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Cicero, Marcus jullius
CHRESTOMATHIA CICERONIANA.

EIN LESEBUCH

FÜR

MITTLERE GYMNASIALKLASSEN

VON

Dari Gerdinand

C. F. LÜDERS, DR. PHIL.

ORDENTLICHEM LEHRER AM JOHANNEUM ZU HAMBURG.

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32468

KE 32468

1877, July 30. Salisbury fund. (I 20, 11:40 Left.)

VORREDE.

Das hiermit den Vertretern klassischer Jugendbildung dargebotene neue Lesebuch aus Cicero's Schriften ist zunächst aus einem lokalen Bedürfniss hervorgegangen. Die am hiesigen Johanneum seit einer Reihe von Jahren zur ersten Einführung in die Werke dieses Schriftstellers gebrauchte Auswahl konnte weder der äusseren Anordnung noch der dort mitgetheilten Art von Belehrung nach ferneren, zumal gesteigerten Anforderungen genügen. Da nun in dem weiten Bereich neuerer, auf der Höhe des heutigen Gymnasialunterrichts stehenden Schulbücher sich unseres Wissens keine Ciceronische Chrestomathie befindet, andrerseits aber ein völliger Verzicht auf den bei uns schon in Tertia eingebürgerten Cicero ungeboten erschien, so fand sich der Verfasser, welchem dieser Lehrgegenstand übertragen ist, veranlasst, eine neue Auswahl und Bearbeitung angemessener Lesestücke aus Ciceros Werken in die Hand zu nehmen.

Allerdings hat jede derartige Blumenlese aus einem klassischen Schriftsteller, wie der Verfasser keineswegs. zu verkennen geneigt ist, ihre bedenkliche Seite. Einzelne Partieen werden aus ihrem Zusammenhang gerissen, dadurch zum Theil in ein unrichtiges oder doch zweifelhaftes Licht gestellt, das Bewusstsein von der Totalität der schaffenden oder darstellenden Persönlichkeit tritt in den Hintergrund, der Ueberblick über das ganze Gebiet eines Schriftstellers geht verloren oder doch die Einsicht in die Zusammengehörigkeit der einzelnen Werke desselben wird nicht gewonnen. Allein so sehr diese Wahrheiten für die obersten Klassen der Gymnasien und für die meisten der dort gelesenen Schriftsteller ihre Geltung behalten: so fragt es sich denn doch, ob nicht für die Untersecunda und Tertia bei Ovid und Cicero ein anderer Gesichtspunkt maassgebend sei. Beide, der Poet wie der Prosaiker, sind ihrem ganzen Umfange nach zur Schullectüre selbst in höheren Klassen nicht geeignet, andrerseits aber schon aus quantitativen Gründen nie zu überwältigen; will man also nicht thörichter Weise auf beide verzichten, so viel uns bekannt, was, noch Niemand vorgeschlagen, so bleibt kein anderer Ausweg übrig als die alte, bequeme, ebenso ehrbare wie bewährte Methode der Eclogae und Florilegia, der Opera selecta und Chrestomathiae.

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Es ist ein alter und wohlbegründeter Brauch - und ich wüsste nicht dass das Ansehn des M. Tullius Cicero als literarischen Talents und zeitgeschichtlicher Quelle ersten Ranges durch die stürmischen Angriffe der Neuzeit bei den Lehrern irgendwo erschüttert worden wäre, — alter Usus also und löbliche Sitte ist es, auf unsern höheren Schulen in Prima die eine oder die andere philosophische oder rhetorische Schrift, in Secunda ausgewählte Reden oder Briefe des Cicero zu lesen. Das wird auch fernerhin so bleiben. Sollte aber nicht schon auf früherer Stufe eine ebenso angenehme wie erfolgreiche Bekanntschaft mit dem ersten Stilisten der Römer sich anknüpfen lassen? Soll die ganze Fülle concreten, sei es geschichtlichen oder antiquarischen Stoffes, die in seinen Werken überall zerstreut liegt, soll die seltene Kunst seiner klaren Darstellung und anmuthigen Erzählung nur im Grossen und Ganzen von fertigen Gelehrten genossen werden dürfen? Lässt sich nicht auch heute noch, wie es früher wiederholt geschehen ist, für unsere Mittelklassen ein Ciceronisches Elementarbuch mit Erfolg verwerthen, dergestalt dass bei den Lernenden einmal das Verständniss der lateinischen Sprache gefördert und die Aneignung eines guten Lateinischen Stils vorbereitet, sodann aber auch das Gefallen am Alterthum überhaupt angeregt und die Kenntniss von ihm erweitert werde? Es sind dies Fragen, welche manche Schulmänner sofort unserem Sinne günstig beantworten, andere wenigstens reiflichster Erwägung werth halten werden; während der Verfasser, von eigner Erfahrung unterstützt, durch eben diese Rücksichten zu dem Wagniss geführt worden ist, einem weiteren Kreise von Gymnasien sein Lesebuch als neues Hülfsmittel für die erste Lectüre des Cicero anzubieten. Das aliter pueri, aliter Grotius bleibt darum hier wie überall nicht weniger bestehen.

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Es kann unseres Erachtens füglich nur darüber eine Differenz obwalten, nach welchen Grundsätzen eine verständige Auslese aus Ciceros Schriften einzurichten sei. Und hier nun hat der Verfasser des vorliegenden Buches die ihm eigenthümliche, jedenfalls selbständig gewonnene Ansicht durchzuführen sich bemüht: es liessen sich aus dem umfassenden Gebiete Ciceronischer Prosa diejenigen Abschnitte so zu sagen synthetisch aneinander reihen, welche zur Kenntniss der alten Geschichte, der politischen sowohl als der literarischen, wie des antiken Lebens und Wissens überhaupt einen belehrenden Beitrag zu liefern geeignet erscheinen. Der Inhalt der Werke, zumal der philosophischen Schriften Cicero's ist, als Ganzes gefasst,

ein so intensiv reicher und mannigfaltiger, dass die Idee nahe lag, aus ihnen eine Art von Römischer Encyklopädie für den Nachwuchs unserer heutigen Generation zu componieren, wo derselbe sich über das Wissen und die Bildung Roms in den letzten Zeiten der Republik aus lauterster Quelle zu unterrichten angeleitet und befähigt würde.

Das Missliche freilich bei Festhaltung dieses Gesichtspunktes eine Sammlung alter Geschichts- und Culturbilder, wie sie dem hochgebildeten Römer sich darstellten, für unsere modernen tirones zu beschaffen,

hat der Verfasser dieser Arbeit sich keinen Augenblick verhehlt. Immer wird es der grossen Mehrzahl derartiger Fragmente an der letzten stofflichen und stilistischen Abrundung fehlen, immer wird der reifere Leser bei den einzelnen Abschnitten den theils zufälligen oder willkürlichen, theils aphoristischen oder mosaikartigen Ursprung störend empfinden. Ob aber Knaben von 13 bis 16 Jahren gegenüber solche Bedenken von entscheidendem Gewichte sind? Ich sollte meinen, gerade der Wechsel in der Zerrissenheit, gerade die Fülle der disiecti membra scriptoris dürfte für diese einen eigenen Reiz haben, den Reiz einer stets aufs Neue erregten, wenn auch kaum je völlig befriedigten Neugier. Und diese jugendlich unstete, flüchtige Spannung der Gemüther bleibt doch immer die erste Stufe aller innerlichen Theilnahme, aller wahrhaften Ehrfurcht vor der stillen Grösse der alten Welt, die wir in unseren Schülern zu wecken berufen sind: jener Welt, die trotz unserer vielseitig zerstreuten, leichthin absprechenden Gegenwart nicht aufgehört hat, nie aufhören wird, alle tieferen, ursprünglichen, tonangebenden Geister der Menschheit zu beherrschen *).

Die Alten haben nicht vorwiegend oder gar ausschliesslich ihre Werke zu dem Zwecke geschrieben, damit wir an ihrem grandiosen Sprachbau unsere formalen Denkexercitien vornähmen: an diese Species von Teleologie glauben heute wohl noch Wenige. Nur der poetische oder reale Inhalt ist es der die alten Autoren der Masse unserer Schüler innerlich nahe bringen und demnach für Aufnahme klassischer Bildung überhaupt erst empfänglich machen kann. Einseitig betriebene grammatisch-kritisch - statarische Behandlung der Schriftsteller wirkt auf die Menge nur einschläfernd oder abschreckend; nur der lebendige Lese

*) Byron, Manfred 3, 4:

with silent worship of the great of old!

The dead, but scepter'd sovereigns who still rule
Our spirits from their urns.

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