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Christliche Polemik.

Einleitung.

§. 1.

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Die Polemik ist derjenige Theil der philosophischkritischen Theologie, welcher die den christlichen Glauben gefährdenden und die Reinheit der christlichen Kirche trübenden Irrthümer nach ihrem Wesen und Zusammenhange erkennen und widerlegen lehrt.

Es könnte scheinen, als wenn der Untergang der alten Polemik ein so gerechter Erfolg des Bestrebens, eine Wissenschaft des theologischen Streits aufzustellen, gewesen wáre, daß an eine Wiedererweckung dieser Disziplin nicht zu denken sei. Ginge man dabei von dem Grundsaße aus, daß die lebhafte Erneuerung theologischer Streitigkeiten in unseren Tagen schlechthin ein Uebel sei: so würde schon die Idee, diesem Uebel eine wissenschaftliche Grundlage und Rückhalt zu geben, als ein Unrecht angesehen werden, welches man dem besseren theologischen Zeitgeiste anthue. Allein was das Erste betrifft: so müßte, um es zu behaupten, erst der Beweis geführt sein, daß der Verfall und das fast plöhliche Aufhören der alten Polemik lediglich in der Schlechtigkeit dieser Form, und nicht wenigstens mit in dem verminderten Interesse an der gegen den Irrthum zu vertheidi

genden Wahrheit seinen Grund hätte. Da nun aber seit dem lehten Viertel des vorigen Jahrhunderts beides eintrat, Aufhören der Polemik und Gleichgültigkeit gegen die Wahrheit der christlichen Religion: so ist jener Beweis nicht zu führen, vielmehr ergiebt sich daraus ein hinreichender Grund, das Verschwinden der alten Polemik zu verstehen, auch ohne den innern Unwerth einer solchen theologischen Disziplin vorauszusehen. Noch oberflächlicher wäre die Verwerfung derselben aus dem Grunde der gegenwärtigen Erneuerung theologischer Streitigkeiten. Denn da das Aufhören des theologischen Streits nur denkbar wäre entweder unter Voraussehung einer gänzlichen Gleichgültigkeit der Kirche gegen die sie selbst gefährdenden und verunreinigenden Irrthümer, oder einer vollendeten Verklärung derselben durch das Licht der göttlichen Wahrheit: so müssen die, welche nicht behaupten, daß die lehte vorhanden sei, sich herzlich freuen, daß wieder Streit vorhanden ist, aus welchem Grunde der theologische Zustand unserer Zeit ohne Zweifel vorzüglicher ist als der im Anfange des Jahrhunderts. Wo aber eine Richtung dieser Art in lebendiger Bewegung ist: da ist es wünschenswerth, daß sie in der Wissenschaft die letzten Gründe und Zwecke ihres Handelns ausgedruckt finde. Die richtigen Grundsåße alles kirchlichen Handelns wie die Gründe alles kirchlichen Lebens soll die Theologie darstellen. Gåbe es also keine besondere Disziplin derselben, welche die Grundsähe des theologisch-kirchlichen Streitens enthielte: so müßte in irgend einem anderen Zweige der Theologie der Ort nachgewiesen werden, an welchem eine vollständige Belehrung über das Verhältniß des Irrthums zum Leben der Kirche enthalten wäre. Findet sich aber dieser Ort weder in der Apologetik, noch in der systematischen und praktischen Theologie: so ist schon deshalb zu erwarten, daß die Polemik als eigne Disziplin dazusein vollkommen Recht habe.

Der Begriff der Polemik kann sich aber erst positiv ergeben, wenn wir ihn aus dem Begriffe der Theologie

selbst entwickeln. Die Theologie ist die begriffliche Selbstverständigung des christlichen Glaubens innerhalb der Kirche zur Vervollkommnung ihres geistigen Verkehrs. Die erste Aufgabe der Theologie ist, das Wesen des christlichen Glau bens in solcher Weise zu erfassen, daß das Zufällige davon unterschieden, und für die Bearbeitung des realen empirischen Stoffs, der in der Kirche zum Wissen kommt, Gesichtspunkte und Grundsäße gewonnen werden. Dies ist der Begriff der philosophischen Theologie, der dieser Name deshalb zukommt, weil sie auf dem Wege einer vom christlichen Glauben an Gott selbst ausgehenden philosophischen Unterscheidung des Aeußeren und Inneren sich das Wesen jenes Glaubens begrifflich klar macht. Die Natur der Kirche, in welcher allein der christliche Glaube ein wirkliches Wesen und Leben hat, bringt es aber mit sich, daß dieses philosophisch-kritische Verfahren eine positive und eine negative Seite hat, obwohl beides an seiner Stelle nur überwiegend sein kann. Es kommt zuerst darauf an, die innere Wahrheit, das wahrhaft göttliche Wesen der christlichen Religion in seinem Zusammenhange mit der menschlichen Natur und der gesammten Religionsgeschichte, in Grundbegriffen und Hauptthatsachen darzustellen und zu erweisen: dies ist die Aufgabe der Apologetik. Da aber der christliche Glaube nur in dem Maaße zu einer klaren Selbstverständigung kommen kann, als er sich der Irrthümer zu entledigen sucht, die ihm daher ankleben, daß er nur in der Kirche, niemals außer ihr, wirklich vorhanden ist, und die Kirche, eine zwar göttlich gegründete, heilige, aber, wegen ihrer zeitlich menschlichen Seite, noch mit Sünde und Irrthum behaftete Gemeinschaft ist: so ist die zweite Aufgabe der philosophischen Theologie, den in der Kirche befindlichen Irrthum nach seinem Ursprunge, Natur und Zusammenhange mit dem Unglauben so aufzuzeigen, daß die Kirche dadurch eine wissenschaftliche Anweisung zur Reinigung und Freierhaltung des Glaubens von dem Irrthum erhalte. Dies

ist die Polemik *). Sie ist gleichsam die umgekehrte Seite der Apologetik, denn sie hat zur Aufgabe, das, was nicht wahr ist im empirischen Dasein des Glaubens in der Kirche, aufzuweisen, wie jene das, was wahr ist. Weil aber die Apologetik selbst in der Kirche entsteht, und ihren einzigen Ausgangspunkt in dem wirklichen Glauben der Kirche hat: so erscheint dieser Ausgangspunkt mit Allem, was von ihm ausgeht, solange selbst noch nicht sicher, vom Irrthum frei zu sein, bis die Polemik hinzugetreten ist. Und weil der in der Kirche befindliche Irrthum weder seinem Ursprunge noch seinen Formen nach schon durch die Aufstellung der apologetischen Grundbegriffe und Hauptthatsachen hinlånglich klar werden kann, da ja der historische Zusammenhang des Glaubens nicht an sich schon den inneren Zusam menhang des Irrthums vor Augen stellt: so muß die Polemik als eigne Disziplin dastehen, in der Organisazion der Theologie zwar auf die Apologetik folgend, aber nicht ihr subordinirt, und auch nur so folgend, daß dabei eine fort

*) Hieraus wird zugleich klar, daß aller Irrthum, der nicht auf dem Boden der Kirche entstanden ist, auch gar nicht in der Polemik vorkommt, und daß Schleiermacher sehr Recht hat zu sagen, taß die Polemik nach innen gerichtet sei, nämlich als theologische Disziplin. Mit der praktischen Polemik, den eigentlichen пoléμois z. B. der Kirchenvåter gegen Juden und Heiden, hat es eine andere Bewandniß. Diese würden aber theoretisch verarbeitet auch nur in die Apologetik gehören. Deshalb ist es ein Fehler der älteren Polemik, einen Abschnitt de gentilismo, de Iudaismo, de Mahometanismo zu haben. Doch schon Mosheim schließt die Antideis ftik und überhaupt die Widerlegung solcher, die nicht selbst Christen sind, aus. Und Gruner Proleg. §. 4. sagt mit Recht: Neque disputationes cum atheis, cum idolorum cultoribus, cum Muhamedanis, cum Iudaeis, cum Deistis, ego quidem theologiae polemicae terminis contineri non sine ratione gravi censeo; neque concertationes de opinionibus hominum privatorum.

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