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die elementären Basen erscheinen, die den Rechtsbildungsproceß in allen seinen Phasen, wie nach allen Richtungen hin unwandelbar bestimmen und regeln, da vielmehr in dem gegenwärti= gen Zeitraume der Gegensaß von aequitas und jus entweder nur in concreter und gelegentlicher Anschauung als ein besonderer, in einem isolirten Punkte und als vereinzelter Gedanke in das Bewußtsein tritt, oder aber, insoweit jener Gegensatz in einem Widerstreite der Principien selbst erkannt wird, doch nur in einem einzelnen, der Anschauung jeweilig sich darbietenden Punkte auf die Rechtsbildung bestimmend einwirkt.

§. 100.

Verhältniß zwischen jus naturale und aequum.
Jus gentium.

Bezüglich des Verhältnisses zwischen jus naturale und aequum pflanzt sich auf das gegenwärtige Zeitalter unverändert jene Anschauung fort, welche wir in der vorigen Periode von Paulus zum Systeme verarbeitet und theoretisch ausgesprochen, von der Mehrzahl der römischen Juristen aber vielfach in einzelnen Punkten fundgegeben und in practischer Anwendung durchgeführt fanden, die Annahme nämlich einer Identität der Gebote des jus naturale und der aequitas. Diese Auffassung selbst aber tritt in mehrfacher Modalität zu Tage, und zwar zunächst in der Weise, daß das aequum im Allgemeinen als Product der natura oder naturalis ratio hingestellt wird. Zeugnisse hierfür bieten nun zwar die juristischen Quellen dieser Periode um so we= niger dar, als derartige theoretische Aussprüche der kaiserlichen Rechtsbildung im Allgemeinen fern lagen; wohl aber finden wir dergleichen bei Servius in Aen. II, 426:

Justum secundum leges aliqua ratione constructum (Burm. constrictum), aequum juxta naturam accipiunt; sowie Boëth. ad Cic. Top. 5, 28. p. 321. Or.:

Aequitas est quod naturalis ratio persuasit.

Immerhin aber offenbart sich in den der kaiserlichen Rechtsbildung anheimfallenden Stellen jene Uebereinstimmung nicht allein darin, daß die nämlichen Principien, welche der aequitas überwiesen werden, zugleich auch in dem jus naturale wiederkehren, wofür die betreffenden Belege bereits in §. 99. von uns auf

geführt sind, sondern namentlich auch darin, daß in ein und derselben Constitution der nämliche Saß zugleich auf das jus naturale und die aequitas zurückgeführt wird, wofür Belege bieten: Leo et Anthemius in 1. 5. C. de bon. quae lib. 6, 61.: Quia consequens est, ambiguas causas benigne atque naturalis juris moderamine temperare, non piget nos in praesente quoque negotio aequitati convenientem opinionem sequi;

fowie Justinianus in 1. 30. C. de jur. dot. 5, 12., I. 14. pr. C. de legit. hered. 6, 58., l. 13. C. de contr. et comm. 8, 38. (f. §. 99.), wie in mehr allgemeiner Haltung in l. un. C. rei uxor. 5, 13.

So nun dürfen wir dem gegenwärtigen Zeitalter die gleiche Auffassung der Stellung der aequitas zum jus naturale beilegen, welche wir bereits für die vorige Periode anerkannten: die aequitas erscheint als die aus dem Inneren des Menschen hervortretende, die Lebensverhältnisse regelnde Norm, und entspricht zugleich in ihren Anforderungen denjenigen Gefeßen, welche die der natura rerum inliegende ratio offenbart, daher das Product der Legteren, das jus naturale, zugleich als Gebot der aequitas, als aequum, sich darstellt.

Nach Feststellung dieses Verhältnisses bleibt nun allein die Frage noch zu erledigen, welche Gestaltung die Lehre vom jus gentium in der gegenwärtigen Periode gewann, und indem wir diesem lezten Punkte unserer Aufgabe uns zuwenden, so begegnen wir am Eingange dieser Periode einer theoretischen Darstellung jener Lehre bei Hermogenianus lib. 1. Epit., deren Spuren wir in 1. 5. D. de J. et J. 1, 1. vorfinden in den Worten:

Ex hoc jure gentium introducta bella, discretae gentes, regna condita, dominia distincta, agris termini positi, aedificia collocata, commercium, emptiones venditiones, locationes conductiones, obligationes institutae, exceptae quibusdam, quae jure civili introducta sunt;

während Serv. in Aen. I, 540. den Saß uns überliefert:

Occupantis est enim possessio litoris. Litus enim jure gentium commune omnibus fuit et occupantis solebat ejus esse possessio.

Wenn nun diese allerdings höchft dürftigen Zeugnisse doch immerhin zu der Annahme berechtigen, daß die Theorie der vergangenen Periode auch in dem gegenwärtigen Zeitalter noch in der Erinnerung fortlebte, so finden wir doch androrseits, daß die kaiserliche Rechtsbildung selbst das jus gentium vollständig mit Stillschweigen übergeht, ja gauz unzweideutig sogar von der Theorie der vorhergehenden Periode sich lossagt. Denn nicht allein, daß die Constitutionen der Kaiser meines Wiffens nirgends den Begriff des jus gentium auch nur andeuten, so machen wir vielmehr die Wahrnehmung, wie ganz im Gegentheil die Legislation es· geflissentlich vermeidet, jenen Begriff in den Kreis ihres Gedankenganges hereinzuziehen, indem bei allen denjenigen Erörterungen, wo die Juristen der früheren Zeiten es nie unterließen, auf das jus gentium fich zu berufen, die Kaiser vollständig von einer entsprechenden Deduction fich fern halten, eine Thatsache die namentlich in Juftinian's Nov. 74. c. 1., 89. c. 1. pr., c. 9. pr. ( §. 98.) ganz unverholen zu Tage tritt, indem Justinian in diesen Constitutionen den Lehrsag einer uranfänglichen und für Alle gleichen Freiheit wiederholt, die Entstehung der Sclaverei aber lediglich den hostes und dem Kriege überweist, ohne dabei, wie dies durch die Tradition der zweiten Periode nahe gelegt war, des jus gentium als des die Sclaverei begründenden Rechtes zu gedenken.

Diese Thatsache haben wir in ganz natürlicher und einfacher Weise daraus zu erklären, daß das jus gentium in der von Alters her überlieferten, durch historische Rechtsbildung gegebenen Wesenbestimmung eines jus commune omnium hominum, somit das allein practisch wirksame und folgenreiche, empirische und positive jus gentium für die gegenwärtige Periode in Folge der eingetretenen Veränderungen der bezüglichen Verhältnisse seine unmittelbare und wirkliche Bedeutung fast vollständig verloren hatte und in Folge deffen für seine Erwähnung in den kaiferlichen Constitutionen keine Veranlassung sich bot, der speculative Begriff des jus gentium aber neben oder in der Lehre vom jus naturale nicht allein vollkommen überflüssig und entbehrlich war, sondern auch in Folge der mannichfachen, offen zu Tage tretenden Irrthümer, Willkührlichkeiten und Inconsequenzen, deren die vorhergehende Periode bezüglich seiner sich schuldig gemacht

hatte, als eine Quelle der offenbarsten Begriffsverwirrung sich darstellen, in Folge dessen aber auch planmäßig von der Lehre vom jus naturale fern gehalten werden mußte.

Die Erkenntniß dieser Thatsache bietet uns zugleich die Erklärung der in §. 98. hervorgehobenen Erscheinung, daß, troßdem wir dem gegenwärtigen Zeitalter keineswegs eine höhere Befähigung zu logischer, wie metaphysischer Analyse oder ein vollkommneres Bewußtsein der Vorstellungen, wie höhere Klarheit und Deutlichkeit der Begriffe zusprechen können, dennoch dasselbe dahin gelangte, den Begriff des jus naturale in seiner ungetrübten Reinheit zu erfassen und namentlich von dem alle weiteren Verirrungen nothwendig resultirenden Bestreben sich fern zu halten, dem jus naturale eine unmittelbare practische Bedeutung für den rechtlichen Verkehr abzugewinnen, und eine thatsächliche und wirkliche bindende Kraft für die bürgerliche Gesellschaft zu erringen.

So nun gewinnen wir als Resultat unserer Betrachtung der rechtsbildenden Thätigkeit der gegenwärtigen Periode, wie solche in den Constitutionen der Kaiser sich offenbart: daß die juristische Anschauung dieses Zeitalters aequitas und jus naturale in deren Postulaten zusammenfallen und in dieser Uebereinstimmung in mannichfachen Erscheinungsformen zu Tage treten läßt, daß dagegen das jus gentium vollständig aus der Reihe der maaßgebenden Lehrbegriffe heraustritt, — eine Thatsache, welche von hoher Wichtigkeit für die richtige Beurtheilung der Institutionen und Digesten Justinian's anzusehen ist.

§. 101.

B. Inftitutionen und Digeften Juftinian's.

Indem wir die Gestaltung der von uns erörterten Lehren in den Institutionen und Digesten in's Auge faffen und hier eine Reproduction des jus naturale, aequum et bonum und jus gentium vorfinden, welche dadurch vermittelt wird, daß unter Compilation der Quellen der vorhergehenden Periode die Aussprüche eines Gajus, wie Ulpianus, eines Marcianus, wie Paulus aneinandergefügt, gleichzeitig jedoch auch wiederum dadurch innerlich verbunden und transsubstantiirt werden, daß

die betreffenden Excerpte nicht mehr durch die theilweis völlig divergirenden leitenden Ideen ihrer Urheber, sondern von dem Gedanken und der Anschauungsweise Justinian's 632), in Wahrheit aber des Tribonian und seiner Mitarbeiter beherrscht er= scheinen, so haben wir, bevor wir auf die Untersuchung im Einzelnen eingehen, als einen Moment, welcher bei der Orientirung von Wichtigkeit ist, hervorzuheben, wie im Allgemeinen jede Compilation, namentlich aber von dem Umfange der Institutionen und Digesten, der naheliegenden Gefahr entgegenzuftreben hat, daß die eigene leitende Idee des Compilator inmitten des wechselnden Stromes fremder Gedanken, die vor dem geistigen Auge in rascher Folge vorübergleiten, fortgetrieben werde nach der Richtung, welche der jeweilig angeschaute fremde Ideengang nimmt. Diese Erwägung führt zwar bereits a priori zu der Vorausseßung, daß wir in Bezug auf unsere Lehren im Einzelnen mancherlei Unklarheiten und Unebenheiten vorfinden werden; allein immer lehrt eine Prüfung der Theorie der Digesten und Institutionen, daß wir den Vorwurf als ungegründet zurückzuweisen haben, welchen Savigny, System I. p. 419. gegen Tribonian und Genossen ausspricht, daß nämlich das Verfahren derselben bei Abfaffung der Institutionen (in ähnlicher Weise jedoch auch bei Abfassung der Digesten) bezüglich der Lehre vom jus gentium und jus naturale ein völlig gedankenloses gewesen sei.

Indem wir uns nun zunächst zur Lehre vom jus gentium und jus naturale wenden, so wird dieses Gebiet beherrscht von einem dreifältigen Eintheilungsgrunde: 1. der maaßgebenden Qualität des Subjectes, auf welcher die Herrschaft des Rechtes über dasselbe beruht; 2. der nationalen Gültigkeit des Rechtes; 3. der materialen Quelle des Lezteren. Auf diese drei verschiedenen Eintheilungsgründe werden nun zwei Classificationen des Rechtes gestügt in der Weise, daß nach Maaßgabe des ersten derselben die eine Classification gebildet wird, die beiden lezten dagegen als coincidirend vorausgesezt, somit selbst verbunden und demgemäß der zweiten Classification gleichmäßig unterbreitet werden. Auf diese beiden Eintheilungen stüßt sich

632) Vergl. Const. Aédwxev §. 10.

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