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die Folgerungen correct gezogen werden. Ob diese Voraussetzung bei Laplace' Hypothese über die Entstehung des Sonnensystems durchaus zutrifft, mag hier unerörtert bleiben: unbestreitbar ist doch wieder, dass zufällige Coincidenzen in einer grossen Anzahl im Allgemeinen auch vom gewöhnlichen Menschen in dem gleichen Sinne unwahrscheinlich genannt werden, mögen sie der fernsten Vergangenheit oder der Gegenwart oder der Zukunft angehören. Berichtet ein alter Schriftsteller, dass er beim Würfeln 1000 Mal nacheinander die Zahl 3 erhalten habe, so werden wir entweder die Ehrlichkeit seines Berichtes oder die seines Spiels oder die gleichmässige Structur des Würfels in Zweifel ziehen, weil die zufällige d. h. nicht durch eine gemeinsame Ursache bedingte Wiederholung äusserst unwahrscheinlich (= 100) ist, mag sie der vergangenen, gegenwärtigen oder zukünftigen Zeit angehören.

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Allerdings wird bei der Wahrscheinlichkeitsberechnung für eine Hypothese u. A. gefragt, wie wahrscheinlich die gegebene Thatsache unter Voraussetzung der Hypothese sei (vgl. u. IV). Das Gegebene wird also hier in Gedanken als ein Mögliches neben anderen gleich möglichen Fällen betrachtet, d. h. als ein Fall, über den wir uns ebenso wie über die anderen in Unwissenheit befänden. Aber nicht als ein Künftiges. Angenommen so lautet die Frage es sei uns nicht gegeben: wie wahrscheinlich wäre sein Vorhandensein auf Grund der einen und der anderen concurrirenden Hypothese?" Zu dieser Bestimmung dient eine logische Coordination mit den übrigen denkbaren Fällen. Weder in der Fragestellung noch in der Lösung liegt eine Nötigung, den Fall fictiv in die Zukunft oder uns selbst in die Vergangenheit zu verlegen; wenn auch die dadurch rein logische Fragestellung bei derartigen Problemen anschaulicher werden mag.

Es muss auch zugegeben werden, dass dem Ausdruck Wahrscheinlichkeit im ganz populären Gebrauch ein solcher Beigeschmack, eine praktische Beziehung auf Künftiges, auf Lotteriegewinnste u. dgl. anhaftet. Aber die Consequenzen, die aus einer wissenschaftlichen Fixirung dieses Merkmals entstehen würden, widersprechen doch selbst dem gewöhnlichen Gebrauch aufs Bestimmteste.

Die Beschränkung auf Künftiges ist also durch keinerlei sachliche Erwägung gefordert. Wir könnten mit demselben Recht auch eine räumliche Beschränkung, etwa auf die sublunarische Region, in den Wahrscheinlichkeitsbegriff einführen.

Im Grunde folgt übrigens die Irrelevanz der Zeit schon daraus, dass es für die Wahrscheinlichkeitsbestimmung zugestandenermassen einerlei ist, ob wir 6 mal nacheinander oder gleichzeitig würfeln. 1) Wir können dann offenbar auch 2 von den Würfen schon gemacht haben, 2 eben machen und 2 noch machen wollen: die Wahrscheinlichkeit für das 6 malige Eintreffen einer Seite ist immer die nämliche.

3. Hiemit hängt nun eine weitere Verallgemeinerung zusammen. Es ist unnötig und ungerechtfertigt, nur Ereignissen (événements) eine mathematische Wahrscheinlichkeit zuzuschreiben. Denn ebenso wie wir von einem Ereignis sagen können, dass es eines unter einer bestimmten Zahl von Ereignissen sei, über die wir nur wissen, dass eines von ihnen wirklich ist (sein wird, gewesen ist), aber nicht, welches: ebenso können wir uns auch in Bezug auf jede beliebige. sonstige Urteils materie in einem analogen Stande des Wissens und Nicht wissens befinden. Es sei uns gegeben um an ein gebräuchliches Schema anzuknüpfen, dass eine

1) Früher begegnete auch dies hie und da Zweifeln, pflegt aber jetzt in den Lehrbüchern ausdrücklich betont oder als selbstverständlich vorausgesetzt zu werden. Vgl. A. Meyer S. 10.

Urne zwei weisse oder schwarze Kugeln enthält, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass zwei weisse darin seien, = (1)2, u. s. f. Es handelt sich hier nicht um ein Ereignis sondern um einen Thatbestand; und wenn derselbe von Ewigkeit zu Ewigkeit unverändert existirte, so würde die Wahrscheinlichkeit dieselbe bleiben, solange nur unser Wissen sich nicht verändert. In diesem Sinne hat G. Kirchhoff1) die Wahrscheinlichkeit, dass die Coincidenz von 60 hellen Linien im Eisenspectrum mit 60 dunklen Linien im Sonnenspectrum keine zufällige sei, = mindestens 1- bestimmt und eben

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darauf (in Verbindung mit unseren Kenntnissen über die Auslöschung solcher hellen Linien) seinen Schluss gestützt, dass Eisen in der Sonne vorhanden sei. Auch dieser Thatsache schrieb er in Folge dessen die erwähnte Wahrscheinlichkeit zu, und es ist dabei offenbar vollkommen gleichgültig, ob man sie sich als ein vorübergehendes Ereignis oder als ewigen Bestand vorstellt. In gleichem Sinne können wir denn auch von dem wahrscheinlichen Durchmesser eines Wasserstoffmoleculs oder (wenn einer auch diesen als veränderlich betrachten will) von dem wahrscheinlichen Werte der chemischen Constanten der als absolut unveränderlich gedachten Uratome reden.

Endlich kann statt eines concreten Thatbestandes auch eine allgemeine, abstracte Urteilsmaterie als wahrscheinlich in gleichem Sinne bezeichnet werden. Auch da können wir in der Lage sein, zu wissen, dass eines von m Gesetzen wahr sein muss, ohne das Geringste darüber zu wissen, welches. Wir werden jedem von ihnen die Wahrscheinlichkeit zuerkennen. Nur wird sich in solchen Fällen selten mit Bestimmtheit eine feste endliche Zahl m angeben

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m

1) Untersuchungen über das Sonnenspectrum. Abhdl. der Berliner Akad. 1861 S. 79.

lassen. Auch ist die Voraussetzung, dass wir über die einzelnen Möglichkeiten vollkommen gleich unwissend seien, hier in der Praxis selten erfüllt. Der Wahrscheinlichkeitsansatz wird dann mehr oder weniger an Bestimmtheit verlieren, ohne dadurch wissenschaftlich wertlos zu werden. Ist doch auch die Wahrscheinlichkeit für die Coincidenz je zweier Linien im obigen Falle von Kirchhoff ausdrücklich nur approximativ geschätzt und gleichwol Grundlage einer der wertvollsten Entdeckungen.

n

N

4. Allgemein also lässt sich im Sinne von Laplace, in consequenter Ausdehnung seiner Bestimmungen, sagen: Jede beliebige Urteilsmaterie nennen wir wahrscheinlich, wenn wir sie auffassen können als eines von n Gliedern (günstigen Fällen) innerhalb einer Gesamtzahl von N Gliedern (möglichen Fällen), von denen wir wissen, dass eines und nur eines wahr ist, dagegen schlechterdings nicht wissen welches.

Auf diese Weise sind gleichsam die Eierschalen abgestreift, die dem Begriff der mathematischen Wahrscheinlichkeit von seinen Ursprungsbeispielen her noch anhafteten. Wenn wir gleichwol im Folgenden uns ebenfalls vorwiegend an solche Beispiele halten, geschieht es der Anschaulichkeit und Einfachheit halber; denn sie geben immer das beste Schema, auf welches auch complicirtere Verhältnisse reducirt werden können. Besonders zeigt sich dies bei der sog. empirischen Wahrscheinlichkeit (IV).

Unter den neueren Logikern hat namentlich Sigwart mit Recht betont, dass das Wahrscheinlichkeitsurteil auf dem disjunctiven Urteil gründet.1) Es ist nicht selbst ein disjunc

1) Logik II (1878) S. 265 f., wo die Wahrscheinlichkeitsschlüsse in interessanter Weise als eine specielle Classe der Schlüsse dargestellt werden, die man aus einer Combination disjunctiver Urteile entwickeln kann.

A. Lange, der die Wahrscheinlichkeitslehre ebenfalls auf das

tives Urteil, aber eine Folgerung aus einem solchen in Verbindung mit einer zweiten Prämisse, der Anerkennung völligen Nichtswissens über die einzelnen disjungirten Glieder.

Legen wir diese Auffassung zu Grunde, so folgt, dass der mathematische Wahrscheinlichkeitsbegriff keinerlei Voraussetzungen oder Ueberzeugungen hinsichtlich der objectiven Welt einschliesst1), insbesondere auch nicht die der Gültigkeit des Causalgesetzes, mag man es dahin aussprechen, dass jedes Ereignis seine Ursache hat oder dass unter gleichen Umständen immer gleiche Folgen eintreten.

Denken wir uns, es sei nichts Körperliches vorhanden als sechs Atome, die unter sich keine Kräfte ausübten, sondern im leeren Raum, jedes als eine Welt für sich, schwebten, und es sei uns, die wir als reine Intelligenz existirten, nur gegeben, dass eines davon die Kugelform, fünf die tetraedrische Form besässen, so würde die Wahrscheinlichkeit der Kugelform für ein bestimmtes dieser Atome, die des Tetraeders sein, und diese Aussage hätte ihren Sinn gleich jeder anderen mathematischen Wahrscheinlichkeit.

Indem Laplace in seiner Einleitung von der Unverbrüchlichkeit des Causalgesetzes und unserem unbedingten Glauben an dasselbe ausgeht, hat er einen vielleicht didaktisch bequemen aber für seine Definition nicht unumgänglichen Ausgangspunct gewählt.

disjunctive Urteil gründete (Logische Studien 1877 S. 108 f.), hat doch durch seine Lehre von der integrirenden Bedeutung räumlicher Anschauungsformen für logische Begriffsverhältnisse gerade hier ein nicht nur unwesentliches sondern irreleitendes Moment eingeführt, indem er die (alsbald zu besprechende) Forderung einer physischen Gleichheit der möglichen Fälle daraus ableitete.

Lotze deutet die Beziehung zum disjunctiven Urteil ebenfalls an (S. 414), ohne aber Consequenzen daraus zu ziehen.

1) Auch hierüber glaube ich mich mit Sigwart in Ueberein

stimmung zu befinden, vgl. a. a. O. 273.

1892. Philos.-philol. u. hist. Cl. 1.

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