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Wahrheit, einem feinen Gefühle für das Edle und Reine, einem sicheren Takte für das Angemessene und Schöne, war er imstande, dem römischen Volke seine Vergangenheit in einer Gestalt vorzuführen, in der sie dem Charakter und Geschmack desselben am meisten entsprach, und das zu erreichen, was die Alten von der Geschichte und ihrer Darstellung forderten1. Jener dichterische Sinn tritt am deutlichsten hervor in der Art, wie Livius die Volkssage aufgefafst und das mythische Zeitalter seiner 14 Nation dargestellt hat. Überzeugt, dafs es den Völkern gestattet sei, ihre Urzeit dichterisch auszuschmücken2, sucht er in derselben nicht, wie manche frühere Historiker, wirkliche Geschichte, sondern erzählt das Wunderbare, ohne es mit nüchterner Berechnung seines Schmuckes zu berauben, in edler Einfachheit, Frische und Lebendigkeit. Aber auch in der wirklichen Geschichte ist dieses dichterische Talent sichtbar, sobald sich würdige Gegenstände finden, in den Gemälden grofser Ereignisse, in den Schilderungen bedeutungsvoller Situationen, in der Charakteristik ausgezeichneter Männer. Hiermit steht in enger Verbindung, dafs Livius bei seinem Sinne für Menschengrösse und Menschenschicksale alles irgend Wichtige oder Anziehende mit Wohlwollen begleitet und hervorhebt, das Rohe, Harte, Mafslose zurückweist, an dem Unglück der Bedrückten teilnimmt und durch dieses Einflechten des Persönlichen über das Ganze eine Frische verbreitet, die dem Leser wohlthut und ihn immer mit neuem Interesse erfüllt. Schon die Alten erkennen es an, dafs keiner, wie er, die zarteren Motive der Handlung, die feineren Gefühle der Liebe, Pietät, Freundschaft, Trauer und Begeisterung mit solcher Tiefe und Innigkeit aufgefafst und geschildert habe3. Vorzüglich ist diese Teilnahme den edlen Charakteren und hervorragenden Männern zugewandt; diese zu würdigen, nach ihrer Individualität zu schildern, ein klares Bild ihrer Stimmung, ihrer Ansichten und Zwecke besonders in einzelnen Stituationen

1 Quint. 10, 1, 31: est enim (historia) proxima poetis et quodam modo carmen solutum.. ideoque et verbis remotioribus et liberioribus figuris narrandi taedium evitat. 2 Pr. 7: datur haec venia antiquitati, ut miscendo humana divinis primordia urbium augustiora faciat. 3 Quint. 10, 1, 101: nec indignetur sibi Herodotus aequari T. Livium, cum in narrando mirae iucunditatis clarissimique candoris, tum in contionibus supra quam enarrari potest eloquentem: ita quae dicuntur omnia cum rebus, tum personis accommodata sunt; adfectus quidem praecipueque eos, qui sunt dulciores, ut parcissime dicam, nemo historicorum commendavit (commodavit Halm) magis.

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zu entwerfen und dadurch auch die Teilnahme der Leser her-
vorzurufen, betrachtet Livius als eine der bedeutendsten Auf-
gaben des Geschichtschreibers, und dieser hat er selbst, was schon
von den Alten gerühmt wird, wie wenige entsprochen. Diese 15
Lauterkeit, Schönheit, Aufrichtigkeit und Milde des Gemütes geht
hervor aus der sittlich-religiösen Richtung desselben, welche
sich überall in dem Werke ausspricht und die Norm für die Be-
urteilung von Personen und Thaten bildet 2. Als Philosoph mufste
er sich mit der sittlichen Aufgabe des Menschen und den Grund-
sätzen der Moral vielfach beschäftigt haben; mit richtigem Takte
hält er jedoch alle Reflexionen und Betrachtungen dieser Art fern.
Nur an einzelnen Stellen und mit wenigen Worten lobt er her-
vorragende Tugenden oder tadelt das Laster3; aber in der ganzen
Darstellung giebt sich seine Gemütsrichtung so deutlich kund,
dafs der Leser über das Urteil des Schriftstellers nicht in Zweifel
bleiben kann und überall seine Bewunderung des Edlen, seine
Entrüstung über das Schlechte mitempfindet. Bei der allge-
meinen Verderbtheit, in welche zu seiner Zeit Rom selbst, die
übrigen gebildeten Völker des Altertums schon lange vorher ver-
sunken waren, blickt er mit Ehrfurcht und Bewunderung auf
die Vorzüge, die sittliche Kraft, die echt römische Festigkeit der
grofsen Männer der Vorzeit, eines Cincinnatus, Camillus, Papi-
rius Cursor, Decius, Fabius Cunctator, Aemilius Paulus u. a.3, die
ihm als ein Schmuck des ganzen Volkes erscheinen und nach
seiner Meinung Rom zu der Macht und dem Ruhm geführt haben,
dafs es alle Völker überstrahlt und beherrscht. Daher steht ihm
das römische Volk, so lange es seinen alten Charakter bewahrte,
dem Ideale am nächsten, welches die Philosophen von dem Staate

1 Sen. suas. 6, 21: quoties magni alicuius viri mors ab historicis narrata est, toties fere consummatio totius vitae et quasi funebris laudatio redditur. hoc semel aut iterum a Thucydide factum, item in paucissimis personis usurpatum a Sallustio, T. Livius benignius omnibus magnis viris praestitit; und ebend. 6, 22: ut est natura candidissimus omnium magnorum ingeniorum aestimator T. Livius, plenissimum Ciceroni testimonium reddidit. 2 29, 14, 6: haud parvae rei iudicium senatum tenebat, qui vir optimus in civitate esset: veram certe victoriam eius rei sibi quisque malle, quam ulla imperia honoresve suffragio seu patrum seu plebis delatos. 2, 33, 10; 2, 40, 3;

3

3, 20, 5; 3, 29, 3; 4, 6, 12; 5, 46, 3; 7, 37, 1; 9, 16, 12; 10, 30, 9;
22, 54, 10; 24, 18, 2. 13; 26, 36, 10; 30, 42, 17; 42, 47, 9 u. a.
4 Pr. 12: nuper divitiae avaritiam et abundantes voluptates desiderium
per luxum atque libidinem pereundi perdendique omnia invexere.
Pr. 9: per quos viros.. et partum et auctum imperium sit.
illa aetate, qua nulla virtutum feracior fuit.

69, 16, 19:

entworfen haben1; Geduld und Tapferkeit2, Mäfsigung im Glück und unerschütterliche Festigkeit im Unglück3, Grofsmut und Redlichkeit, Wahrhaftigkeit und Gehorsam gegen das Gesetz3, Unbestechlichkeit und aufopfernde Vaterlandsliebe, das sind 16 nach ihm die wahrhaft römischen Tugenden. Daher stellt er auch den Römer, wie er ihn geschmückt mit allen Vorzügen im Glanze der Vorzeit anschaut und bewundert, über den gewöhnlichen Menschen; die römische Mannhaftigkeit (virtus), Gerechtigkeit und Frömmigkeit ist ihm der Mafsstab für alle Tuchtigkeit und wahre Gröfse. Die sittliche Stimmung tritt dadurch bei Livius in die engste Verbindung mit dem Patriotismus, beide bedingen und heben sich gegenseitig. Auf der Tugend und Kraft des Volkes beruht die Festigkeit, Dauer und Gröfse des Staates, dieser kann selbst im Unglück nicht erschüttert werden, er wird bleiben, auch wenn die einzelnen Männer, die ihn stützen, zu Grunde gehen. 10

So beruht die Überzeugung von der ewigen Dauer Roms und seiner Bestimmung zur Weltherrschaft zunächst auf dem Vertrauen des Volkes zu sich selbst und seiner Kraft; allein sie hat auch einen tieferen Grund, indem sie sich auf den Glauben an die Wahrhaftigkeit und die Macht der Götter stützt, welche die unter ihrer Leitung gegründete Stadt nicht sinken lassen können. 11 Wie Livius diesem Glauben huldigt 12, so fühlt er die hohe Bedeutung der Religiosität der alten Zeit und achtet, wenn auch bisweilen zwischen den Vorstellungen der früheren und den freieren Ansichten seiner Zeit schwankend, gleichsam mit heiliger Scheu die Volksreligion überhaupt. Diese war von An

1 26, 22, 14: eludant nunc antiqua mirantis: non equidem, si qua sit sapientium civitas, quam docti fingunt magis quam norunt, aut principes graviores temperantioresque a cupidine imperii aut multitudinem melius moratam censeam fieri posse; vgl. 45, 23, 10. 22, 12, 9: et facere et pati fortia Romanum est. 322, 33, 6; 30, 42, 20; 37, 54, 1. 4, 6, 12; 22, 61, 4. 9; 42, 47, 9. 53, 20, 5.

4

29, 3; 10, 9, 6; 22, 58, 8. 6 7, 40, 3; 26, 36, 10; 37, 36, 2.

7

8 Pr. 9.

1, 59, 4: quod viros, quod Romanos deceret; 7, 13, 9: ut viris ac Romanis dignum sit, pugnaturos; 22, 14, 11: vir ac vere Romanus usw. 926, 41, 12: in hac ruina rerum stetit una integra et immobilis virtus populi Romani. 10 28, 28, 11, wo Scipio sagt: ne istuc Iuppiter optimus maximus sirit, urbem auspicato deis auctoribus in aeternum conditam huic fragili et mortali corpori aequalem esse. 111, 16, 7: caelestes ita velle, ut mea Roma caput orbis terrarum sit; proinde rem militarem_colant sciantque et ita posteris tradant, nullas opes humanas armis Romanis resistere posse. 12 1, 55, 3;

5, 54, 7; 9, 19, 9.

fang an eigentümlich ausgebildet, hatte, wenn sie auch weniger das Gemut erhob, doch das ganze Leben und alle Verhältnisse und Richtungen desselben so durchdrungen und erfüllt, war eine so bedeutende Stütze des Staates geworden, dass, wer ein treues Bild der Vergangenheit geben wollte, diese Seite derselben in ihrer vollen Bedeutung auffassen musste. Livius vor allen fühlte 17 sich schon durch die Stimmung seines Gemütes und durch die Bewunderung, welche er für die frühere Zeit hegte, hierzu aufgefordert; er war in der trostlosen Verwirrung des Staates, die er als Jüngling gesehen hatte, und bei der Irreligiosität und dem Abfall von den alten Göttern, die er an seinen Zeitgenossen so oft tadelt1, zu der Überzeugung gekommen, dafs nur durch eine Regeneration des Volksglaubens, welche auch Augustus erstrebte und Horatius2 für unumgänglich notwendig erklärte, eine glücklichere Zukunft begründet werden könne. Diese Ansicht mochte ihm um so näher liegen, da er, wie sich aus einigen Andeutungen zu ergeben scheint, mit Verwerfung sowohl des epikureischen als des akademischen Systems, welches 10, 40, 10 als eine doctrina deos spernens bezeichnet wird, der stoischen Philosophie sich angeschlossen hatte, welche am leichtesten an die Volksreligion, besonders die römische, sich accommodieren und dieselbe nach ihren Grundsätzen umdeuten konnte. Daher erkennt Livius in dem religiösen Elemente eine der bedeutendsten Seiten des römischen Charakters und in den zum Teil künstlichen, abgemessenen und oft gemifsbrauchten Formen die äufseren Erscheinungen eines innerlichen Bedürfnisses und die für ein geordnetes Leben notwendigen Bestimmungen 3. Mit der Einsetzung des Kultus beginnt Romulus die Ordnung des Staates, durch die weitere Entwickelung desselben giebt Numa dem ganzen Leben eine andere Richtung; die religiösen Motive sind fast in allen Reden, die in entscheidenden Momenten gehalten werden, als die wichtigsten dargestellt, bei ihnen verweilt Livius am liebsten und längsten4; die religiöse Gesinnung ist das, was er an seinen Helden am meisten preist, den Mangel derselben trifft der stärkste Tadel 5.

Da das ganze Leben des Einzelnen und des Staates von dem Willen der Götter abhing 6, dieser sich in vielfachen Erschei

2 Carm. 3,

1, 19, 4. 21, 1.

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13, 20, 5; 8, 11, 1; 10, 40, 10; 39, 15, 3 u. a.
4 4, 2, 7; 5, 51, 4. 52,
5, 38, 1; 21, 63, 7; 22, 9, 7 u. a.

1; 6, 41, 4;

6 9, 1, 11:

3

6, 1.
29, 18, 2 u. s. w.

cum rerum humanarum maximum momentum sit, quam propitiis rem, quam adversis agant dis.

T. Liv. I. 1. 8. Aufl.

2

nungen offenbarte und durch die genaue Beobachtung und Sühnung derselben der glückliche Erfolg der Unternehmungen, ja das Heil des Staates bedingt schien, so war bereits in früher Zeit (505/249) die amtliche Aufzeichnung der Prodigien den Pontifices 1 übertragen worden, und der spätere Geschichtschreiber durfte die seit jener Zeit aufgezeichneten (aus der früheren werden auch von Livius nur einzelne erwähnt) nicht unbeachtet lassen, weil sich in der Sorge um diese Wunder der religiöse Volksgeist ebenso geltend machte, als die Politik sie für 18 ihre Zwecke benutzte. Mit Unrecht ist daher Livius deshalb, weil er so viele Prodigien berichtet, der Vorwurf der Leichtgläubigkeit und des Aberglaubens gemacht worden. Allerdings erscheinen sie bei ihm mehr als etwas Äufserliches, er hat, sie oft nicht so in die Geschichte verwebt, dafs sie auf den Leser die Wirkung hervorbringen, die sie in der früheren Zeit selbst gehabt haben müssen; er läfst vielmehr nur aus der grofsen Zahl und der Art der Wundererscheinungen die ängstliche, beklommene Stimmung der Zeitgenossen erkennen; aber er sah ein, dafs er sie nicht übergehen dürfe, wenn er das, was die Vorzeit bewegte, treu schildern wollte. Und dafs es nicht Aberglaube war, der ihn zur Aufnahme dieser Erscheinungen bestimmte, spricht er selbst 43, 13, 2 aus: ceterum et mihi vetustas res scribenti nescio quo pacto anticus fit animus, et quaedam religio tenet, quae illi prudentissimi viri publice suscipienda censuerint, ea pro indignis habere, quae in meos annales referam. Wenn sich ihm diese Bemerkung auch erst ziemlich spät aufgedrängt hat, so zeigt sie doch, in welchem Sinne er, wenn auch früher mit weniger klarem Bewusstsein und nicht ohne Schwanken in seiner Ansicht, im allgemeinen die Prodigien auffafste, und dafs er sie an und für sich wohl zu würdigen wufste. Daher urteilt er an manchen Stellen freier, sucht zu erklären, warum in gewissen Zeiten so viele Prodigien gemeldet werden 2, unterscheidet die abergläubische Wundersucht und religiöse Schwärmerei von dem einfachen Glauben 3, tadelt es namentlich, dafs in gewöhnlichen Erscheinungen Anzeichen des göttlichen Willens gefunden werden 4, und macht kein Hehl daraus, dafs höher stehende Geister

1 Gell. 2, 28, 6. 2 21, 62, 1: multa ea hieme prodigia facta aut, quod evenire solet motis semel in religionem animis, multa nuntiata et temere credita sunt; 24, 10, 6: quae (prodigia) quo magis credebant simplices ac religiosi homines, eo plura nuntiabantur; vgl. 24, 44, 8; 27, 37, 2; 28, 11, 1; 29, 14, 2. 14, 30, 9; 5, 21, 9; 7, 3, 3; 25, 1, 6. 427, 23, 2: Cumis adeo minimis etiam rebus

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