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Einleitung

Eine neue Ausgabe der griechischen Historikerfragmente mit einer eingehenden Analyse des gesamten Quellenmaterials und Berücksichtigung der neueren Literatur gehört zu den Aufgaben, die unsere Wissenschaft für die nächste Zeit zu leisten hat. Die Sammlung von Müller, die vor mehr als sechzig Jahren erfolgte 1, genügt in keiner Weise mehr den Anforderungen der Gegenwart 2. Da muß durch Einzeluntersuchungen dem Unternehmen vorgearbeitet werden, zu dem bereits Jacoby den Plan entworfen hat. Der Verfasser der vorliegenden Arbeit hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Fragmente der griechischen Kultschriftsteller zu sammeln, zu erläutern und die Ergebnisse in einer Einleitung zusammenzufassen. Gerade diese Schriften wie überhaupt die gesamte antiquarische Literatur haben bei Müller nicht die erforderliche Berücksichtigung gefunden. Beispielsweise ist das umfangreiche Werk des Ammonios über Altäre und Opfer nebst den zahlreichen Bruchstücken nirgends erwähnt, während die Fragmente aus dem Orakelbuch des Herakleides Pontikos und der heortologischen Schrift des Apollonios aus Acharnai unvollständig in Anmerkungen untergebracht werden. Dazu kommen einige Bruchstücke aus neueren Ausgaben, die Müller noch nicht zugänglich waren. So kommt es, daß 38 Fragmente unserer Sammlung bei Müller noch fehlen und die anderen zum großen Teil unvollständig sind. Na

1 Fragmenta historicorum Graecorum ed. C. Müller, Paris 1849. * Schon vor 18 Jahren hat auf die Mängel dieser Ausgabe hingewiesen C. Wachsmuth, Einleit. in das Stud. d. alt. Gesch., Leipzig 1895, 78. Klio IX 1909, 80 ff.

Religionsgeschichtliche Versuche u. Vorarbeiten XV, 1.

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mentlich vermißt man fast durchweg die den Fragmenten entsprechenden Parallelstellen bei den Quellenschriftstellern. Und die Textgestaltung bleibt wie in der ganzen Sammlung so auch hier hinter dem heutigen Stande zurück, der dank der erfolgreichen philologischen Arbeit erreicht ist. Mit ein paar Worten mag noch unsere Aufgabe begrenzt werden. In diese Sammlung sind nur die Fragmente aus den Schriften aufgenommen, deren Titel auf sakralen Inhalt hinweist, während die Darstellungen der einzelnen Landesgeschichten, die auch viel über Religion und Kultus enthielten, wie die Atthides, nicht Berücksichtigung finden konnten.

Die Anfänge der Kultschriftstellerei liegen wie die der anderen griechischen Literaturgattungen im Dunkeln. Ohne Zweifel haben die Männer, die den Gottesdienst zu besorgen hatten, die Erfindung der Schrift früh dazu benutzt, sich sachliche Notizen über das sich allmählich komplizierter gestaltende Opferzeremonial zu machen, die dann ihre Nachfolger übernahmen1. Hat man doch überall eine große Scheu empfunden, an den überkommenen religiösen Vorschriften etwas zu ändern. Doch das freiheitsliebende Volk der Hellenen wollte auch in den Satzungen, die das Verhältnis zwischen Göttern und Menschen ordneten, von keinem Vermittler abhängig sein und zwang durch die große demokratische Bewegung des 7. und 6. vorchristlichen Jahrhunderts die Kodifikation des Sakralrechts, wie auch der anderen Rechtssatzungen der aristokratischen Priesterschaft ab 2. Wieweit die damals in ganz Griechenland erlassenen Gesetze auch gottesdienstliche Bestimmungen umfaßten, läßt sich bei der mangelhaften Überlieferung nicht immer feststellen. Doch wahrscheinlich enthielten schon die ältesten hellenischen Stadtrechte, die des Zaleukos und Charondas in Unteritalien, auch sakralrechtliche Verordnungen; wird doch in der Einleitung zu den Gesetzen des Charondas, die zwar unecht ist, aber sich in vielem an die Wirklichkeit anlehnt, ausdrücklich befohlen, die Götter

1 Vgl. Curtius, Das Metroon in Athen als Staatsarchiv, Berlin 1868, 1.

2 Vgl. Christ-Schmid, Gesch. d. griech. Litt. I 617 f.

* Überliefert durch Stob. flor. XLIV 24 (II 149 ff. Wachsmuth u. Hense). • Vgl. Niese bei PW III 2, 2182.

und die Toten zu ehren. Auch in den zúgßes Solons standen nach der Überlieferung die Sätze, die auf Opfer und Feste Bezug hatten1. Auch aus den allerdings nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Gesetzen, die Lykurgos im Namen des delphischen Gottes den Spartanern gegeben haben soll, werden vielfach gottesdienstliche Mitteilungen gemacht, namentlich in der Plutarchischen Biographie des Gesetzgebers. Wie diese Aufzeichnungen in den griechischen Staaten sich von Jahr zu Jahr mehrten, davon kann jeder sich eine Vorstellung machen, der in die trotz der trümmerhaften Überlieferung umfangreiche Sammlung der Leges Graecorum sacrae e titulis collectae 2 hineinblickt. Allmählich war es für den einzelnen unmöglich, alle diese Verordnungen, die sich zum Teil widersprachen, zu kennen. Deshalb wurden zur Zeit des Perikles, in der Athen sich die größte Freiheit errungen hat, die früheren Gesetze in Archiven zusammengefaßt. Das Hauptarchiv befand sich im Metroon. Unter diesen Schriftstücken enthielten natürlich viele auch gottesdienstliche Verordnungen. So wird in dem berühmten eleusinischen Steuerdekret, über das Schmidt aaO. handelt (= Ziehen-Prott L. s. II 9) und bei Lysias XXX 21. 27 die Darbringung gewisser Opfer verlangt κατὰ τὰς συγγραφάς, nämlich des in derselben Inschrift genannten Exegeten Lampon und der anderen, die die sakralrechtlichen Sätze in den Staatsarchiven zu sammeln hatten. Außer diesen gottesdienstlichen Satzungen des Hauptarchivs sind hier noch zu erwähnen die Archive der einzelnen priesterlichen Verbände. So erhalten wir interessante Mitteilungen aus dem Archiv des ἄρχων βασιλεύς, der die Aufsicht über den gesamten Staatskult hatte, durch Athen. VI

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1 Vgl. Plut. Sol. 25; Prott-Ziehen Leges sacrae I 1.

Herausg. von J. von Prott u. L. Ziehen, Leipzig I 1896; II 1, 1906. ' Vgl. Schmidt, Das eleusin. Steuerdekret. Neue Jahrb. f. Phil. u. Päd. CXXXI, 1885, 686.

• Vgl. C. Curtius, Das Metroon in Athen als Staatsarchiv, Berlin 1868, 5 ff. 5 Diese Urkunden waren nicht auf Stein, sondern auf Charta geschrieben; vgl. Dziatzko bei PW II 558 und das Schol. zu Demosth. VIII 312, 17 Dind. ἐν τῷ δημοσίῳ] οἴκῳ δηλονότι, ἐν ᾧ οἱ δημόσιοι χάρται ἔκειντο ; eb. 327, 23 ἀρχιδίοις] ήγουν τοῖς χαρτοφυλακείοις, τοῖς δημοσίοις οἴκοις, ἔνθα οἱ δημόσιοι χάρται ἔκειντο.

234 c (Fr. 174). Ähnlich hatten auch die Priesterschaften, die die eleusinischen Mysterien leiteten, ihre eigenen Archive1. Weniger erfahren wir von den auf den Kult bezüglichen Archiven der anderen griechischen Staaten. Erwähnt sei das Orakelarchiv der Priester in Delphi; vgl. Euripid. bei Cram. an. Par. III 373; Plut. Lyc. 26; Curtius, Das Metroon 2. Ähnliche Satzungen, die man auf den delphischen Apollon zurückführte, gab es auch in Sparta; sie lagen hier in den Händen der Пúdio 2.

Häufig werden noch mysteriöse Bücher von den alten Schriftstellern genannt, die von den Priesterkollegien bewacht, den gewöhnlichen Sterblichen nicht zugänglich waren; über die in Eleusis vgl. Lobeck Agl. 194 ff.; doch ähnliche Schriften geheimnisvollen Inhalts gab es auch an anderen Orten Griechenlands, wo Mysterien bestanden. So sagt Pausanias von den Priestern der Messenier IV 27, 5 ὡς δὲ ἡ τελετή σφισιν ἀνεύρητο, ταύτην μὲν ὅσοι τοῦ γένους τῶν ἱερέων ἦσαν, κατετίθεντο ἐς Bißhovs und von den Priestern der arkadischen Pheneaten VIII 15, 2 λαβόντες δὲ γράμματα ἐξ αὐτῶν (sc. ἐκ τῶν λίθων δυοῖν ἡρμοσμένων πρὸς ἀλλήλους) ἔχοντα τὰ ἐς τὴν τελετὴν καὶ ἀναγνόντες (ἐς ἐπήκοον τῶν μυστῶν κατέθεντο ἐν νυκτὶ αὖθις τῇ αὐτῇ und VIII 37, 2 ἐν δὲ τῇ στοᾷ τῇ παρὰ τῇ Δεσποίνῃ (nahe der arkadischen Stadt Akakesium) ... πινάκιόν ἐστι γεγραμμένον ἔχον τὰ ἐς τὴν τελετήν. In diesen Büchern stand vielleicht das Zeremoniell für die Mysterien, die δρώμενα καὶ λεγόμενα, oder vielleicht auch die Stiftungssage des Geheimdienstes, die sog. iɛgoì hóyo, und möglich ist, daß die messenischen und arkadischen Priester zugleich mit den Mysterien auch die Schriften mit dem geheimen Inhalt aus Eleusis empfangen haben.

Die bisher genannten sakralen Bücher und Urkunden hatten einen praktischen Zweck: die überkommenen gottesdienstlichen Satzungen und Zeremonien festzuhalten und danach den Kult zu ordnen. Wir kommen nun zu den eigentlichen Schriften sakralrechtlichen und antiquarischen Inhalts,

1 Vgl. Dittenberger, Herm. XX 1885, 8 ff.; Rubensohn, Die Mysterienheiligtümer von Eleusis und Samothrake, Berlin 1882, 73.

* Vgl. Herod. I 67; VI 57; Cic. div. I 43; Suid. Пvo; Monceaux bei Daremberg-Saglio IV 1, 221, 7.

die zuerst gewiß auch hauptsächlich aus praktischen Gründen abgefaßt waren, dann aber im wesentlichen literarischem Interesse dienten. Weitaus am meisten ist über den Kult der Athener geschrieben worden, die auch in anderen Literaturgattungen die übrigen Griechen überragten und für Religion und Kultus am meisten Interesse gezeigt haben1. Da sind zunächst zu nennen die Schriften der attischen Exegeten, deren Aufgabe in der Erklärung des heimischen Sakralrechts bestand ', jener ἄγραφοι νόμοι, καθ ̓ οὓς οἱ Εὐμολπίδαι ἐξnyovvrai (vgl. [Lys.] VI 10)3. Gewiß haben sich diese Exegeten schon früh Notizen über das ihnen anvertraute Zeremonial gemacht, da ihr Rat bei wichtigen und geringfügigen Angelegenheiten in gleicher Weise von dem Magistrate und den Privatpersonen eingeholt wurde, und da sie sich in ihren Anweisungen nicht widersprechen durften. Diese Aufzeichnungen enthielten wohl zunächst nur die Zeremonien und die sakralen Formeln; ein paar Bruchstücke davon sind uns noch aus den Schriften des Kleidemos (Fr. 1), Autokleides (Fr. 5), Polemon (Fr. 44) erhalten. Die Verfasser treten dabei zunächst ganz zurück. Doch bald erwacht das literarische Interesse und das Streben, über den Gottesdienst und die sakralen Bezeichnungen zu disputieren. Und bezeichnend ist, daß Namen von Autoren erst aus der Zeit um 400 auftauchen. War damals auch der alte Glaube an die Götter durch die Aufklärung, die von den Sophisten ausging, zersetzt, so bekunden doch das lebendige Interesse für den Gottesdienst die dem Götterkult geltenden Monumentalwerke und Inschriften, die aus jener Zeit stammen. Gerade damals setzte auch die attische Annalistik ein, die, wie die erhaltenen zahlreichen

1 Vgl. Thucyd. II 38, 1; [Plat.] Alcib. secund. 148e; L. Schmidt, Ethik der Griechen II 48.

* Vgl. Petersen, Ursprung und Auslegung d. hl. Rechts bei d. Griech. usw., Philol. Suppl. I 1860, 153-213; Bouché-Leclercq Histoire de la divin. dans l'ant., Paris 1880, 215 ff.; Ph. E. Legrand Quo animo Graeci divinat. adhib., Par. 1898, 68 ff.; Ehrmann De iuris sacri interpret. Att., Relig. Vers. u. Vorarb. IV 347 ff.

* Vgl. R. Hirzel, "Aypaços vóμos, Abh. d. sächs. Gesellsch. d. Wiss. philol.-hist. Kl. XX 1900, 50.

• Bezeichnend ist besonders Theophr. Charact. 16.

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