Immagini della pagina
PDF
ePub

und nicht in seiner ganzen Ausdehnung dargelegt 1, auch für manche Treulosigkeit und Grausamkeit kein Wort des Tadels gefunden 2; dagegen sind die Feinde Roms meist treulos, ungerecht, 49 leidenschaftlich, habsüchtig; ibre Thaten erscheinen oft nicht in dem rechten Lichte, ihre Verdienste werden verkleinert, wie dies aus der Darstellung der Kriege mit den Samniten und besonders mit den Karthagern hervorgeht. Wenn sich dies und Ähnliches bei Livius findet, so ist zunächst nicht zu übersehen, dafs die Alten der Vaterlandsliebe auch in der Geschichtschreibung einen weiteren Spielraum gaben und dafs namentlich der Römer im Bewusstsein der Gröfse seines Volks4 leicht in die Gefahr kommen konnte, dasselbe anderen gegenüber noch glänzender erscheinen zu lassen, als es in Wirklichkeit war. Dennoch lässt sich nicht behaupten, dafs Livius in dieser Beziehung die Geschichte absichtlich gefälscht habe. Er erkennt das Gute und Rühmliche auch an den Gegnern Roms hier und da offen an 5, verhehlt die Gerechtigkeit ihrer Sache nicht und läfst sie oft die bittersten Wahrheiten gegen ihre Feinde aussprechen. Was er Rühmliches von den Römern, Nachteiliges von den Feinden erzählt, war schon lange vor ihm so dargestellt; er nahm es aus den früheren Geschichtschreibern, oft aus Polybios, und glaubte gerade dann das Richtige zu geben, wenn er ihnen treu folgte. Er selbst dagegen ist in seinem Lobe der Römer nicht allzu freigebig, trägt bisweilen Bedenken, denselben etwas Rühmliches zuzuschreiben, wenn es nicht genug bestätigt ist, und macht aus ihren Fehlern, dem Aberglauben und der Irreligiosität, der Habsucht und Grausamkeit, kein Hehl. Dafs er in den verloren gegangenen Büchern in dieser Beziehung noch fester an der Wahrheit gehalten und historische Gerechtigkeit geübt habe, läfst sich teils schon daraus abnehmen, dafs er es als seine Aufgabe betrachtete, mit gleicher Treue den sittlichen Verfall des Staates wie dessen Gröfse zu schildern 8, teils daraus, dass er in den früheren Teilen bereits die Schattenseiten seiner Zeit oft den Vorzügen der früheren gegenüberstellt: der alten Frömmigkeit die Vernachlässigung der Götter und des hergebrachten Kultus, der früheren Offenheit unsittliche und hinterlistige Politik 10,

124, 19, 9. 39, 7; ebenso 33, 13, 15; 45, 19, 4. 34, 14; 39, 3; 30, 1, 4; 30, 3, 8 (vgl. 17, 12) u. a. 2 45, 34, 5 u. a. δεῖ ῥοπὰς διδόναι ταῖς αὑτῶν πατρίσι τοὺς συγγραφέας. 55, 38, 4; 9, 11, 1 u. a. 68, 30, 7; 9, 15, 9. 44, 7 u. a. 43, 13, 1. 8 Praef. 9f. 10 42, 47, 1; vgl. 7, 31, 1: T. Liv. I. 1. 8. Aufl.

vgl. Pol. 18, Pol. 16, 14,6: 4 Praef. 7. 78, 11, 1;

9 3, 20, 5; 10, 40, 10; 39, 16, 1 f. tanta utilitate fides antiquior fuit.

4

der Einfachheit und Gesetzlichkeit die Schwelgerei und Verschwendung und den Mangel an wahrem Sinn für Ordnung 50 und Freiheit 2. Ebensowenig hat seine politische Ansicht ihn verleitet, die Geschichte mit Bewusstsein zu entstellen. Allerdings steht er auf der Seite der Aristokratie, billigt ihre ganze Politik, ist geneigt, ihr Verfahren zu entschuldigen oder zu verteidigen 3; aber auch hier ist zu erwägen, dafs die Geschichte der Vorzeit besonders von Männern aus der Nobilität geschrieben und das Verhältnis der Aristokratie zur Plebs schon früher in der Gestalt aufgefafst war, in welcher es bei Livius erscheint. So sehr er übrigens die Vorzüge und Tugenden der Patrizier anerkennt, so ist er doch weit entfernt, ihre Fehler und Ungerechtigkeiten zu übersehen; er tadelt ihre Schlechtigkeit, ihre Habsucht 5, ihren Stolz auf eingebildete Vorzüge, ihre Anmafsung u. s. w., läfst überhaupt ihre Gegner in ihren Reden alle Schwächen derselben rücksichtslos aufdecken 6; auch verschliefst er keineswegs vor der ungerechten Behandlung und Bedrückung der Plebs das Auge 7, er stellt vielmehr ihre Not in grellen Zügen dar und preist die Mäfsigung derselben, ihre Bescheidenheit, das strenge Festhalten an dem Gesetze, Eigenschaften, die sie auch in Verhältnissen bewahrt, unter denen in anderen Staaten blutige Revolutionen entstanden wären 8.

Eine weitere Gefahr für ihn lag in dem Streben, hervorragende Männer glänzend zu schildern und als Vorbilder aufzustellen, welches ihn leicht hätte verleiten können, die Schattenseiten in dem Charakter und in den Thaten derselben zu verschleiern. Aber selbst in diesem Punkte hat er sich, wie besonders eine Vergleichung seiner Darstellung mit Polybios zeigt, nur selten von den zuverlässigeren Gewährsmännern entfernt, und wenn er auch einzelnes verschweigt, was den Ruhm seines Helden verdunkeln könnte, so erwähnt er doch auch hier meistenteils die Thatsachen und hält zuweilen selbst eine Mifsbilligung nicht zurück 9. Ebenso fand er wohl schon bei früheren Historikern eine mildere Beurteilung der Anhänger der Römer in fremden Staaten 10 und eine Darstellung ihrer Feinde, welche sie in einem nicht günstigen Lichte erscheinen liefs, wie

2 Pr. 9: haec tem

11, 55, 9; 7, 2, 13; 10, 9, 6; 34, 2, 1 f. pora, quibus nec vitia nostra nec remedia pati possumus u. a. 3 4, 14, 7; 6, 20, 14; 7, 18, 8 u. s. w. 4 2, 54, 7.

2, 27, 1. 6 4, 3, 2 f.; 6, 36, 11 f.; 10, 7, 3 u. a. 72, 21, 6. 23, 2; 6, 82, 52, 8. 61, 9; 3, 53, 3. 59, 4; 4, 6, 11 u. a. 19, 3 f.; 42, 3, 3. 47, 5. 10 41, 23, 5; 42, 5, 3 u. a

27, 6 f. u. a.

25, 40, 2; 26,

dies besonders die Beurteilung Hannibals ergiebt, dessen Vorzüge nicht verkannt1, dessen Fehler aber weit greller dargestellt werden, als mit der Wahrheit verträglich ist. Dagegen hat ihn 51 sein Verhältnis zu Augustus in keiner Beziehung zu Schmeichelei oder Verleugnung der Wahrheit verleitet, wie es bei manchen seiner Zeitgenossen geschehen mochte 2. Wenn er des Augustus Verdienste anerkennt, so ist er dazu vollkommen berechtigt, indem er nur das lobt, was dem Staate von Nutzen war; aber weder bei der Berührung der Abstammung des Iulischen Geschlechtes, noch bei der Erwähnung der Iulier in früherer Zeit ist er geneigt, Schmeicheleien einfliefsen zu lassen, ja er übergeht selbst manches Rühmliche, was sie gethan haben. Am deutlichsten aber zeigen die Unbefangenheit seines Geistes die bereits erwähnten Urteile über Pompeius und seine Anhänger, sowie über Caesar, die gewifs ganz anders ausgefallen sein würden, wenn er auf diese Weise die Gunst des Augustus zu gewinnen oder zu erhöhen beabsichtigt hätte. Um so weniger ist daher anzunehmen, dafs er durch das Lob des C. Claudius Nero 5 der Livia, dem Tiberius und Drusus habe schmeicheln wollen; das Verdienst des Nero erforderte vielmehr ebenso Anerkennung, wie anderwärts 6 seine Fehler offen dargelegt werden. Wenn er aber nach dieser Seite hin, wo die Gefahr am grössten war, der Wahrheit treu geblieben ist und die Gemütsruhe bewahrt hat, die er dem Geschichtschreiber der alten Zeit zuschreibt, wenn er auch hier omnis expers curae, quae scribentis animum, etsi non flectere a vero, sollicitum tamen efficere posset, geblieben ist, so läfst sich wohl mit Sicherheit annehmen, dafs er auch alle übrigen Verhältnisse treu und unparteiisch geschildert, und dafs auch dieser Umstand wesentlich dazu beigetragen habe, seinem Werke so grofsen Beifall, so allgemeine Anerkennung zu verschaffen.

Wie Livius für die alte Zeit den zu behandelnden Stoff zum grofsen Teile aus den Annalisten schöpfte, so ist er ihnen auch, so weit wir es zu erkennen vermögen, in der Einteilung der Zeit, der Zahl und Reihenfolge der Jahre und der Anordnung der Ereignisse nach denselben gefolgt. Als er sein Werk begann, waren, wie es scheint, die kapitolinischen Fasten noch nicht aufgestellt (er würde sonst wohl nicht verfehlt haben, in

1, 1.

121, 4, 2; vgl. 25, 17, 5; 27, 28, 2; 28, 12, 3.

2 Tacit. Hist. 4 1, 3, 2. 26, 17, 15; 29, 37, 14.

3 1, 19, 3; 4, 20, 7; 28, 12, 12; Per. 59 u. a. 5 27, 34, 1. 43, 7. 50, 2. 51, 8.

7 Pr. 5.

zweifelhaften Fällen sich auf ihr Zeugnis zu stützen), eine öffentlich anerkannte Chronologie also nicht vorhanden. Es lag ihm daher nichts näher, als sich an die wahrscheinlich der alten Chronik entnommenen Fasten anzuschliessen, welchen die Annalisten gefolgt waren, die aber in mehreren Punkten von den nach52 her anerkannten Fasti consulares abwichen. In letzteren waren nämlich den Decemvirn nur zwei Jahre zugeteilt und vier Jahre (420, 429, 444, 452) mit Diktatoren ausgefüllt; dagegen wurden diese Jahre, da sie blofs, um die Chronologie zu ordnen, eingeschoben waren, in den Annalen nicht gerechnet, für die Decemvirn aber drei Jahre angesetzt. In dieser Weise scheint auch Livius die Jahre im ganzen verteilt zu haben. Er nimmt nach Varronischem Ansatze für die Königszeit 244 Jahre an 2; in den nächsten Büchern finden sich wenige Anhaltepunkte, doch wird 3, 33, 1 das Jahr 302 nicht nach Varro, sondern nach dem kapitolinischen oder catonischen Ansatze bestimmt, wahrscheinlich auch 4, 7, 1 das Jahr 310, welches nach Livius, der mit den Annalen auf die Regierung der Decemvirn drei Jahre rechnet, 311 sein sollte. Dagegen setzt er 5, 54, 5 den Einfall der Gallier um ein Jahr später als die Konsularfasten, nämlich 365 statt 364; ebenso hat er 7, 18, 1 das Jahr 400 statt 399. Da Livius nach den Chroniken die Diktatorenjahre nicht mitzählt, so bleibt dieses Verhältnis bis zu dem ersten dieser Jahre (420), welches 8, 17, 4 eintreten sollte; von diesem an stimmt seine Jahreszählung zu der der Fasten bis zum Jahre 429, dem zweiten Diktatorenjahre 3; von hier an bis zu dem dritten (444) 4 bleibt Livius ein Jahr, dann bis zum vierten Diktatorenjahre (452) 5 zwei, von da an drei Jahre hinter den Konsularfasten zurück, wie sich aus 10, 31, 10 ergiebt; denn dort nimmt er das 46. Jahr seit Beginn der Samnitenkriege an und hat vor demselben 45 Konsulpaare, während die Fasten 49 Jahre zählen. Ebenso ist 31, 1, 4 das wahrscheinlich von ihm erwähnte Jahr 487 in den Fasten 490; 31, 5, 1: 551, in den Fasten 554; unsicher bleibt 34, 54, 6, aber auch nach Per. 47 und 49 hat Livius für die betreffenden Fakta drei Jahre weniger gerechnet als die Fasten. Andere Abweichungen von diesen, die zugleich zu den Annalen nicht stimmen, sind wohl durch die Abschreiber oder Anordner des Textes oder den Wechsel der Quellen entstanden. So fehlen die Konsuln des Jahres 2476 und die der Jahre 264 und 265 7; aber dafs Livius

1 z. B. 4, 20, 8; 9, 15, 11. ▲ 9, 41, 1. 5 10, 3, 3. 5, 14.

2

1, 60, 3. 62, 15, 1.

3 8, 37, 1.
7 2, 39, 9.

diese Jahre nicht absichtlich übergangen hat, geht daraus hervor, dafs er dieselben 3, 30, 7, wo er 36 Jahre angiebt, aber nur 34 erwähnt hat, mitzählt; ebenso werden 5, 54, 5: 365 Jahre gezählt, obgleich nur 362 angeführt sind; auch 6, 34-35 fehlt das Jahr 378; wahrscheinlich durch die Schreiber sind 9, 22, die Namen der Konsuln für 439 ausgefallen, die für 485 vielleicht nur von Cassiodor, nicht von Livius selbst übergangen.

1

Schon in den Annales maximi waren von den Pontifices die 53 wichtigsten Ereignisse je nach den einzelnen Konsularjahren aufgezeichnet worden; aus diesen hatten die Annalisten mit dem Stoffe zugleich die Verteilung desselben nach Jahren in ihre Schriften herübergenommen; und wenn auch Cato und Asellio 1 die annalistische Behandlung der Geschichte, folglich auch die durch dieselbe bedingte rein zeitliche Anordnung der Ereignisse verwarfen und Sallust sie in seinen kleineren Schriften verlassen hatte, so war sie doch die einzige geblieben, die in gröfseren Geschichtswerken beobachtet wurde, und war selbst für einzelne Partieen der Geschichte, sogar von Caesar (später von Tacitus) verwandt worden. So hat sie auch Livius aufgenommen, wie sein Werk sich überhaupt zunächst an die Annalisten anschlofs. Zwar fand er in der Durchführung derselben manche Schwierigkeiten, da bisweilen die Annalen nicht übereinstimmten 2 oder ungenaue Angaben boten, die Begebenheiten mehrerer Jahre nicht geschieden oder sonst die Folge der Jahre gestört war 3, das natürliche und das Magistratsjahr leicht verwechselt wurden, die Zurückführung der Olympiadenjahre des Polybios auf römische leicht Irrtümer veranlassen konnte 5; aber dennoch hat er sie, soweit wir erkennen, fast überall festgehalten, nur selten die auswärtigen Ereignisse zusammengefasst, um sie an römische anzuknüpfen, oder sonst absichtlich Begebenheiten zweier Jahre verbunden. Wenn auch diese Anordnung manches Unbequeme hatte, da sie den inneren Zusammenhang der Ereignisse unterbrach und eine angemessene Gliederung der Massen hinderte, so erschien sie doch für die einfache Geschichte der früheren Zeit angemessen, fügte sich genau in die römischen Einrichtungen, entsprach den einzelnen, selten längeren Feldzügen, bot den Vorteil, sich an die älteren Geschichtschreiber eng anschliefsen zu können, und gewährte die Möglichkeit, für 1 Vgl. S. 29 und 31. 2 2, 21, 4; 10, 37, 13; 38, 56, 1; 39, 52, 6. 3 21, 15, 4; 25, 11, 20. 32, 1; 26, 26, 1; 27, 7, 5. 17, 1; 28, 1, 2. 7, 14 u. a. 43, 24, 9; 5, 13, 4. 31, 47, 3; 32, 32, 1; 38, 32, 6; 42, 36, 8 u. a. 21, 2, 1 f.; 35, 40, 7 30, 26, 2.

1.

« IndietroContinua »