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Wer so rein Goethes dichtung und weisheit auf sich hatte würken lassen, wie WGrimm, konnte die gleichzeitigen litterarischen erscheinungen, von denen viele andere sich blenden und verwirren liefsen, ruhig und mit unbefangener freiheit beurteilen.

Jean Paul nennt er einmal, in der erwähnten recension der Gräfin Dolores, 'den dichter der zeit im edelsten sinne' (1,291), worin neben allem lob auch schon die begrenzung seines talents gegeben ist. doch hatte er für ihn eine gewisse schwäche: von seinem Quintus Fixlein schrieb er 1809, er könne sich nicht helfen, es sei doch etwas sehr herliches in ihm (Jugendbriefe 87. vgl. 89), im selben jahre an Jacob 'wie du diesem höchst scharfsinnigen kopfe eine ordinäre planlosigkeit im Titan vorwerfen kannst, begreife ich nicht' (ebend. 108, über den Titan vgl. Kl. schr. 1, 293).

Mehr noch aber zeigt Wilhelm Grimm seine innere freiheit in den urteilen über die schöpfungen Fouqués, Arnims, Brentanos.

In der recension von Fouqués heldenspiel Sigurd der schlangentödter (1809) sind wider die vorangestellten allgemeinen erwägungen von wunderbarer reife. er spricht über das verhältnis zum deutschen altertum. übersetzungen früherer litteraturdenkmäler, die ohne ehrfurcht und scheu diesen ihr altes gewand abziehen und sie mit modernem tand behängen, weist er ebenso zurück wie die Hagenschen erneuungen, welche nicht sowol das alte lied modern als uns alt machen wollen. 'zurück geht aber überhaupt der mensch niemals, auch nicht in die bessere und poetischere zeit des kindlichen alters.' der dritte weg sei der, den eigenen geist in der betrachtung der schönheit altdeutscher poesie zu stärken und zu kräftigen und die zweige des ausgehöhlten baumes herabzubeugen in die heimische erde, damit ein neuer stamm erwachse, einzuschliefsen in das beschauende gemüt und zu begreifen das leben des alten und neu zu gebären im geiste. nie ist schöner und richtiger ausgesprochen, in welches verhältnis die gegenwart zur deutschen vorzeit treten soll. zugleich ist damit das programm für die deutsche altertumswissenschaft gegeben, vom höchsten standpuncte aus. als Wilhelm Grimm das schrieb, stand er im 23 lebensjahre. Jacob Grimm hatte recht, als er sein früh reifendes wesen bestimmte: 'seiner ausbildung war aller sprung benommen und ein förderndes ebenmass verliehen.'

Die grofsen hindernisse, welche einer dramatischen behandlung der Nibelungensage entgegenstehen, sind von WGrimm ersie schmackhafte früchte bringen soll, aber die doch ihre zweige von sich selbst hervorstöfst. ich war insbesondere von der stärke überzeugt, womit das poetische naturell, das ein mensch mit sich auf die welt gebracht hat, einen solchen nicht allein erweckt und reizet, sondern antreibet, drücket und stöfst, und nicht nachlässt, bis dass alle die hindernissen überwunden sind, welche die äufserlichen umstände vielmals in den weg legen.'

kannt und an Fouqués dichtung aufgewiesen. die alte sage, welche in der alten zeit der mittelpunct war, um den die poesie sich bewegte, steht in der unsrigen ganz anders. 'wir begreifen sie nur durch ihre innere wahrheit. in solcher aber das gedicht wider aufzustellen, hilft nicht, dass wir ihre äufserlichkeiten verfolgen, sondern die betrachtung ihres wesens und geistes' (Kl. schr. 1, 240). diese vermisst er in Fouqués werk; seine poesie ist noch unfrei und 'von der deutschheit gebunden.' hier steht WGrimm schon über allen seinen mitforschern, Jacob ausgenommen. den teutonismus verwirft er, dem doch so viele der zeitgenossen erlagen. das deutsche soll nichts besonderes sein; die poesie ist ausgiefsung des heiligen geistes, sie ist über jeden dichter gekommen, in welcher zunge er reden soll. WGrimm scheint sogar geneigt, statt 'der nordischen silbenmafse der skalden' fremde angeeignete formen zu empfehlen, griechische, italienische oder spanische, mit denen 'wir uns die schwere mühe gegeben.' Jacob erhob dagegen mit vollem rechte widerspruch (Jugendbr. 182): Nibelungensage in stanzen ist nun einmal unerträglich. die dichterische widerbelebung der alten sage hält Wilhelm Grimm nicht für unmöglich; sie müsse im geiste eines grofsen dichters wider geboren werden; grofser dichter eigenschaft sei es, dass sie uns mit dem überraschen, was anderen unerreichbar scheint (Kl. schr. 1, 72). Fouqués versuch, die nordische Nibelungensage dramatisch zu behandeln, fand an Jean Paul einen mafslosen lobredner. dieser schrieb in den Heidelbergischen jahrbüchern eine nebelhafte recension, die der späteren ausgabe des stückes in der trilogie Der held des nordens vorgedruckt ist. WGrimm nannte diese kritik einfach 'unbedeutend' (Jugendbr. 170); Jacob urteilte noch viel härter (ebend. 182). auch vdHagen schrieb eine recension über das stück, von der WGrimm urteilte 'sie lobt parteiisch das gedicht mehr als es verdient' (Jugendbr. 157).

Merkwürdig klar ist Arnims dichterisches vermögen von WGrimm gewürdigt worden, wie mich dünkt mit voller gerechtigkeit, ohne überschätzung, so nahe er ihm persönlich stand. seine beurteilung der Kronenwächter kann von der heutigen zeit einfach angenommen werden (1, 298 ff). auch die geschichte Armut, reichtum, schuld und busse der gräfin Dolores hatte er mit gleicher unbefangenheit der gesinnung angezeigt. Arnims dichterische natur wird glücklich bezeichnet: 'die früheren dichtungen hatten die eigentümlichkeit, die uns immer als ein fehler vorkam, dass, wenn sie in schöner gemessenheit eine zeitlang gelebt, etwa die jünglingsjahre erreicht, sie anfiengen schnell und gleichsam ins unendliche hineinzuwachsen. sie glichen bildern, die von drei seiten einen rahmen hatten, an der vierten aber nicht und dort immer weiter fortgemalt waren, so dass in den letzten umrissen himmel und erde nicht mehr zu unterscheiden waren' (aus dem jahre 1818, Kl. schr. 1, 299).

Dem romantiker des nordens Öhlenschläger schenkte WGrimm in seiner ersten epoche ein interesse, das wir heute kaum noch teilen können. er lieferte 1810 in Büschings und Kannegiefsers Pantheon (s. Jugendbr. 190) eine inhaltsanzeige von dessen wunderlichem drama Palnatoke und fügte die übersetzung einer scene bei; drei geistliche gedichte desselben, die Christi widererscheinen in der natur etwas spielend darstellen, hatte er im Vaterländischen museum übersetzt mitgeteilt. er überschätzte ihn übrigens nicht: Jugendbr. s. 79.

Eine romantische verirrung ist WGrimms auffassung des Ossian, von dem er, im wesentlichen noch die ansicht der Wertherzeit teilend, in seiner recension der Hornschen Litteraturgeschichte sagte: 'merkwürdig wird es immer bleiben, wie es möglich geworden, eine dichtung, in welcher das tiefste, reinste gefühl für die natur, eine grofsartige schwermut, wie sie nur einem ganzen volk eigen sein kann, das an seine versinkende heldenzeit gedenkt, erhitzt und gequält genannt werden kann' (1, 284). der eindruck, den die offenbar der Macphersonschen bearbeitung teilweise zu grunde liegenden volkslieder auf ihn machten, trübte seinen blick für die sentimentalen zusätze des herausgebers. der bisher ungedruckte aufsatz Gleichnisse im Ossian und Parzival (s. 48 ff), der gewis mit der genannten recension etwa gleichzeitig ist, unterscheidet richtig zwei elemente im Ossian: 'eine dichtung in der fabel und in dem gemüt'. WGrimm zweifelt nicht dass es heldensagen sind, lebendig unter dem volk erwachsen, aber es scheint ihm, als wären diese sagen der betrachtung eines einzelnen übergeben worden; die dichtung verhält sich zu dem reinen epos wie der traum zu dem leben des tags. dass WGrimm überhaupt Ossian und Parzival mit einander vergleichen kann, zeigt, wie wenig er damals noch Wolframs gedicht gerecht wurde. Ossian und Parzival scheinen ihm in ähnlicher weise unursprüngliche fortbildungen alter einfacher sagen. wie im Ossian die alte fabel ihr zusammenhalten und ihre macht aufgegeben habe und sich mehr gefalle, einzelne momente darin aufzusuchen (1,48), wie die charactere der helden ihren scharfen und individuellen umriss verloren und eine schwermütige, erhabene, fast überirdische gesinnung erhalten haben (1, 49), so erscheint ihm auch im Parzival 'die sage schon künstlich geleitet und verwickelt; wovon die darstellung an verschiedenen orten recht eigentlich gedrückt wird.' 'so geschlossen wie im Tristan ist das ganze nicht und hinterlässt keinen so befriedigenden eindruck' (1, 56). den character Parzivals fasst er viel zu träumerisch, Hamletartig auf: 'so ist ein beständiges misverhältnis in seinem handeln und in seinem wollen.' hier beweist er sich ganz als romantiker. den Parzival nennt er auch in der recension von vdHagens erneuung der Nibelungen 1809 sehr verwickelt, er habe in dieser metrischen bearbeitung wenig ergetz

liches' (1, 63), den Tristan, ja sogar den "Tyturell, dessen silbenmafs und ungemeine zierlichkeit der rede sehr einschmeichelnd ist und dessen mystische und allegorische tendenz sich auszeichne durch tiefe und innere lebendigkeit' stellt er weit höher. aber diese einseitigkeit berichtigte schon im april 1809 Jacob Grimm in einem brief an den damals in Halle weilenden Wilhelm: 'ich wünsche manches daraus weg, vor allem das urteil über Parzival und Tristan. wir hatten beide zu flüchtig gelesen, ich habe sie nun wider gelesen, der Parzival steht weit über dem Tristan, in sprache und poesie' (Jugendbr. 83).

Über den Ossian urteilte WGrimm übrigens noch 1818 in seiner anzeige der übersetzung desselben von Rhode (Kl. schr. 2, 220) befangen: es sind ihm herliche, merkwürdige gesänge. "wer könnte den Ossian übergehen und das wesen des epos erforschen wollen?'

Tieck überschätzte WGrimm gleichfalls: in der recension von vdHagens erneuung des Nibelungenlieds (1, 71) meint er, er sei derjenige dichter, in all dessen poesien der altdeutsche geist hersche und sich so gestaltet habe, wie er jetzt wider lebendig werden könne. dem widersprach Jacob (Jugendbr. 83), aber Wilhelm blieb zunächst wenigstens fest: "Tiecks Genoveva, Octavian sind nicht die alten, aber doch ungemein vortrefflich' (eb. 86).

Etwas romantische kunst und lebensauffassung dürfte wol auch WGrimms urteil über Heinse zu grunde liegen, das seltsam freundlich ist. die romantiker suchten ja ein neues sittlichkeitsprincip, das die entfesselung der sinnlichkeit nicht ausschliefsen sondern herbeiführen sollte. daher erschien ihm denn 1812 Heinse als 'ein nicht kranker, kräftiger geist, der den zwang abwerfen und frei an der quelle schöpfen wollte' (1, 283). wäre die quelle nur nicht eine so unreine gewesen.

Die romantik, auch wo sie aller fesseln besonnener überlegung ledig war, würkte durch die begeisterung und die tiefen blicke, über die sie gebot, auf WGrimm befruchtend. das gilt zb. von Görres Mythengeschichte. an ihr hatte sich WGrimms auffassung des wesens des mythos genährt und mit recht setzte er dies buch platt rationalistischer betrachtung der eddischen sagen entgegen, die statt von innen heraus die echtheit der nordischen mythologie zu begreifen, nach zufälligen äufseren zeugnissen suchten, weil sie den unterschied von geschichte und epos noch nicht gefasst hatten (Kl. schr. 2, 31). auch Jacob schwärmte damals für Görres, wie die Jugendbriefe mehrfach belegen.

Die würklich wissenschaftliche würksamkeit WGrimms hebt an mit dem jahr 1808. damals schrieb er für die Heidelbergischen jahrbücher seine recension von vdHagens Nibelungenerneuung (Kl. schr. 1, 61 ff) und damals erschien sein aufsatz Über die entstehung der altdeutschen poesie und ihr verhältnis zu der nordischen in den von Daub und Creuzer in Heidelberg heraus

gegebenen Studien (1, 92 ff). die früheren beiträge in dem Neuen litterarischen anzeiger Aretins, die 1807 veröffentlicht wurden, können noch kaum als wissenschaftliche anfänge gelten: es sind die ersten schüchternen flügelschläge, die am boden noch tastend hingleiten. in jenen beiden aufsätzen dagegen erhebt er sich bereits mit einer so umfassenden gelehrsamkeit, wie sie aufser seinem bruder keinem zweiten seiner mitforscher damals zu gebote stand, hoch über die wissenschaftlichen anschauungen seiner zeitgenossen. er trat mit diesen arbeiten in den kreis der Heidelberger romantiker und germanisten ein, welche seit 1804 dort sich zusammen gefunden hatten. ihre weithin greifende würksamkeit hat neulich KBartsch in seiner rede zur academischen preisverteilung am 22 november 1881 mit benutzung ungedruckter briefe dargestellt, ohne, soviel ich sehe, im wesentlichen über das bisher bekannte hinauszukommen. im selben jahre 1808 gab WGrimm in der Einsiedlerzeitung, dem damaligen organe der Heidelberger genossen Arnim, Brentano, Görres übersetzungen von dänischen heldenliedern.

Der inhalt jener beiden aufsätze ist bekannt und wird hoffentlich durch die jetzige ausgabe in den Kleineren schriften noch bekannter werden: sie stellen zuerst den unterschied zwischen naturpoesie und kunstpoesie für die mittelalterliche litteratur fest; 'romantisch sind nur die aus dem Romanzo übersetzten gedichte', dem Nibelungenlied jedoch und den gedichten, die unter dem namen des Heldenbuchs zusammengedruckt sind, gehört in keiner hinsicht der name einer romantischen poesie.' WGrimm entwickelt seine ansicht über die entstehung des epos, sammelt die zeugnisse für dessen fortleben und untersucht das verhältnis der deutschen sage zur nordischen: er legte sich den grund zu dem grofsartigen späteren bau, der Deutschen heldensage.

WGrimm, als er die Hagensche erneuung recensierte, besafs noch keineswegs ausreichendes philologisches rüstzeug: das verrät sich zb. in seiner ganz verkehrten auffassung des Nibelungenverses (Kl. schr. 1, 80 ff), das grundgesetz der deutschen metrik war ihm damals noch unbekannt, vom fehlen der senkungen wuste er nichts, er nahm daher vierhebige dactylische verse an. gleichwol zeigt er sich auch da schon als philologe und vdHagen erscheint gegen ihn bereits als dilettant.

Gegen dilettantische leichtsinnige mitforscher, die ohne genügende gründliche kenntnisse der jungen wissenschaft mehr schadeten als nützten, hat WGrimm in den ersten jahren seiner gelehrten tätigkeit mehrmals das schwert der kritik geführt. gegen vdHagens flüchtigkeit und sorglose arbeitsweise richteten sich die anzeigen seines Heldenbuchs, einer erneuung nach art der wenige jahre vorher am Nibelungenlied verbrochenen (Kl. schr. 2, 41), und seines Narrenbuchs, letztere mit JGrimm verfasst (2, 52 ff). Hagen wurde dadurch sehr gereizt, wie aus seiner erwiderung zu sehen

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