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mentlich derjenige Theil derselben, der die Irrenden und Fehlenden in der Kirche richtig behandeln lehrt, bedarf einer Theorie von dem Wesen und den Formen des kirchlichen Irrthums überhaupt, und würde ohne eine solche sich nur an einzelne Beobachtungen und an die hier nicht zureichende allgemeine moralische Lehre von der Sünde und Besserung anlehnen können. Die polemische Diagnostik hat sos gar eine bedeutende Aehnlichkeit mit der seelsorgerischen. Der Unterschied aber ist der, daß die Polemik den Irrthum behandelt, insofern er ein kirchlicher, in ganzen Abtheilungen der Kirche und mittelbar im Ganzen der Kirche herrschend gewordener ist, die Seelsorge aber, insofern er ein persönlicher, mit der individuellen Schwäche und Sünde einer einzelnen der Kirche angehörigen Person verbundener ist. Wie aber das persönliche Leben der Kirchenglieder theologisch nur aus dem Ganzen der Kirche heraus beurtheilt werden kann: so bedarf auch die Lehre von der Behandlung der irrenden Kirchenglieder einer Anlehnung an die Lehre vom kirchlichen Irrthum überhaupt.

Wenn die Upologetik, was diejenigen theologischen Disziplinen, welche nicht zur praktischen Theologie gehören, betrifft, am meisten auf die systematische Theologie begründenden Einfluß ausübt: so gilt dies von der Polemik in Ansehung der kirchlichen Statistik. Da diese als die Darstellung der Kirche von ihrer realen Seite, in ihrer ethnographischen Ausbreitung koordinirt ist der Darstellung der christlichen Lehre als des idealen Besigthums der Kirche: so liegt auch darin eine Bewährung der gegenseitigen Ergån= zung der Apologetik und Polemik. In der kirchlichen Sta tistik kommt es auf Darstellung des wirklichen Gemeinlebens der Kirche an, welches, unter den Bedingungen des ethnographischen und nazionalen Daseins der christlichen Völker, zugleich sich mit Allem berührt, woraus der Irrthum sich stets neu erzeugt. Hier kommen also nothwendig nicht nur die Einseitigkeiten vor, die jede Hauptpartei der christlichen

Kirche an sich trågt, sondern auch die mehr krankhaften Erscheinungen der Sekten, denen ihr Sein in der christlichen Kirche doch nicht abgesprochen werden kann. Um nun in den sich theils nach der Gliederung der äußeren Verhältnisse, theils nach Gesehen der von innen ausgehenden Entfaltung darstellenden Parteien das Irrthümliche erkennen und von dem nothwendig Einseitigen und rein Individuellen sondern zu können, dazu bedarf es der Polemik, und dieses Bedürfniß muß in demselbigen Maaße hervortreten, als die kirchliche Statistik aus ihrem empirischen, aggregatmåßigen Zustande sich zu dem einer organisch entwickelten Disziplin ausbildet. Auf der anderen Seite wird auch jeder ausge= arbeitete Beitrag zur kirchlichen Statistik auf den Standpunkt zurückführen, von welchem aus man gewisse allen einzelnen Gebrechen der kirchlichen Gesellschaften zum Grunde liegende Grundirrthümer anzuerkennen genöthigt wird.

§. 4.

Die Form der Polemik entsteht theils durch den Gegensatz des Allgemeinen und Besonderen, theils durch den Kreislauf, welcher sich aus der die Wahrheit be= gleitenden Bewegung des Irrthums ergiebt.

Der Gegensatz des Allgemeinen und Besonderen, wie er nicht der Gegensah des Abstrakten und Konkreten ist, sondern der des Begründenden und des Begründeten, tritt mit Berechtigung in jeder theologischen Disziplin auf, welche ein relativ selbstständiges Ganzes von Grund und Folge, Ursache und Wirkung anschaulich machen will. Wie deshalb die Eintheilung in einen allgemeinen und einen besonderen Theil der Apologetik zukommt, weil sie die allgemeine göttliche Wahrheit und Religionsvollkommenheit des Christenthums als den Grund aller wesentlichen Lehren und Thatsachen

desselben anschaulich machen muß*): so muß auch die Polemik die Grundverhältnisse des Irrthums zur Wahrheit in der Kirche, oder die allgemeine Erkennbarkeit und Bestreitbarkeit des kirchlichen Irrthums zuerst darstellen, und kann dann erst die einzelnen Hauptgestalten des Irrthums aufweisen. Auch hier wird der allgemeine Theil keine Abstrakzion von der Wirklichkeit sein, denn die aus theologischem Gefichtspunkte zu erkennenden allgemeinen und sich selbst glei= chen Beziehungen des kirchlichen Irrthums sind eben so wirklich als seine Hauptformen; und die Erkenntniß dieser geht auch nicht auf das Einzelne, empirisch Erscheinende aus, sondern auf gewisse als bleibend oder sich wiederholenderkennbare Formen.

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Schwieriger ist es, die richtige Eintheilung des besonderen Theils, oder eben diese Formen aufzufinden, in welchen nach einer inneren Nothwendigkeit der kirchliche Irrthum fich darstellt. Nicht leicht ist diese Aufgabe aus dem zwiefachen Grunde, weil der Irrthum in sich selbst keine Ordnung und Regel hat, die Wissenschaft also hier, wie es scheint, ihre Ordnung nicht aus der Natur ihres · Objekts nehmen kann, und weil die verlangte Ordnung sich auch nicht an ein schon gegebnes theologisch - dogmatisches System anlehnen kann. Denn in diesem lehten Falle würde die Pos lemik falsch gefaßt als eine bloße Begleiterin und Vertheidigerin der Dogmatik, da vielmehr die Dogmatik die Polemik voraussetzt. Die Schwierigkeit würde unauflöslich sein, wenn wir uns nicht erinnerten, daß nicht der Irrthum als solcher Gegenstand der Polemik ist, noch sein kann, sondern

*) Der Verfasser erkennt es als einen Mangel in seiner bisherigen Bearbeitung der Apologetik an, daß ein allgemeiner Theil fehlt. Die Nothwendigkeit eines allgemeinen Theils in der Polemik erkennt besonders Buddeus an: Abhandlung von der rechten Art, die polem. Gottesgelehrtheit vorzutragen §. 5.

der kirchliche Irrthum, d. h. der Irrthum insofern er ein von Gott zugelassener und in der Zulassung als Entwickelungsmittel für die Erkenntniß und Reinheit der Kirche gewollter und ihr gleichsam vorgehaltener ist. Der kirchliche Irrthum ist nicht blos an der Wahrheit, sondern er ist und haftet so an der áhygɛía, d. h. dem wahren, wahrheitslautern Leben der Kirche, daß er ihren realen lebendigen und guten Bewegungen folgt, und deshalb nicht anders kann, als sich nach den Wahrheitserweisungen richten, und in seinen Erscheinungen noch eine gewisse Abspiegelung der Ordnung, die die kirchliche Wahrheit in sich hat, zu erkennen geben, Wie sich nun hieraus das Unwissenschaftliche der ålteren Eintheilungen der Polemik ergiebt, wonach nur eine Folge von Kontroversien vorhanden ist je nach dem symbolischen Standpunkte, den der Polemiker einnimmt *): so geht hieraus hervor, daß die Ordnung des besonderen Theils der Apologetik im Allgemeinen Vorbild der Ordnung des besonderen Theils der Polenik sein muß. Denn die Apologetik stellt die Wahrheit des Christenthums so dar, wie die Kirche sie aus dem Glauben an Christus heraus dem Wesentlichen nach in allen ihren Gliedern anerkennt. Deshalb müssen es eben die dort aufgefaßten Hauptmomente in der Erkenntniß der Kirche (diese Erkenntniß an sich als eine innere kirchliche Bewegung gefaßt) sein, an welche sich der kirchliche Irrthum anlehnt. Eben weil er kirchlich ist, erkennt er ja diese Hauptmomente im Allgemeinen an, und schließt sich in seinem eigenen Denken an fie an; aber weil er Irrthum ist, faßt er sie auf solche Weise, daß sie unfähig werden, als Hauptmomente der göttlichen, in sich selbst einigen und ewigen Wahrheit des Christenthums mit einander und in der Kirche zu bestehen. Hieraus ergiebt sich, daß die Hauptformen der besonderen Polemik denjenigen Kreislauf darstel

*) Daher die Einen einen Abschnitt de lutheranis, die Anderen einen de reformatis als zu Bekämpfenden haben.

len müssen, in welchem der kirchliche Irrthum sich in Begleitung der Wahrheit, wie sie sich in der Kirche fortschrei tend erweiset, bewegt: Kreislauf sagen wir, weil es in der Natur des an sich nichtigen Irrthums liegt, daß er sich an keinem Punkte halten kann, sondern, von dem einen durch die Macht der Wahrheit vertrieben, den anderen ergreift, bis er auch diesen lassen muß, und dann wieder auf den zurückkommt, mit dem er anfing. Die Anknüpfung des einen Irrthums an den anderen und die des lehten an den ersten giebt den Beweis, daß die möglichen Hauptformen des Irrthums richtig gefaßt feien, Die Hauptmomente der Wahrheit bilden keinen Kreislauf im Leben der Kirche, da sie, sämmtlich durch den Mittelpunkt des Glaubens zusammengehalten, eben das innere und volle Leben der Kirche ausmachen, von welchem aus sich die Kreise des in der Wahrheit kräftigen, liebenden Lebens der Kirche reich und mannichfaltig bilden. Aber der Irrthum, weil er den Verlust des Mittelpunktes in sich schließt, heftet sich an einen irrig aufgefaßten Punkt der Peripherie, und wird von ihm aus in scheinbar glänzender, doch innerlich einförmiger Weise rundgetrieben, ohne je zum Inneren der Sache durchzudringen, bis die Kirche von innen aus jeden Punkt ihres Umkreises mit Wahrheit durchdringend die Möglichkeit der Erneuerung des Irrthums ausgeschlossen haben wird. Wenn die Polemik auf diese Weise eine innere Geschichte der Kirche, insofern sie irrt, beschreibt: so muß sich diese Geschichte innerhalb jedes größeren Ganzen der Kirchengeschichte, werde es der Zeit nach, oder dem Gegenstande nach abgesondert, erneuern, und eben damit vermag die Polemik einen Abriß aller kirchlichen Kämpfe, von ihrer inneren Seite betrachtet, zu geben.

Die Hauptmomente der chriftlichen Wahrheit sind, nach richtiger apologetischer Auffassung, folgende fünf: Pofitivitåt, Offenbarung, Heil im Heilande, Belebung, Vollendung. Hierauf beziehen sich die fünf Hauptformen des kirchlichen

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