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§. 5. Art der Forschung.

Innerhalb des von uns umzeichneten Gebiets vertrauen wir die dem modernen Hochdeutsch entsprechenden Ausdrücke zu finden, natürlich ohne für eine lateinische Terminologie derjenigen Wissenschaften einstehen zu können, welche dem Römer ganz oder theilweise noch unbekannt waren. Unser Vertrauen gründet sich theils auf die Einheit des menschlichen Geistes, welche sich in den verschiedenen Sprachen offenbart, theils auf die Bildungsstufe, welche derselbe in den Vertretern der classischen Latinität erreicht hat. Die Summe der Anschauungen, welche ihnen Welt und Leben bietet, ist ungeheuer und wenn sie, um mit Griechenland zu wetteifern, das Gebiet des speculativen Wissens, in welchem sie von Natur nicht heimisch sind, zu betreten wagen, so ist der Ausdruck nicht dasjenige, was ihnen am meisten gebricht, um sich dort mit Gewandtheit zu bewegen. Was sie gefaßt haben, vermögen sie in edler Form zu sagen. Wenn sie nun troß der von ihnen selbst eingeräumten Kärglichkeit ihrer Darstellungsmittel jene Anschauungen und dieses Wissen wiederzugeben im Stande sind, so müssen in ihrer Sprache mehr Kräfte verfügbar sein, als unmittelbar und ohne Weiteres zu Tage liegen. Für viele Dinge, denen die deutsche Sprache bequeme Namen gegeben hat zu unmittelbarem Gebrauch, werden materielle Acquivalente in anderer Form zu Gebote stehen; für manches, was der Deutsche mit einem ausdrücklichen Worte bezeichnet hat, wird ein formelles Aequivalent nicht nöthig sein, weil der zu bezeichnende Begriff in der Bedeutungskraft eines andern Wortes mit eingeschlossen ist. Hieraus erwächst uns die doppelte Aufgabe: erstlich den materiellen Ersagmitteln nachzuforschen, welche das Latein bietet für Ausdrücke, welche nicht unmittelbar übertragen werden können, zweitens im Deutschen die Ausdrücke kennen zu lernen, welche nicht unmittelbar übertragen werden dürfen. Weil aber jedes Zeitalter nach Maßgabe seiner eigenen sprachlichen Entwicklung die fremde Ausdrucksweise mit anderen Augen ansicht, so werden wir im Latein für unser jeßiges Sprachbedürfniß auch unmittelbar congruente Ausdrücke in nicht geringer Zahl entdecken, welche den Vorfahren in der für uns dienlichen Bedeutung deßhalb_unbekannt geblieben waren, weil sie keine Veranlassung hatten, dieselben so, wie wir es bedürfen, zu verwenden. Somit wird es unsere dritte Aufgabe sein, auf den noch nicht vollständig erkannten

Neichthum an unmittelbar congruenten Ausdrücken hinzuweisen, über welchen der Latein schreibende Deutsche zu gebieten hat. Indem wir uns diese dreifache Aufgabe stellen, haben wir das Gesetz ausgesprochen, nach welchem wir jeden der in Frage kommenden Hauptredetheile zu bearbeiten haben. Von sachgemäßer Durchführung dieses Gesetzes dürfen wir eine richtige Einsicht in die Einstimmigkeit sowohl als Verschiedenheit der beiden Sprachen erwarten; auch haben wir damit für die Behandlung aller Redetheile eine durchgreifende Grund- und Hauptdisposition gewonnen, welche nicht ein nach Belieben erfundenes, dem Stoffe rein äußerliches Schema, sondern das Ergebniß sorgfältiger Betrachtung des Stoffes selbst ist.

Erstes Buch.

Die Topik der Propria.

Erstes Kapitel.

Die Fundfläkten der Subftantiva.

§. 6. Das Verhältniß der deutschen Subftantiva zu den lateinischen.

Die deutsche Sprache unterscheidet sich von der lateinischen in Absicht auf ihre Darstellungsmittel hauptsächlich durch ihren Reichthum an Substantiven. Erstere hat nicht allein sehr viele Fremdwörter bei sich eingebürgert, sondern sie hat durch ihren Artikel und durch die Bildungssilben ung, keit, heit, niß u. dgl. eine sehr ausgedehnte Möglichkeit zu substantiviren, welche lettere der lateinischen Sprache nur in sehr beschränktem Maße zusteht. Indem die lateinische Sprache diese Feffeln zu sprengen suchte und, da sie die Zahl der Stammwörter nicht zu mehren vermochte, Fremdwörter in sich aufnahm, ihrem puristischen Charakter untreu wurde, ferner in Substantivirungen und Neubildungen die ihr zustehende Befugniß überschritt, ist sie barbarisch geworden. In diesem Mangel an lateinischen Substantiven, welche geeignet waren den deutschen Reichthum unmittelbar zu ersetzen, liegt erfahrungsgemäß eine Hauptschwierigkeit, mit welcher die angehenden Stilisten zu kämpfen haben. Diese greifen in ihrer Verlegenheit entweder zu barbarischen oder zu wässerigen, die Kraft der lateinischen Nede verschwemmenden Auskunftsmitteln und es läßt sich kaum sagen, was dem ächt lateinischen Stile mehr Eintrag thut, die Nachsicht gegen schlechte Substantiva oder die allgemein und unbedingt gegebene Anweisung, daß man eben, was man nicht wörtlich überseßen könne, durch Umschreibung ausdrücken müsse.

Nach den oben S. 5 dargelegten Grundsäßen weisen wir A. für deutsche Substantiva, die sich nicht unmittelbar lateinisch

wiedergeben lassen, Aequivalente nach, zeigen B., welche deutsche Substantiva in der lateinischen Rede wegfallen, und versuchen C. eine Anleitung zu geben, wie die verfügbaren lateinischen Substantive ausgebeutet und für moderne Begriffe verwendet werden können.

§. 7. A. Ersak deutscher Substantiva durch Aequivalente. Aa. Ohne Erweiterung des lateinischen Ausdrucks durch Substitution eines Redetheils.

I. Aus dem Gebiete der Substantiva selbst.

Statt des nicht vorhandenen Ausdrucks für einen Begriff wird ein verwandter genommen; rebus non habentibus suum nomen accommodamus, quod in proximo est Quint. 8, 6, 34; 10, 1, 11 sqq. (Antike Figur der xatázenois oder abusio; s. Cic. Or. 27, 94). Verwandt aber sind

1. subordinirte Begriffe und die ihnen superordinirten, das Genus mit der Species und umgekehrt;

2. coordinirte Begriffe, das ist die verschiedenen Species eines und desselben Genus, somit die Abstracta mit den ihnen entsprechenden Concreten, das Objective mit dem Subjecti ven, das Absolute mit dem Relativen und umgekehrt. Hiemit sind die Fundstätten bezeichnet, in welchen wir im Latein substantivische Ersatzmittel für deutsche Substantiva zu suchen haben.

§. 8. Das lateinische Genus für die deutsche Species. (Synecdoche Quint. 8, 6, 19-21; intellectio Cornif. Rhet. ad Her. 4, 32, 44).

Bei der Verschiedenartigkeit der Ausdrücke, welche unter diese Kategorie fallen, ist es außerordentlich schwer, ein Gesetz für die Classification der Beispiele ausfindig zu machen. Wir haben im Folgenden eine chaotische Unordnung nur dadurch vermeiden zu können geglaubt, daß wir die Belege theils nach den Vorstellungskreisen ordneten, denen sie angehören, theils nach der Natur, dem Bedeutungsumfang der lateinischen hier in Frage kommenden Substantiva. Ein logisches Gesez, das bei der Aufführung des Einzelnen alle Willkür ausschlösse, gibt es hier nicht; genug,

wenn wir nachweisen, daß in allen von uns angeführten Fällen das lateinische Genus wirklich an die Stelle der deutschen Species getreten ist, und hiedurch das Verfahren der fremden Sprache gegenüber der unsrigen anschaulich machen.

1. Der Lateiner hat kein Wort für Geschmack im ästhe= tischen Sinn; denn gustus oder gustatus z. B. gustatum laudis habere (Cic. Phil. 2, 45, 115) ist etwas ganz Anderes. Geschmack aber ist das richtige Urtheil über Schön und Nichtschön, also eine Species vom Genus Urtheil; daher vertritt den deutschen Ausdruck das lateinische iudicium sehr oft; Tac. Dial. c. 22: nec ulla re magis eiusdem aetatis oratores praecurrit (Cicero) quam iudicio. Geschmack ist aber auch Einsicht in die Natur des Schönen; daher wird nicht nur von Cic. de opt. gen. 4, 11 intellegens iudicium verbunden, sondern auch für Geschmack ib. §. 12 blos intellegentia gesagt; Verr. 4, 44, 98: vide, ne ille non solum temperantia, sed etiam intellegentia te atque istos, qui se elegantes dici volunt, vicerit. - Wahl, als Urtheil über Werth und Unwerth, Tauglichkeit oder Untauglichkeit, ist gleichfalls iudicium; Off. 1, 32, 115: quarta persona, quam nobismet ipsi iudicio nostro accommodamus; Verr. 1, 15, 41: haud scio an plus iudicium voluntatis (die freiwillige Wahl) valere quam sortis debeat. Zuweilen treten nähere Bestimmungen hinzu; Plin. Paneg. 10, 2: non unius Nervae iudicium illud, illa electio fuit; Justin. 2, 15, 20: nec in bello iudicium deligentium fefellit Cimon. Aber bei Cic. Vatin. 15, 36: eripueras senatui imperatoris deligendi iudicium steht das Wort nach einem unten (§. 35, 1, b) zu erläuternden Sprachgebrauche für Wahlrecht; denn nicht die Fähigkeit, sondern die Befugniß zu wählen ist gemeint. Auch die Achtung, die Je= mand vor einem Andern hat, ist ein Urtheil; daher Attic. 11, 7, 3: ut existimem me bonorum iudicium non funditus perdidisse; Fam. 10, 1, 4: quidquid in eum iudicii officiique contuleris.

Phantasie: die Nachlässigen schreiben phantasia, die Sorgfältigeren richten sich etwa nach Quint. 8, 3, 64: procul a concipiendis rerum imaginibus abesse, oder schreiben mit dem älteren Plinius und Tacitus imaginatio; s. Krebs-Allg. s. v. imaginari. Aber als Vorstellungsvermögen ist im classischen Latein die Phantasie eine Species des Denkvermögens überhaupt: daher cogitatio dafür verwendet wurde; Cic. Marc. 2, 6: quae qui

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