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hältnissen zu entwickeln sucht und immer auf diesen Kausalnexus der Begebenheiten hinweist, würde, wie schon das Beispiel des Asellio gezeigt hatte 1, schwerlich den Beifall der Römer gefunden haben, da diese nicht so hobe Ansprüche an die Geschichte machten 2; Livius aber mochte durch die häufigen Hinweisungen auf das Lehrhafte in den Ereignissen sich von einer solchen Behandlung mehr abgeschreckt als zur Nachahmung aufgefordert fühlen und erkennen, dafs ihm zur Anwendung derselben vieles fehle, wenn er sie auch hätte versuchen wollen. Er glaubte daher nach dieser Richtung genug gethan zu haben, wenn er in den Reden auf die Pläne und Absichten, in der Erzählung auf die Vorbereitung und allmähliche Entwickelung grofser Ereignisse hinwies 3, dagegen die sittliche Bedeutung der Geschichte sowohl für das Privat- als für das öffentliche Leben, die er in der Vorrede als das Segensreichste derselben preist, in den Vordergrund stellte und die Geschichte so mehr in ethischer als in politischer Beziehung pragmatisch behandelte.

Wie Livius in dieser Hinsicht die früheren Annalisten, denen fast allen ein solcher Pragmatismus ferngelegen hatte, weit übertraf, so war er durch sein tiefes Gemüt, die lebendige Phantasie, den feinen Sinn für das Schöne und Angemessene, seine rhetorische und philosophische Bildung wie wenige befähigt, eine der hohen Würde und grofsen Mannigfaltigkeit der Gegenstände mehr entsprechende Darstellungsform zu schaffen, als sie sich, nach dem Zeugnis Ciceros und nach den Überresten früherer Geschichtswerke zu schliefsen, bei seinen Vorgängern fand, wenn auch diese, so weit es lateinische Quellen waren, die 64 er benutzte, nicht ohne Einfluss auf ihn gewesen sind. Nicht als ob er sie nur kopiert oder ihnen seine Individualität geopfert hätte; sein empfänglicher Sinn liefs sich vielmehr teils im grofsen und allgemeinen durch die Zeit und ihren Charakter, teils durch die Geschichtschreiber, welchen der Stoff vorzugsweise entlehnt wurde, auch in Bezug auf das Kolorit der Sprache und Form in gewisser Rücksicht bestimmen, und zwar um so leichter, da er nicht nach Sammlungen und Auszügen aus Geschichtswerken, sondern unmittelbar nach der Lektüre, wenn der Eindruck noch frisch war, seine Erzählung niederschrieb. Daher ist seine Darstellung eine andere in der Sagenzeit, wo er sich freier bewegte, als in den folgenden Büchern, wo er allein

1 s. S. 31. 38, 2; 39, 23, 6 u. a.

2 Dionys. de comp. verb. 4.

321, 1, 4; 33,

den Annalisten folgte, eine andere in der Schilderung der grofsen Begebenheiten des zweiten punischen Krieges, durch die er sich. gehoben und begeistert fühlte, eine andere in den folgenden Büchern, in denen er so vieles nach Polybios behandelte. Wie eng er sich aber auch im einzelnen seinen Vorgängern angeschlossen hat, zeigen die bereits berührten Stellen aus alten Annalisten, die wir mit seiner Bearbeitung vergleichen können 1, sowie der häufigere Gebrauch einzelner Ausdrücke und Wendungen, die in den folgenden Büchern verschwinden. Mit wenigen Veränderungen hat er auch die alten Formeln 2, die Aufzählung der Prodigien u. a. denselben entlehnt und, um dem Vortrage den Charakter des Altertümlichen und den Reiz der Abwechslung zu geben, einzelne alte Wörter und Wortformen aus ihnen aufgenommen 3. Dafs er aber ungeachtet dieser Abhängigkeit von seinen Vorgängern doch seine Eigentümlichkeit und Selbständigkeit in der Auffassung und Darstellung bewahrt hat, geht aus der Freiheit, mit welcher er die Gedanken des Polybios, sowie den Stil und Ausdruck der lateinischen Schriften umgestaltet, deutlich hervor. Denn dafs seine Kompositions- 65 und Darstellungsform, wenn er seinen Zweck erreichen wollte, eine andere sein müsse als die der Annalisten, davon war er bei dem Beginne seines Werkes schon überzeugt, und nicht ohne Beziehung hierauf sagt er in der Vorrede § 2: novi semper scriptores.. se.. scribendi arte rudem vetustatem superaturos credunt. Dazu führten ihn teils die Ansichten der Alten über den historischen Stil, von dem Cic. de or. 2, 64 sagt: verborum autem ratio et genus orationis fusum atque tractum et cum lenitate quadam aequabili profluens.. persequendum est, den andere ebenso scharf von dem oratorischen unterscheiden, als nahe an den poetischen heranrücken, wie Quint. 10, 1, 31: etenim (historia) proxima poetis et quodammodo carmen solutum est et scribitur ad narrandum, non ad probandum, totumque opus non ad actum rei pugnamque praesentem, sed ad memoriam posteritatis et ingenii famam componitur; ideoque et verbis remotioribus et liberioribus figuris narrandi taedium evitat 4; teils drängten dazu die Anforderungen und die Bildung der Zeit, in der er lebte. Der grofse 21, 24, 4.

1 Cic. de div. 1, 48. 55. 77; Gell. 7 (6), 9; 9, 11. 13. 26, 6. 32, 6. 3 wie Praef. 1 ausim; vgl. 2, 23, 7; 5, 3, 10 (ausil); 6, 40, 5; 7, 13, 6; 1, 7, 6 occipere; 1, 18, 9 adclarassis; vgl. 3, 64, 10 cooptassint; 1, 24, 8 defexit; 6, 35, 9 faxo; vgl. 36, 2, 5 faxit; 22, 10, 6 faxit und faxitur; 6, 41, 12 faxitis; ebenso 23, 11, 2; 34, 4, 20; ferner 10, 19, 17 duis; 22, 10, 2 duit und duellum; 22, 10, 5 depsit; 28, 30, 12 indepla esset; 29, 27, 3 auxilis u. a. 4 vgl. Plin. Ep. 5, 8, 9.

T. Liv. I. 1. 8. Aufl.

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Umschwung der Ansichten und Gesinnungen während des Augusteischen Zeitalters und in dem Übergange des Freistaates in die Monarchie, der Mangel an lebendigem Interesse für die Gegenwart und die Bewunderung und wehmütige Betrachtung der Vergangenheit, die Beschränkung der politischen Thätigkeit und die Gefahr freier Urteile und Ansichten über die neuen Verhältnisse, die Ruhe endlich, die über das Reich ausgebreitet war, und das Verlangen nach einem geistig erregten, genufsreichen Leben führte zu dem Streben, in der Poesie und Rhetorik ein neues, gefahrloses Gebiet zu suchen und auf diesem die Vorzüge, welche die Kraft und Lebensfrische den Werken früherer Schriftsteller verliehen hatte, durch die Vollendung der Form, durch künstlerische, blühende Darstellung zu ersetzen. Die so herbeigeführte Ausbildung einer kunstgerechten Poesie und einer poetischen Diktion mufsten auf Livius um so mächtiger einwirken, je mehr sein eigenes Gemüt poetisch gestimmt und je erhabener der Gegenstand war, den er behandelte. Es war daher natürlich, dafs sich sein Stil in vieler Beziehung von dem der früheren Prosaiker entfernte und an die neuen Muster anschlofs, dafs er eine entschieden poetische Färbung annahm und mit der alten Einfachheit und Würde sinnliche Anschaulichkeit und lebendiges Farbenspiel vereinigte. Zwar tritt dieses dichterische Kolorit besonders in den Partieen hervor, welche an sich schon der Poesie angehören oder ihr nahe stehen, wie in der Sagenzeit, welche bei ihm in Ausdruck und Vortrag durchaus poetisch gehalten ist, aber auch in vielen anderen, welche durch ihre Gröfse und Bedeutung eine gehobene Dar66 stellung forderten. Doch mit richtigem Takte und feinem Sinne für das Schickliche hat Livius sich gehütet, die Prosa in Poesie umzugestalten; er hat dem poetischen Elemente nur so viel Spielraum gestattet, als nötig war, um die grofsen Erscheinungen der Vorzeit zur Anschauung zu bringen und sie auf Phantasie und Gemüt des Lesers mit Nachdruck wirken zu lassen. Noch weniger als der poetischen konnte sich Livius der rhetorischen Richtung entziehen, die schon früher, wie auf die römische Litteratur überhaupt, so auch auf die Darstellung der späteren Annalisten von bedeutendem Einflufs gewesen war, unter Augustus aber sich noch stärker entwickelte und bestimmter hervortrat. Da er selbst sich mit der Rhetorik eingehend beschäftigt hatte 1, so war es nicht zu verwundern, dafs seine Dar

1 s. S. 6.

stellung durchaus eine rhetorische Färbung annahm, dafs er oft an die Stelle der einfachen und natürlichen Darstellung eine absichtliche, künstliche, auf Effekt berechnete treten liefs, um die einzelnen Erscheinungen und Situationen in dem wirksamsten Lichte zu zeigen, ihren Einfluss zu steigern und sie aus der individuellen Beschränktheit zu idealer Gröfse zu erheben. Allein auch in dieser Beziehung hat er, treu der Vorschrift, die er selbst erteilte 1, das rechte Mafs nicht überschritten, sondern neben dem Schmucke und Farbenglanze der neueren Zeit noch so viel von der alten Kraft und Natürlichkeit bewahrt, sich von den Künsteleien, dem Suchen nach Pointen, dem Haschen nach Auffallendem, wie es bald nachher herrschend wurde, so frei und so in der Mitte zwischen poetischer Überspannung und rhetorischer Verkünstelung gehalten, dafs er als ein Vermittler des goldenen und silbernen Zeitalters, der viele Vorzüge beider in sich vereinigt, betrachtet werden darf, und sein Vortrag, wie er sich eng an die Vorschriften Ciceros de or. 2, 62; Or. 662 anschliefst, auch von dem feinsten Kenner und Beurteiler als Muster anerkannt und gepriesen werden konnte.

Die Vorzüge, welche an der Darstellung des Livius beson- 67 ders hervorgehoben werden, sind teils die Angemessenheit für den jedesmal behandelten Gegenstand, der im ganzen ruhige und gleichmässige Gang der Erzählung, die Einfachheit und Übersichtlichkeit in der Entwickelung der Ereignisse, die Anschaulichkeit und Lebendigkeit in den Beschreibungen, teils die Würde, der Schwung und Ernst in der Behandlung grofser, einflussreicher Begebenheiten, die Innigkeit und Teilnahme bei der Schilderung von Gemütszuständen und Affekten, die ungeachtet des grofsen Umfangs des Werkes fast immer gleiche Frische und Reinheit des Ausdrucks, vor allem aber die Fülle, die Mannigfaltigkeit und der unerschöpfliche Reichtum an Formen und Farben, welche schon von den Alten gepriesen wurden 4. Diese nährende, süfse Fülle zeigt sich in der Zusammenstellung verwandter Begriffe, der allmählichen Vervollständigung, der immer genaueren

1

s. Quint. 2, 5, 20; vgl. S. 6.

4

2

vgl. S. 61.

3

s. Quint. 2, 5, 19: ego optimos quidem et statim et semper, sed tamen eorum candidissimum quemque et maxime expositum velim, ut Livium a pueris magis quam Sallustium. s. Quint. 8, 1, 3: T. Livio mirae facundiae viro; 10, 1, 101: T. Livium cum in narrando mirae iucunditatis clarissimique candoris, tum in contionibus supra quam enarrari potest eloquentem; Tac. Agr. 10: Livius veterum, Fabius Rusticus recentium eloquentissimi auctores; Quint. 10, 1, 32: illi Livi lactea ubertas.

Entwickelung und Ausschmückung der Vorstellungen, überhaupt in dem Streben, das durch die schöpferische Phantasie gewonnene Bild der Personen und Ereignisse nach allen Seiten und Momenten auszumalen und nach seinen verschiedenen Beziehungen aufzuhellen. Je bedeutender die Begebenheiten und Verhältnisse sind, welche geschildert werden, um so mehr tritt diese Eigenschaft der Darstellung hervor; sie fehlt jedoch auch bei untergeordneten Momenten nicht, geht aber hier zuweilen, wie schon die Alten erkannten, in zu grofse Ausführlichkeit und Breite über 1. Namentlich glaubt man aus dem Fragmente des 91. Buches schliefsen zu dürfen, dafs in den späteren Teilen des Werkes eine gröfsere Überladung und Wortfülle geherrscht habe; doch ist jene Stelle weder umfangreich genug, noch im Ausdruck so wesentlich von anderen Ausführungen in früheren Büchern verschieden, dafs diese Vermutung als hinreichend begründet betrachtet werden kann, während umgekehrt in anderen Stellen aus späteren Büchern, wie in der Charakteristik Ciceros bei Seneca Suas. 6, 22, noch derselbe Geist und dieselbe Form wie an ähnlichen Stellen in früheren Büchern deutlich hervortritt und die Vermutung naheliegt, dafs die längere Übung, die gröfsere Reife des Urteils, die freiere Beherrschung des ihm bekannteren Stoffes auch der Form eine höhere Vollendung und 68 Harmonie werde verliehen haben. Jener Fülle und Breite gegenüber herrscht bisweilen in der Darstellung einzelner Vorgänge, in dem Zusammenfassen des Erzählten, besonders aber in den Charakterschilderungen grofse Präzision und energische Kürze, und in seinen eigenen Bemerkungen ist Livius oft so wortkarg und dunkel 2, dafs man versucht wird zu glauben, er habe die von Quintil. 8, 2, 18 erwähnte Vorschrift: cum iam apud T. Livium inveniam fuisse praeceptorem aliquem, qui discipulos obscurare, quae dicerent, iuberet, Graeco verbo utens: oxótiσOV zuweilen auf sich angewandt.

Als die Glanzpunkte der Geschichte des Livius wurden, wie die oben angeführten Stellen zeigen, von den Alten die Reden betrachtet, welche er bald in indirekter, bald (vielleicht zuerst nach Sallust) in direkter Form in die Erzählung verflochten hat. Der Fülle der Gedanken, der Wichtigkeit der behandelten Gegenstände, der Teilnahme, welche er denselben widmet, entspricht

1 s. Quint. 8, 3, 53: vilanda macrologia, id est longior quam oportet sermo, ut apud T. Livium: legati non impetrata pace retro domum, unde venerant, abierunt; vgl. Charisius 4 p. 271, 12 K. u. a. 2 1, 43, 12; 4, 20, 6; 5, 46, 11 u. a. s. Iustin. 38, 3, 11.

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