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Verhältnisse in der Auffassung des in lateinischen Quellen Berichteten geirrt 1.

44 Den aus den Annalisten geschöpften Stoff einer strengen Sichtung und Prüfung zu unterwerfen, lag seinem Charakter, seiner mehr vom Gemüte und Gefühl beherrschten Anschauungsweise ebenso fern als dem ethischen Zwecke seiner Geschichte und würde ihm bei dem Mangel hinreichender Verbreitung der Litteratur und bei beschränkten Hülfsmitteln nicht möglich, seinen Zeitgenossen nicht gerade erwünscht gewesen sein. Eine solche Prüfung hätte zu einer Kritik der ganzen Geschichte der ältesten Zeit geführt. Wie er aber über diese im allgemeinen dachte, und dafs er den sagenhaften Charakter der Urzeit wohl erkannte, hat er schon in der Vorrede ausgesprochen2; und er hat mit dichterischem Sinne die Sage in ihren wichtigsten Zügen einfach und würdig dargestellt, mit richtigem Takte eine Menge späterer Zusätze entfernt, andererseits die schon in die älteste Zeit verlegten symbolischen Darstellungen wichtiger religiöser, politischer oder rechtlicher Institute und Bestimmungen in die Erzählung verflochten. Ebenso wenig verhehlte er sich, dafs auch in die Geschichte der folgenden Zeit sagenhafte Züge eingemischt seien 3; es entgeht ihm nicht, wie unsicher die ganze Geschichte der ersten Jahrhunderte ist; er verkennt nicht, dafs auch die Geschichte der nächsten Zeit vielfach gefälscht und unzuverlässig ist 5; er ist überhaupt überzeugt, dafs eine sichere Kenntnis jener Zeit nicht zu erlangen 45 sei 6. Nach diesen Ansichten hätte Livius, wenn er als kritischer

14, 34, 6; 5, 38, 1; 6, 1, 19; vgl. Gell. 5, 17, 2. 2 Pr. 6: quae ante conditam condendamve urbem poeticis magis decora fabulis quam incorruptis rerum gestarum monumentis traduntur, ea nec adfirmare nec refellere in animo est. datur haec venia antiquitati, ut miscendo humana divinis primordia urbium augustiora faciat. 3 5, 21, 8: inseritur huic loco fabula; . . sed in rebus tam antiquis si, quae similia veris sint, pro veris accipiantur, satis habeam: haec ad ostentationem scaenae gaudentis miraculis aptiora quam ad fidem neque adfirmare neque refellere operae pretium est; 8, 6, 3 u. a. 46,

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1, 1: quae ab condita urbe Roma ad captam eandem urbem Romani gessere quinque libris exposui, res cum vetustate nimia obscuras, velut quae magno ex intervallo loci vix cernuntur, tum quod parvae et rarae per eadem tempora litterae fuere, una custodia fidelis memoriae rerum gestarum, et quod, etiamsi quae in commentariis pontificum aliisque publicis privatisque erant monumentis, incensa urbe pleraeque interiere. 5 7, 42, 7; 8, 40, 4: vitiatam memoriam funebribus laudibus reor falsisque imaginum titulis; . nec quisquam aequalis temporibus illis scriptor exstat, quo satis certo auctore ste67, 6, 6: cura non deesset, si qua ad verum via inqui

tur u. a.

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Historiker verfahren wollte, entweder nur die kurzen Nachrichten der Chronik, wie Fabius, wiederholen, alle Ausführungen der Annalisten beseitigen oder, wie Cato und Claudius, die ganze Geschichte dieser Zeit über Bord werfen müssen. Allein diese war schon seit langer Zeit ein Eigentum des Volkes geworden und so eng mit den Anschauungen und dem Leben desselben ́verwachsen, dafs selbst die gründlichsten Forscher, wie Varro u. a., wenn sie auch die Unhaltbarkeit der Tradition anerkannten, dieselbe doch nicht anzutasten wagten und wohl einzelnes anzweifelten, aber die Erzählung im allgemeinen unberührt liefsen. So mochte auch Livius bei seinem poetischen Sinne, seiner geringen Neigung zur Kritik und seiner konservativen Gesinnung sich nicht berufen fühlen, das zu thun, was jene zu unternehmen sich scheuten, zumal da er von Anfang an den Plan hatte, die ganze Geschichte des römischen Volkes darzustellen. Die blofse Wiederholung der Chronik aber würde weder ein deutliches und treues Bild der Vorzeit gegeben haben, noch seinen Zeitgenossen erträglich erschienen sein. Er erzählt daher auch die Geschichte jener Jahrhunderte in der Gestalt, die sie im Laufe der Zeit erhalten hatte, betrachtet zwar manches, besonders ethischer Zwecke wegen, als wirklich geschehen 2, im allgemeinen aber nach den oben angeführten Ansichten ohne den Anspruch, dafs sie für Geschichte im eigentlichen Sinne gehalten werde, wenn auch wohl nicht immer mit dem klaren Bewusstsein, dafs sie im grofsen und ganzen nur ein Werk der späteren Annalisten sei, welches den Beifall und die Anerkennung der früheren Zeit und seiner Zeitgenossen gefunden habe. Die dürftigen, nicht zusammenhängenden Nachrichten über die Verfassung, die politischen und sozialen Verhältnisse der ältesten Zeit, welche die Chronik bot, hatten wahrscheinlich erst im Laufe des 7. Jahrhunderts die Gestalt erhalten, in der sie den Römern gegen das Ende der Republik bekannt waren. Wahrscheinlich schon Piso, mehr vielleicht noch Macer hatten die Einrichtungen und Verhältnisse der früheren Zeit nach denen, die sie kannten, umgestaltet und geschildert, um sie für ihre Parteianschauungen und Parteizwecke zu verwenden; schon früh erscheint die Plebs arm, verschuldet, bedrückt, im Kampfe mit den Reichen wie zur Zeit der Gracchen und nachher; ebenso 46

rentem ferret; nunc fama rerum (d. h. bei der Überlieferung, die in den Annalen vorliegt) standum est, ubi certam derogat vetustas fidem. 1 31, 1, 2: res omnis Romanas. 23, 20, 5. 26, 7. 29, 3; 4,

6, 12 u. a.

ist das Treiben der Tribunen aufrührerisch; die Macht des Senats und der Optimaten gegenüber der Plebs, der Volksversammlung und den Magistraten tritt uns in der Gestalt entgegen, wie sie Sulla eingeführt hatte, u. a. Je mehr diese Schilderungen mit der Wirklichkeit der Gegenwart übereinstimmten und den Interessen der Parteien entsprachen, um so mehr mochten sie den meisten als treu und auch den Verhältnissen der alten Zeit entsprechend erscheinen. Es fehlte hier dem Geschichtschreiber an einem sicheren Mafsstabe. In einer Zeit lebend, in der die republikanische Verfassung nur noch ein Schattenbild war, und nicht, wie die meisten seiner Vorgänger, in öffentlichen Ämtern thätig, hatte Livius weder Gelegenheit noch Interesse gehabt, die politischen und bürgerlichen Einrichtungen nach ihrer damaligen und ihrer früheren Gestalt zu erforschen, und folgte dem Urteil seiner Zeitgenossen, welche in jenen Schilderungen der Annalisten ein Bild der früheren Zeit erblickten, wenn er dieselben, ohne Zweifel an ihrer Treue zu äufsern, wiedergab. Nicht geringeren Beifall hatten die annalistischen Berichte über die Kriege, die glänzenden Siege der Römer, die grofsen Niederlagen der Feinde u. s. w. gefunden; Livius kann zwar zuweilen seine Zweifel an denselben nicht unterdrücken 1, aber da es ihm an genauer Kenntnis des Kriegswesens fehlte, da er, so viel wir wissen, fast keine 2 Gelegenheit gehabt hatte, die Gegenden und Länder, in welchen die Kriege geführt wurden, kennen zu lernen, so folgte er der Erzählung im ganzen und berichtete ohne Bedenken vieles, was nicht weniger übertrieben und unsicher war als das, woran er Anstofs genommen hatte.

Wie hierin sein Urteil sich nicht gleich bleibt, so ist es gleichfalls schwankend, wenn zwischen verschiedenen Angaben der Quellen zu wählen ist; oft werden dieselben ohne eine Bemerkung neben einander gestellt, oft wird eine Entscheidung als zu schwierig abgewiesen 3, so dafs schon Quint. 2, 4, 19 bemerkt: saepe etiam quaeri solet de tempore, de loco, quo gesta res dicitur, nonnumquam de persona quoque, sicut Livius frequentissime dubitat. Wenn er sich für den einen oder den anderen Gewährsmann entscheidet, so leitet ihn dabei nicht selten die Erwägung, dafs jener den Ereignissen näher stand 4 oder dafs mehrere ihm beistimmen 5, weshalb er auch zuweilen der fre

13, 5, 12. 8, 10; ebenso später 26, 49, 1; 33, 10, 8; 34, 15, 9 u. a. 2 21, 47, 5. 38, 40, 3: nec facile est aut rem rei aut auctorem auctori praeferre; 30, 26, 12. 41, 55, 8; 2, 18, 5; 7, 9, 5; 8, 30, 7; 10, 9, 12 u. a. 5 1, 24, 1; 6, 42, 6; 8, 6, 3 u. a.

8

quentior fama folgt 1; oder seine Glaubwürdigkeit erscheint als die gröfsere 2, während die Gewissenhaftigkeit anderer in Zweifel gezogen wird, weil sie parteiisch, besonders zu Gunsten ihres Geschlechtes erzählen 3 oder, wie Valerius Antias, sich Übertreibungen zu Schulden kommen lassen. An anderen Stellen 47 geben die Ereignisse selbst 5, die Zeit- und Ortsverhältnisse 6, die handelnden Personen 7, seine eigene Neigung etwas Schlechtes nicht zu glauben oder einem grofsen Manne etwas Rubmvolles beizulegen 9, die Gründe an die Hand, durch die er sich leiten läfst. Allein die Zweifel, die er hegt, betreffen meist nur unbedeutende Dinge, und die Gründe, die er angiebt, sind oft nicht so schlagend und gewichtig, dafs sie volle Überzeugung gewähren könnten 10. Diese Urteile selbst spricht er übrigens stets mit grofser Bescheidenheit und Zurückhaltung aus, sondert sie streng von der Erzählung der Begebenheiten ab 11 und überläfst nicht selten dem Leser die Entscheidung; er fühlt sein Unvermögen, die Zweifel zu lösen, erkennt, auf wie unsicherem Boden er stehe, und eilt diesen dunklen Zeiten zu entkommen 12; er schildert sie aber dennoch mit voller Hingebung, weil auch sie zu dem Bilde der Vorzeit gehören, welches er seinen Zeitgenossen und der Nachwelt entwerfen will.

Die Bücher und Partieen, in denen Livius den Annalisten folgt, erscheinen uns jetzt als ein bedeutender Komplex, bildeten ursprünglich aber nur einen geringen Teil des Gesamtwerkes, als dieses noch vollständig war; es wäre daher sehr ungerecht, wenn man nach der Art, wie Livius diese Zeit betrachtet und behandelt hat, sein Verfahren überhaupt beurteilen, ihm das ernstliche Streben nach Wahrheit, das er schon in der Vorrede als die erste Aufgabe des Historikers bezeichnet 13, und die Absicht, die Geschichte, soweit es ihm möglich war, treu und wahr zu erzählen, absprechen wollte. Nach seiner Ansicht konnte ein sicheres Urteil über die erzählten Ereignisse sich erst in der Zeit bilden, wo die wirkliche Geschichte beginnt, wo schriftliche zuverlässige Überlieferungen und gleichzeitige Historiker

1 2, 32, 3; 6, 42, 6; 10, 30, 7; 21, 46, 10 42, 11, 1. 10, 8 u. a.

1 8, 26, 6;

4 26, 49, 3; 33,

u. a.

3

4, 16, 4; 7, 9, 5; 8, 40, 4.

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1, 39, 5. 55, 9; 7, 27, 9.

6

1, 18, 3: 4, 16, 4; 8 4, 29, 6; 8, 18, 2.

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9 21, 46, 10; 38, 55, 8 u. a. 10 4, 7, 11; 8, 18, 3: ne cui auctorum fidem abrogaverim; 22, 61, 10; 24, 18, 5; 27, 7, 6; 39, 52, 1f.; vgl. 38, 50, 4 f. u. a.

11 1, 16, 4; 2, 18, 6 u. a.

12 4, 23, 3.

13 Pr. 2: dum novi semper scriptores.. in rebus certius aliquid allaturos se. credunt.

sich finden. Daher tritt der Ernst in der Erforschung der Wahrheit mit der Zeit des zweiten punischen Krieges deutlich hervor und zeigte sich gewifs in noch höherem Grade in den späteren 48 Epochen und der Geschichte seiner Zeit. Diese Gewissenhaftigkeit spricht sich in vielen Stellen aus, zeigt sich in dem häufigen Tadel der Fälschungen des Valerius und in der Bevorzugung des den Gebildeten Roms wohl bekannten 2, aber noch von keinem Historiker, wie es scheint, so wie von Livius benutzten Polybios und wird schon von Tacitus anerkannt, wenn man auch das Ann. 4, 34 ausgesprochene Lob: T. Livius, eloquentiae ac fidei praeclarus inprimis so deuten wollte, dafs fides mehr die wahrhafte Gesinnung als die Zuverlässigkeit der Forschung bezeichnete. Sein offener, edler Sinn hafste die Lüge; seine Zeit, in der sich die Leidenschaften allmählich beruhigten, seine Stellung und seine Verhältnisse bewahrten ihn vor manchem Mifslichen, das andere zur Fälschung der Geschichte verleitete. Er verfolgt keine Parteiabsichten, ist zwar nicht frei von Antipathieen, wohl aber von Parteihafs, will nicht durch seine Freiheitsliebe imponieren und Gunst erwerben, sucht keine Vorteile und geht von keinem Prinzipe aus, um darnach die Verhältnisse zu gestalten, sondern er bestimmt seine Ansichten nach diesen und ist nur bemüht, die Ereignisse, wie sie in den Quellen vorlagen, wiederzugeben. Oft ist ihm allerdings vorgeworfen worden, dafs er aus Vorliebe für sein Volk und Vaterland manches nicht treu dargestellt habe, und es läfst sich nicht leugnen, dafs er, wie schon die Vorrede sagt, den Ruhm des ersten Volkes der Welt hat verherrlichen wollen und dafs er denen, die diesen in Zweifel ziehen, wie Timagenes, mit aller Entschiedenheit und Bitterkeit entgegentritt3. So erscheint ihm das römische Volk mit wenigen Ausnahmen anderen Staaten gegenüber stets im Rechte; die Kriege, die es führt, werden durch Bundesbrüche oder Ungerechtigkeiten anderer Art herbeigeführt; Rom beginnt keinen anderen Krieg, als ein bellum iustum piumque; daher mufs es immer, aufser bei grofser Vernachlässigung der Mahnungen der Götter und der nötigen Vorsichtsmafsregeln 5, den Sieg gewinnen. So hat er manches Unrühmliche, um das glänzende Bild der Vorzeit nicht zu trüben, verschwiegen oder gemildert

1 wie 22, 7, 4: praeterquam quod nihil haustum ex vano velim, quo nimis inclinant ferme scribentium animi; 26, 49, 1; 29, 14, 9; 40, 29, 8 u. a. 2 Cic. de off. 3, 113; ad Att. 13, 30, 3. 3 9, 18, 6. 41, 22,

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