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Einleitung und Plan des Werkes.

Drei Gegenfäße find es, welche als die bestimmenden Basen im Bildungsprocesse des römischen Rechtes durchgreifend sich offenbaren, und auf die fonach jede rechtswissenschaftliche Forschung in lezter Instanz mit innerer Nothwendigkeit hingeleitet wird: Die Gegensäge von jus naturale und jus civile, von aequum et bonum und strictum jus, von jus gentium und jus civile. Sie bilden den Stoff des gegenwärtigen Werkes.

Jene Gegenfäße bieten der Anschauung eine doppelte Seite ihres Wesens dar: die Vorstellung und den Begriff, der in ihnen herrschend sich offenbart; und die Rechtsmaterie selbst, welche vom leitenden Grundbegriffe umschlossen wird; dieses die bestimmte Substanz, jenes der bestimmende Gedanke. Beide Beziehungen sind bei einer wissenschaftlichen Erörterung jener Gegensäge möglichst streng zu scheiden, weil nur auf diesem Wege die unheilvollsten Irrthümer vermieden werden können und eine fruchtbringende Einsicht in das Wesen jener Gegenfäße möglich ist. Hierdurch bedingt, zerfällt daher das gegenwärtige Werk in zwei große Hauptparthieen, deren jede durch das Eine jener beiden Elemente gegeben ist.

Die eine dieser beiden Parthieen umfaßt die jenen Begriffen untergeordnete Rechtsmaterie in ihrer durch historische Entwickelung und Fortbildung gegebenen, succesfiv verschiedenen Formation. Sie erfüllt den Raum des zweiten und dritten Theiles, der, rein rechtsgeschichtlicher Natur, das jus gentium und aequum et bonum behandelt, während das jus naturale einer besonderen Darstellung nicht weiter bedarf.

Voigt, Jus naturale etc.

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Die andere jener Parthieen wird gegeben durch die Wesenbestimmung jener Gegensäge an sich. Bei der durch diesen Standpunkt bedingten Anschauung des Objectes bietet sich aber dem forschenden Auge das Bild einer mehrfältigen innigen Verschlingung der obigen drei Begriffspaare, die theilweis fogar bis zu einem solchen Grade sich steigert, daß einzelne jener Begriffe geradezu für identisch erklärt werden. Dieses namentlich bei den Pandectenjuristen zu Tage tretende Verfahren widerstreitet jedoch bei einem prüfenden Eindringen in das Wesen der gegebenen drei Begriffsgruppen mehrfach den Geseßen des materialen wie formalen Denkens, daher vor Allem jene künftliche, auf einem falschen Schein beruhende, irrige Identität zu zerstören, in analyfirender Weise die Selbstständigkeit der betreffenden Begriffe herzustellen und die totale Verschiedenheit des Inhaltes derselben darzulegen, die theilweise Fremdartigkeit des unter ihnen begriffenen Stoffes andeutungsweise hervorzuheben ist.

Jene Wahrnehmung indeß, wie bei offener Unzuständigkeit und bei nahe tretender Inconsequenz jene innere Verbindung von jus naturale, aequum et bonum und jus gentium, wie an= drerseits von deren Gegenfäßen von hochbegabten Trägern der Rechtswissenschaft aufrecht erhalten und vertreten wird, weist andrerseits gleichzeitig darauf hin, daß jene fehlerhaft festge= stellte Verknüpfung nicht ein unbeachtliches Product willkührlicher Ideencombination sei, sondern daß eben nur die Modalität jener Verknüpfung irrig, dagegen irgend welches andere Centrum gegeben sei, in welchem jene Begriffe in leßter Instanz zusammenlaufen und die zerstörte Einheit mit höherer ob. jectiver Wahrheit sich wieder herstellen läßt.

So umfaßt auch diese zweite Parthie unseres Werkes wiederum ein doppeltes Material: Das rein historische, gegeben durch die Erforschung jener Lehrbegriffe an sich, wie durch die Untersuchung und Prüfung der von dem Alterthume selbst festgestellten Wesenbestimmungen und gegenseitigen Bezichungen dieser Begriffe; und das historisch-speculative, gegeben durch die Erwägung der thatsächlichen und wirklichen gegenseitigen Beziehung jener Lehrbegriffe; jenes das dogmengeschichtliche

Element, welches den gegenwärtigen ersten Theil erfüllt; dieses der Stoff einer abstrahirenden Erwägung des Ganges der hiftorischen Rechtsbildung, welche als Schlußstein des Ganzen den vierten Theil in Anspruch nimmt.

Indem wir nun den Blick dem gegenwärtigen ersten Theile insbesondere zuwenden, so erkennen und vermeiden wir zwei Fehler, die unabwendbar zu den gröbsten Irrthümern führen müssen: die Vernachlässigung der Beachtung der successiven, wie der fimultanen Begriffsformationen. Die erste Rücksicht verbietet, den Zeitraum, innerhalb dessen die hier fraglichen Begriffe den Geist der Wissenschaft bewegten, als ein einheitliches Ganze aufzufaffen, welches in allen seinen Zeittheilen von der nåmlichen Vorstellung geleitet sein sollte. Solcher Vorausseßung würde widerstreiten jenes psychologische Gesez, daß der Geist des Menschen, wie der Menschheit nur zögernd und nur allmählig bis zu einer bestimmten Begriffsgestaltung sich durcharbeitet und daß die jeweilig herrschende Auffassung stets das Resultat eines voraufgängigen Bildungsprocesses ist. Schon ein nicht allzu tiefes Eindringen in die Reste der Ciceronianischen Literatur überzeugt aber, daß zwischen dem Standpunkte der ausgehenden Republik und dem Zeitalter der Pandectenjuristen eine wesentliche Meinungsverschiedenheit obwaltete, und daß z. B. die Werke Cicero's auf eine genetische Verschiedenheit der Begriffe des jus naturale und jus gentium deutlich hinweisen, somit aber darauf hinführen, daß die Verbindung beider Be-griffe ein Werk späterer Zeiten ist.

Die Beachtung der fimultanen Mannichfaltigkeit verbietet insbesondere, lediglich unter Anerkennung einer zweifachen Gestaltung des Begriffes des jus naturale die Vorstellungen der römischen Juristen als den Guß aus Einer großen Form aufzufaffen 1), hiermit aber die Erwägung aus den Augen zu seßen,

1) Eine anerkennende Erwähnung verdient Savigny, der in seinem System, Beilage I. diesen Moment schärfer in's Auge faßte, als irgend einer seiner Vorgänger und Nachfolger. Da jedoch Savigny's Standpunkt der dogmatische war, so hat die rein rechtshistorische Forschung nach jener Richtung hin seinem Auge fich mehr entzogen. Ein längeres Verweilen bei dem angeschauten Gegenstande würde denselben unzweifelhaft zu der Erkenntniß geführt haben, wie die vermeinte Uebereinstimmung eines

wie es dem forsch- und zweifelsüchtigen Geiste der Menschen widerstrebt, auf dem Gebiete speculativer und abstrahirender Betrachtung in compacter Uebereinstimmung vorwärts zu schreiten, und in einheitlicher Bewegung ebenmäßigen Schritt zu halten, wie gleichen Weg zu verfolgen. Und auch hier lehrt eine Betrachtung der Quellen, die fich fern hält von jener Voreingenommenheit, welche durch eine uns traditionell gewordene Anschauung bedingt ist, daß insbesondere bezüglich des jus naturale innerhalb jener Duplicität dieses Begriffes keineswegs die Harmonie der Ansichten obwaltet, welche man nach der Verbindung ihrer Lehren zu dem einheitlichen Ganzen des corpus juris vorauszuseßen vielleicht berechtigt ist.

Um jenen ersten Fehler zu vermeiden, wird die nachstehende Untersuchung nach Perioden ihre Betrachtung fixiren, deren erste mit dem Zeitalter Cicero's, also der ausgehenden Republik, deren zweite mit dem Ersterben der wissenschaftlichen Behandlung des Rechts und zwar in der Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr., also mit Philippus Arabs, deren dritte endlich mit Justinian abschließt. Dagegen wird andrerseits die Betrachtung der Schicksale der erörterten Begriffe auf römischem Boden erst da einsegen, wo die lezteren eine urkundliche Beglaubigung erhalten, und diesen Zeitpunkt bildet wiederum im Wesentlichen das Zeitalter Cicero's. Zwar umschließt diese Gränzbestimmung nicht in jeder Beziehung vollständig den Stoff, der unserem Gebiete anheimfällt, allein dennoch war dieselbe geboten durch die Rücksicht, daß ein Zurückgehen auf frühere Jahrhunderte den Rahmen zersprengen würde, der, den gegenwärtigen Theil umschließend, den demselben überwiesenen Stoff als scharfbegränztes, einheitliches Ganze erscheinen läßt, während® andrerseits die Möglichkeit, im zweiten und dritten Theile das noch fehlende weit angemessener anzufügen, bei jener Gränzbestimmung maßgebend mitwirkte.

Um jenen zweiten Fehler zu vermeiden, wird die Untersuchung namentlich in der zweiten Periode, wo eine allgemeinere Verschiedenheit der Ansichten uns entgegentritt, nach bestimmten

Gajus, Paulus und Marcian, eines Ulpian und Tryphonin in der That nicht obwaltet.

Claffen die Träger der verschiedenen Begriffe abschichten, wobei jedoch, um den nothwendigen Gesammtüberblick nicht zu verlieren, eine Totalanffaffung der Ansichten der betreffenden Periode, jedoch auch hier mit Rücksicht auf die obwaltende Diver genz, an die Spize gestellt werden wird.

Die Beschaffenheit des zu behandelnden Stoffes gebot jedoch, von den festgestellten Grundzügen und Gränzlinien in drei verschiedenen Punkten abzuweichen.

Zunächst nämlich treten der Erforschung des antifen Lehrbegriffes von der aequitas nicht allein historische Schwierigkeiten entgegen, sondern ein nicht geringes Hinderniß bereitet auch der Untersuchung die moderne Wissenschaft selbst, insofern dieselbe in keiner Weise zu einem genügenden Abschlusse hinsichtlich der Wesenbestimmung der Billigkeit gelangt ist. Da man nun juristischer Seits meist zu der sehr richtigen Ansicht ge. langte, daß die römische aequitas in ihrer Erscheinung eine vielfältige Verschiedenheit von der deutschen Billigkeit bietet, gleichwohl aber diese Unterscheidungsmerkmale nicht bestimmt werden können ohne klare Einsicht in die Natur der Billigkeit; ja da überhaupt die Wesenbestimmung der aequitas mit Aussicht auf Erfolg gar nicht unternommen werden kann, ohne daß man über den correspondirenden modernen, sei es identischen, sei es blos verwandten Begriff zur richtigen Erkenntniß gelangt ist, weil ohne dieses unsere Anschauung niemals zu einer klaren Vorstellung von dem antiken Gedankenstoff sich erheben kann; so konnten auch die wenigen über die aequitas bisher geführten Untersuchungen bei der mangelhaften Lösung der die Billigkeit betreffenden Vorfrage ein fruchtbringendes Resultat nicht liefern, vielmehr mußte uns das Wesen der römischen aequitas ein ungelöstes, wenn auch nicht, wie Hommel meint, ein unlösbares Räthsel bleiben. Die Erkenntniß dieser Sachlage gebietet da= her, bei der Untersuchung über die aequitas der Römer von dem Wesen der deutschen Billigkeit auszugehen, um des Unterschiedes, wie der Uebereinstimmung zwischen Beiden sich bewußt zu werden. Dies ist die der ersten Periode überwiesene Aufgabe der ersten Abtheilung von Kap. I.

Ein zweiter Punkt betrifft das jus naturale. Dieser Lehrbegriff wird im Zeitalter Cicero's und durch diesen selbst in

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