Immagini della pagina
PDF
ePub

was er selbst erlebt hatte, freier und selbständiger auch nach der eigenen Erinnerung behandelt hat.

Die eben bezeichnete Art, wie Livius den geschichtlichen Stoff aus seinen Quellen zusammentrug, so verschieden sie von der Weise der modernen Geschichtschreibung ist, entsprach doch im ganzen dem Verfahren, welches überhaupt im Altertum, bei den klassischen und orientalischen Völkern, ebenso im Mittelalter gewöhnlich war, insofern der Chroniken- oder Geschichtschreiber für die Zeit, die er selbst nicht erlebt hatte, das Werk eines Vorgängers, ohne ihn zu nennen, dem seinigen zu Grunde legte, dieses nach Stoff und Form verbesserte und erst die gleichzeitige Geschichte selbständig bearbeitet hinzufügte. Die nur mit Mühe zu handhabenden Rollen, ohne Abschnitte, 41 ohne Wortabteilung, ohne Indices, erschwerten die gleichzeitige Benutzung mehrerer Werke nebeneinander; deshalb zog man eine Schrift vor und trug in diese die nötigen Veränderungen und Zusätze ein. Dafs auch die römischen Annalisten so gearbeitet haben, zeigen teils einige Fragmente aus ihren Schriften, teils die bisweilen wörtliche Übereinstimmung zwischen Livius und Dionysios in einzelnen Partieen, die nachweislich aus Annalisten entlehnt sind. Livius jedoch verfährt insofern selbständiger, als er nicht einen Annalisten durchgängig zu Grunde legt, sondern bald dem einen, bald dem anderen sich anschliefst. So hat er zwar im ersten Buche den Stoff freier behandelt; allein in den folgenden Büchern hält er sich, soweit wir erkennen können, an einen Führer so lange, bis ihn die Unklarheit oder Trockenheit des Berichtes oder der Verdacht der Unzuverlässigkeit oder andere Gründe bestimmen, einen anderen Gewährsmann zu suchen. Doch wird weder dieser noch der frühere bestimmt bezeichnet, sondern nur gelegentlich erwähnt, auch wohl am Ende des Abschnittes oder sonst an passender Stelle eine abweichende Nachricht aus anderen Annalisten angemerkt. Der Inhalt des aus einer Quelle Aufgenommenen bleibt hierbei meist unverändert, nicht aber die Form: das Unpassende wird entfernt, Ausdruck und Satzbau werden verbessert und veredelt, wie dies einzelne Stellen aus Coelius und Claudius beweisen, die wir mit den entsprechenden bei Livius vergleichen können. Am deutlichsten tritt dieses Verfahren in der Art, wie Polybios benutzt wird, hervor. In der 3. Dekade wird der Bericht über Heereseinrichtungen, Kriegszüge, Schlachten, Begebenheiten in aufseritalischen Ländern häufig nach Polybios gegeben und in die, wie es scheint, ursprünglich nicht sehr ausführliche Darstellung

des Coelius (das 1. Buch desselben umfafste materiell so viel, wie das 21. und 22. Buch des Livius) in der Art verwoben, dass eine äufserlich kaum mehr wahrnehmbare Verschmelzung der beiden Quellen erfolgte. In der 4. und 5. Dekade dagegen nimmt Livius grofse Abschnitte, nur selten durch anderswoher entlehnte Nachrichten unterbrochen, aus Polybios und begnügt sich oft, dieselben frei, nicht nach den Worten, sondern nach 42 dem Sinne zu übersetzen; er gestaltete auch wohl dies oder jenes nach sprachlichen oder rhetorischen Gesichtspunkten um, so dafs er die Gedanken bald in derselben Folge, wie er sie fand, an einander reiht, bald, besonders in den Reden, anders ordnet, bald einfach den Inhalt des Originals wiedergiebt, bald einzelnes übergeht, anderes durch erklärende Zusätze erweitert, vorzüglich aber sich bemüht, die einfache, nach Wahrheit strebende Darstellung des Polybios durch eine auf Effekt berechnete zu ersetzen, wobei Mifsverständnisse und infolge des lebhaften Nationalgefühls des Schriftstellers auch Entstellungen unterlaufen. An diese Abschnitte reiht er dann, ohne den Wechsel in der Quelle immer zu bezeichnen, Stücke aus einem Annalisten. Diese Stücke stehen neben den aus Polybios genommenen, obgleich in Form und Sprache gleich gestaltet, doch unvermittelt, weil hier die Gegenstände anders als in jenen behandelt sind, weil in ihnen die bei Polybios herrschende Wahrheit und Sicherheit der Angaben fehlt, weil überhaupt denselben ganz andere Anschauungen zu Grunde liegen, so dafs man leicht den verschiedenen Ursprung beider erkennen kann, während die nur aus Annalisten geschöpften Abschnitte in den früheren Büchern, da sie im ganzen gleichartig waren, leichter und enger mit einander verknüpft werden konnten.

Eine Folge dieser Art den Stoff zusammenzustellen ist die Ungenauigkeit, die sich mehrfach in der Darstellung bei Livius findet. Denn da er die Quellen nicht im Zusammenhange las,

1 So sind in der 4. und 5. Dekade teils Valerius Antias, teils Claudius entnommen: 31, 1, 6-14, 2. 19, 1-22, 3. 47, 4-50, 11; 32, 1, 1-3, 7. 6, 5-9, 5. 26, 1-31, 6; 33, 21, 6-27, 4. 36, 1—37, 12. 42, 1-45, 5; 34, 1, 1-10, 7. 15, 9–16, 2. 22, 1-3. 41, 8-48, 1. 52, 4 -57, 1; 35, 1, 1-11, 13. 20, 1-24, 8. 40, 2-41, 10; 36, 1, 1—4, 10. 36, 1-40, 14. 45, 9; 37, 1, 1—4, 5. 46, 1-52, 6. 57, 1—59, 6; 38, 17, 1-20. 35, 1-36, 10. 42, 1-60, 10; 39, 1, 1-23, 4. 29, 4—32, 15. 38, 1-46, 5. 54, 1-56, 7; 40, 1, 1—2, 5. 16, 4—19, 11. 25, 1—53, 6; 41, 1, 1-18, 14. 21, 1-22, 3. 26, 1–28, 11; 42, 1, 1—4, 5. 6, 4—11, 3. 18, 6-28, 13. 30, 8-36, 8; 43, 1, 4-17, 1; 44, 13, 12-22,3; 45, 1, 6-4, 1. 12, 9-18, 8. 20, 4-25, 2. 35, 1-40, 5. 42, 2-44, 18.

sondern die Abschnitte, die er gerade bearbeiten wollte, einzeln zur Hand nahm und, ohne vor- und rückwärts zu blicken, sich auf den Gegenstand, mit dem er beschäftigt war, beschränkte, hat er es nicht immer vermieden, dieselbe Sache zweimal, bisweilen in verschiedener Weise zu erzählen, wenn die Annalen, denen er an den einzelnen Stellen folgte, sie unter verschiedenen Jahren berichteten 1; oder er kommt mit sich selbst in Widerspruch 2, oder er verwechselt die Personen 3. Auch sonst 43. stimmen die Angaben an verschiedenen Stellen nicht überein 4; manches erwähnt er als bekannt, hat es aber vorher auszuführen vergessen 5. An anderen Stellen wird auf etwas Künftiges hingewiesen, dies aber dann anders erzählt oder übergangen. Wo er Polybios benutzt, hat er an manchen Stellen den griechischen Ausdruck aus Unkenntnis oder Mangel an Sorgfalt nicht verstanden oder unrichtig wiedergegeben 7; an anderen Stellen ist durch Umänderungen, Umstellung der Wörter, Zusätze oder Weglassungen der Sinn des Originals verändert oder durch ungenaue Übersetzung, durch Suchen nach einer schönen Wendung oder Pointe getrübt und entstellt. Selten nur hat er aus Unkenntnis des Ausdruckes oder der

12, 16, 8. 17, 7 und 22, 1. 25, 5; 21, 7 und 27, 5; 29, 38, 1 und 30, 19, 10; 29, 22, 10 und 34, 44, 6; 36, 21, 10 und 39, 1; 39, 29, 8 und 41, 6; 43, 9, 4 f. und 43, 18, 5 f.; 43, 15, 6 f. und 44, 16, 8; 45, 15, 8 u. a. 2 wie 5, 18, 2, wo die Konsulartribunen andere sind als die 5, 12, 10 und 13, 3. 3 4, 30, 12 und 30, 15. 31, 1; 6, 6, 13 und 9, 5; 27, 7, 11 und 10, 12. 22, 5; 33, 21, 9 und 32, 28, 2 u. a. 4 So giebt er 4, 29, 6 den Grund des Beinamens Imperiosus anders an als 7, 4, 5; 24, 10, 3 wird ein Prätor in Gallien erwähnt im Widerspruch mit 23, 25, 6; 23, 30, 8 wird Lokri karthagisch, 24, 1, 2 ist es noch römisch; 26, 16, 8 f. und 34, 2 f. wird über die Strafe der Kampaner Verschiedenes berichtet; 39, 44, 11 hat der Konsul Porcius gegen die Ligurer nichts gethan, 40, 34, 4 aber in einer Schlacht einen Tempel gelobt; vgl. 21, 25, 3; 30, 19, 7 und 27, 21, 10; 34, 53, 7 und 35, 41, 8; 30, 44, 4 und 32, 2, 1. 3; 40, 34, 14 u. a. 5 Der Senat besteht z. B. 2, 1, 10 aus 300 Mitgliedern, obgleich diese Zahl vorher nicht angegeben ist; 26, 33, 10 und 27, 9, 7 werden Satricum und Sutrium als Kolonieen erwähnt, aber 9, 28, 7 (vgl. 9, 16, 2) übergangen; ebenso die Expedition des Prätors P. Furius 23, 21, 2, das eine der 29, 11, 3; 30, 23, 5 erwähnten Konsulate des Laevinus, die Einführung der sibyllinischen Bücher, der Ädilität und andere Einrichtungen, späterhin das Plebiscit 27, 6, 7, die lex Oppia 34, 6, 2 u. a. Namentlich sind die Veränderungen in der Verteilung der Provinzen und Legionen nicht immer genau angegeben; s. 24, 10, 3. 44, 6; 25, 41, 13; 26, 17, 1; 31, 50, 11 u. s. w. 6 6, 42, 6 und 7, 10, 5. 33, 8, 13. 13, 7 (vgl. 35, 35, 18); 38, 7, 10; ebenso 33, 5, 12 (vgl. Pol. 18, 18, 14); 33, 12, 5 (vgl. Pol. 18, 37, 1); 36, 29, 1 (vgl. Pol. 20, 10, 15) u. a.

7

44

Verhältnisse in der Auffassung des in lateinischen Quellen Berichteten geirrt 1.

Den aus den Annalisten geschöpften Stoff einer strengen Sichtung und Prüfung zu unterwerfen, lag seinem Charakter, seiner mehr vom Gemüte und Gefühl beherrschten Anschauungsweise ebenso fern als dem ethischen Zwecke seiner Geschichte und würde ihm bei dem Mangel hinreichender Verbreitung der Litteratur und bei beschränkten Hülfsmitteln nicht möglich, seinen Zeitgenossen nicht gerade erwünscht gewesen sein. Eine solche Prüfung hätte zu einer Kritik der ganzen Geschichte der ältesten Zeit geführt. Wie er aber über diese im allgemeinen dachte, und dafs er den sagenhaften Charakter der Urzeit wohl erkannte, hat er schon in der Vorrede ausgesprochen2; und er hat mit dichterischem Sinne die Sage in ihren wichtigsten Zügen einfach und würdig dargestellt, mit richtigem Takte eine Menge späterer Zusätze entfernt, andererseits die schon in die älteste Zeit verlegten symbolischen Darstellungen wichtiger religiöser, politischer oder rechtlicher Institute und Bestimmungen in die Erzählung verflochten. Ebenso wenig verhehlte er sich, dafs auch in die Geschichte der folgenden Zeit sagenhafte Züge eingemischt seien 3; es entgeht ihm nicht, wie unsicher die ganze Geschichte der ersten Jahrhunderte ist 1; er verkennt nicht, dass auch die Geschichte der nächsten Zeit vielfach gefälscht und unzuverlässig ist 5; er ist überhaupt überzeugt, dafs eine sichere Kenntnis jener Zeit nicht zu erlangen 45 sei 6. Nach diesen Ansichten hätte Livius, wenn er als kritischer

14, 34, 6; 5, 38, 1; 6, 1, 19; vgl. Gell. 5, 17, 2. 2 Pr. 6: quae ante conditam condendamve urbem poeticis magis decora fabulis quam incorruptis rerum gestarum monumentis traduntur, ea nec adfirmare nec refellere in animo est. datur haec venia antiquitati, ut miscendo humana divinis primordia urbium augustiora faciat. 3 5, 21, 8: inseritur huic loco fabula; sed in rebus tam antiquis si, quae similia veris sint, pro veris accipiantur, satis habeam: haec ad ostentationem scaenae gaudentis miraculis aptiora quam ad fidem neque adfirmare neque refellere operae pretium est; 8, 6, 3 u. a.

[ocr errors]

6,

1, 1: quae ab condita urbe Roma ad captam eandem urbem Romani gessere .., quinque libris exposui, res cum vetustate nimia obscuras, velut quae magno ex intervallo loci vix cernuntur, tum quod parvae et rarae per eadem tempora litterae fuere, una custodia fidelis memoriae rerum gestarum, et quod, etiamsi quae in commentariis pontificum aliisque publicis privatisque erant monumentis, incensa urbe pleraeque interiere. 57, 42, 7; 8, 40, 4: vitiatam memoriam funebribus laudibus reor falsisque imaginum titulis; . nec quisquam aequalis temporibus illis scriptor exstat, quo satis certo auctore stetur u. a. 67, 6, 6: cura non deesset, si qua ad verum via inqui→

[ocr errors]

Historiker verfahren wollte, entweder nur die kurzen Nachrichten der Chronik, wie Fabius, wiederholen, alle Ausführungen der Annalisten beseitigen oder, wie Cato und Claudius, die ganze Geschichte dieser Zeit über Bord werfen müssen. Allein diese war schon seit langer Zeit ein Eigentum des Volkes geworden und so eng mit den Anschauungen und dem Leben desselben verwachsen, dafs selbst die gründlichsten Forscher, wie Varro u. a., wenn sie auch die Unhaltbarkeit der Tradition anerkannten, dieselbe doch nicht anzutasten wagten und wohl einzelnes anzweifelten, aber die Erzählung im allgemeinen unberührt liefsen. So mochte auch Livius bei seinem poetischen Sinne, seiner geringen Neigung zur Kritik und seiner konservativen Gesinnung sich nicht berufen fühlen, das zu thun, was jene zu unternehmen sich scheuten, zumal da er von Anfang an den Plan hatte, die ganze Geschichte des römischen Volkes 1 darzustellen. Die blofse Wiederholung der Chronik aber würde weder ein deutliches und treues Bild der Vorzeit gegeben haben, noch seinen Zeitgenossen erträglich erschienen sein. Er erzählt daher auch die Geschichte jener Jahrhunderte in der Gestalt, die sie im Laufe der Zeit erhalten hatte, betrachtet zwar manches, besonders ethischer Zwecke wegen, als wirklich geschehen 2, im allgemeinen aber nach den oben angeführten Ansichten ohne den Anspruch, dafs sie für Geschichte im eigentlichen Sinne gehalten werde, wenn auch wohl nicht immer mit dem klaren Bewusstsein, dafs sie im grofsen und ganzen nur ein Werk der späteren Annalisten sei, welches den Beifall und die Anerkennung der früheren Zeit und seiner Zeitgenossen gefunden habe. Die dürftigen, nicht zusammenhängenden Nachrichten über die Verfassung, die politischen und sozialen Verhältnisse der ältesten Zeit, welche die Chronik bot, hatten wahrscheinlich erst im Laufe des 7. Jahrhunderts die Gestalt erhalten, in der sie den Römern gegen das Ende der Republik bekannt waren. Wahrscheinlich schon Piso, mehr vielleicht noch Macer hatten die Einrichtungen und Verhältnisse der früheren Zeit nach denen, die sie kannten, umgestaltet und geschildert, um sie für ihre Parteianschauungen und Parteizwecke zu verwenden; schon früh erscheint die Plebs arm, verschuldet, bedrückt, im Kampfe mit den Reichen wie zur Zeit der Gracchen und nachher; ebenso 46

rentem ferret; nunc fama rerum (d. h. bei der Überlieferung, die in den Annalen vorliegt) standum est, ubi certam derogat vetustas fidem. 131, 1, 2: res omnis Romanas. 2 3, 20, 5. 26, 7. 29, 3; 4,

6, 12 u. a.

« IndietroContinua »