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Bedürfniß wissenschaftlicher Darstellung, zunächst jedoch in ganz anderem Sinn als in der scholastischen Periode. Mit dem sogenannten Wiederaufleben der Wissenschaften befreit sich die weltliche Bildung von der Scholastik; sie besteht nicht mehr in scholastischphilosophischem Wissen, sondern vornehmlich in dem Verständniß antik schöner Form und in der Fähigkeit diese wiederzugeben. Die lateinische Sprache wird, namentlich in Italien, Selbstzweck, und da man den Inhalt der weltlichen Bildung lediglich aus den Alten holt, reichen auch die von den Alten gebotenen Mittel für die Darstellung jenes Inhalts vollkommen aus. Von nun an ist die Sprache vor gewaltsamer Entstellung ins barbarische gesichert. Aber das wird ein Unglück für sie, daß sie ausschließliches Mittel gelehrter Mittheilung ist, daß sie also von Vielen gehandhabt wird, die ihrer nur unzureichend mächtig sind, daß sie somit in die Dienste des Bedürfnisses zurückfällt und in dieser abermaligen Erniedrigung von neuem eine sehr unerfreuliche Gestalt annimmt. Doch gilt die ächte Form antiker Darstellung, wie sie die Italiener wieder gewonnen haben, fortwährend als Ideal, dem man sich nähern müsse; es wird immer wenigstens von Einzelnen classisch geschrieben und deren Bemühungen werden geehrt und anerkannt.

Mit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts hört das Latein auch auf, Bedürfniß wissenschaftlicher Darstellung zu sein. Dieser genügt nunmehr die Muttersprache. Ja diese genügt der Wissenschaft nicht blos, sondern erscheint bald genug als deren ausschließlich angemessenes Organ. Hand in Hand mit der mächtigen und anscheinend selbständigen Entwicklung des modernen Geistes entfaltet sie eine Fülle von Darstellungsmitteln, mit wel cher die antike Sprache nicht mehr Schritt halten kann. Die Wissenschaft legt ihren ganzen Reichthum in der deutschen Sprache nieder. Als Mittel wissenschaftlicher Mittheilung ist das Latein entbehrlich, ja, wie man sagt, unbrauchbar geworden. Das Lateinschreiben wird von der Gegenwart als Pedanterie verworfen, die deutsche Wissenschaft, sagt man, hat ihm den Stab gebrochen; allein es fragt sich, ob die Stilistik sich dieser Wissenschaft nicht nothwendig machen, ja als einen integrirenden Theil von ihr behaupten kann.

2. Die Beantwortung dieser Frage ist bedingt durch eine Vorfrage: welches war in jeder dieser drei Perioden die Stellung der Stilistik? In der ersten gibt es begreiflicher Weise so gut

als keine; was in den Schulen des Mittelalters etwa Stilistisches gelehrt wurde, bestand in grammatischen und rhetorischen Vorschriften*). In der zweiten Periode herrscht das Bestreben vor, sich des wieder errungenen Besizes in seiner Reinheit und in seiner Vollständigkeit zu versichern, späterhin auch dem aufs neue einreißenden Verderben entgegen zu wirken. Daher erscheinen in dieser Periode theils Antibarbari, theils Phraseologieen und Florilegien aller Art. Das Hauptwerk schreibt Laurentius Valla, (1407-1457; vgl. Carl v. Naumer's Pädag. I. p. 39 ff., C. G. Zumpt in Schmidt's Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1845 S. 397 ff., J. Vahlen, Lorenzo Valla, Wien 1864; Berlin 1870). Unter dem Titel de linguae latinae elegantiis libri sex ist es von 1471-1536 in 59 Auflagen verbreitet worden. Die übrige Literatur verzeichnet Hand Lehrbuch p. 12 ff.; Kloß in der Recension der zweiten Auflage des Hand'schen Buches NJbb. 1841 Bd. 32 Hft. 3 liefert p. 247 f. einige Nachträge **). Mit ausdrücklicher Verweisung auf Hand heben wir blos einige der wichtigsten, uns aus eigener Anschauung bekannten Bücher hervor ***). Desid. Erasmi Roterod. de duplici copia verborum ac rerum commentarii duo. Basileae 1555 (die Dedikation zur ersten Ausgabe ist unterzeichnet Londini 1512. 3. Cal. Majas). Ant. Schori phrases linguae latinae. Colon. 1548. Oberti Gifanii (ICti Ingolst.) observationes singulares in linguam latinam, in quibus ex abditissimo usu politioris latinitatis dictionum, verborum, particularum significatus plane reconditi in nullisque adeo Lexicis sive Thesauris vulgatis obvii eruuntur et explicantur, multa item Authorum Latinorum loca ex libb. Msstis corriguntur ac restituuntur. Francof. 1624. Gerh. Joann. Vossi de vitiis sermonis et glossematis latino-barbaris. Amstelod. 1645. Im Jahre 1713 erscheint zu Amsterdam das Sammelwerk des Rich. Ketelius: de elegantiori latinitate comparanda scriptores selecti. Aber die Collektaneen Einzelner

*) Vgl. Rud. v. Raumer a. D. p. 74. 201, besonders Eckstein in Schmid's Encyklopädie des gesammten Erziehungs- und Unterrichtswesens. Eilster Band. S. 505 ff.

**) Vgl. auch dessen Handbuch der lat. Stilistik, Leipzig 1874. 6. 21 ff.

***) S. auch K. Reisig's Vorlesungen über lat. Sprachwissenschaft mit Anm. v. Fr. Haase, neu bearbeitet von H. Hagen, Berlin 1880 §. 28 ff.

hören darum noch nicht auf; Joann. Jensii purae et impurae latinitatis collectanea. Roterod. 1720. Ein interessantes Buch ist Dan. Georg. Morhofii de pura dictione latina liber. Jo. Laur. Moshemius Th. D. et P. P. O. edidit et notas adjecit. Hannover. 1725 (ein opus postumum Morhofs). Wichtig ist theils das Literargeschichtliche, theils sind es Morhofs Urtheile über die Latinität der modernen Völker. Die Italiener und Deutschen werden gelobt p. 92, die Holländer und Engländer p. 36 und p. 41 als affectirt getadelt; aber den Preis der Latinität erhalten für seine Zeit wenigstens die Franzosen p. 40: sunt enim in illis, qui eleganter adeo in sermone ligato et soluto scribunt, ut vel provocare ipsos antiquos possint, quum Itali, Belgae, Hispani, Germani, Angli omnem illam curam purae Latinitatis seposuerint. In methodischer Hinsicht verlangt er, um dem Einflusse der Muttersprache vorzubeugen, ut statim in prima aetate animus a patria lingua abducatur eiusque diversitas a latina per omnes loquendi formulas et phrases, constructiones et particulas notetur, was der Herausgeber Mosheim als eine res infinitae propemodum observationis für unmöglich erklärt. Morhof selbst schreibt durchaus uncorrect, wenn auch nicht eben geziert, wie die meisten seiner Zeitgenossen. Sehr verdienstlich sind Vorstius' Arbeiten de latinitate falso suspecta deque latinae linguae cum germanica convenientia, Rostoch. 1652; de latinitate merito suspecta, ib. 1652; de latinitate selecta et vulgo fere neglecta liber, ein opus postumum, Berol. 1718, neu herausgegeben jammt den beiden anderen mit Anmerkungen von Jo. Matth. Gesner. Berol. 1730, welcher in der Vorrede die auch für unsere Zeit noch treffende Bemerkung macht: facile dicendi genus his vulgo tribuitur, qui vitiosissime et absurdissime scribunt; deinde difficilem stilum illis objici solenne est, si qui diligentius et exquisitius normam latinae orationis et ornamenta dicendi sequantur, und dieselbe nach seiner Weise geistreich und energisch durchführt. An Vorst's leztgenannte Schrift schließen sich rühmlich an erstlich Fr. Ott. Menckenii observationum lat. linguae liber, in quo varia rarioris usus genera dicendi annotantur, Lips. 1745, ferner J. Mich. Heusingeri antibarbarae latini sermonis observationes secundis curis politae novisque accessionibus auctae (ein Anhang von Jo. Mich. Heusingeri emendationum libri duo ed. Frid. Heusinger J. M. F. Gothae 1751), worin Heusinger seine früheren Schriften gleichen Inhalts, na

mentlich seine von Hand allein erwähnten Supplementa zu des Christoph. Cellarii curae posteriores de barbarismis et idiotismis sermonis latini, Jenae 1745, zusammengezogen und vermehrt hat. Er selbst will laut der Vorrede sein Buch als einen Nachtrag angesehen wissen zu Jo. Fr. Noltenii lexicon lat. linguae antibarbarum Helmst. 1730, welcher alles Frühere zusammengetragen und einen gleichzeitigen Mitarbeiter gefunden hatte an Dan. Fr. Janus, dessen Philologisches Lexikon der reinen und zierlichen Latinität u. s. w. ebenfalls 1730 zu Leipzig erschien.

3. Aber diese Bücher enthalten keine Stilistik, sondern arbeiten dieser blos in die Hand, theils negativ durch Ausmerzung der Barbarismen, theils positiv durch Herbeischaffung von Materialien. Eine eigentliche Lehre vom Stil gibt nach Hand's Urtheil zuerst auf würdige Weise Jo. Ludov. Praschii Rosetum seu praecepta stili latini. Ratisbon. 1676; cum praef. Kriegkii. Jenae 1702; man lese bei Hand S. 15 die Charakteristik dieses Buches. Aber bei weitem den größten Einfluß gewinnen Jo. Gottl. Heineccii stili cultioris fundamenta. Francof. 1720; edit. 7, von Gesner besorgt, Lips. 1743; bis 1790 oft aufgelegt. Allein dieses Buch, nach seinem Erscheinen außerordentlich ge= rühmt*) und selbst von Wolf nicht verworfen (Encyclop. der Phil. herausg. von Stockmann 1845 S. 201), von Ruhnkenius aber in den Epist. ed. Tittm. p. 33 liber futilis genannt, hat ohne Zweifel mehr geschadet als genüßt. Nämlich alle Phraseologieen und Antibarbari konnten der Geschmacklosigkeit nicht steuern, welche über Deutschland hereinbrach, als der großartige Aufschwung, den die Muttersprache in der Reformation genommen hatte, in den Schrecken des dreißigjährigen Kricges untergegangen war. Vor der Rohheit, welche der Krieg verbreitet hatte, suchte man sich theils durch lateinische, theils durch französische Eleganz zu schüßen, und die Verbindung derselben mit der damaligen Unbehülflichkeit des Volkes gab eine seltsame Mischsprache (Cäsar

*) Im Erlanger Sommercataloge von 1744 wird Heineccius genannt vir his ipsis literis ad summum inter eruditos fastigium elatus. Mahne sagt in der Vita Dan. Wyttenbachii ed. 2. p. 35: Heineccius, cujus fundamenta stili cultioris illa aetate classicam omnino auctoritatem in scholis nacta erant quaeque tunc temporis docti pariter atque semidocti veluti in sinu gestabant (freilich auch ein befremdliches Latein).

spoliirte den publiquen Tresor; das Vaterland ist unser aller Papa u. dgl.). Elegant wurde das Losungswort der Stilisten, und da man den Sinn für Wahrheit und Natur verloren hatte, hieß sehr bald das Seltene, Gezierte und Unnatürliche elegant. Aus diesem Geschmack heraus schreibt und lehrt Heineccius und hilft ihn dann seinerseits in den Schulen befestigen. Er empfiehlt die voces und phrases elegantiores, die constructiones rariores p. 341, phrases selectiores p. 348, ferner die ingeniosa judicia vel acumina p. 345 u. dgl., und schreibt in einem dem Buche angehängten Panegyrikus auf den Juristen Stryck, wie wir lesen p. 444: Stryckius ex Anglia solvit secundoque ventorum flatu in Bataviam appulit. Numquam profecto salutare Veneris sidus blandius risisse, numquam Castores fulgorem beneficum conseruisse libentius existimo, quam illo die, quo Stryckius inter faustas amicorum acclamationes navem conscendit. At finge coelum subito esse turbatum, finge mare ventis commotum tenebris totum inhorruisse, navem porro vasto gurgite jactatam et nec in remis nec clavo quidpiam praesidii reliquum, sed tristia omnia, exitiosa conclamata, quis dubitaret nostrum tot parentum votis divinitus destinatum salvum ad litus fuisse evasurum ipsoque Julio Caesare multo confidentiorem timentem nautam allocuturum: quid times? Stryckium vehis!

Daher stammt denn auch jener Unsinn des calamum stringere, die Feder zücken, bei gelehrten Streitigkeiten, des foetum lambere vom Ausfeilen eines Schriftwerks, des nares emungere in alberner Anwendung des Horazischen emunctae naris homo, vermöge welcher sogar geschrieben wurde: quorum unus quoad mores et literas ita eminet, ut ei Musae ipsae nares emunxisse videantur. Eine wahre Fundgrube von solchen Kostbarkeiten ist das von Ernesti bevorwortete lateinisch-deutsche und deutsch-lateinische Lexikon von Erycus Weißmann, Leipz. 1758, 12te Aufl. 1775. Dort wird z. B. für die Wahrheit sagen als erste Phrasis angegeben folium recitare Sibyllae (aus Juvenal. 8, 126), hiernächst oracula loqui; dann erst folgt vera dicere. Ein alberner Mensch wird nach Plaut. (Truc. 4, 411) und Laber. ap. Non. homo bliteus genannt. Einem Unglück entgehen heißt plantam caeno evellere, ein Unglücklicher: quarta luna natus, man stürzt sich selbst ins Unglück: turdus sibi ipse cacat exitium u. s. w. Mit dieser Sippschaft verwandt ist das gaudere

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