haben sollte, und es fehlte die Erkenntnis der Ursachen dafür, dafs die Unterworfenen diese Vergewaltigung so lange Jahrhunderte ruhig über sich haben ergehen lassen. Auch ist es doch wohl allgemein zugegeben, dafs, wenn man Schwächen an unserem Schriftsteller heraussuchen will, dies gerade bei seinen Erzählungen der Kriegserfolge sich am bequemsten erreichen läfst, und über seine, für einen Römer zumal, geringen Kenntnisse im Kriegswesen, in der Bodenbeschaffenheit der betr. Länder etc. sind wir ja alle einig.

Nein, wir suchen einen anderen Livius, als ihn uns Weidner in seinen ausgedehnten Berichten über rein äufserliche Vorgänge zuführen möchte, wenn dem Schüler darüber auch die aus Polybius und Appian ausgewählten Stellen verloren gehen sollten. Soll die Liviuslektüre der Geschichtskenntnis, wie wir sie verstehen, wirklich förderlich werden, so mufs sie aus dem Schriftsteller alle die Stellen herausheben, an denen er selbst klar und bewufst den inneren Entwickelungsgang des imperium Romanum zeichnet und die dafür mafsgebend gewe senen. Kräfte hervortreten läfst. Unser Blick mufs sich richten auf die in Übung aller Tugenden stählende Reibung der Stände, auf die Politik des Senates und die Staatskunst der Volkstribunen, auf das Verfassungsleben und seine grofsartige Entwickelung. Denn auf diesen

« IndietroContinua »