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zuerkennen, wo noch manches zu wünschen übrig blieb. Cicero hatte für seine Person einen so vollständigen oratorischen Entwickelungsgang durchgemacht und die hauptsächlichsten Richtungen und Gegensätze an sich selbst so erfahren, wie gleichfalls in dem Grade keiner neben ihm: wem hätte also besser die Rolle zuerteilt werden mögen, die verschiedenen Stufen und Richtungen zu charakterisieren und vor einseitigen Tendenzen zu warnen, als eben ihm? Endlich an lebendigem Interesse für die Redner seines Volkes, an eifrigem und sorgfältigem Studium wie an oratorischem Verständnis der griechischen und römischen Quellen 97) für die Geschichte der griechischen und römischen Beredsamkeit kam ihm Niemand gleich: darum durfte auch den Vortrag dieser Geschichte Niemand anders haben, als er selbst.

Doch wenn Cicero auch die Hauptperson ist, so ist er § 16. doch hier noch nicht (wie im Orator) die einzige; Cicero hat vielmehr im Brutus noch aus ästhetischen und andern Gründen mit sicherem Takt die dialogische Form gewählt. Einmal nämlich verlieh Cicero durch diese dialogische Form mehr noch, als durch die oben erwähnten Excurse seiner Darstellung eine grössere Lebendigkeit. Die Aufgabe der Schrift war, die lange Reihe der römischen Redner vorzuführen und sie nach ihrer oratorischen Eigentümlichkeit zu charakterisieren. Wäre bei einem solchen Stoffe nun der Faden ohne alle Unterbrechung fortgesponnen, so hätte sich trotz der Digressionen eine ermüdende Einförmigkeit schwerlich ganz vermeiden lassen. Durch die dialogische Form aber wird dieser Gefahr glücklich begegnet: sie macht es dem Schriftsteller möglich, nicht nur an geeigneten Stellen Ruhepunkte eintreten zu lassen, sondern auch durch eingelegte Fragen der Mitunterredner das Ganze zu beleben und durch sie gelegentlich die Anregung zu geben, einmal zur Erholung und Erfrischung den geschichtlichen Faden auf einige Augenblicke fallen zu lassen und die Aufmerksamkeit auf einen andern naheliegenden Punkt aus dem Gebiet der Beredsamkeit zu richten. Die dialogische Form bot aber noch andere Vorteile dar. Zunächst liess sich der pädagogische Zweck, den Cicero neben dem historischen verfolgte 8), am einfachsten und leichtesten erreichen, wenn dem Meister in der Beredsamkeit ein empfänglicher und lernbegieriger Jünger gegenübertrat, an den sich die nötig erachtete Belehrung und Ermahnung persönlich richten konnte. Von grosser Wichtigkeit war sodann weiter diess: Cicero wollte mit der Aufzälung so vieler verhältnismässig unbedeutender römischer Redner zugleich beweisen, dass es mit der Redekunst keine leichte Sache Brut. 17, 65. Vgl. 32, 124; 87, 300. 98) s. Anm. 35.

97) Er hat alles gelesen, was zur oratorischen Literatur gehört, von Cato allein mehr als 150 Reden. CIC. BRUT. 2. Aufl.

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sei und daher im Ganzen nur sehr wenige einen höhern Grad von Vollkommenheit erreicht haben 99). Durch nichts aber konnte Cicero diesen Hauptgesichtspunkt so scharf und klar hervortreten lassen, als wenn er einer dazu geeigneten Persönlichkeit eine darauf gerichtete Kritik in den Mund legte, die zu wiederholten Malen hinlängliche Veranlassung bot, auf bestimmtes Festhalten jenes Gesichtspunktes zu dringen. Einer solchen Persönlichkeit bedurfte es aber auch, um noch einen andern Conflict zu beseitigen. Da Cicero durch seine Geschichte der römischen Beredsamkeit zugleich die jüngere Generation zu dem Studium der älteren römischen Redner zu reizen beabsichtigte: so musste er besonders den enragierten einseitigen Attikern gegenüber diese ältere römische Literatur der Beredsamkeit in das möglichst günstigste Licht stellen und ihre relative Ebenbürtigkeit mit der griechischen besonders hervorheben. Andererseits aber war doch auch Cicero wieder von dem höheren Stand der Griechen im Vergleich mit den älteren römischen Rednern überzeugt. Was war da passender, um uns auch in dieser Beziehung den rechten Standpunkt anzuweisen, als dass Cicero nach der Weise der akademischen Philosophie gegen seine eigene Schilderung am rechten Ort von einem der Mitunterredner in geeigneter Weise Einsprache erheben liess? Doch die dialogische Form leistet noch einen weiteren wesentlichen Dienst. Cicero hatte sich aus guten Gründen 100) entschlossen, der Lebenden unter seinen Zeitgenossen keine Erwähnung zu thun. Gleichwol verlangte es andererseits die Tendenz der Schrift, bis auf den Höhepunkt, den die Beredsamkeit in Ciceros Person erreichte 101), vorzuschreiten und demgemäss notwendiger Weise einzelne unter den Lebenden zu berühren. Seinem Plan nun nicht untreu zu werden und andererseits doch die geforderte Vollständigkeit nicht zu beeinträchtigen, dazu verhilft ihm die dialogische Form: Cicero übernimmt nicht selbst die ausnahmsweise Schilderung der wenigen lebenden Redner der Gegenwart, sondern weist die Charakteristik derselben je einem der beiden Mitunterredner zu. Was aber Ciceros eigene oratorische Bedeutung anbelangt, so überlässt er deren Anerkennung gleichfalls seinen Freunden, höchstens dass er auf besonderen Wunsch die freilich sehr schwer wiegende Schilderung seines oratorischen Bildungsgangs für seine Person übernimmt. Endlich bot die dialogische Form auch leicht und ungezwungen die Gelegenheit dar, mehrmals auf die politische Situation der Gegenwart anzuspielen und durch die gleichmässigen Aeusserungen der Freunde 102) anzu

99) Brut. 36, 137; 49, 182; 69, 244;
78, 270; 87, 299.

100) Brut. 65, 231; 60, 244.
101) Quint. XII 1, 20 stetisse

ipsum (sc. Ciceronem) in fastigio eloquentiae fateor.

102) Brut. 42, 157; 71, 250; 76, 266.

deuten, dass Cicero mit seiner Klage 103) über das Unglück, das den Staat in Folge des Bürgerkriegs zwischen Cäsar und Pompejus betroffen habe, doch nicht allein stehe.

Diese politische Situation, die gleichsam den Hinter- § 17. grund zu unserm Dialog bildet, war aber für Cicero und seine Gesinnungsgenossen nichts weniger als erfreulich. Cicero war seit der Abreise in seine Provinz Cilicien, also seit Anfang Mai 51 von der ersehnten Hauptstadt Italiens getrennt; denn auch als er nach Beendigung seines Proconsularjahres und der Rückkehr nach Italien (Ende November 50) zu Anfang Januar d. J. 49 vor Rom anlangte, durfte er bei seinen Ansprüchen auf den Triumph als imperator in die Stadt selbst nicht kommen. Dann brach der Bürgerkrieg zwischen Cäsar und Pompejus aus und Cicero übernahm zeitweise den Oberbefehl über die Truppen an der Seeküste von Campanien bis Pompejus im Merz sich nach Griechenland einschiffte und Cäsar vorerst gegen Pompejus Legaten in Spanien zu ziehen und so im Westen reine Bahn zu machen beschloss. Zuvor jedoch gieng Cäsar nach Rom, um da die nötigen Anordnungen zu treffen und soviel Optimaten als möglich, besonders auch Cicero, für die Anerkennung seiner Herschaft zu gewinnen. Cicero befand sich damals auf seinem Formianum; hier besuchte ihn Cäsar, um ihn für seine Sache zu gewinnen; aber noch mochte sich Cicero von Pompejus und der Senatspartei nicht lossagen, die Unterredung endete ohne Erfolg und Cäsar gab ihm Bedenkzeit. Im April d. J. 49 zog Cäsar nach Spanien, — und im Juli endlich nach monatelangem Zögern und Schwanken setzte Cicero mit seinen Lictoren nach Dyrrhachium über. Hier aber im Lager des Pompejus wurde er sehr enttäuscht, nichts entsprach seinen Erwartungen und auf seinen Rat zum Frieden wurde natürlich nicht gehört. Unterdessen siegte Cäsar in Spanien, ward noch während seiner Abwesenheit zum Dictator ernannt, eilte dann nach Rom, wo er nach Niederlegung der Dictatur die Consulwürde erhielt, und nahm nun den Entscheidungskampf gegen Pompejus auf. Cäsar siegte bei Pharsalus am 9. August 48 und wurde zum zweiten Male während seiner Abwesenheit zum Dictator auf ein Jahr gewält. Cicero, der während der Schlacht in Dyrrhachium geblieben war, kehrte auf die Unglücksbotschaft, noch immer von seinen Lictoren begleitet, nach Brundisium zurück und verlebte hier voll banger Erwartung, was da kommen werde, bis zum September 47 eines der traurigsten Jahre seines Lebens. Aus dieser trostlos kummervollen Lage in Brundisium befreite ihn erst Cäsars Ankunft in Italien. Cicero begrüsste den zurückkehrenden Sieger in Tarent; Cäsar zeigte sich zuvorkommend gegen ihn und erlaubte ihm,

103) Brut, 1, 2 und 4; 2, 7; 71, 251; 76, 266; 96, 330.

in die Hauptstadt zurückzukehren. Die Ehre des Triumphes war freilich dahin und die Lictoren mit den Fasces wurden entlassen; dafür ward ihm aber die lang entbehrte Freude zu Teil, wieder in seinem Rom und bei seinem Atticus zu sein. Hier in Rom war jedoch mittlerweile alles ganz anders geworden: Cäsar war factisch Alleinherr, politischen Einfluss hatten nur die Cäsarianer; es war offenbar, dass die Republik ihrem völligen Ende entgegengieng. Die öffentliche Rede war seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs verstummt 104); Hortensius war noch zur rechten Zeit gestorben105) ; viele ausgezeichnete Redner waren in den blutigen Kämpfen gefallen 106); das Wort gab nicht mehr den Ausschlag, sondern das Schwert. Da flüchtete sich Cicero, wie in einer ähnlichen Situation 10 Jahre zuvor, wiewol schweren Herzens wiewol schweren Herzens, in das vom Geräusch der Waffen unberührte Gebiet der Wissenschaften und begann nach langer Zwischenzeit 107) wieder sich der schriftstellerischen Thätigkeit zu widmen 108). Der Acker, der lange brach gelegen, trug reichliche Früchte, es gehörte dies J. 46 wie das folgende J. 45 in literarischer Beziehung zu den fruchtbarsten in Ciceros Leben 109). - Eine Hoffnung blieb zwar der Senatspartei noch übrig: Cäsar hatte noch einen schweren Kampf in Africa zu bestehen, wohin er am Ende des Jahres 47 übersetzte. Dort hatten sich die Reste der Pompejaner oder vielmehr der entschiedensten Republikaner zu einem letzten Verzweiflungskampfe vereinigt. Wie? wenn Cäsar hier doch noch am Ende besiegt und durch seinen Untergang die dunkeln Schatten, die sich jetzt über alles lagerten, glücklich wieder verscheucht würden 110)?

104) Brut. 6, 22 subito in civitate cum alia ceciderunt, tum etiam ea ipsa, de qua disputare ordimur, eloquentia obmutuit. 2, 6; 96, 330 ff. 105) Brut. 1, 5 ff. 106) Brut. 76, 266.

107) Brut. 4, 16. Seit den Büchern de republica hatte Cicero nichts ediert (Brut. 5, 19); die wahrscheinlich im J. 52 angefangene Schrift de legibus war wegen des Proconsulats in Cilicien und der bald darauf folgenden politischen Ereignisse unvollendet geblieben: ihre weitere Ausführung wurde also zunächst ins Auge gefasst (ad Fam. IX 2, 5), dann eben der Brutus.

108) ad Fam. IX 1, 2 scito enim me, posteaquam in urbem venerim redisse cum veteribus amicis id est cum libris nostris in gratiam; 2, 5 modo nobis stet illud, una vivere in studiis nostris, a quibus antea

delectationem modo petebamus, nunc vero etiam salutem; 18, 1 ego sublatis iudiciis, amisso regno forensi ludum quasi habere coepi; 20, 3 litteris me involvo, aut scribo aut lego; 26, 3 cotidie aliquid legitur aut scribitur; VII 28, 2 abdo me in bibliothecam; 33, 2. V 21, 2 hoc-tempore, cum alii interierint, alii absint, alii mutati voluntate sint utor eodem perfugio, quo tibi utendum censeo, litterulis nostris.

109) In das J. 46 fallen ausser anderen literarischen Arbeiten: Laus Catonis, Brutus, (Oratio pro Marcello, Oratio pro Ligario) und Orator; in das J. 45 die consolatio, Hortensius, Academica, de finibus und die laudatio Porciae.

110) ad Fam. V 21, 3 Neque me tamen ulla res alia Romae tenet, nisi exspectatio rerum Africanarum;

Unter dem Eindruck eines solchen wenn auch noch so § 18. schwachen Hoffnungsschimmers ist Ciceros Brutus geschrieben. Die Abfassungszeit der Schrift fällt nämlich in die ersten Monate des J. 46, nach Cäsars Abzug nach Africa, ehe noch die Schlacht bei Thapsus geschlagen oder wenigstens ehe noch die Nachricht von Cäsars Sieg wie von Catos und Q. Cäcilius Metellus Pius Tod 111) nach Rom gekommen war. Auf die bevorstehenden Ereignisse in Africa waren alle aufs äusserste gespannt in der richtigen Erkenntnis, dass es sich hier um die letzte Entscheidung handele. Und wenn auch Cicero hin und wieder gestehen muss, dass am Ende kein grosser Unterschied sei, wer Sieger bleibe 112), ja dass man unter Umständen von dem Sieg der Pompejaner noch mehr zu fürchten habe 113), als von Cäsars Sieg: so lag doch seiner ganzen politischen Stellung und bisherigen Richtung nach unzweifelhaft der Wunsch in seiner Seele, dass die Würfel zu Gunsten der Republik fallen möchten. Wie gern schenkte er doch noch nach der Schlacht bei Thapsus, Anfangs April 46, den Gerüchten Glauben, die über die Unfälle der Cäsarianer zur See in Rom verbreitet wurden 114), und wie mochte er im geheimen deren Bestätigung wünschen. Noch war nicht Alles verloren, es konnte mit einemmale anders werden. So konnte es denn Cicero im Brutus. wagen, über die unglückliche Lage des Staates in wiederholte Klagen auszubrechen 115), und sich nicht nur Anspielungen erlauben 116), die übersehen zu haben dem siegreichen Cäsar zur

videtur enim mihi res in propinquum adducta discrimen.

111) Beider wird im Brutus noch als lebender gedacht, des Cato 31, 118 und des Metellus 58, 212. Brutus war noch nicht in seine Provinz Gallien abgereist (Brut. 46, 171) und im Orator, der noch in das J. 46 fällt, wird des Brutus als bereits ediert erwähnt (Or. 7, 23).

112) ad Fam. V 21, 3 est enim res iam in eum locum adducta, ut quamquam multum intersit inter eorum causas, qui dimicant, tamen inter victorias non multum interfuturum putem. Trotzdem sagt er kurz zuvor: puto autem mea non nihil interesse, wenn er andererseits auch einsieht, dass der Krieg der Art sei, cuius exitus ex altera parte caedem ostentat, ex altera servitutem ad Fam. IV 11, 1.

113) ad Fam. IV 14, 2 si ei vicissent, ad quos ego pacis spe non belli cupiditate adductus accesseram, tamen intellegebam et ira

torum hominum et cupidorum et
insolentium quam crudelis esset
futura victoria; sin autem victi
essent (setzt er jedoch hinzu) quan-
tus interitus esset futurus partim
amplissimorum, partim etiam opti-
morum. Doppelsinnig ist die hier-
her gehörige Aeusserung Brut. 76,
266 sileamus, inquam, Brute, de
istis, ne augeamus dolorem; nam
et praeteritorum recordatio est
acerba et acerbior exspectatio reli-
quorum.

114) ad Att. XII 2, 1.

115) Brut. 1, 4 (Hortensius) tum occidit, cum lugere facilius rempublicam posset, si viveret, quam iuvare 2, 7; 42, 157; 71, 251 incurro in memoriam communium miseriarum, 76, 266; 96, 329 f. doleo, me in hanc reipublicae noctem incidisse.

116) Vgl. ausser den eben angeführten Stellen 6, 24 eloquentem neminem video factum esse victoria, 81, 281 qui autem occasione

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