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§. 95. Fortseßung.

(Resultat.)

Wenden wir uns nunmehr zur Beantwortung der anderweiten in §. 93. aufgeworfenen Frage, den Einfluß im Allgemeinen festzustellen, der innerhalb des von uns durchforschten Gebietes gegenüber der Lehre vom jus naturale, wie überhaupt gegenüber der gesammten hierauf bezüglichen wissenschaftlichen Thätigkeit der römischen Jurisprudenz, jener Verbindung des speculativen und historischen Elementes beizumessen ist, so erscheint diese Antwort bedingt durch die Erwägung der beiden Momente, welche in jener Verbindung selbst zu Tage treten: der Verschmelzung nämlich der speculativ wissenschaftlichen und der volksthümlichen Anschauung einerseits, sowie der Verknüpfung theoretischer Speculation mit geschichtlicher und empirischer Erscheinungsform andrerseits.

Fassen wir zunächst jene Vereinigung von wissenschaftlicher und volksthümlicher Anschauung in's Auge, welche vor Allen in der innigen Verbindung von jus naturale und aequum et bonum fich offenbart, so haben gerade durch diese Thatsache die römischen Juristen sich selbst das glänzendste Zeugniß ausgestellt, wie sie in Wahrheit ihren Beruf in richtiger Maaße erkannten und in würdiger und vollendeter Weise ihrer Philosophie eine fruchtbringende Anwendung anwiesen. Denn indem dieselben mit ihrem Systeme vom jus naturale das durch die vulgäre Anschauung gebotene Dogma von der aequitas in jene elementäre Verbindung sezten; indem sie den durch die Rechtsidee des Volksgeistes gegebenen normativen Stoff des aequum et bonum zum Postulate der lex naturae erhoben; indem sie so der Anschauung des Volkes die Folie speculativ wissenschaftlicher Begründung unterlegten und die vulgäre Reflexion in die Sphäre philosophischer Abstraction emporhoben; so hat hiermit die römische Jurisprudenz jene Anforderung erfüllt, welche wir in §. 44. als den einen Theil der Aufgabe der Philosophie bezeichneten. Und während das eigenthümliche Verdienst der Philosophie eines Cicero, wie des gesammten Griechenlands vornämlich darin besteht, neue Ideen der Menschheit zugeführt und fruchttragende Vorstellungen verbreitet zu haben; während jene Fachphilosophen

vornämlich auf dem Wege theoretischer Speculation die geistige Cultur und den Fortschritt der Menschheit auf der Bahn der Vervollkommnung beförderten; so hat die Rechtsphilosophie der römischen Juristen in der entgegengeseßten Richtung gleiches Verdienst sich erworben: die römische Jurisprudenz hat im Wege der Abstraction von dem Empirischen den letzten und höchsten Gedanken, der als Consequenz in der Idee des Volksgeistes schlummerte, geweckt; sie hat die Allgemeinheit des Urtheiles, welche durch das Festhalten am Concreten bisher gebunden war, gelöst und frei gemacht; sie hat das absolute Element, welches in der am Relativen heftenden Sentenz des Volkes verborgen war, aufgefunden und dargelegt. So hat sie die im Volke herrschenden Ideen, den rohen und ungeordneten Gedankenstoff denkend verarbeitet, der Allgemeinheit des Begriffes näher geführt, zu flarer und lichter Vorstellung abgerundet, und dann diese umgeformte und präcifirte Materie dem Volke wieder überliefert.

So stehen die römischen Juristen mit dem einen Fuße auf dem Boden und inmitten der vulgären Anschauungsweise und des Ideenverkehres des gesammten Volkes; mit dem anderen Füße auf dem Gebiete der philosophischen Abstraction, auf einem Standpunkte, der geeigneter ist zur Rechtsproduction, als der unserer modernen Rechtsphilosophen, die über die Rechtsideen der großen Massen hinwegsehen, geeigneter aber auch, als die Stellung unserer modernen Legislation, die von dem Nüglichkeitsgrunde zu selten zur philosophischen Abstraction emporschaut.

Dieser Vereinigung von philosophischer und volksthümlicher Anschauung haben wir daher auch den entscheidendsten Einfluß auf beide Lehren selbst vom jus naturale und aequum et bonum beizumessen, und während die aequitas dadurch eine höhere und wissenschaftliche Unterlage und damit eine vollkommnere Berechtigung ihrer Existenz erlangt, so gewinnt das jus naturale dadurch eine wohlbegründete Substruction und eine feste und sichere Stellung, indem es, in die Rechtsanschauung der gesammten Nation verpflanzt, auf diesem Boden kraftvoll Wurzel schlägt und, weithin sich ausbreitend, auf das Innigste mit dem Volksgeiste fich verbindet. Und gerade diese Verseßung der Doctrin

des jus naturale in die reale Wirklichkeit, in ein reges, vielbewegtes Leben giebt jener Lehre eine unvergleichlich höhere Bedeutung, als wir solche den rechtsphilosophischen Speculationen aller anderen Zeiten und Völker beimeffen dürfen. Denn indem das jus naturale zur bewußten Vorstellung und zum wissenschaftlichen Ausdrucke der dem Volksgeiste inwohnenden Ideen fich gestaltet, so erwächst aus dieser naturgemäßen Verbindung jener Lehre eine so intensive Macht, daß deren Vertreter selbst ohne das jus respondendi zu Organen des Rechtsbewußtseins des Volkes werden und so eine Stellung erlangen, die ihnen gestattete, mit Sicherheit und Freiheit ihr Urtheil gegenüber dem gegebenen Rechte auszusprechen und selbst ihren derogatorischen Sentenzen die Verwirklichung als Recht zu beanspruchen und zu erringen.

Nicht minder bedeutungsvoll erscheint die stete Berücksichti gung der Empirie bei Entwickelung des jus naturale, wie die unmittelbare Uebertragung der Ergebnisse der Leßteren auf die Erstere, jene Vereinigung somit von theoretischer Speculation und practischer Erwägung der gegebenen Verhältnisse, welche bei Bearbeitung des jus naturale Seitens der römischen Juristen zu Tage tritt.

Jassen wir hierbei zunächst die practische Richtung in jener wissenschaftlichen Thätigkeit der römischen Juristen in's Auge, so können wir solche im Allgemeinen dahin bezeichnen, daß jene das jus naturale als wahres und wirkliches, herrschendes und verbindliches Recht darlegen, und dies ebensowohl in der Weise, daß fie innerhalb des bereits gegebenen, positiven Rechtes dieses jus naturale nachweisen, als auch bei ihrer eigenen rechtsconstituirenden Thätigkeit jenes jus als rechtsverbindliche Norm offenbaren. Jener erstere Moment tritt namentlich hervor in der Verschmelzung des jus gentium, wie des aequum et bonnm mit dem jus naturale, welche als Product der auf das Practische gerichteten Bestrebungen der Jurisprudenz insofern aufzufaffen ist, als darin die Absicht sich offenbart, dem absoluten Rechtsgeseße eine reale Unterlage zu geben. Sodann befördern aber auch andrerseits die von den römischen Juristen ausgehenden Rechtsbildungen ebensowohl jus naturale zu Tage, wie sie gleichzeitig auch Regeln enthalten, welche dem zu beurtheilenden einzelnen

Falle, wie der ganzen Classe wesentlich gleichartiger Fälle als angemessen und brauchbar dienen.

So bewegen sich die wissenschaftlichen Operationen der römischen Juristen und ihre Rechtsdeductionen einerseits auf dem Boden der Empirie und des positiven Rechtes; allein weil nach der anderen Richtung hin für die verkündete Norm gleichzeitig die naturalis ratio als Quelle und productive Kraft festgehalten wird, so tritt hiermit die theoretische Abstraction als das zweite Element in die Operationen der römischen Juristen hinein und läßt die offenbarten Gefeße als Ausflüsse der absoluten Rechtswahrheit, als semper aequum et bonum, als jura semper immutabilia atque firma erscheinen.

Und auch durch diese innige Verschwisterung von Speculation und Empirie, sowie, in äußerer Beziehung, in Folge der ganz fingulären Stellung der römischen Juristen, in welcher diese als Organe der rechts constituirenden Gewalt des Staates erscheinen, gewinnen deren Speculationen eine vollständig verschiedene Bedeutung für das Recht, als solche den Theorien der antiken, wie modernen Philosophen gegenüber dem Rechte beigemessen werden können. Während die Philosophie und insbesondere die moderne Naturrechtstheorie im weiten Reiche des Gedankens in freier, allzu ungebundener Weise sich ergeht und hier nun der Gefahr unterliegt, in der Unendlichkeit des durchmessenen Raumes fich selbst zu verlieren; während die moderne Theorie über die geschichtlich gegebene Rechtsbildung wie über das Bedürfniß des geschäftlichen Verkehres in überschäßender Selbstgenügsamkeit hinwegsieht und so die ureigene Berechtigung historischer Verhältnisse verkennt; während sie ein Recht conftruirt, welches einzig und allein durch widerrechtliche Usurpation den Namen Recht" gewinnt, ein Recht, welches, ohne bindende Kraft, dem bürgerlichen Leben fremd und, ohne allgemeine Anerkennung, für die Legislation unfruchtbar ist; welches lediglich als Hirngespinnst seines Urhebers, selbst nicht einmal als frommer Wunsch der Träger des wissenschaftlichen Rechtsbewußtseins der Nation zu gelten hat 612); so erscheint das jus

"

612) Vergl. namentlich Kierulff, Theorie des gem. Civilr. I. p. 3. Note. Auch Savigny, System §. 15. Puchta, Pandecten §. 16. Note 6. u. a. m.

naturale in der obigen Beziehung räumlich beschränkt durch den Stoff, den es umschließt, wie durch das Object, das es erfaßt: indem das jus naturale das jus gentium und aequum et bonum sich hypostasirt, tritt jenes in die Gränzen dieser ein und schreibt fich selbst damit die Aufgabe vor, an die leitenden Grundideen dieser Bestandtheile des positiven Rechtes sich zu binden und somit gerade das historisch Gegebene zur wisserschaftlichen Erkenntniß und zur Allgemeinheit der Anschauung emporzuführen, und indem das jus naturale auf die wirklichen Verhältnisse des bürgerlichen Lebens und geschäftlichen Verkehres seine Regeln bezieht, und seine Speculation auf jene realen Erscheinungsformen bafirt, so wird es practisch als ordnende und bindende Regel und als Quelle künftiger neuer Rechtssagung.

So wird das jus naturale der römischen Jurisprudenz zur reflectirenden Betrachtung des historisch gegebenen Rechtes, wie zum bewußten Ausdrucke der Rechtsideen des jüngeren Zeitgeistes; es wird zum wahren, wirklichen Rechte, ohne über die Details seiner Festsetzungen das in der Speculation gebotene absolute Princip aus dem Gesichtskreis entschwinden zu lassen. Und gerade dieser doppelte Moment ist es, welcher erflärt, daß die Jurisprudenz nicht die Aufgabe sich stellte, die Grundgeseße des Rechtes in kurzen Formeln darzulegen, und daß dennoch, indem in der Idee des jus naturale bestimmte allgemeine leitende Gedanken in schöner Ebenmäßigkeit gemeinsam herrschen, wir solche abstracte Rechtsgeseße auf das Deutlichste in jenem erkennen, ja, in dieser Abstraction, sogar deutlicher noch, als fle dem Bewußtsein ihrer Träger selbst sich offenbarten.

§. 96. Fortseßung. (Resultat.)

Werfen wir nun nach Alledem einen leßten vergleichenden Blick auf die philosophische Thätigkeit der römischen Jurisprudenz, wie andrerseits der griechischen Philosophie, so erscheinen die Bestrebungen jener einseitig, in ihren Dimensionen beschränkt, in ihrem Objecte unbedeutend. Denn während die griechische Philosophie das unendliche Gebiet geistigen und körperlichen Seins zu umspannen und in seinen legten Gründen wissenschaftlich

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