289. Von den prosaischen Schriften des Seneca ist ein großer Teil nur in Bruchstücken oder Erwähnungen bekannt. Unter den erhaltenen ragt die Sammlung von Briefen an Lucilius hervor, als die reichhaltigste Darstellung der Eigentümlichkeit des Schriftstellers. Die naturwissenschaftlichen Untersuchungen verraten trotz aller Flüchtigkeit und trotz der moralischen Tendenz mehr Urteil, als später der ältere Plinius beweist. Die Spottschrift auf den toten Claudius ist merkwürdig als Beispiel der satira Menippea. Der Wert, den man auf die Schriften Senecas zur Sittenlehre legte, veranlaßte viele Abschriften und Auszüge, frühzeitig aber auch Unterschiebungen, wie den erdichteten Briefwechsel mit dem Apostel Paulus. 1. Untergegangene prosaische Schriften. a) Naturwissenschaft liches. De motu terrarum (volumen edidi iuvenis, nat. quaest. 6, 4, 2), De lapidum natura, vielleicht auch De piscium natura. Abhandlungen De situ Indiae und De situ et sacris Aegyptiorum; (schwerlich ist, mit FOSANN aO. 1, 3 de ritu et s. Aeg. zu schreiben und nur ein Abschnitt aus der Schrift De superstitione gemeint), jene beiden Schriften wohl eine Ausbeute des ägyptischen Aufenthalts (§ 287, 1 Z. 6; vgl. ep. 77, 3); De forma mundi. b) Moralphilosophisches. Exhortationes, De officiis, De immatura morte, De superstitione dialogus, De matrimonio (sehr reichhaltig und pikant, s. Вock, Lpz. Stud. 19, 7), Quo modo amicitia continenda sit, davon und von der Schrift De vita patris (s. unten c) einige Reste im Vatic. Palat. 24 s. V/VI (§ 180, 2), zuerst von NIEBUHR, Cic. p. Font. usw., Rom 1820, zuletzt von STUDEMUND bei ROSSBACH, De Sen. libr. recensione, Bresl. 1887 herausgegeben (dazu BICKEL, RhM. 60, 190); ferner Moralis philosophiae libri; De paupertate und vielleicht De misericordia. Von der Schrift De remediis fortuitorum ad Gallionem (vgl. TERTULL. apolog. 50 Seneca in fortuitis) ist ein später durch Zusätze entstellter Auszug erhalten. HAASES Ausg. 3, xvI; Ind. lect. Vratisl. 1859 f. p. 6. Vgl. HORTIS, Archeogr. Triestino NS. 6, 267. Beste Hs. Paris. 10318 (Salmasianus, vgl. § 476) s. VII. Neuer Text bei OROSSBACH, De Sen. libr. recens. 97 und bei LOTн, Rev. de philol. 12, 118. BONNET ebd. 13, 25. Anspielung auf 2, 1 in CIL. 6, 11252. Hosius, RhM. 47, 462. Desgleichen ist auch das Schriftchen des Bischofs Martinus Dumiensis (§ 494, 2) De formula honestae vitae (oder De quattuor virtutibus cardinalibus [hg. von OMAG, Neisse 1892] oder De verborum copia; vgl. PS. SEN. ad Paulum [A. 9] ep. 9 misi tibi librum de verborum copia; vgl. GSCHEPSS, Sechs Mayhinger Hss., Dinkelsbühl 1879, 15) aller Wahrscheinlichkeit nach aus einer Schrift Senecas (De officiis? Exhortationes?) gezogen. Beste Hs. Monac. 144 s. IX. Herausgegeben z. B. bei HAASE 3, 468 und rec. AWEIDNER, Magdeb. Progr. 1872. Vgl. HAURÉAU, Acad. des inscr. 16 Nov. 1888. BICKEL, RhM. 60, 505. Neue Hss.Vergleichungen bei OROSSBACH, De Sen. libr. recens. 88. c) Geschichtliche s. De vita patris; daraus ein Bruchstück im Vatic. Palat. 24 (s. oben b und § 269, 3) mit der Aufschrift: incipit eiusdem Annaei Senecae de vita patris feliciter scribente me Niciano die et loco supra scriptis. Vgl. dazu OROSSBACH aO. 161. d) Reden, für Nero verfaßt; TAC. a. 11, 3. 11. 14, 10 f. QUINT. 8, 5, 18. DIO 61, 3. Vgl. § 286, 11. e) Lobschrift auf Messalina, § 288, 2. f) Briefe: in decimo epistolarum ad Novatum (PRISC. GL. 2, 410, 6). Mart. 7, 45, 3 (an Caesonius Maximus, 15 Teuffel, röm. Literaturgesch. Neub. 6. Aufl. § 287, 1). Beste Zusammenstellung der Überreste des Verlorenen in HAASES Ausgabe 3, p. 419, vgl. p. xv. FOSANN, De Sen. scriptis deperditis, Gießen 1846-48 III. 2. Handschriften der prosaischen Schriften Senecas sind zwar viele vorhanden, doch meist junge. S. das Nähere bei den einzelnen Schriften und ORossBACH, De Sen. 11. recensione et emendatione, Bresl. 1887 (welcher sich namentlich für die Ausnutzung auch der jüngeren Hss. verwendet, wenig überzeugend, s. GERTZ, Berlph Wschr. 1889, 372. 402. HENSE praef. epist. XXVIII). 3. Gesamtausgaben der prosaischen Schriften z. B. von ERASMUS, Bas. 1515. 1529. MURETUS, Rom 1585. JGRUTER (ad mss. Palat. rec.), Heidelb. 1593. JLIPSIUS, Antw. 1605. Sammelausg. (c. nott. GRONOVII [zuerst Leid. 1649] et aliorum), Amst. 1672 II. Recogn. et illustr. RuнKOPF, Lps. 1797-1811 V. Recensuit, comm. adiecit etc. FICKERT, Lps. 1842—45 III. Text von FHAASE, Lps. 1852 f. III. Kritische Beiträge aufgezählt in HOSIUS' Ausg. (De benef.) p. XX, bei HERMES (Dial.) p. XIV. - Übersetzt von MOSER, PAULY und HAAKH, Stuttg. 1828 ff. Auswahl von PREISENDANZ, Jena 1908, 4. Die in der wichtigsten Mailänder Hs. Ambros. C 90 inf. s. X/XI als dialogorum libri XII bezeichneten Schriften verdienen diesen Namen, sofern sie häufig genug (mit inquis, inquit, dicet aliquis usw.) einen Gegenredner einführen. Vgl. ORossBACH, Herm. 17, 365 (der übrigens ohne ausreichende Gründe eine ursprüngliche Sammlung der Dialoge Senecas annimmt, welche außer den 12 Nummern des cod. Mediol. auch De clem., benef., Nat. quaestt., De forma mundi und die oben A. 1, b genannten Schriften enthalten haben soll; ein Recht auf die Benennung Dialoge haben freilich auch diese Schriften. HIRZEL, Dialog 2, 24. LAFAYE rev. phil. 21, 174). Unsere Sammlung enthält: 1) Ad Lucilium: quare aliqua incommoda bonis viris accidant cum providentia sit. Geschrieben etwa 62. Sonderausg. v. Nauta, Leid. 1825. GERTZ, Kopenh. 1889 (mit ad Marc.). 2) Ad Serenum (§ 287, 2): nec iniuriam nec contumeliam accipere sapientem. 3—5) Drei Bücher De ira (Senecas Lehrer Sotion hatte auch πɛì ỏeyîs geschrieben, KBURESCH, Lpz. Stud. 9, 128) ad Novatum (§ 269, 2 E.), sichtlich nach Caligulas Tod verfaßt, s. 1, 16, 29. 2, 33, 3. 3, 18, 3. 3, 22, 1. Buch 3 wiederholt den Inhalt von 1. 2. WALLERS, Gött. 1881. RPFENNIG, Greifsw. 1887. 6) Ad Marciam (die Tochter des Cremutius Cordus, § 277, 1) de consolatione, über den vor mehr als drei Jahren erfolgten Tod ihres Sohnes. Abhandlung darüber von HEIDBREEDE, Bielef. 1839. SCHINNERER, Hof 1889. Ausg. v. HCMICHAELIS, Harlem 1840. Kap. 18 erklärt AUHL, Quaest. crit. in S. dialogos, Straßb. 1899, S. 22 fälschlich für eingeschoben. 7) Ad Gallionem de vita beata, wohl zwischen 58 und 62 verfaßt. Prolegomena dazu von CFSCHULZE, Lps. 1797. 8) Ad Serenum de otio. 9) Ad Serenum de tranquillitate animi. Hier ist ein schwacher Versuch gemacht, den Dialog durchzuführen. Abhandlung v. AHIRSCHIG, Leid. 1825. Abfassung um 59 behauptet mit unzureichenden Gründen HENSE, Sen. u. Athenodoros, Freiburg 1893; eher um 62. Über die Quelle RHEINZE, RhM. 45, 501. 10) Ad Paulinum (den Schwiegervater des Seneca?) de brevitate vitae, kurz vor dem J. 49 (wegen 13, 8. 18, 3). Aus der mangelhaften Disposition schließt AUHL S. 6 mit Unrecht auf Kontamination zweier Entwürfe. Über Cornelius Valerianus als Quelle für Kap. 13 MÜNZER, Beitr. zu Plin. 370. Adnotationes dazu von CLUMPER, Leid. 1835. 11) Ad Polybium (§ 231, 5. 285, 3. 320, 7 E.) de consolatione. Trostschrift an den einflußreichen Emporkömmling, der unter Claudius im kaiserlichen Dienst a libellis und a studiis war, über den Verlust seines Bruders, voll stark aufgetragener unwürdiger Schmeicheleien gegen ihn und Claudius, um die eigene Zurückberufung zu erwirken; VOLKMANN in Magers Revue 1858, 104. Wegen 13, 2 vor dem britannischen Triumph d. J. 44 abgefaßt. Mit Unrecht spricht BURESCH aO. 114 sie nach anderen dem Seneca ab; s. WISLEIB, De S. dial. undecimo, Marburg 1906. Jenen Polybius hält DETLEFSEN, Einige Quellenschriftst. des Plin., Glückst. 1881, 4, für den bei PLIN. NH. QVerz. B. 31 genannten und 31, 131 zitierten lateinischen gleichnamigen Schriftsteller über Medizin. 12) Ad Helviam matrem de consolatione, um sie über seine Verbannung zu trösten, gleichfalls eine Form, um deren Aufhebung zu betreiben. Abhandlung darüber von HMICHAELIS, Harlem 1841. GIESECKE, De philos. vet. quae ad exilium spectant sent., Lps. 1890, S. 100. — Senecae dialogorum libri XII, rec. HAKOCH, Jena 1879. rec. GERTZ, Kopenhagen 1886. ed. EHERMES, Lps. 1905. - Verwandten Inhalts, aber in der Sammlung der dialogi nicht mitbegriffen, sind die zwei (einst drei) an Nero im J. 55—56 gerichteten Bücher De clementia (unvollständig erhalten; dazu ein Bruchstück bei Hildebertus Cenomanensis [um J. 1100] in MIGNE, Patrol. 171, 145; vgl. OROSSBACH, Disquiss. de Sen., Rost. 1882, 33; De Sen. recens. 112); über den Zusammenhang mit der Literatur neql faoilsias POHLSCHMIDT, Quaest. Themistianae, Münster 1908, S. 80; vgl. auch DORISON, Quid de clem. senserit S., Cadomi 1892. Ferner die sieben Bücher De ben e ficiis, gerichtet an Aebutius Liberalis aus Lugdunum. Über Benutzung von Hekaton negi nadýxovτos FOWLER, Panaetii et Hecatonis fragm., Bonn 1885, 24; Americ. philol. associat. 17 (1887), 24. Spätere Abfassung von B. 7 behauptet GERCKE JJ. Suppl. 22 S. 306. 318. Beste Hs. der Laureshamensis S. Nazarii, jetzt Palatinus 1547 s. VIII/IX. Außer dem vollständigen Werk sind auch in vielen Hss. (von s. XII an) Auszüge daraus erhalten, OROSSBACH, De Sen. recens. 86. Sen. de benef. et de clem. ad cod. Nazar. rec. GERTZ, Berl. 1876. ed. Hosius, Lps. 1900. Nachträge bei JBUCK, S. de ben. u. de clem. in der Überlief., Tübingen 1908. 5. Die Briefe (epistulae morales) sind zwar an seinen jüngeren Freund, den Prokurator Siziliens, Lucilius (§ 307, 2) gerichtet, aber für das Publikum bestimmt und von Anfang an mit der Absicht der Veröffentlichung geschrieben. Daß ein Teil der Briefe nicht mehr von ihm, sondern erst aus seinem Nachlasse veröffentlicht wurde, ist möglich, aber nicht zu beweisen. Der Hauptsache nach scheinen sie in der Reihenfolge der Abfassung herausgegeben zu sein. Vgl. HAASES Praef. p. III. RPEIPER, Praef. suppl. p. 14, anders JBARTSCH, Anclam 1870 und FSCHULTESS p. 26; verfehlt ist HHILGENFELDS Versuch (JJ. Suppl. 17, 601), fünf durch ein inneres Band zusammengehaltene Corpora zu scheiden. Feste Daten enthalten 8, 1 (nach Senecas Rücktritt im Frühj. 62) und 91, 1 (Brand von Lugudunum nach Aug. 64); 122, 1 ist vor der bruma des J. 64 geschrieben. Die Abfassung auf die Jahre 63 und 64 zu beschränken, ist demnach kaum möglich. OBINDER, D. Abfassungszeit von S.s Briefen, Tübingen 1905. Wir besitzen 124 Briefe, in 20 Bücher abgeteilt; aber GELLIUS 12, 2, 3 ff. teilt mehrere literarische Urteile des Seneca ex libro XXII epistularum moralium quas ad Lucilium composuit (§ 288, 1 E.) mit. Die erhaltenen Briefe sind nur in jüngeren Hss. (seit s. XII) zu einem Ganzen vereinigt, in der besseren Überlieferung sind sie in 2 Teile (ep. 1-88 lib. I-XIII und ep. 89-124 = lib. XIV-XX) zerfallen. Für den ersten Teil sind die besten Hss. Paris. 8540 s. X und Laur. 76, 40 s. IX/X; für den zweiten Teil Bamberg. s. IX/X und der (1870 verbrannte, aber von BÜCHELER vorher verglichene) Argentor. s. IX/X (Schriftproben beider bei BÜCHELER aO.). Im allgem. s. ROSSBACH, De Sen. libr. = recens. 31 u. HENSES Praef. Ausgabe der Briefe von JSCHWEIGHÄUSER, Straßb. 1809 II. OHENSE, Lps. 1898. Senecae epistulae aliquot (nämlich B. 14 u. 15 u. B. 20, 3), ex codd. Argentor. et Bamberg. ed. BÜCHELER, Bonn 1879. HWINDHAUS, Varietas ad Sen. epp. e cod. Bamberg. enotata, Darmst. 1879. FSCHULTESS, De Sen. quaest. nat. et epistulis, Bonn 1872. Übersetzt von WOLSHAUSEN, Kiel 1811 II. 6. Die sieben (oder, da B. 4 in zwei zu zerlegen ist, acht) Bücher N a t u ralium quaestionum, gleichfalls dem Lucilius gewidmet, sind hauptsächlich nach stoischen Quellen, namentlich Poseidonios bzw. dessen Epitomator Asklepiodotos (DIELS, Doxogr. 225. 229. SUDHAUS, Aetna 56 u. ö. ODER, Phil. Suppl. 7, 283) gearbeitet (die Winde 5, 16 aus Varro: HSTEINMETZ, De ventorum descript., Gött. 1907, p. 71), jedoch ziemlich flüchtig (z. B. DIELS, Abh. Berl. Ak. 1885, 19) und ohne rechtes Interesse für die naturwissenschaftlichen Fragen, da dem Verf. die eingeflochtenen moralischen Betrachtungen und Deklamationen die Hauptsache waren (JMÜLLER, Festgruß, Innsbr. 1893, 1). Sie dienten dem Mittelalter mehrfach als Lehrbuch der Physik. Hss. von s. XII an zahlreich, gesichtet von GERCKE, JJ. Suppl. 22, 7, u. Studia Annaeana, Greifsw. 1900. Sie sind am Schlusse von 4a und am Anfang von 4b lückenhaft; erstere Lücke läßt sich zum Teil aus Laurentios Lydos ausfüllen. Ausgabe von KÖLER, Gött. 1819. GERCKE, Lpz. 1907. GRONOVII notae in S. n. q. ed. FICKERT, Bresl. 1846. 48. LCROUSLE, De Sen. n. q., Versailles 1863. GMÜLLER, De Sen. quaestt. natur., Bonn 1886. HSCHILLER, Nero 629. FJONAS p. 52. ANEHRING, Die geolog. Anschauungen des Sen., Wolfenbüttel 1873, 76 II. Die übliche Reihenfolge kann nicht die richtige sein, schon weil die caelestia (1 u. 7) auseinandergerissen sind; die teilweise erhaltenen Subskriptionen führten darauf, daß 4b—6 ursprünglich 3-5 waren, auch schien die Vorrede zu B. 3 die des ganzen Werkes zu sein. Daher stellte GMÜLLER 3, 4a, 4b, 5, 6, 2, 1, 7; über andere Versuche GERCKE, JJ. Suppl. 22, 27. 110 und praef. V, WALLERS, JJ. 145, 621. AREHм, Phil. NF. 20, 374 stellt 4b-7 vor 1-4a, so wie die beste Überlieferung, und das wird das Richtige sein. 7. DIO 60, 35 Λούκιος Ιούνιος Γαλλίων ὁ τοῦ Σενέκα ἀδελφὸς ἀστειότατόν τι ἀπεφθέγξατο (über die Apotheose des Claudius). συνέθηκε μὲν γὰρ καὶ ὁ Σενέκας σύγγραμμα ἀποκολοκύντωσιν αὐτὸ ὥσπερ τινὰ ἀπαθανάτισιν ὀνομάσας; vgl. über die Bedeutung jenes Namens BSCHMIDT, RhM. 33, 637. Die erhaltene Schrift führt aber nicht diesen Titel, sondern in der St. Galler Hs.: Divi Claudii AПO@HOZI Annaei Senecae per saturam, vielleicht weil man den ursprünglichen (von Dio überlieferten) nicht verstand. Vgl. SEDLMAYER, WSt. 23, 181. Auch enthält die Schrift nichts von einer Verwandlung des Claudius in einen Kürbis (xoloxúvτn), indem dieser Witz auf den Titel selbst sich beschränkte; nach WACHSMUTH, Lpz. Stud. 11, 337, ist die eigentliche apocolocyntosis am Schlusse weggefallen. Es ist eine giftige politische Satire, unter dem frischen Eindrucke von Claudius' Persönlichkeit und Regierungsweise und mit tiefgewurzeltem Hasse gegen ihn geschrieben. Die offizielle Lüge über seine Todesart wird kurzweg angenommen, Agrippina auffallend geschont, der neue Kaiser verherrlicht. Der Ursprung in dieser Zeit und aus Hofkreisen ist daher unzweifelhaft, die überlieferte Abfassung durch Seneca um so weniger zu beanstanden, als mindestens die Verse darin völlig in seiner Art sind. Die alten Zweifel gegen diese Überlieferung sind aufgefrischt, nicht verstärkt, worden durch ASTAHR, Agrippina (Berl. 1867) 330. Vgl. ARIESE, Phil. 27, 321. BALL Ausg. S. 23. Die Nichterwähnung bei anderen Schriftstellern könnte höchstens beweisen, daß sie anfangs ohne den Namen des Seneca veröffentlicht und erst aus seinem Nachlasse dessen Schriften beigefügt wurde. BIRT, De Sen. apocolocyntosi et apotheosi, Marb. 1888; RhM. 46, 152. Wechsel von Prosa und Versen; s. § 28 und 28, 3. Beste Hs. Sangallensis 569 s. X/XI; s. BÜCHELER aO. 72. Eine Anführung aus s. IX in MABILLONS Acta S. O. B. 4a, 457: s. Herm. 6, 126. Über den cod. Valenciennensis 393 s. IX/X s. ROSSBACH, De Sen. recens. 25. Sonderausgabe von SCHUSLER (Utr. 1844) und besonders von BÜCHELER, in der Symbola philol. Bonn. S. 31, sowie in s. kl. Ausg. des Petronius4 1904, p. 227; von BALL, New York 1902. Kritische u. a. Beiträge s. bei BALL, S. 105. Übersetzt z. B. v. GÜTHLING (Minden 1861), ASTAHR (Agrippina, S. 307). Vgl. auch DHEINSIUS, Oratt. p. 526. KLEBS in Sybels Hist. Zeitschr. NF. 25, 215. 8. Angeblicher Anteil des Seneca an den notae Tironianae, s. § 191, 4 und WSCHMITZ, Symb. philol. Bonn. 538; Beitr. z. lat. Sprachk. 193; Verh. d. Trierer Philol.-Vers. 61. Ihm als der personifizierten Weisheit glaubte man auch diese Sorte davon zuschreiben zu müssen, sehr gegen seinen Sinn; ep. 90, 25 (nicht der Weise, wie Poseidonios will, sondern der Mensch, der sie bedarf, macht die für das Leben nötigen Erfindungen, z. B.)... verborum notas, quibus quamvis citata excipitur oratio et celeritatem linguae manus sequitur. vilissimorum mancipiorum ista commenta sunt. sapientia altius sedet nec manus edocet: animorum magistra est. 9. Unechtes. Die Wahrnehmung, daß in der Bekämpfung des Volksglaubens und in manchen Punkten seiner poseidonianischen Moral Seneca sich mit dem Christentum berührt, führte zu der Annahme, daß er ein Christ gewesen sei, und weiterhin zur Erdichtung eines Briefwechsels zwischen Seneca und Paulus, den schon Hieronymus kannte und für echt hielt (de vir. ill. 12 quem non ponerem in catalogo sanctorum, nisi me epistolae illae provocarent quae leguntur a plurimis, Pauli ad Senecam et Senecae ad Paulum). Vgl. AUGUSTIN. ep. 153 (ad Maced. 14) Seneca, . . . cuius etiam quaedam ad Paulum apostolum leguntur epistolae. Abgedruckt sind diese 14 ganz unbedeutenden und leeren Briefe z. B. in HAASES Ausgabe 3, 476, vgl. p. XXII, und (nach den besten Hss.) bei WESTERBURG, D. Ursprung der Sage, daß Sen. Christ gewesen, Berl. 1881, 41. HARNACK, Chronol. d. altchr. Lit. 2, 458. Gesch. d. altchr. Lit. 1, 763. Vgl. KRAUS, Tüb. Quartalschr. 49, 609. AFLEURY, St. Paul et Sénèque, Par. 1853 II. CBAUR, Abh. z. Gesch. d. alt. Philos. (Lpz. 1876) 377. AUBERTIN, Les rapports entre Sénèque et St. Paul, Par. 1857 und: Sénèque et St. Paul, Par. 1869. JKREYHER, Sen. u. s. Beziehungen zu d. Urchristentum, Berl. 1887 (sucht, wie vor ihm Fleury u. a., vergeblich Kenntnis der Bibel usw. bei Sen. zu erweisen). VHAGEN (§ 288, 4). PASCAL, Riv. fil. 1907, 33. 93. 10. TAC. a. 15, 63 et novissimo quoque momento suppeditante eloquentia advocat is scriptoribus pleraque tradidit (Seneca vor seinem Tod), quae in vulgus edita eius verbis invertere supersedeo (vgl. ebd. 67). Diese 'letzten Worte' S.s will WÖLFFLIN in einigen Sentenzen mit kurzem Epilog wiederfinden, die als sententiae Rufi im Paris. 4841 s. IX stehen (auch im Vatic. Regin. 1561 s. XIII, ROSSBACH, De Sen. libr. recens. 85). WÖLFFLIN meint, Seneca habe diese Abschiedsworte an den Faenius Rufus, praef. praet., gerichtet. Im Epilog ist Rufus angeredet: Habes, mi Rufe, iam congesta praecepta in quibus dilatandis floribus philosophia versatur. Desgleichen schält WÖLFFLIN aus den Sentenzensammlungen dieses Paris. und des Salmasianus (§ 476) heraus eine angeblich von Seneca kurz vor seinem Tode verfaßte Schrift |