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mehr als seinen eigentlichen Beruf, durch seine schriftstellerische Thätigkeit die Prosaliteratur seines Volks zu der Höhe zu erheben, die sie in ihm für alle Zeiten erreicht hat. Sein Augenmerk war dabei zuerst und vornehmlich auf die oratorische Prosa, auf die Beredsamkeit gerichtet. Hier galt es vor allem, den unvollkommenen Standpunkt, den er einst selbst eingenommen 3), zu überwinden, und der trockenen, dem Leben entfremdeten griechischen Schulrhetorik wie der blossen rednerischen Routine gegenüber die Notwendigkeit einer allgemein wissenschaftlichen Bildung für den Redner mit allem Nachdruck hervorzuheben. Das Epoche machende Werk, das aus diesem Streben hervorgieng, sind bekanntlich seine 3 Bücher de oratore aus dem J. 56. Sicheren Takts beginnt Cicero den Cyclus seiner grösseren rhetorischen Werke in dieser Schrift als oratorius sermo de ratione dicendi 4) mit dem Aufbau einer rhetorischen Theorie nach einem höheren, ebenso wissenschaftlichen als wahrhaft praktischen Gesichtspunkt. Erst wenn dieser Grund gelegt, wenn das vollständige rhetorische System nach allen seinen Richtungen an der Hand der Wissenschaft und Erfahrung entwickelt, wenn die Forderungen, die der Redner zu erfüllen, und der Weg, den er zu gehen hat um sein Ziel zu erreichen, in lebendiger Klarheit dargelegt waren, erst dann konnte auf diesem Fundamente weiter gebaut und zuletzt der alles vollendende Abschluss hinzugefügt werden. Eine ästhetische Kritik an den geschichtlichen Erscheinungen der oratorischen Prosa zu geben, gieng nicht eher an, als bis die allgemeinen Grundsätze für eine solche Beurteilung feststanden, bis ein sicherer Masstab aufgestellt war, an dem die rednerischen Producte der Vergangenheit gemessen werden konnten. Und ebenso wenig liess sich weiterhin das Ideal des Redners und die höchste Vollendung der oratorischen Sprache in befriedigender Weise darstellen, wenn nicht zuvor sowol das ganze Gebiet, auf dem sich der Redner zu bewegen hat, nach allen Richtungen durchwandert und die mannigfachen Functionen, die ihm obliegen, bestimmt, klar und vollständig erörtert waren, als auch andererseits durch die Geschichte der Beredsamkeit sich herausgestellt hatte, in wie weit im Laufe der Zeiten, in den einzelnen Perioden, jene an den Redner zu stellenden Forderungen von den Trägern der Beredsamkeit erfüllt waren; welche objective Leistungen in der grossen Reihe der Redner vom Anfang bis zur Gegenwart geschichtlich vorlagen, und wie die verschiedenen Stufen und Richtungen der Redekunst

Cato maior, die Lobschrift auf M. Cato Uticensis; endlich durch die libri oratorii: tres de oratore, quartus Brutus, quintus Orator). Vgl. de nat. deor. I 4, 7. de div. II 2, 6 f.

3) in seiner Jugendarbeit, den libri rhetorici (de inventione). de or. I 2, 5. Quint. II 15, 6. 4) ad Quint. fr. III 6, 1.

in den geschichtlichen Persönlichkeiten der Redner hervortraten. Diesen methodisch vollkommen richtigen Gang hat denn auch Cicero in der Aufeinanderfolge seiner drei grossen oratorischen Werke eingehalten und als die Zeitverhältnisse ihn wieder auf die Beschäftigung mit den Wissenschaften und die schriftstellerische Thätigkeit als die einzige Stätte des Trostes hinwiesen, so zur Ausführung gebracht, dass er an die früher herausgegebenen Bücher de oratore erst seinen Brutus, dann nicht lange darnach den Orator anreihte.

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Zunächst also will Cicero auf die Theorie der Beredsamkeit § 3. eine geschichtliche Darstellung folgen lassen. Hatte doch sein Vorbild unter den Griechen, Aristoteles, gleichfalls in seiner tεxvæv ovvaywyń die rhetorischen Systeme seiner Vorgänger zusammengestellt 5), um damit geschichtlich den Weg darzulegen, den die Rhetorik oder die Theorie der griechischen Beredsamkeit durchlaufen hatte, ehe sie an dem Ziel anlangte, das sie in der Aristotelischen Rhetorik erreichte. Eine ähnliche Geschichte der Theorie der römischen Beredsamkeit zu schreiben, daran konnte freilich Cicero nicht denken und zwar aus dem sehr einfachen Grunde, weil es eine solche Geschichte in Rom vor ihm nicht gab - Cicero ist selbst erst durch seine rhetorischen Schriften der eigentliche Anfänger und Begründer der römischen Rhetorik geworden. Wol aber konnte er dem grossen Meister darin folgen, dass er, wie Aristoteles die Systeme der griechischen Theoretiker vor seiner Zeit bis auf seine eigene Rhetorik in geschichtlicher Aufeinanderfolge dargestellt hatte, so durch die Charakteristik der oratorischen Praktiker seines Volks), d. h. der römischen Redner in der vorciceronianischen Zeit den Entwickelungsgang veranschaulichte, den die (praktische) römische Rede kunst von ihren ersten Anfängen bis zur Höhe ihrer gegenwärtigen Vollendung durchlebt hatte.

Für eine Geschichte der (praktischen) römischen Rede- § 4. kunst aber fehlte es für Ciceros Zweck im Ganzen nicht an

5) de inv. II 2, ac veteres quidem scriptores artis usque a principe illo atque inventore Tisia repetitos unum in locum conduxit Aristoteles et nominatim cuiusque praecepta magna conquisita cura perspicue conscripsit atque enodata diligenter exposuit, ac tantum inventoribus ipsis suavitate et brevitate dicendi praestitit, ut nemo illorum praecepta ex illorum libris cognoscat, sed omnes, qui quod illi praecipiant velint intellegere,

ad hunc quasi ad quendam multo commodiorem explicatorem revertantur. de or. II 38, 160 cuius et illum legi librum, in quo exposuit dicendi artes omnium superiorum.

6) Brut. 36, 137 est enim propositum colligere eos, qui hoc munere in civitate functi sunt, ut tenerent oratorum locum. Vgl. 19, 74 qui (Atticus) me inflammavit studio illustrium hominum aetates et tempora persequendi,

hinlänglichem Material. War doch die aus dem öffentlichen Leben der Römer selbst geborene, mit ihrem Rechts- und Staatswesen auf das innigste verwachsene römische Beredsamkeit das Gebiet der römischen Literatur, das nicht allein der griechischen Literatur gegenüber auf eine grössere Selbständigkeit und Originalität Anspruch machen konnte, als alle anderen Literaturzweige, sondern unstreitig auch am längsten und sorgfältigsten cultiviert worden. Denn wenngleich in Rom (wie in Griechenland)) die Entstehungszeit einer eigentlichen Beredsamkeit verhältnismässig spät fällt, so war es doch immerhin eine ganz ansehnliche Zahl von praktischen Rednern, die in langer Reihe von Cicero und seinen Zeitgenossen bis in die ersten Zeiten der römischen Republik hinaufreichte. Eben diese lange Reihe römischer Redner in ihrer zeitlichen Folge und oratorischen Bedeutung ist es nun, die Cicero in seinem Brutus uns vorführt. Die beiden Grenz- und Endpunkte, innerhalb deren sich die Darstellung bewegt, sind natürlich die von der Geschichte selbst gegebenen: die Darstellung reicht von den ältesten Zeiten der römischen Republik bis auf die Gegenwart, d. h. bis auf Ciceros Zeit oder von den ersten Anfängen der römischen Beredsamkeit bis zu dem Höhepunkt ihrer Vollendung. Freilich konnte Cicero schicklicher Weise als diesen Höhepunkt der Vollendung nicht unmittelbar sich selbst preisen 8), sondern musste vielmehr da abbrechen, wo er als Träger der römischen Redekunst auftritt und kann also genau genommen die Geschichte der römischen Beredsamkeit nur bis auf seinen nächsten grossen Vorgänger Hortensius verfolgen 9). Da es aber andererseits für die Erreichung seines Zweckes wesentlich war, die Geschichte der römischen Beredsamkeit eben bis zu ihrem gegenwärtigen Höhepunkt zu schildern und in keinem andern diese höchste Blüte erreicht war, als in Cicero, so sucht er der geschichtlichen Wahrheit dadurch gerecht zu werden, dass er zur Ergänzung nicht nur eine ausführliche Darstellung seines eigenen oratorischen Entwickelungsganges in die Geschichte mit einflicht10), sondern auch andern gefeierten Rednern und competenten Kri

7) Brut. 10, 39 videsne igitur vel in ea ipsa urbe, in qua et nata et alta sit eloquentia, quam ea sero prodierit in lucem?

8) Brut. 93, 322 nihil de me dicam. 65, 231 f. 41, 151 de me dicere nihil est necesse. Vgl. Sen. pr. contr. I 6 quidquid Romana facundia habet quod insolenti Graeciae opponat aut praeferat, circa Ciceronem effloruit: omnia ingenia, quae lucem nostris studiis attulerunt, tunc nata

sunt; in deterius deinde cotidie data

res est.

9) Brut. 65, 232 redeamus ad Hortensium; de me alii dicent, si qui volent 96, 328.

10) Brut. 89, 304-95, 325. Vgl. Tac. dial. de or. c. 30 notus est vobis utique Ciceronis liber qui Brutus inscribitur; in cuius extrema parte (nam prior commemorationem veterum oratorum habet) sua initia, suos gradus, suae elo

tikern ein anerkennendes Urteil über seine oratorische Meisterschaft in den Mund legt11) und ausserdem mehrmals deutlich genug zu verstehen gibt12), dass in ihm die höchste Stufe erreicht sei. Aus demselben Grunde, nämlich um unsere Augen doch auch über Hortensius hinaus auf die nächste Zeit nach dessen Tod zu richten, weicht denn auch Cicero von dem ausdrücklich ausgesprochenen 13) und auch im Allgemeinen festgehaltenen 14) Grundsatz, die zur Abfassungszeit der Schrift noch lebenden Redner von der Betrachtung auszuschliessen, einmal absichtlich ab und zieht auch ein paar bedeutende Redner der Gegenwart, besonders Marcellus und Cäsar, in den Kreis der Darstellung mit hinein 15).

Ueberhaupt tritt das Bestreben, die römischen Redner § 5. in gröstmöglichster Vollständigkeit aufzuführen 16) und keinen durch die Tradition oder sonst überlieferten Namen zu vergessen, überall unverkennbar hervor. Zu dem Ende geht Cicero nicht allein auf die ältesten fernsten Zeiten der römischen Republik zurück, sondern räumt auch bereitwilligst vielen einen Platz in seinem Werke ein, denen bei ihrer so geringen oratorischen Bedeutung streng genommen eine Stelle in einer Geschichte der römischen Beredsamkeit schwerlich gebührte. Aber dabei versäumt es Cicero doch auch andererseits nicht, sich deshalb gleichsam zu entschuldigen und wiederholt die Gründe anzugeben 17), die ihn zu einer solchen Aufnahme aller möglichen Rednernamen bestimmten; ja er legt sogar einem der Mitunterredner hin und wieder scharf kritisierende Bemerkungen

quentiae velut quandam educationem refert: se apud Quintum Mucium ius civile didicisse, apud Philonem Academicum, apud Diodotum Stoicum omnes philosophiae partes penitus hausisse; neque his doctoribus contentum, quorum ei copia in urbe contigerat, Achaiam quoque, et Asiam peragrasse, ut omnem omnium artium varietatem complecteretur.

11) Brut. 72, 253; 73, 254; 51, 190; 86, 296.

12) Brut. 44, 162 erit, inquit Brutus, aut iam est iste, quem exspectas. Nescio, inquam 51, 190; 87, 298; 93, 322; 40, 150; 32, 123.

13) Brut. 65, 231 quoniam in hoc sermone nostro statui neminem eorum qui viverent nominare. 69, 244 quippe de mortuis 75, 262; 77, 269; 86, 297.

14) Brut. 72, 251 et ille (sc. Atticus) praeclare, inquit, tibi constas,

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§ 6.

über diese allzugrosse Weitherzigkeit in den Mund18), um eben dadurch das Bewusstsein von dem grossen Wertunterschied der einzelnen in der Masse der rednerischen Persönlichkeiten in uns stets lebendig zu erhalten. Dazu kommt noch, dass Cicero zugleich aus der grossen Zahl der von ihm namhaft gemachten Redner doch überall und zuletzt noch zu bleibendem Gedächtnis am Schluss seines Werkes 19) die wirklich bedeutenden und in der Geschichte hervorragenden Männer so sehr hervorhebt20), dass unsere Augen über die Thäler und Ebenen hinweg auf diese hell erleuchteten Bergesgipfel gerichtet bleiben und wir vor der Menge der Redner niederen Ranges die grösseren Geister nicht aus dem Gesicht verlieren. Nicht nur, dass er scharf die vorgeschichtliche Zeit von der geschichtlichen unterscheidet 21): in dieser selbst wieder lässt Cicero die eigentlichen Höhenpunkte so deutlich hervortreten, dass wir uns auf der Wanderung durch den Rednerwald immer leicht zurecht finden können.

Im Grossen und Ganzen sind es in dieser Beziehung offenbar zwei Hauptstufen oder so zu sagen zwei Blüteperioden, die die römische Beredsamkeit in ihrer Entwickelung von den ersten geschichtlichen Anfängen bis auf Cicero erreicht: die Träger der ersten Blüteperiode sind die Redner Crassus und Antonius, der Träger der andern ist Cicero selbst. Bis die Beredsamkeit die erste Höhe etwa im J. 100 v. Ch. erreicht, hat sie einen langen mehr als hundertjährigen Zeitraum zu durchmessen, in dem sich wieder mehrere aetates in organischem Fortschritt aneinanderreihen: Cato censorius oben an; dann vornehmlich Galba mit Laelius und Scipio; weiterhin Lepidus, die Gracchen und Carbo; endlich Catulus, der den letzten Uebergang zu dem ersten Höhepunkt zu Antonius und zu Crassus, dem eigentlichen Schöpfer einer kunstmässigen oratorischen Prosa22) bildet. Der Weg von da bis zu dem zweiten Höhepunkt ist fast um die Hälfte kürzer: es sind die beiden aetates erst des Sulpicius und Cotta, dann des Hortensius, in denen sich die Redekunst allmählich zu der zweiten Höhe erhebt, auf welcher in Cicero zu den Errungenschaften der ersten Blütezeit, besonders des grossen Redners Crassus, das Studium der griechischen Literatur tritt und so die Universalität des Wissens erreicht wird, die dem wahren Redner unerlässlich ist 23).

18) Brut. 47, 176; 69, 244; 77, 269; 86, 297.

19) Brut. 97, 333.

20) Brut. 49, 182 Ego tamen ita de unoquoque dicam, ut intellegi possit, quem existimem clamatorem, quem oratorem fuisse.

21) Brut. 15, 61 s. die Inhaltsübersicht.

22) de orat. II 28, 121 qui hoc primus in nostros mores induxit, qui maxime auxit, qui solus effecit.

23) Brut. 43, 161 Quod idcirco posui (nämlich das J. 106 als das

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