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eigener Anschauung kennen, gar keine in unsere Sammlung aufgenommen sind. Ich berufe mich für das erste Argument auf das achte Buch, welches nur Briefe von Caelius an Cicero enthält, ferner auf die Briefe von Cicero dem Sohn und Quintus Cicero an Tiro, ad fam. XVI, 21. 25. 26. 27, und auf die von D. Brutus an Antonius, ad fam. XI, 1-3. Für das zweite wird eine Verweisung auf die letzten Briefe des Buches ad Terentiam uxorem genügen. Bei dem dritten endlich lege ich besonders Gewicht auf den Brief an Cn. Pompeius ad fam. V, 7; denn da Cicero in diesem Briefe sein Befremden darüber ausdrückt, dass der Bericht über sein Konsulat, den er an Pompeius geschickt hatte, von diesem so kalt aufgenommen war, so wüsste ich nicht zu sagen, wie einer, der eine Auswahl der wichtigsten Briefe herausgeben wollte, diesen Bericht hätte weglassen können, da er doch veröffentlicht worden war, und da über seine Wichtigkeit kein Zweifel sein kann. Vergl. pro Sulla 24, 67 und Scholia Bobiensia p. 270 ed. Orelli. Somit bleibt nur die dritte Annahme übrig.

Ist diese Annahme richtig, und ich finde nichts, was ihr widerspräche, so können wir nach der Beschaffenheit unserer Quellen nur entweder Tiro oder Atticus für den Herausgeber unserer Sammlung halten. Denn wenn es auch nicht unmöglich ist, dafs auch andere Personen in den Besitz einer gröfseren Anzahl nicht an sie selbst gerichteter Ciceronischer Briefe gekommen sind, so wissen wir das doch nur von jenen beiden. Von Tiro läfst es sich aus seiner Stellung zu Cicero vermuten und wird auch ausdrücklich bezeugt ad Att. XVI, 5, 5, und dafs an Atticus von Cicero oft Abschriften seiner an andere gerichteten Briefe geschickt worden sind, ersehen wir z. B. aus ad Att. VIII, 11, 6, IX, 11, 4, XIII, 6, 3, XIV, 13, 6, XIV, 17, 4, XVI, 16, 1. Sehen wir also, welchem von beiden mit gröfserer Wahrscheinlichkeit die Autorschaft unserer Sammlung zugeschrieben werden kann.

Wenn zugegeben werden mufs, dafs sowohl Atticus als Tiro durch Cicero selbst eine nicht unerhebliche Anzahl Abschriften seiner Briefe erhalten haben, so kann doch auch andererseits nicht geleugnet werden, dafs nicht alle Briefe unserer Sammlung auf diese Weise in ihre Hände gekommen sind; denn dafs Cicero nicht von allen diesen Briefen Abschriften hat machen lassen, zeigen unter andern die Briefe ad fam. XII, 20 und XV, 18. Es mufs also der Herausgeber manche Briefe mittelbar oder unmittelbar von dem Empfänger erhalten haben, und zwar, wie sich nicht anders denken läfst, auf sein Ansuchen und zu dem Zwecke sie herauszugeben. Nun hat Atticus, wie weiter

unten gezeigt werden wird, die sehr bedeutende Sammlung der an ihn gerichteten Ciceronischen Briefe erst nach seinem Tode veröffentlichen lassen. Wie hätte er also andere angehen können, ihm ihre Briefe zur Herausgabe zu überlassen, da er entschlossen war die seinigen zurückzuhalten? Und auch von Tiro müfste er sich die Briefe ausgebeten haben, die dieser im Besitz hatte; denn dafs Cicero von den meistens unbedeutenden Briefen an Tiro, die in unserer Sammlung sich finden, Abschriften an Atticus geschickt haben sollte, ist durchaus nicht glaublich. Wie hätte aber Tiro hierzu geneigt sein sollen, da er, wie wir aus ad Att. XVI, 5 und aus ad fam. XVI, 17 wissen, längere Zeit mit dem Plane umging, mit Ciceros Bewilligung und unter dessen Oberaufsicht eine Sammlung von dessen Briefen herauszugeben, und da nach Ciceros Willen Atticus ihm hierzu Briefe aus seiner Sammlung beisteuern sollte? Endlich wäre auch nicht abzusehen, warum Atticus, wenn er die Herausgabe unserer Sammlung besorgt hätte, von den vielen wichtigen Briefen, von denen Abschriften an ihn geschickt wurden und die nach seinem Tode in der Sammlung der an ihn gerichteten Briefe der Öffentlichkeit übergeben wurden, nur zwei, den an Caelius ad fam. VIII, 16 und den an Dolabella ad fam. IX, 14, aufgenommen hätte. Dieses scheint mir auszureichen, um es wahrscheinlich zu machen, dafs nicht Atticus, sondern Tiro die Herausgabe der Bücher ad familiares besorgt hat.

Sonach wäre das Resultat unserer Untersuchung über die epistolae ad familiares in kurzem dieses. Diese Bücher bildeten auch im Altertum eine für sich bestehende Sammlung, wahrscheinlich mit dem Titel, den Victorius gewählt hat: M.Tulli Ciceronis epistolarum libri XVI. Sie sind die älteste von allen Sammlungen Ciceronischer Briefe und sind veröffentlicht worden von M. Tullius Tiro, Ciceros Freigelassenem und treuem Gehilfen bei seiner Korrespondenz und seinen gelehrten Arbeiten. Es hat aber Tiro, wofern nicht politische oder persönliche Rücksichten es verboten haben mögen, die Briefe, die er gesammelt hatte und die er in Ciceros Nachlafs fand und die ihm Freunde des Verstorbenen mitteilten, alle veröffentlicht, ohne auf ihren Wert oder Unwert grofse Rücksicht zu nehmen und ohne auf die Anordnung sonderlichen Fleifs zu verwenden, wiewohl sein Bestreben, die Briefe teils nach den Empfängern, teils nach der Ähnlichkeit des Inhalts zu ordnen, nicht zu verkennen ist. Später, wo Ciceros Ansehn immer höher stieg und wo jedes Blatt von ihm wichtig zu sein schien, mögen dann die, mit denen

Cicero in Korrespondenz gestanden hatte, oder deren Erben die Bekanntmachung der anderen Sammlungen bewirkt haben, wie ja auch in unserer Zeit Briefe von Göthe und anderen berühmten Männern meistens von denen veröffentlicht worden sind, an die sie gerichtet waren.

Wir kommen jetzt zu der Frage, in welcher Zeit unsere Sammlungen bekannt gemacht worden sind. Hierfür ist die Hauptstelle neben der oben p. 5 aus Cornelius Nepos angeführten Cicero ad Atticum XVI, 5, 5: mearum epistolarum nulla est ovvaywyn, sed habet Tiro instar septuaginta. Equidem sunt a te quaedam sumendae. Eas ego oportet perspiciam, corrigam; tum denique edentur. Für diese Stelle bietet der Mediceus keine erhebliche Variante; denn sumenda für sumendae ist ein in dieser Handschrift oft vorkommender Schreibfehler und auch inistar für instar kann kaum Bedenken erregen, da instar hier gebraucht ist, wie bei Velleius II, 29: cuius viri magnitudo multorum voluminum instar exigit, in der Bedeutung: ich habe die Briefe nicht gezählt, aber sie bildeten ein Volumen, wie 70 es zu bilden pflegen. Wir können also die Stelle, wie sie oben abgedruckt ist, unbedenklich für unsern Zweck verwenden. Man ersieht aber daraus, dafs Cicero seine Briefe nicht gesammelt und aufbewahrt hat und dafs auch Tiro nur eine kleine Anzahl davon besafs; ferner dafs am VII Id. Quinct. 44, an welchem Tage der Brief, aus dem wir die Stelle angeführt haben, geschrieben ist, noch keine Sammlung Ciceronischer Briefe erschienen war; endlich dafs Cicero wohl beabsichtigte eine solche erscheinen zu lassen, aber in weit geringerem Umfange als dies später geschehen ist, und nur, nachdem er selbst sie durchgesehen und verbessert hätte. Dies reicht aus zu beweisen, dafs bei Ciceros Lebzeiten Briefe von ihm weder von Tiro noch von Atticus veröffentlicht worden sind; denn in dem vielbewegten letzten Lebensjahre hatte Cicero sicherlich weder Zeit noch Lust zu einer Revision seiner Briefe und mit der Durchsicht wird es ihm wohl Ernst gewesen sein, da Atticus, der viele Bücherabschreiber unterhielt und meistens mit der Herausgabe von Ciceros Schriften beauftragt wurde, nicht immer besonders diskret dabei verfahren war (ad Att. XIII, 21, 4). Wir haben somit ein Datum, vor welchem keine unserer Briefsammlungen erschienen sein kann. Für die übrigen Sammlungen mufs es dabei sein Bewenden haben; für die Briefe an Atticus aber sind wir in der Lage, den Termin erheblich weiter hinausstecken zu können. In der oben p. 5 aus dem Leben des Atticus von Cornelius Nepos angeführten Stelle werden die un

decim volumina epistolarum ad Atticum missarum den libri qui in vulgus sunt editi gegenüber gestellt; es können also jene Briefe noch nicht veröffentlicht gewesen sein zu der Zeit, wo der Teil von Atticus' Leben, in dem jene Stelle enthalten ist, herausgegeben wurde. Da dieses nun erst in einem der drei Jahre 35, 34, 33 v. Chr., wahrscheinlich 34, geschehen ist, also zwei Jahre vor Atticus' im Jahre 32 erfolgtem Tode, und da die Gründe, die Atticus bestimmten 10 Jahre lang die Briefe zurückzuhalten, wohl auch noch ein paar Jahre weiter ihre Geltung behalten haben werden, so ist es sehr wahrscheinlich, dafs die Briefe nach Atticus' Tode aus seinem Nachlafs und auf seine Verordnung herausgegeben worden sind.

Wir haben nun noch das nächste Datum zu suchen, nach welchem die Herausgabe unserer Briefsammlungen nicht erfolgt sein kann. Das einzige Mittel hierzu sind die bei den Alten vorkommenden Citate. Es werden aber citiert: von dem Rhetor Seneca, der unter Tiberius schrieb, suas. 1 ein Brief des C. Cassius, der ad fam. XV, 19 sich findet, von dem Philosophen Seneca, welcher 65 nach Chr. starb, dial. X, 5, 2 und ep. 97, 4 und 118, 1 die Briefe an Atticus, von Quintilian, der seine Institutiones oratoriae um das Jahr 90 schrieb, VI, 3, 109, VIII, 3, 32 eben diese, I, 7, 34 ein Brief an Cicero den Sohn, VI, 3, 112 ein Brief an die Cerellia, VI, 3, 20 die Briefe an Brutus, VIII, 3, 35 ein Brief an Appius Pulcher, der jetzt ad familiares III, 8 sich findet, endlich von Sueton, dessen Buch de vita Caesarum 120 nach Chr. erschienen ist, Tib. 7 und de Gramm. 14 und 16 die Briefe an Atticus, Caes. 9 ein Brief an Axius, ebenda 55 ein Brief an Cornelius Nepos, de Rhetor. 2 ein Brief an M. Titinnius, Aug. 3 die Briefe an Quintus Cicero und de Gramm. 14 der Brief an Dolabella, der jetzt ad familiares IX, 10 steht. Dies sind die ältesten Anführungen der Ciceronischen Briefe. Sie sind aber sämtlich aus so später Zeit, dafs sie für die Entscheidung unserer Frage von geringem Belang sind; denn dafs alle Sammlungen der Ciceronischen Briefe noch während Augustus' Regierung erschienen sind, kann für den, welcher alle Verhältnisse, die hierauf Bezug haben, wohl erwägt, kaum zweifelhaft sein.*)

*) Bücheler hat im Rhein. Mus. 1879 p. 352 darauf aufmerksam gemacht, dafs Asconius Ciceros Briefe niemals erwähnt und dafs er p. 85 ed. Or. sogar eine Stelle in den Briefen (ad Att. I, 2), die für seine Auseinandersetzung von Wichtigkeit gewesen wäre, unberücksichtigt gelassen hat. Das ist bei einem so sorgfältigen Schriftsteller allerdings beachtenswert, aber es ist für sich allein kein ausreichender Beweis dafür, dafs Ciceros Briefe erst nach der Abfassung von Asconius'

Soviel über die Entstehung der Ciceronischen Briefsammlungen und die Gestalt, die sie im Altertum gehabt haben; es bleibt noch anzugeben, wie die noch vorhandenen auf uns gekommen sind und welchen Anspruch auf Berücksichtigung bei der Texteskritik die von den Herausgebern benutzten Handschriften erheben können.

Wie eifrig Ciceros Briefe bis in die letzten Zeiten des weströmischen Reiches und noch darüber hinaus gelesen, excerpiert und nachgeahmt wurden, können wir ersehen aus Plinius ep. IX, 2, Fronto ad Marcum Caes. I, 1, ad Anton. Imp. II, 5, und Sidonius Apollinaris ep. I, 1. Auch aus den ersten Jahrhunderten des Mittelalters finden wir noch einige Erwähnungen derselben, welche von Orelli in seiner Historia critica epistolarum Ciceronis ad familiares p. VI-XI gesammelt worden sind. Aber seit der Mitte des 12. Jahrhunderts sind die Briefe so völlig verschollen, dafs, als zwei Jahrhunderte später in einer Handschrift die Briefe an Brutus, Quintus Cicero und Atticus und in einer andern die ad familiares gefunden wurden, dieser Fund als die Wiederauffindung eines längst verlorenen und aufgegebenen Werkes von den Gelehrten jener Zeit gefeiert wurde.*)

Franz Petrarca schreibt in den epistolae de rebus familiaribus ed. Fracassetti XXIV, 3: Franciscus Petrarca M. Tullio Ciceroni S. P. D. Epistolas tuas diu multumque perquisitas atque, ubi minime rebar, inventas avidissime perlegi cet. Apud superos ad dexteram Athesis ripam in civitate Transpadanae Italiae Verona XVI Kalendas Quintiles anno ab ortu Dei illius, quem tu non noveras. MCCCXLV. Dieser Brief beweist, dafs Petrarca im Jahre 1345 in Verona eine beträchtliche Sammlung Ciceronischer Briefe gefunden hat; denn er ist offenbar in der ersten Freude über die Entdeckung geschrieben. Wir haben ferner eine auf die Auffindung der Ciceronischen Briefe bezügliche Nachricht in einem Briefe von Coluccius Salutatus an den Cremoneser Pasquinus aus dem Jahre 1389, welchen Brief Haupt in dem Berliner Lektionskatalog

Commentaren um das Jahr 60 n. Chr. veröffentlicht seien; denn dem Asconius kann die fragliche Stelle entgangen sein und er kann sie auch absichtlich ignoriert haben, da er nur beweisen wollte, dafs Cicero den Catilina nicht verteidigt hat, nicht aber, dass er niemals den Gedanken gehabt hat, ihn zu verteidigen.

*) Für das Folgende sind zu vergleichen Dr. Anton Viertel über die Wiederauffindung von Ciceros Briefen durch Petrarca, Königsberg in Pr. 1879, und G. Voigt über die handschriftliche Überlieferung von Ciceros Briefen in den Berichten der phil.-hist. Klasse der Königl. Sächs. Gesellschaft der Wissenschaften 1879.

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